Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 27.05.2013, Az.: 1 Ws 125/13

Auswahl des statthaften Rechtsmittels gegen einen Sicherungshaftbefehl; Rechtsnatur einer Inhaftierung aufgrund eines Sicherungshaftbefehls

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
27.05.2013
Aktenzeichen
1 Ws 125/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 40753
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2013:0527.1WS125.13.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Braunschweig - 14.03.2013

Fundstellen

  • NStZ-RR 2013, 317
  • NStZ-RR 2013, 6

Amtlicher Leitsatz

1. Gegen einen Sicherungshaftbefehl ist die weitere Beschwerde nicht statthaft.

2. Die Inhaftierung aufgrund eines Sicherungshaftbefehls stellt keine Verhaftung im Sinne des § 310 Absatz 1 Nr. 1 StPO dar.

Tenor:

Die weitere Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts Braunschweig vom 14. März 2013 wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Braunschweig verurteilte den Beschwerdeführer am 17.04.2008 (5 Ds 803 Js 61988/07) - rechtskräftig seit 09.09.2008 - wegen unerlaubten Erwerbes von Heroin zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten.

Durch Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 09.04.2012 wurde der Strafrest für 3 Jahre zur Bewährung ausgesetzt, der Beschwerdeführer der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt und ihm aufgegeben, nach Weisung des Bewährungshelfers eine ambulante Nachsorge durchzuführen.

Der Verurteilte hatte zunächst keinen Kontakt zur Bewährungshilfe. Durch das AWO Psychiatriezentrum K. und die ehemalige Freundin des Verurteilten wurde die Bewährungshelferin darüber informiert, dass sich der Verurteilte vom 08.01. bis 13.01.2013 aufgrund eines Psychoseschubes im AWO Psychiatriezentrum K. befunden hat und sein Aufenthalt nach der Entlassung nicht bekannt war.

Mit Anklage vom 26.02.2013 (802 Js 4725/13) warf die Staatsanwaltschaft Braunschweig dem Verurteilten den unerlaubten Erwerb einer Konsumeinheit Kokain am 15.01.2013 vor und beantragte den Erlass eines Sicherungshaftbefehls. Dieser wurde am 11.03.2013 antragsgemäß erlassen und dem am selben Tage Festgenommenen durch das Amtsgericht Braunschweig am 12.03.2013 verkündet. In dem Vorführungstermin räumte der Verurteilte vor der zuständigen Richterin den Vorwurf aus der Anklage vom 26.02.2013 ein und bestätigte zugleich bei seiner Verhaftung im Besitz von Amphetaminen gewesen zu sein.

Er habe sich wegen Psychoseschüben im Januar 2013 für 3 Wochen sowie vom 14. bis 22. Februar und vom 28. Februar bis zum 8. März im AWO Psychiatriezentrum K. befunden.

Der Verurteilte legte noch während der Vorführung zu Protokoll "Rechtsmittel" gegen den Sicherungshaftbefehl ein.

Mit Beschluss vom 12.03.2013 - rechtskräftig seit 16.04.2013 - widerrief das Amtsgericht Braunschweig die Strafaussetzung zur Bewährung. Dieser Beschluss wurde dem Verurteilten am 13.03.2013 mittels Gefangenen-ZU zugestellt.

Durch Beschluss vom 14.03.2013 (13 Qs 55/13) hat das Landgericht Braunschweig die Beschwerde des Verurteilten gegen den Sicherungshaftbefehl des Amtsgerichts Braunschweig vom 11.03.2012 verworfen. Gegen diesen, ihm am 27.03.2013 zugestellten Beschluss, legte der Verurteilte mit Schreiben vom 01.04.2013 (Eingang beim Landgericht Braunschweig am 03.04.2013) - "Beschwerde (Widerspruch)" ein, der das Landgericht Braunschweig mit Beschluss vom 11.04.2013 nicht abhalf.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 29.04.2013 beantragt,

die weitere Beschwerde des Verurteilten vom 01.04.2013 gegen den Beschluss des Landgerichts Braunschweig vom 14.03.2013 für gegenstandslos zu erklären.

II.

Der Beschwerdeführer wendet sich in seinem Schreiben vom 01.04.2013 mit der "Beschwerde (Widerspruch)" gegen den Beschluss des Landgerichts Braunschweig vom 14.03.2013. Dies ergibt sich, trotz des im Beschwerdeschreiben anderslautenden Beschlussdatums - 15.03.2013 - aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer sich auf den ihm am 27.03.2013 zugestellten Beschluss mit dem Aktenzeichen 13 Qs 55/13 bezieht.

