Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 29.07.2024, Az.: 6 U 51/23

Erklärung des Verzichts auf den Zusatzpflichtteil durch einen Pflichtteilsberechtigten

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
29.07.2024
Aktenzeichen
6 U 51/23
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 19373
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2024:0729.6U51.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 12.06.2023 - AZ: 12 O 120/22

Fundstellen

  • NJW-Spezial 2024, 648
  • ZEV 2024, 689-692

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    An die Feststellung, der Erbe habe mit dem Pflichtteilsberechtigten, der mit einem Vermächtnis bedacht ist, durch schlüssiges Verhalten einen Verzicht auf den Zusatzpflichtteil nach § 2307 Abs. 1 Satz 2 BGB vereinbart, sind strenge Anforderungen zu stellen.

  2. 2.

    Aus § 2307 Abs. 1 BGB ergibt sich ohne Hinzutreten besonderer Umstände keine Verpflichtung des Pflichtteilsberechtigten, sich bei Annahme des Vermächtnisses vorzubehalten, den Zusatzpflichtteil noch geltend zu machen.

In dem Rechtsstreit
pp.
hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 25. Juni 2024 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Oberlandesgericht ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Kläger wird das am 12. Juni 2023 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 12. Zivilkammer des Landgerichts Hannover abgeändert und die Beklagte verurteilt, den Wert der im Nachlassbestandsverzeichnis des Notars Dr. J. K. vom 27. Juni 2022 aufgeführten Grundstücksanteile

  1. a)

    Einfamilienhaus T. 3 b, ... H., eingetragen beim Amtsgericht Hannover im Grundbuch von Kx. Blatt ...2,

  2. b)

    Einfamilienhaus P. 7 b, ... H., eingetragen beim Amtsgericht Hannover im Grundbuch von Kx. Blätter ...7 und ...3,

  3. c)

    Wohnungseigentum A. 61, ... H., eingetragen beim Amtsgericht Hannover im Wohnungsgrundbuch von F. Blatt ...3x,

  4. d)

    Wohnungseigentum Fx. 23, ... H., eingetragen beim Amtsgericht Hannover im Wohnungsgrundbuch von Tx. Blatt ...9,

  5. e)

    Ferienhaus Txx ..., Sx.,

    durch ein Wertgutachten eines unparteiischen Sachverständigen ermitteln zu lassen.

Wegen des noch unbezifferten Zahlungsantrags der Kläger wird die Sache an das Landgericht zurückverwiesen, das auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden hat.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung wegen der Wertermittlung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 20.000 € abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Unter Abänderung der vorläufigen Streitwertfestsetzung im Senatsbeschluss vom 10. Januar 2024 wird der Streitwert für das Berufungsverfahren auf 200.000 € festgesetzt.

Gründe

A.

Die Kläger haben in erster Instanz Wertermittlung für Nachlassgrundstücke verlangt und im Wege der Klagerweiterung in zweiter Instanz (Stufenklage) Zahlung von jeweils 1/16 als Zusatzpflichtteil.

Der am ... 1940 geborene und am ... 2020 verstorbene Erblasser G. S. war seit dem ... 1978 in zweiter Ehe mit der Beklagten verheiratet. Der Kläger hatte vier Kinder:

aus erster Ehe:

1. die am ... 1961 geborene Klägerin zu 1,

2. den am ... 1964 geborenen Kläger zu 2 und

3. den am ... 1968 geborenen C. M., geb. S.,

aus zweiter Ehe:

4. den am ...1982 geborenen Mx. S..

Mit notariellem Testament vom 17. November 2017 (Anlage B 1 Anlagenband Beklagte) setzte der Erblasser die Beklagte als Alleinerbin ein und bestimmte:

"§ 3 Vermächtnisse

(1) Mein Sohn Mx. S. erhält ...

(2) Ferner erhält mein Sohn Mx. S. ...

