Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 15.06.1988, Az.: 9 U 165/87
Gefährlichkeit einer Unebenheit einer Straße; Verletzung eines Fußgängers durch eine Unebenheit auf der Fahrbahn; Verpflichtung zur Treffung von Sicherungsmaßnahmen für erkennbar widmungswidrigen Verkehr
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 15.06.1988
- Aktenzeichen
- 9 U 165/87
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1988, 19761
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1988:0615.9U165.87.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Verden - 19.05.1987 - AZ: 4 O 447/86
Rechtsgrundlage
- § 823 Abs. 1 BGB
Fundstellen
- NJW-RR 1989, 159-160 (Volltext mit amtl. LS)
- Nieders Rechtspfl 9, 219
- VersR 1989, 207-208 (Volltext mit amtl. LS)
In dem Rechtsstreitverfahren
hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 25. Mai 1988
durch
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Verden vom 19. Mai 1987 geändert.
Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschwer für die Klägerin: 835,76 DM.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Beklagten führt zur vollständigen Abweisung der Klage, da - ungeachtet des Mitverschuldens der bei der Klägerin versicherten Geschädigten - schon nicht von einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht der Beklagten ausgegangen werden kann.
1.
Das Loch in der Straßendecke, in das die damals 77 Jahre alte Zeugin ... auf dem Weg von einem Geschäft zu ihrem am Straßenrand geparkten Pkw hineintrat und stürzte, hatte nach den überzeugenden Feststellungen des Landgerichts einen Durchmesser von etwa 40 cm und eine Tiefe von ca. 3 cm. Die Klägerin ist in der Berufungsinstanz selbst von ihrer erstinstanzlichen Behauptung abgerückt, das Loch sei 8 cm tief gewesen; die in diese Richtung gehenden Angaben der Zeugin ... beruhen darauf, daß sie, als sie in ihrem Pkw saß und auf den Krankenwagen wartete, das Loch in der Straßenmitte betrachtet hat; demgegenüber scheinen die Angaben der Zeugen ... und ... eher verläßlich, wonach lediglich die - auf hochkant verlegte Klinker aufgebrachte - Verschleißdecke habe erneuert werden müssen, die 2 bis 4 cm dick sei (vgl. Bl. 38 f, 52 f, 71 f d.A.). Der Zeuge ... konnte sich zwar an den Untergrund nicht mehr im einzelnen erinnern, hat aber bekundet, er sei "relativ glatt" gewesen. Der Unfall ereignete sich am 2. August 1985 vormittags gegen 10.00 Uhr (vgl. den Arztbericht Bl. 5 d.A.). Unstreitig wird die Straße an dieser Stelle nicht besonders häufig von Fußgängern überquert; ein Fußgängerüberweg befindet sich in 70 m Entfernung (Bl. 20, 23, 32 d.A.).
2.
a)
Ob eine derartige Unebenheit, wenn sie sich auf dem Gehweg oder einem gerade für die Benutzung durch Fußgänger bestimmten Straßenteil - wie z.B. einem Fußgängerüberweg - befunden hätte, hinzunehmen gewesen wäre, wie die Berufung meint, scheint fraglich; in der Rechtsprechung ist häufig angenommen worden, daß bereits ein Höhenunterschied von mehr als 2 cm als gefährlich zu gelten habe, und selbst eine noch geringere Unebenheit dann eine Gefahr darstelle, wenn die Aufmerksamkeit durch besondere Umstände abgelenkt wird (vgl. Steffen, in: RGRK, BGB, 12. Auflage, § 823 Rdn. 185; Arndt, Die Straßenverkehrssicherungspflicht, 2. Auflage, S. 42 f). Solche besonderen Umstände könnten hier in dem Straßenverkehr gesehen werden, auf den der Fußgänger beim überschreiten der Fahrbahn zu achten hat. Die Frage kann aber im vorliegenden Fall dahinstehen, da sich das Loch mitten auf der Fahrbahn an einer Stelle befand, deren Betreten beim überqueren der Straße einem Fußgänger zwar nicht verboten, die aber nicht für die Benutzung gerade durch Fußgänger bestimmt war und auch tatsächlich nicht zu diesem Zweck vermehrt benutzt wurde. Daß die Fahrbahn neben ihrem eigentlichen Zweck, dem Fahrzeugverkehr zu dienen, auch von Fußgängern überquert werden darf, zwingt den Verkehrssicherungspflichtigen nicht dazu, das gesamte Straßennetz in einem Zustand zu erhalten, der auch für den die Straße überquerenden, vom Fahrzeugverkehr abgelenkten Fußgänger völlig gefahrlos ist; damit wären die Grenzen des dem Sicherungspflichtigen Zumutbaren überschritten.
b)
Grundsätzlich muß der Pflichtige Sicherungsmaßnahmen für einen erkennbar widmungswidrigen Verkehr nicht treffen; wer die Straße über den Widmungszweck hinaus benutzt, kann sich allerdings auf solche Verletzungen der Verkehrssicherungspflicht berufen, die gegenüber dem zugelassenen Verkehr geboten gewesen wären (vgl. Steffen, a.a.O. Rdn. 177; Arndt, a.a.O. S. 79 f). Für den Kraftfahrzeugverkehr konnte das hier entstandene Loch in der Verschleißdecke nicht gefährlich werden, selbst wenn der zutage getretene Untergrund glatt war. Dies dürfte auch für Fahrradfahrer gelten; im übrigen befand sich das Loch etwa in der Mitte der Straße, also außerhalb des Bereichs, der nach den Verkehrsvorschriften für die Benutzung durch Fahrradfahrer vorgesehen ist. Wenn die Zeugin sich die Mühe, den 70 m entfernten Fußgängerüberweg zu benutzen, ersparen und direkt vom Geschäft zu ihrem auf der gegenüberliegenden Straßenseite geparkten Pkw gehen wollte, mußte sie ihre Aufmerksamkeit mithin nicht nur auf den Straßenverkehr, sondern in stärkerem Maße als bei Benutzung eines Geh- oder Fußgängerüberweges auch auf die Beschaffenheit des Untergrundes richten, der an dieser Stelle den Anforderungen des Fußgängerverkehrs nicht zu entsprechen brauchte.
Schon aus diesem Grunde war die Klage abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 709 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Streitwertbeschluss:
Beschwer für die Klägerin: 835,76 DM.