Die Beschwerde ist als weitere Beschwerde auszulegen (§ 300 StPO) und als solche unzulässig.

Nach § 310 Abs. 1 u. Abs. 2 StPO findet eine weitere Anfechtung der auf eine Beschwerde hin ergangenen Entscheidung nur in den dort genannten Ausnahmefällen einer Verhaftung, einer einstweiligen Unterbringung und einer Anordnung des dinglichen Arrests statt.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt, insbesondere betrifft die gegen den Erlass des Sicherungshaftbefehls gerichtete weitere Beschwerde keine Verhaftung im Sinne des § 310 Abs. 1 StPO. Die im Senatsbeschluss vom 28.06.1993, Ws 92/93, (veröffentlicht in NStZ 93, 604 [OLG Braunschweig 28.06.1993 - Ws 92/93]) vertretene Gegenansicht wird hiermit ausdrücklich aufgegeben. Zu folgen ist vielmehr der ganz überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, wonach die Sicherungshaft im Sinne des § 453 c StPO nicht unter den Begriff der Verhaftung im Sinne des § 310 Abs. 1 Nr. 1 StPO fällt (OLG Frankfurt, Beschl. v. 12.07.2001, 3 Ws 672/01; OLG Köln, Beschl. v. 23.12.2010, 2 Ws 845/10, zitiert nach juris; jeweils m. w. N.; OLG Karlsruhe, NStZ 83, 92; OLG Düsseldorf, NStZ 1990, 251; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 310 Rn. 5). Der Begriff der Verhaftung ist mit Rücksicht auf den Ausnahmecharakter der Vorschrift eng auszulegen.

Zwar weist der Sicherungshaftbefehl hinsichtlich Vorläufigkeit, Intensität des Grundrechtseingriffs und summarischer Prüfung der Voraussetzungen Parallelen zum U-Haftbefehl auf.

Die Intensität des Grundrechtseingriffs ist jedoch kein geeignetes Entscheidungskriterium, da auch andere, nicht unter den Begriff der Verhaftung im Sinne des § 310 Abs. 1 Nr. 1 fallende Haftbefehle, zum Beispiel der Vollstreckungshaftbefehl nach § 457 sowie die von der Staatsanwaltschaft gem. § 36 Abs. 2 S. 1 StPO zu vollstreckenden richterlichen Haftanordnungen nach §§ 51, 70, 95 StPO und 96 OWiG, im gleichen Maße in das Freiheitsgrundrecht eingreifen.

Auch aus der Bezugnahme in § 453 c Abs. 2 StPO auf die für die U-Haft geltenden Vorschriften der §§ 114 bis 115 a, 119 und 119 a ergibt sich keine Gleichstellung mit der U-Haft, da der Verweis lediglich den Vollzug der Sicherungshaft betrifft und damit keine Aussage über Voraussetzungen oder Rechtsmittel getroffen wird (OLG Köln, Beschl. v. 17.02.2004, 2 Ws 71/04; Bundestagsdrucksache 7/551, Seite 97 - zu Artikel 1 Nr. 17 (§ 453 c StPO)).

Der entscheidende Unterschied ist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung und der Literatur darin zu sehen, dass beim Sicherungshaftbefehl bereits eine rechtskräftige Entscheidung über die Schuld getroffen wurde und die summarische Prüfung lediglich das Vorliegen der Widerrufsvoraussetzungen betrifft, während beim U-Haftbefehl der Freiheitsentzug allein auf der summarischen Prüfung der für die Schuld relevanten Umstände im Rahmen des dringenden Tatverdachts beruht (OLG Frankfurt, aaO.; OLG Köln aaO.); insoweit liegt eine, die Möglichkeit der weiteren Beschwerde rechtfertigende besondere Gefahrenlage vor. Auch sind bei dem der U-Haft zugrundeliegenden Hauptsacheverfahren grundsätzlich zwei Rechtsmittelmöglichkeiten (Berufung, Revision) eröffnet, während im Rahmen des § 453 c StPO für die "Hauptsache" - die Entscheidung über den Widerruf - nur die Anfechtungsmöglichkeit der sofortigen Beschwerde nach § 453 Abs. 2 S. 3 StPO gegeben ist.