(3) Meine sämtlichen Depotanteile an dem bei der Cx. bestehenden Wertpapierdepots, die wirtschaftlich mir und meiner Ehefrau jeweils hälftig zustehen, sollen dadurch versilbert werden, dass jeweils 50 % der Anteile veräußert werden. Der entstehende Erlös soll meinen Kindern B., Tz. und C. zu je 1/3 ausgezahlt werden. ... Das Vermächtnis ist spätestens nach sechs Monaten nach meinem Ableben zur Erfüllung fällig. Die Kosten der Vermächtniserfüllung tragen die Vermächtnisnehmer. Sollte das Depot nicht mehr im Bestand sein, so entfällt dieses Vermächtnis ersatzlos.

(4) ...

(5) Meinen ideellen Miteigentumsanteil von 1/2 an der Immobilie I. 61, ... L., nebst anteiligen Darlehen sollen meine Kinder B. und Tz. zu je 1/2 erhalten. ... Das Vermächtnis ist mit meinem Ableben zur Erfüllung fällig. Die Kosten der Vermächtniserfüllung trägt der Vermächtnisnehmer. Sollte das Objekt nicht mehr im Bestand sein, so entfällt das Vermächtnis ersatzlos. ..."

Das Grundstück I. 61 in L. wurde im Dezember 2019 verkauft. Aus dem Erlös erhielten die beiden Kläger und C. M. jeweils 200.000 €. Zuvor unterzeichneten der Erblasser, dessen Ehefrau und die drei Kinder des Erblassers aus erster Ehe am 5. Januar 2020 folgende maschinenschriftliche Erklärung (Anlage B 3):

"Vereinbarung über vorgezogene Erbschaft

für B. ..., Tz. ..., C. ...

als Erbnehmer

G. und E. S.

als Erbgeber

G. und E. S. geben den unter Erbnehmer genannten Kindern aus dem Erlös des Hausverkaufs in L. jeweils ein vorgezogenes Erbe von jeweils 200.000 € Wert.

Als Gegenleistung verzichten die Erbnehmer auf ihren gesetzlichen Erbteil für das Grundstück in ... Sx. ...

Weiter bestätigen die Erbnehmer, in den Jahren 2019 jeweils 200.000 € als vorgezogenes Erbe erhalten zu haben, sodass insgesamt jetzt die Erbnehmer als vorgezogenes Erbe von 400.000 € im Falle des Todes von G. S. anrechenbar ist."

Am ... 2020 verstarb der Erblasser.

Mit nicht vorgelegtem Schreiben vom 3. August 2020 wandten die Kläger sich an die Beklagte, um Auskunft über das Depot zu erhalten, das Gegenstand des Vermächtnisses gemäß § 3 Abs. 3 des Testaments war. Die Beklagte übermittelte mit nicht vorgelegtem Schreiben vom 20. August 2020 eine Saldenbestätigung vom 5. Juni 2020 und kehrte an die drei Kinder des Erblassers aus erster Ehe jeweils 105.556,95 € aus dem Depot aus (= 1/3 von 316.670,85 €, Bl. 17 R d. A.).

Die Kläger erklärten gegenüber der Beklagten mit Anwaltsschreiben vom 25. August 2020 (Anlage K 4, Bl. 18 Anlagenband Kläger), dass die Auskünfte aus dem Schreiben vom 20. August 2020 unzureichend seien und verlangten weitere Auskünfte über eine separate Anlage zum Depot, weitere 2 Seiten zu einer Übersicht der Depotbank und sämtliche Depotauszüge seit dem 6. März 2020 sowie eine aktuelle Liste aller sich im Depot befindlichen Wertpapiere sowie Anleihen nebst Nennwert mit aktuellem Veräußerungswert. Abschließend wiesen sie darauf hin, dass sie die vorgenannten Auskünfte fristgerecht erwarten und die Zahlung von jeweils 105.556,95 € als Teilzahlung ansehen. Nach fruchtlosem Fristablauf werde Auskunftsklage gegen die Beklagte erhoben.

Die Kläger erhobenen Klage gegen die Beklagte vor dem Amtsgericht Hannover zu 417 C 10659/20 und verlangten mit vier Anträgen weitere Angaben zum Depot. Das Amtsgericht wies die Klage mit Urteil vom 30. April 2021 ab (Anlage B 2). Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, die Beklagte habe hinreichend Auskunft über das Depot erteilt. Es sei nicht ersichtlich, dass Anhaltspunkte bestünden, dass noch weitere Konten des Erblassers dort existierten. Die Kläger hätten keine Verdachtsmomente aufgeführt.

