Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 16.05.2013, Az.: 1 Ss 20/13

Strafbarkeit wegen versuchter Datenveränderung durch Herausreißen einer Videoüberwachungskamera und eines Kabels; Notwendigkeit einer ausdrücklichen Feststellung der Zueignungsabsicht bei einer Verurteilung wegen Diebstahls

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
16.05.2013
Aktenzeichen
1 Ss 20/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 38851
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2013:0516.1SS20.13.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Braunschweig - 23.11.2012

Fundstellen

  • StV 2013, 708-709
  • StraFo 2013, 348-349

In der Strafsache gegen pp.
- Verteidiger: Rechtsanwalt Jan-Robert Funck, Schl initzstraße 14, 38106 Braun-schweig (Beiordnung: Bd. 1 BI. 71, Bd. II BI. 103, Bd. BI. 494) -
wegen Diebstahls mit Waffen u. a.
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig am 16. Mai 2013
beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird d7 Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 23. November 2012 im Schuldspruch, soweit es die Vorwürfe des unerlaubten Anbaus von Betäubungsmitteln (Taten Nr. 4 und Nr. 5) und des Diebstahls mit Waffen durch Entwenden der Kamera der Videoüberwachungsanlage (Tat Nr. 3) betrifft, sowie im Ausspruch über die Gesamtstrafe jeweils mit den zugehörigenen Feststellungen aufgehoben. Hinsichtlich des Vorwurfs des Diebstahls mit Waffen (Tat Nr. 3) werden indes die getroffenen Feststellungen zum äußeren Sachverhalt aufrechterhalten.

Das weitergehende Rechtsmittel wird verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Braunschweig zurückverwiesen.

Gründe

Die zulässige Revision des Angeklagten hat teilweise Erfolg.

I.

Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Braunschweig vom 6. Dezember 2011 wegen vorsätzlicher unerlaubter Ausübung de tatsächlichen Gewalt über eine Kriegswaffe in Tateinheit mit vorsätzlichem, unerlaubten Besitz verbotener Gegenstände nach § 2 Abs. 3 WaffG und mit vorsätzlicher Aufbewahrung von Schusswaffen entgegen § 36 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 WaffG, wegen unerlaubten Anbaus von Betäubungsmitteln in zwei tatmehrheitlichen Fällen sowie wegen Diebstahls in drei tatmehrheitlichen Fällen mit eine Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 10 Monaten belegt worden. Das Amtsgericht hat die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt und gemäß § 111 i Abs. 2 StPO festgestellt, dass der Angeklagte aus den Taten insgesamt 3.750,- € erlangt hat.

Das Landgericht Braunschweig hat das Urteil vom 6. Dezember 2011 auf die Rechtsmittel des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft aufgehoben. Die Kammer hat den Angeklagten - unter Verwerfung der weitergehenden Rechtsmittel - wegen Diebstahls mit Waffen in drei tatmehrheitlichen Fällen (Taten Nr. 1 bis 3), davon in einem Fall (Tat Nr. 3) in Tateinheit mit Sachbeschädigung und versuchter Datenveränderung -, wegen unerlaubten Anbaus von Betäubungsmitteln in zwei tatmehrheitlichen Fällen (Taten Nr. 4 und Nr. 5) -sowie wegen fahrlässiger unerlaubter Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine Kriegswaffe in Tateinheit mit vorsätzlichem, unerlaubten Besitz verbotener Gegenstände nach § 2 Abs. 3 WaffG und mit vorsätzlicher Aufbewahrung von Schusswaffen entgegen § 36 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 WaffG zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Außerdem hat die Kammer gemäß § 111 i Abs. 2 StPO festgestellt, dass der Angeklagte aus zwei Straftaten (Taten Nr. 1 und Nr. 2) insgesamt 3.350,- € erlangt hat.

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte mit einem am 28. November 2012 eingegangenem Schriftsatz Revision eingelegt. Nach Zustellung des Urteils am 31. Januar 2013 hat er diese mit einem am 26. Februar 2013 eingegangenem Schriftsatz begründet und die Verletzung materiellen Rechts gerügt. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Revisionsbegründung verwiesen. Der Angeklagte beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts Braun schweig zurückzuverweisen.

Die Generalstaatsanwaltschaft unterstützt den Antrag teilweise. Sie beantragt,

den Schuldspruch des angefochtenen Urteils hinsichtlich der Tat Nr. 3 dahingehend zu berichtigen, dass die tateinheitliche Verurteilung wegen versuchter Datenveränderung entfällt, das Urteil im Schuldspruch hinsichtlich der Taten Nr. 4 und Nr. 5 sowie im Ausspruch über die Gesamtstrafe aufzuheben, die Sache im Umfang der Aufhebung zurückzuverweisen und die weitergehende Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.