Die Eröffnung eines weiteren Beschwerdeweges bei der Nebenentscheidung Sicherungshaft würde den Grundsatz, dass der Rechtsweg der Nebenentscheidung nicht weitergehen darf als derjenige der Hauptsacheentscheidung, widersprechen.

Letztlich lässt sich der Ausschluss einer weiteren Beschwerdemöglichkeit auch aus der Entstehungsgeschichte begründen.

Bis zur Einführung des § 453 c StPO aufgrund des Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts vom 09.12.1974 (Bundesgesetzblatt 13 393) gab es bei Erwachsenen keine Möglichkeit, sich der Person eines Verurteilten im Fall des drohenden Widerrufs der Strafaussetzung zu versichern. Ein Haftbefehl nach § 457 StPO kam nicht in Betracht, weil dem Vollzug der ausgeurteilten Freiheitsstrafe die gleichzeitige Aussetzung ihrer Vollstreckung entgegenstand. Für eine Inhaftierung nach §§ 112 ff. StPO war wegen der Rechtskraft der zum Widerruf anstehenden Entscheidung kein Raum. Eine Rechtsgrundlage für die vorläufige Inhaftierung eines rechtskräftig Verurteilten bis zum Abschluss des Widerrufsverfahrens fand sich in § 61 JGG nur für das Jugendstrafverfahren. Die Einführung des § 453 c StPO sollte nach der gesetzgeberischen Idee diese im Erwachsenenstrafrecht bestehende Lücke schließen, "um einem alten Anliegen der Strafrechtspflege" zu entsprechen und "zu einer Verfahrensbeschleunigung beizutragen". § 61 JGG wurde "im Grundsatz übernommen" und in "mehrfacher Hinsicht modifiziert". Erklärtes Ziel hierbei war, den Beginn des Zeitraums, in dem der Erlass eines Sicherungshaftbefehls zulässig ist, möglichst genau festzulegen. Der Erlass eines Sicherungshaftbefehls sollte "lediglich ausnahmsweise zulässig sein, wie durch das Wort "notfalls" herausgehoben wird. Erst wenn der Richter nach sorgfältiger Prüfung aller Umstände zu der Auffassung gelangt, dass andere vorläufige Maßnahmen nicht ausreichen, um die Vollstreckung zu sichern, kann ein Sicherungshaftbefehl von ihm in Betracht gezogen werden. Ein Haftbefehl darf außerdem nur erlassen werden, wenn die Voraussetzungen des § 112 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 StPO vorliegen" (Bundestagsdrucksache 7/551, Seite 97 - zu Artikel 1 Nr. 17 (§ 453 c StPO)).

Bezogen auf die als Vorlage genutzte Regelung des § 61 JGG bestand zu jener Zeit die einhellige Meinung, dass eine weitere Beschwerde gegen die die Sicherungshaft anordnende jugendrichterliche Entscheidung ausgeschlossen ist (vgl. hierzu OLG Hamburg, NJW 1964, 605 [OLG Hamburg 12.12.1963 - 1 Ws 458/63]). In der Gesetzesbegründung lässt sich kein Anhalt dafür finden, dass der Gesetzgeber abweichend von dieser gefestigten Rechtsprechung durch die Aufhebung des § 61 JGG und die Schaffung des § 453 c StPO weitergehende Rechtschutzmöglichkeiten zur Verfügung stellen wollte. § 61 JGG wurde nach der Begründung des Gesetzentwurfs gestrichen, weil die (später in Kraft getretene) Regelung des § 453 c StPO durch den Verweis in § 2 JGG auch im Jugendstrafverfahren Anwendung findet und es "unterschiedlicher Voraussetzung für den Erlass eines solchen Haftbefehls im Jugendstrafverfahren und im allgemeinen Strafverfahren nicht bedarf" (vgl. Drucksache 7/551, Seite 103, 104 - zu Artikel 3 Nr. 6 (§ 61 JGG)).

III.

Da die weitere Beschwerde von vornherein unzulässig war, hat der Beschwerdeführer gem § 473 Abs. 1 StPO die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Auf den Umstand, dass sich die Beschwerde durch die am 16.04.2013 eingetretene Rechtskraft des Widerrufsbeschlusses erledigt hat, kam es insoweit nicht an.