Die Kläger forderten die Beklagte mit Anwaltsschreiben vom 19. Oktober 2021 (Bl. 3 Anlagenband Kläger) auf, für ihren Pflichtteilsanspruch gemäß den gesetzlichen Bestimmungen durch ein notarielles Nachlassverzeichnis über den Umfang des Nachlasses Auskunft zu erteilen.

Die Beklagte antwortete mit Anwaltsschreiben vom 8. November 2021 (Bl. 4 Anlagenband Kläger), dass sie den Auskunftsanspruch vollumfänglich anerkenne.

Im Auftrag der Beklagten erstellte der Notar Dr. J. K. das notarielle Nachlassverzeichnis vom 27. Juni 2022 (Bl. 12 bis 17 Anlagenband Kläger).

Die Kläger waren mit der Bewertung der Nachlassimmobilien in der Auskunft nicht einverstanden und nahmen mit Anwaltsschreiben vom 22. Juli 2022 (Bl. 1 f. Anlagenband Kläger) gegenüber der Beklagten eine eigene Bewertung und Berechnung vor. Die Klägerin zu 1 bezifferte ihren Pflichtteilsergänzungsanspruch auf 154.434, 54 € (= 4.139.993,06 € Nachlasswert x 12,5 % Pflichtteilsquote -363.064,50 € anrechenbarer Beträge). Der Kläger zu 2 bezifferte seinen Pflichtteilsergänzungsanspruch auf 124.999,13 €, weil er sich einen Betrag von 392.500,00 € anrechnete. Bei Nichtzahlung sei eine Begutachtung der Immobilien auf Kosten des Nachlasses einzuholen (§ 2314 BGB).

Mit der Klage haben die Kläger von der Beklagten verlangt, die fünf im Klagantrag genannten Nachlassimmobilien durch ein Wertgutachten eines unparteiischen Sachverständigen ermitteln zu lassen.

Sie haben geltend gemacht, weder ausdrücklich noch konkludent mit der Forderung eines Vermächtnisses und/oder Annahme der Zahlung der Beklagten auf das Vermächtnis auf ihren Pflichtteilsanspruch verzichtet zu haben. Zum Zeitpunkt der Forderung und Zahlung sei die Höhe des Depots unklar gewesen. Darüber hinaus sei der Wert des Nachlasses insgesamt nach wie vor unklar. Aus dem Schreiben vom 25. August 2020 ergebe sich, dass die Kläger weitere Auskünfte über die Depots gefordert hätten. Letztlich habe die Beklagte selbst mit anwaltlichem Schreiben vom 8. November 2021 einen Auskunftsanspruch der Kläger anerkannt und das notarielle Nachlassverzeichnis vom 27. Juni 2022 vorgelegt. Auf einen konkludenten Pflichtteilsverzicht könne sie sich daher nicht berufen.

Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt und vorgetragen,

ein Anspruch auf Wertermittlung bestehe nicht. Die Kläger hätten ein Wahlrecht auf § 2307 BGB gehabt, ob sie das Vermächtnis annehmen oder es ausschlagen und den Pflichtteil geltend machen. Dieses Wahlrecht hätten sie vorbehaltlos ausgeübt, indem sie ihren Anteil am Wertpapierdepot gefordert und erhalten hätten. Damit stünde allenfalls noch ein möglicher Zusatzpflichtteil im Raum. Mit der vorbehaltlosen Forderung und Annahme des Vermächtnisses hätten sie jedoch konkludent den Verzicht auf einen vermeintlichen Zusatzpflichtteil erklärt. Ein solcher bestünde bei einer Pflichtteilsquote von 1/16 auch deshalb nicht, weil die Kläger entsprechend der Vereinbarung vom 5. Januar 2020 bereits ein vorgezogenes Erbe in Höhe von je 400.000 € erhalten hätten und die Zahlung in Höhe von 105.556,09 € auf das Vermächtnis. Rechtsanwalt Ka. habe für die Kläger im Beurkundungstermin Einverständnis damit erklärt, dass die Wertermittlung für die in den Nachlass fallenden Immobilien auf der Grundlage der Angaben des Gutachterausschusses für Vergleichsobjekte aus den Kaufverträgen der letzten drei Jahre erfolgen solle. Unabhängig von einem Verzicht auf den Zusatzpflichtteil verstoße damit die Forderung nach der Vorlage von Wertermittlungsgutachten gegen Treu und Glauben und das Schikaneverbot aus § 226 BGB.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt, die Kläger könnten keine Wertermittlung nach § 2314 BGB verlangen, weil sie konkludent auf ihren Zusatzpflichtteil nach § 2307 BGB verzichtet hätten. Trotz der Hinweise im Beschluss vom 13. Dezember 2022 (Bl. 38 d. A.) lasse sich ein Vorbehalt für den Zusatzpflichtteil weder dem Vortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 29. Dezember 2022 noch dem Schreiben vom 25. August 2020 noch den Ausführungen im Termin vom 24. Mai 2023 entnehmen.