II.

1. Auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft und nach Anhörung des Verteidigers ist die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen, soweit sie sich gegen die Verurteilung wegen der Taten Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 6 richtet. Im Übrigen hält das Urteil einer revisionsrechtlichen Überprüfung auf die Sachrüge nicht stand:

a. Der Schuldspruch ist hinsichtlich der Tat Nr. 3 (Diebstahl mit Waffen durch Entwenden der Kamera der Videoüberwachunngsanlage aufzuheben.

aa. Ein erster Rechtsfehler liegt vor, weil die Feststellungen der Kammer zur Zueignungsabsicht widersprüchlich sind und deshalb sachliches Recht verletzten (vgl. Dahs, Die Revision im Strafprozess, 8. Aufl., Rn. 433). Denn es bleibt nach den Feststellungen der Kammer offen, ob die erforderliche Zueignungsabsicht, wie das zu fordern ist (Fischer, StGB, 60. Aufl., § 242 Rn. 41, 43), im Zeitpunkt der Wegnahme vorlag. Die Kammer hat zwar unter 11 A Nr. 3 ausdrücklich festgestellt, dass der Angeklagte die Kamera eingesteckt hat, "um sie für sich zu behalten" (U S. 11) und somit eine Feststellung getroffen, die die Annahme von Zueignungsabsicht rechtfertigt. Wenn der Angeklagte als weiteres Motiv dann die Absicht gehabt hätte, "durch das Herausreißen der Kamera die Videoaufzeichnung von seiner Tat am 30. Juni 2010 unbrauchbar zu machen (UA S. 34) stünde das der Annahme von Zueignungsabsicht zwar nicht entgegen, weil die Zueignung nicht das alleinige Motiv sein muss. Die Feststellungen der Kammer sind aber deshalb widersprüchlich, weil das Gericht ebenfalls ausgeführt hat, dass für das Herausreißen der Kamera "eine andere Motivation als der Versuch, die Videoüberwachungsanlage unbrauchbar zu machen" "nicht in Betracht" komme (UA S. 30). Legt man diese Ausführungen zugrunde, ging es es dem Angeklagten bei der Wegnahme gerade nicht um die Kamera, sondern nur darum, den Beweis für die vorangegangene Straftat zu vernichten.

bb. Die Aufhebung ist weiterhin geboten, weil die Kammer sich im Rahmen der Beweiswürdigung (Abschnitt III A) fehlerhaft damit auseinandergesetzt hat, weshalb sie von Zueignungsabsicht ausgeht. Wenn das Gericht ausführt, dass das Verhalten des Angeklagten "nur" den Schluss auf seine Zueignungsabsicht zulasse, weil er die Kamera mit nach Hause genommen und dort im Wohnzimmer abgelegt habe (UA S 33), verstößt das gegen Denkgesetze. Die Schlüsse, die das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung zieht, müssen zwar grundsätzlich nur möglich sein, so dass der Revisionsführer regelmäßig nicht damit gehört wird, in bestimmter Schluss sei nicht zwingend (Schoreit in Karlsruher Komment r, StPO, 6. Aufl., § 261 Rn. 5). Ein Verstoß gegen Denkgesetze, der zur Aufhebung des Urteils führt, liegt jedoch vor, wenn der Richter seine Schluss Folgerung als zwingend darstellt, obgleich sie lediglich möglich ist (Schoreit in Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Aufl., § 261 Rn. 47). Das ist hier der Fall, denn die Mitnahme der Kamera in das Wohnzimmer lässt nicht den sicheren Schluss auf eine bereits im Wegnahmezeitpunkt bestehende Absicht zu. Der Angeklagte könnte sich ebenso zu einem späteren Zeitpunkt entschieden haben, die Kamera entgegen seiner ursprünglichen Absicht zu behalten. Dann kommt - worauf der Angeklagte zutreffend hinweist - wegen des späteren Verhaltens allenfalls Unterschlagung in Betracht (vgl. Fische , StGB, 60. Aufl., § 242 Rn. 41 b). Und es erscheint ebenso denkbar, dass er Angeklagte nicht die erforderliche Aneignungsabsicht hatte, sondern die Kamera nur deshalb in seinem Haus aufbewahrte, um seiner Arbeitgeber von der Sachherrschaft auszuschließen.