Gegen dieses Urteil, auf dessen Einzelheiten der Senat zur näheren Sachdarstellung verweist, wenden die Kläger sich mit der Berufung, mit der sie ihr erstinstanzliches Ziel weiterverfolgen.

Die Kläger beantragen,

  1. 1.

    die Beklagte unter Abänderung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, den Wert der im Nachlassbestandsverzeichnis des Notars Dr. J. K. vom 27. Juni 2022 aufgeführten fünf Immobilien des Nachlasses (siehe in der Urteilsformel zu a - e) durch ein Wertgutachten eines unparteiischen Sachverständigen ermitteln zu lassen,

  2. 2.

    im Wege der Stufenklage gemäß Klagerweiterungen vom 23. und 30. Dezember 2023 (Bl. 129 und 132 d. A.) die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger eine Pflichtteilszusatzzahlung in Höhe von jeweils 1/16 des sich aus der vorbehaltenen Wertermittlung ergebenden Nachlasswertes nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen und

  3. 3.

    nach Hinweis des Senatsvorsitzenden mit Schreiben vom 17. Juni 2024 die Sache wegen des Zahlungsantrags an das Landgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften verwiesen.

B.

Die Berufung ist hinsichtlich des Wertermittlungsanspruchs begründet und hat wegen der Entscheidung über den Zahlungsantrag die Zurückverweisung an das Landgericht zur Folge.

I.

Die Kläger zu 1 und 2 können von der Beklagten gemäß § 2314 BGB die beantragte Wertermittlung für die genannten Grundstücke verlangen.

Nach § 2314 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 BGB kann der Pflichtteilsberechtigte, der nicht Erbe ist, vom Erben verlangen, dass der Wert der Nachlassgegenstände ermittelt wird.

1. Pflichtteilsberechtigte im Sinn dieser Vorschrift sind die Kläger zu 1 und 2 als teilweise enterbte Kinder des Erblassers.

2. Die Beklagte ist die Alleinerbin des Erblassers.

3. Der Pflichtteilsanspruch der Kläger zu 1 und 2 ist auf den Zusatzpflichtteil nach § 2307 Abs. 1 Satz 2 BGB beschränkt, weil der Erblasser sie mit einem Vermächtnis bedacht hat und sie das Vermächtnis nicht ausgeschlagen haben.

Hierzu bestimmt § 2307 BGB:

"(1) Ist ein Pflichtteilsberechtigter mit einem Vermächtnis bedacht, so kann er den Pflichtteil verlangen, wenn er das Vermächtnis ausschlägt. Schlägt er nicht aus, so steht ihm ein Recht auf den Pflichtteil nicht zu, soweit der Wert des Vermächtnisses reicht; bei der Berechnung des Werts bleiben Beschränkungen und Beschwerungen der in § 2306 bezeichneten Art außer Betracht.

(2) Der mit dem Vermächtnis beschwerte Erbe kann den Pflichtteilsberechtigten unter Bestimmung einer angemessenen Frist zur Erklärung über die Annahme des Vermächtnisses auffordern. Mit dem Ablauf der Frist gilt das Vermächtnis als ausgeschlagen, wenn nicht vorher die Annahme erklärt wird."

a) Der Erblasser hat die Kläger zu 1 und 2 durch notarielles Testament vom 17. November 2017 mit dem Vermächtnis bedacht, dass ihnen jeweils ein Drittel des Erlöses als Vermächtnis auszuzahlen ist, das die Veräußerung des Anteils von 50 % erbringt, der dem Erblasser bei Eintritt des Erbfalls an den genannten Depots zustand.

b) Dieses Vermächtnis haben die Kläger zu 1 und 2 nicht ausgeschlagen, sondern mit nicht vorgelegtem Schreiben vom 3. August 2020 von der Beklagten Auskunft über das Depot verlangt, das Gegenstand des vorgenannten Vermächtnisses war. Die Beklagte übermittelte mit nicht vorgelegtem Schreiben vom 20. August 2020 eine Saldenbestätigung vom 5. Juni 2020 und kehrte an die drei Kinder des Erblassers aus erster Ehe jeweils 105.556,95 € aus dem Erlös der Depotveräußerung aus (= 1/3 von 316.670,85 €, Bl. 17 R. d. A.).

Diese Zahlung der Beklagten haben die Kläger zu 1 und 2 jeweils angenommen.

4. Diese Annahme hat zur Folge, dass ihnen "ein Recht auf den Pflichtteil nicht zu(steht), soweit der Wert des Vermächtnisses reicht" (§ 2307 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 BGB). Als Zusatzpflichtteil können sie von der Beklagten den Betrag verlangen, der nach Abzug des Vermächtnisses als restlicher Pflichtteil verbleibt.

5. Auf diesen Zahlungsanspruch und den vorgelagerten Wertermittlungsanspruch zur Bezifferung des Anspruchs haben die Kläger zu 1 und 2 weder ausdrücklich noch konkludent verzichtet.

a) Nach § 397 Abs. 1 BGB erlischt das Schuldverhältnis, wenn der Gläubiger dem Schuldner durch Vertrag die Schuld erlässt, wobei ein solcher Erlass grundsätzlich formfrei möglich ist (Grüneberg/Grüneberg, BGB, 83. Aufl. 2024, § 397 Rn. 8).

Die Beweislast für den Erlass trägt der Schuldner (Grüneberg/Grüneberg, a. a. O., § 397 Rn. 13 m. w. N.).

"Ein Erlassvertrag (§ 397 BGB) kommt nur zustande, wenn die Parteien darauf gerichtete übereinstimmende Willenserklärungen abgeben. ... Hierfür ist ... erforderlich, dass ... mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck kommt, es solle eine materiell-rechtlich wirkende Erklärung abgegeben werden. Insoweit kommt es auf die konkreten Umstände des Einzelfalles an. Das Angebot auf Abschluss eines Erlassvertrages muss unmissverständlich erklärt werden ... An die Feststellung des Verzichtswillens sind strenge Anforderungen zu stellen, er darf nicht vermutet werden ... Selbst bei einer eindeutig erscheinenden Erklärung des Gläubigers darf ein Verzicht nicht angenommen werden, ohne dass bei der Feststellung zum erklärten Vertragswillen sämtliche Begleitumstände berücksichtigt worden sind ... Darüber hinaus gilt der Grundsatz, dass empfangsbedürftige Willenserklärungen möglichst nach beiden Seiten hin interessengerecht auszulegen sind" (BGH, Urteil vom 7. März 2006 zu VI ZR 54/05, zitiert nach juris, dort Rn. 9 f m. w. N., ebenso Urteil des BGH vom 3. Juni 2008 zu XI ZR 353/07, zitiert nach juris, dort Rn. 20).

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss gerade bei Erklärungen, die als Verzicht, Erlass oder in ähnlicher Weise rechtsvernichtend gewertet werden sollen, das Gebot einer interessengerechten Auslegung beachtet werden, wobei die der Erklärung zugrunde liegenden Umstände besondere Bedeutung haben. Wenn feststeht oder davon auszugehen ist, dass eine Forderung entstanden ist (hier die Entstehung des Pflichtteilsanspruchs mit Eintritt des Erbfalls), verbietet dieser Umstand im allgemeinen die Annahme, der Gläubiger habe sein Recht einfach wieder aufgegeben. Das bildet in solchen Fällen die Ausnahme. Selbst bei eindeutig erscheinender Erklärung des Gläubigers darf ein Verzicht deshalb nicht angenommen werden, ohne dass bei der Feststellung zum erklärten Vertragswillen sämtliche Begleitumstände berücksichtigt worden sind. Es sind strenge Anforderungen zu stellen (Urteil des BGH vom 15. Januar 2022 zu X ZR 91/2000 zitiert nach juris, dort Rn. 25 m. w. N.).