cc. Ein weiterer durchgreifender Rechtsfehler ergibt sich bei dieser Tat daraus, dass der Angeklagte wegen versuchter Datenveränderung (§ 303 a Abs. 2 StGB) verurteilt wurde. Tatsächlich ist - wie die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend ausführt - lediglich eine Vorbereitungshandlung gegeben. Denn der Versuch beginnt erst dann, wenn der Täter eine Zugangssperre der Datenverarbeitungsanlage angreift oder gar das Programm, das er verändern will, öffnet (Wolff in Leipziger Kommentar, St B, 12. Aufl., § 303 a Rn. 36; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 303 a Rn. 16). Durch das Herausreißen der Kamera und des Kabels hat der Angeklagte hingegen noch nicht begonnen, auf die Daten Einfluss zu nehmen.

b. Auf die Sachrüge ist ferner der Schuldspruch bei den Taten Nr. 4 und Nr. 5 aufzuheben. Denn nach der Rechtsprechung muss sich das Gericht mit den Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstandes (§ 34 StGB) auseinandersetzen, wenn ein Angeklagter, wie hier festgestellt (UA S. 13), Betäubungsmittel allein zum Zweck der schmerzlindernden Eigenbehandlung anbaut (OLG Karlsruhe, NJW 2004, 3645 [OLG Karlsruhe 24.06.2004 - 3 Ss 187/03]; KGB NM 2007, 2425; KG, Beschluss vom 18.11.2002, 1 Ss 273/02, BeckRS 2009, 22705; Patzak in Körner, BtMG, 7. Aufl., § 29 Teil 13 Rn. 63 ff.). Der Senat hält diese Rechtsprechung zwar für bedenklich, soweit sie (so KG, Beschluss vom 18.11 .2002, 1 Ss 273/02, BeckRS 2009, 2270 ) die Berufung auf rechtfertigenden Notstand auch dann in Betracht zieht, wenn eine Privatperson nicht einmal versucht hat, für die Heilbehandlung eine Genehmigung nach § 3 Abs.2 BtMG zu erhalten. Denn es ist anerkannt, dass die Voraussetzungen von 34 StGB nicht vorliegen, wenn der Erfolg durch eine nicht tatbestandsmäßige Handlung - nämlich die Einholung einer behördlichen Genehmigung - abgewendet werden kann (nies hang in Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl., § 34 Rn. 52; Perron i Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 34 Rn. 41). Ein Antrag auf Genehmigung einer Cannabisbehandlung durch eine Privatperson nach § 3 Ab . 2 BtMG ist nicht von vornherein aussichtslos, wie das Bundesverwaltungsgericht grundlegend entschieden hat (Urteil vom 19.05.2005, 3 C 17/04 [...]).

Die Teilaufhebung des Urteils ist aber dennoch geboten, weil Feststellungen dazu fehlen, ob der Angeklagte einen Genehmigungsantrag gestellt hat, ob er sich dieser Möglichkeit bewusst war, ob die Cannabisbehandlung bei der Erkrankung des Angeklagten aus medizinischer Sicht Erfolg verspricht, ob im Fall des Angeklagten durch eine -behördliche Genehmigung Abhilfe geschaffen werden konnte und wie - sollte eventuelle vom Angeklagten ein Genehmigungsantrag gestellt worden sein - über diesen entschieden wurde. Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen kann der Anwendungsbereich von § 34 StGB nicht sicher ausgeschlossen werden.

Weil bei den Taten Nr. 4 und Nr. 5 bereits der Schuldspruch aufzuheben ist, kommt es nicht darauf an, ob die Einzelstrafen angesichts der festgestellten Motivation des Angeklagten zu hoch ausgefallen sind. Sollte die nunmehr zur Entscheidung berufene Kammer allerdings zu der Feststellung gelangen, dass der Cannabisanbau tatsächlich allein der Schmerzlinderung diente und nicht gemäß § 34 StGB gerechtfertigt war, wird sie bei der Tat Nr. 5 aus Gründen der Verhältnismäßigkeit (vgl. dazu: Schäfer, Praxis der Strafzumessung, 4. Aufl., Rn. 76) die Verhängung einer Geldstrafe ernsthaft in Betracht ziehen müssen.

2. Wegen der dargelegten Rechtsfehler ist das Urteil im tenoriertem Umfang gemäß § 353 StPO aufzuheben. Die Sache ist insoweit gemäß § 354 Abs. 2 StPO an eine andere Kammer des Landgerichts zurückzuverweisen. Weil der objektive Sachverhalt bei der Tat Nr. 3 rechtsfehlerfrei festgestellt wurde, hat der Senat ihn aufrechterhalten.

III.

Die Entscheidung über die Kosten der Revision ist dem Landgericht vorbehalten, weil der endgültige Erfolg des Rechtsmittels derzeit nicht absehbar ist.