Bei der Annahme eines stillschweigenden Verzichts auf den Pflichtteilsanspruch ist generell Zurückhaltung geboten (Urteil des OLG Düsseldorf vom 9. Juli 2021 zu 7 U 110/20, zitiert nach juris, dort Rn. 30 ff.).

b) Die Beklagte hat nicht schlüssig dargelegt und unter Beweis gestellt, dass die Parteien einen solchen Verzichtsvertrag konkludent geschlossen haben.

Dem vorgetragenen Sachverhalt kann nicht entnommen werden, dass die Kläger gegenüber der Beklagten durch ihr Verlangen auf Vermächtniserfüllung und Annahme der Zahlung der Beklagten dieser gegenüber zum Ausdruck gebracht haben, darüber hinaus keinen Zusatzpflichtteil zu verlangen.

Ein solches Angebot zum Abschluss eines Erlassvertrages folgt nicht aus der Annahme des Landgerichts und der Beklagten, die Kläger wären verpflichtet gewesen, sich bei Annahme des Vermächtnisses die Geltendmachung des restlichen Pflichtteilsanspruchs vorzubehalten. Das Gesetz enthält in § 2307 Abs. 1 BGB keine Verpflichtung des Pflichtteilsberechtigten, sich den Zusatzpflichtteil vorzubehalten, sondern die gesetzliche Regelung beschränkt sich darauf, dass der Pflichtteilsberechtigte, der mit einem Vermächtnis bedacht ist, den Pflichtteil verlangen kann, wenn er das Vermächtnis ausschlägt, und dass für den Fall, dass er das Vermächtnis nicht ausschlägt, ihm ein Recht auf den Pflichtteil nicht zusteht, soweit der Wert des Vermächtnisses reicht. Eine Vorbehaltserklärung sieht das Gesetz nicht vor, sondern das Recht des "mit dem Vermächtnis beschwerte(n) Erbe(n) ... den Pflichtteilsberechtigten unter Bestimmung einer angemessenen Frist zur Erklärung über die Annahme des Vermächtnisses auf(zu)fordern" (§ 2307 Abs. 2 BGB). Daher kann der These, in der vorbehaltlosen Forderung des Vermächtnisses könne oft Verzicht auf den Zusatzanspruch gesehen werden, weil nach dem Erbfall Verzicht formlos möglich sei (so aber Grüneberg/Weidlich a. a. O. § 2307 Rn. 2), in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden, sondern es sind die allgemeinen Grundsätze zur Feststellung eines Verzichts zu berücksichtigen.

Auch ansonsten liegen keine besonderen Umstände vor, die die Annahme rechtfertigen könnten, die Kläger hätten gegenüber der Beklagten zum Ausdruck gebracht, auf den Zusatzpflichtteil zu verzichten. Das Testament des Erblassers enthält keine Angabe, dass der Anspruch der Kläger auf das Vermächtnis nur besteht, wenn sie auf den Zusatzpflichtteil verzichten, oder dass das Vermächtnis an die Stelle des Pflichtteils treten soll (vgl. auch Staudinger/Otte (2021) BGB § 2307 Rn. 19 f.).

Ferner ist nicht vorgetragen, dass der Schriftwechsel der Parteien eine Angabe enthält, die die Annahme eines Verzichtes rechtfertigt. Vielmehr war den Klägern zunächst sowohl der Wert des Depots als auch der Wert des übrigen Nachlasses unbekannt, weil eine sachverständige Bewertung des umfangreichen Grundbesitzes nicht erfolgt ist.

Der Zeitablauf zwischen der Annahme des Vermächtnisses und dem Pflichtteilsverlangen, worauf die Beklagte vor dem Senat nochmals hingewiesen hat, reicht - wie bereits ausgeführt - nicht aus, um einen stillschweigenden Verzicht anzunehmen.

c) Im Übrigen fehlt es nach dem vorgetragenen Sachverhalt an einer Annahmeerklärung der Beklagten. Sie hat das Verhalten der Kläger weder als Angebot auf Abschluss eines Verzichtsvertrages verstanden, noch ist sie von einem Zustandekommen eines solchen Verzichtsvertrages ausgegangen, sondern hat auf die Aufforderung der Kläger vom 19. Oktober 2021 mit Anwaltsschreiben vom 8. November 2021 geantwortet, dass sie den Auskunftsanspruch vollumfänglich anerkenne, also das notarielle Nachlassverzeichnis in Auftrag geben werde.

4. Der weitere Einwand der Beklagten, die Kläger hätten vorgerichtlich auf die Wertermittlung "konkludent verzichtet" (Bl. 127 d. A. i. V. m. Bl. 36 f. d. A.), ist unerheblich.

Der Vortrag der Beklagten beschränkt sich auf die von den Klägern bestrittene (Bl. 59 R d. A.) Behauptung, beim Termin vom 8. Juni 2022 in der Kanzlei des Notars K. habe Rechtsanwalt Ka. im Rahmen des Vorgesprächs hinsichtlich der aufzunehmenden Immobilienwerte bestätigend geäußert, er wolle der Beklagten die Einholung von teuren Sachverständigengutachten ersparen. Sie hat aber nicht vorgetragen, dass die Parteien einen Verzichtsvertrag geschlossen haben. An einen solchen Verzicht sind strenge Anforderungen zu stellen (s. o.). Eine Annahmeerklärung der Beklagten wird nicht behauptet.

In der notariellen Urkunde vom 27. Juni 2022 sind der Termin vom 8. Juni 2022 und die Beteiligung des Rechtsanwalts Ka. dargestellt, nicht aber eine Einigung auf einen Verzicht.

5. Ein Wertermittlungsanspruch für das Grundstück in Sx. entfällt nicht aus dem Grund, dass die Vereinbarung vom 5. Januar 2020 (Anlage B 3) die Erklärung enthält:

"Als Gegenleistung verzichten die Erbnehmer auf ihren gesetzlichen Erbteil für das Grundstück in ... Sx. ... "

Es fehlt an der notariellen Beurkundung (§§ 2346, 2348 BGB).

II.

Die im Berufungsverfahren erfolgte Klageerweiterung ist zulässig.

1. Es liegt keine Klagänderung, sondern nur eine Klagerweiterung vor, weil die Kläger den vorbereitenden Wertermittlungsanspruch erster Instanz im Wege der Stufenklage mit dem unbezifferten Zahlungsantrag verbunden haben.

Für die prozessuale Zulässigkeit gilt (Urteil des BGH vom 9. Oktober 1974 zu IV ZR 164/73, bei juris Rn. 33 - 35):

"Entgegen der Ansicht der Revision bedurfte es bei dem Zahlungsanspruch weder eines bestimmten Klageantrages noch handelte es sich um eine Klageänderung. Eine Stufenklage, wie sie nunmehr vorlag, erlaubt als Ausnahme zu § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO in der letzten Stufe einen zunächst unbestimmten Antrag. ...

Der Anspruch auf Rechnungslegung soll den Leistungsanspruch im allgemeinen nur vorbereiten. Wenn die Klägerin daher auf derselben tatsächlichen und rechtlichen Grundlage vom Rechnungslegungs- auch zum Zahlungsanspruch überging, so strebte sie nunmehr unmittelbar das Ziel an, das sie bisher mittelbar zu erreichen versucht hatte. Daher kann der Übergang von der Rechnungslegungs- zur Zahlungsklage nur als bloße Klageerweiterung angesehen werden, die sowohl im ersten als auch im zweiten Rechtszug zulässig ist (BGH NJW 1969, 1486)."

2. Aber selbst wenn man eine Klagänderung annimmt, hält es der Senat für sachdienlich (§ 533 Nr. 1 ZPO), dass die Frage des Zusatzpflichtteils abschließend im vorliegenden Rechtsstreit geklärt und keine Zahlungsklage der Kläger in einem weiteren Rechtsstreit erforderlich wird. Die Stufenklage ist für diese Fallkonstellation angemessen.

Die Formulierung des unbezifferten Zahlungsantrags ("Pflichtteilszusatzzahlung") bringt hinreichend zum Ausdruck, dass nicht Zahlung von 1/16 des Nachlasswertes, sondern nur 1/16 als Zusatzpflichtteil, also nach Abzug der erhaltenen Vermächtniszahlung verlangt wird.

Es kann zurzeit nicht festgestellt werden, dass den Klägern trotz dieser Vermächtniszahlung und trotz der anzurechnenden Leistung des Erblassers zu Lebzeiten kein Zusatzpflichtteil verbleibt, weil dies von der Bewertung der Grundstücke abhängt, also von der ausstehenden Wertermittlung.

III.

Nach Hinweis des Senatsvorsitzenden mit Schreiben vom 17. Juni 2024 haben die Kläger die Zurückverweisung der Sache an das Landgericht beantragt.

IV.

Daher war die Sache in entsprechender Anwendung des § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO wegen der Entscheidung über den Zahlungsantrag an das Landgericht zurückzuverweisen, das über die Zahlungsstufe zu entscheiden hat, weil die Sachlage dem Grundurteil vergleichbar ist (vgl. Zöller/Heßler, ZPO, 35. Auflage 2024, Rn. 47 f. m. w. N. und Urteil des BGH vom 9. Oktober 1974 zu IV ZR 164/73, zitiert nach juris, dort Rn. 36):

"... Denn rechtshängig wurde der Zahlungsanspruch hier erst beim Berufungsgericht und dieses mußte sich mit ihm befassen. Sachlich aber konnte das Berufungsgericht über diesen Anspruch nicht entscheiden. Denn wenn auch mit der Klage auf Rechnungslegung die Zahlungsklage verbunden werden kann, so ist eine Entscheidung über den Zahlungsanspruch immer erst möglich, wenn Rechnung gelegt ist. Daher muß bei der Stufenklage über die Ansprüche getrennt und nacheinander verhandelt und entschieden werden (vgl. BGHZ 10, 385 für den Fall der Verurteilung zur Leistung des Offenbarungseides). Mit Recht hat daher das Berufungsgericht in entsprechender Anwendung des § 538 Abs. 1 Nr. 3 ZPO (a.F.) das Verfahren so behandelt, als wenn der Rechtsstreit wegen des Zahlungsanspruches in erster Instanz rechtshängig geblieben wäre und das Landgericht ein Teilurteil über den Rechnungslegungsanspruch erlassen hätte. Zwar sieht § 538 Abs. 1 Nr. 3 ZPO eine solche Zurückverweisung durch das Berufungsgericht nur für den Fall eines nach Grund und Betrag streitigen Anspruches vor. Die Übertragung dieser Bestimmung auf die Stufenklage ist jedoch aus Gründen der Rechtsähnlichkeit geboten. Denn bei dem noch ausstehenden Zahlungsanspruch handelt es sich in Wirklichkeit um ein Betragsverfahren nach Art der §§ 304, 538 Abs. 1 Nr. 3 ZPO, so daß die Erwägung, aus der heraus der § 538 Abs. 1 Nr. 3 ZPO bei Vorabentscheidung über den Grund des Anspruchs durch den Erstrichter die Zurückverweisung an ihn vorsieht, auch hier durchgreift. Das entspricht nicht nur einer verfahrensrechtlichen Zweckmäßigkeit, sondern vermeidet auch eine für die Klägerin durch den Verlust eines Rechtszuges für ihren Zahlungsanspruch verbundene Unbilligkeit (RGZ 169, 127, 129; OLG Celle NJW 1961, 786 [OLG Celle 13.01.1961 - 8 U 87/60]; Stein/Jonas Komm. zur ZPO 19. Aufl., § 254 Anm. III.6.; Baumbach/Hartmann ZPO 32. Aufl., § 254 Anm. 3) B; Rosenberg, Lehrbuch 10. Aufl., § 141 IV c. a.E. S 741)."

V.

Über die Kosten des Rechtsstreits hat das Landgericht zu entscheiden, weil diese Entscheidung vom Ergebnis der Zahlungsstufe abhängt.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 Satz 1 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren war aufgrund der von den Klägern in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 25. Juni 2024 genannten Zahlungserwartung auf 200.000 € festzusetzen.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen dafür nicht vorliegen (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 ZPO).