Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 11.07.2024, Az.: 2 W 98/24

Freie Wahl des Gerichtsstands; Notwendigkeit von Reisekosten im Kostenfestsetzungsverfahren

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
11.07.2024
Aktenzeichen
2 W 98/24
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 24847
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Lüneburg - 05.06.2024 - AZ: 3 O 157/22

Fundstellen

  • AGS 2024, 401-403
  • NJW-Spezial 2024, 572-573
  • VRA 2024, 169

In dem Kostenfestsetzungsverfahren
S., .....,
Beklagte und Beschwerdeführerin,
Prozessbevollmächtigte:
...
gegen
K., ...................,
Kläger und Beschwerdegegner,
Prozessbevollmächtigte:
...
hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch die Richterin am Amtsgericht ....... als Einzelrichterin am 11. Juli 2024 beschlossen:

Tenor:

Die am 7. Juni 2024 bei dem Landgericht Lüneburg eingegangene sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den ihren Prozessbevollmächtigten am 7. Juni 2024 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin der 3. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 5. Juni 2024 <3 O 157/22> in der Gestalt des Beschlusses über die teilweise Abhilfe vom 25. Juni 2024 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Der Beschwerdewert wird auf 831,30 € festgesetzt.

Gründe

I. Die gemäß § 11 Abs. 1 RPflG i.V.m. §§ 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2, 569 ZPO zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der Beklagten hat in der Sache - soweit über sie nach teilweiser Abhilfe noch zu entscheiden ist - keinen Erfolg und war daher zurückzuweisen.

Die Rechtspflegerin der 3. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg hat die von der Beklagten an den Kläger zu erstattenden Kosten zutreffend auf 3.766,08 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13. Mai 2024 festgesetzt und hierbei zu Recht die Reisekosten des Klägers und des Klägervertreters berücksichtigt.

Die Einwendung der Beklagten, der Unfall habe sich in Berlin ereignet und sowohl der Kläger als auch die Prozessbevollmächtigten seien in Berlin ansässig, so dass die Klage dort zu erheben gewesen wäre und die Klageerhebung vor dem Landgericht Lüneburg lediglich erfolgt sei, um der Rechtsprechung der Berliner Gerichte zur Vorschadenproblematik und provozierten Verkehrsunfällen zu entgehen, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung.

Hierzu im Einzelnen:

Nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO sind als Kosten des Rechtsstreits diejenigen erstattungsfähig, die zu einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren, mithin solche unmittelbar prozessbezogenen Kosten, die eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei ex ante als sachdienlich ansehen durfte [BGH, Beschluss vom 01.02.2017 - VII ZB 18/14, NJW 2017, 1397, Rn. 12]. Die Partei darf ihr berechtigtes Interesse verfolgen und die zur vollen Wahrnehmung ihrer Belange erforderlichen Schritte ergreifen [BGH, Beschluss vom 14.09.2021, Az.: VIII ZB 85/20, zitiert nach juris Rn. 10], wobei sie jedoch gehalten ist, die Kosten ihrer Prozessführung so niedrig zu halten, wie sich dies mit der vollen Wahrung ihrer berechtigten Belange vereinbaren lässt. Es gilt das Gebot sparsamer Prozessführung [BGH MDR 2010, 1342 = NJW 2011, 529f. [BGH 31.08.2010 - X ZB 3/09]; OLG Hamm MDR 1984, 103f.; MüKo/Giebel, ZPO, § 91 Rdz. 38; Zöller/Herget, ZPO, § 91 Rdz. 12.] als Ausprägung des die gesamte Privatrechtsordnung und das Prozessrecht beherrschenden Prinzips von Treu und Glauben [BGH, Beschluss vom 14.09.2021, Az.: VIII ZB 85/20, zitiert nach juris Rn. 10; vgl. BGH, Beschluss vom 7. Februar 2018, Az.: XII ZB 112/17, zitiert nach juris Rn. 19; siehe auch BGH, Beschluss vom 27.01.2011 - Az.: III ZB 97/09, und MDR 2007, 1160]. Der prozessuale Erstattungsanspruch besteht daher nur in den Grenzen einer sparsamen, nicht aber der einer optimalen Prozessführung [vgl. OLG Jena OLG-NL 2006, 207, 208; MüKo/Giebel, ZPO, 3. Auflage, § 91 Rn. 38], was angesichts der Ausgestaltung des Kostenfestsetzungsverfahrens als Massenverfahren anhand einer typisierenden Betrachtungsweise zu beurteilen ist [BGH, Beschluss vom 25.10.2011, Az.: VIII ZB 93/10; BGH, Beschluss vom 28.01.2010, Az.: III ZB 64/09 = JurBüro 2010, 369f.; BGH NJW 2007, 2048 f., zitiert nach JURIS Rdz. 7; NJW 2003, 901, 902; NJW-RR 2005, 725, 727; NJW-RR 2005, 1662; JurBüro 2003, 205ff.; OLG Celle, Beschluss vom 24.10.2008, Az.: 2 W 216/08 sowie Beschl. vom 21.11.2008, Az: 2 W 245/08].

Hiernach sind sowohl die anwaltlichen Reisekosten und das Abwesenheitsgeld als auch die Reisekosten des Klägers sowie die Entschädigung für die Zeitversäumnis als notwendige Kosten der Rechtsverfolgung im Kostenfestsetzungsverfahren zu berücksichtigen.

1. Entgegen der Ansicht der Beklagten begegnet die Klagerhebung vor dem Landgericht Lüneburg keinen durchgreifenden Bedenken und steht der Annahme der Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit der mit der Anreise zu den Gerichtsterminen verbundenen Kosten nicht entgegen.

Die freie Wahl des Gerichtsstands ist in den Grenzen des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens nicht einzuschränken [Anders/Gehle/Gehle, 82. Aufl. 2024, ZPO § 91 Rn. 177]. Gemäß § 35 ZPO hat der Kläger - ohne dass dies an weitere Voraussetzungen geknüpft wäre - das Wahlrecht unter mehreren zuständigen Gerichten, das bis zur Grenze des Rechtsmissbrauchs im Einzelfall unabhängig davon besteht, welcher Gerichtsstand die geringsten Kosten für den Gegner verursachen würde. Um einen Wertungswiderspruch zu der Wahlfreiheit gemäß § 35 ZPO zu vermeiden, kommt eine Versagung der Kostenerstattung erst dann in Betracht, wenn sich die Gerichtsstandswahl im Einzelfall als rechtsmissbräuchlich darstellt [zu Vorstehendem insgesamt: BGH, Beschluss vom 12.09.2013 - I ZB 39/13, BeckRS 2014, 6339, Rn. 9]. Hierbei entspricht es dem berechtigten Interesse des Klägers an einer erfolgreichen Rechtsdurchsetzung, wenn er aus prozesstaktischen Erwägungen den Gerichtsstand wählt, der nach Einschätzung seines Prozessbevollmächtigten für sein konkretes Begehren voraussichtlich die besten Erfolgsaussichten bietet [BGH, Beschluss vom 12.09.2013, aaO, Rn. 11]. Ungeachtet dessen ist bei der im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens gebotenen typisierenden Betrachtungsweise regelmäßig davon auszugehen, dass die klagende Partei ihre Auswahlentscheidung gem. § 35 ZPO an ihren berechtigten Interessen ausrichtet, so dass die ausnahmsweise zu treffende Annahme eines rechtsmissbräuchlichen Vorgehens der Feststellung von sachfremden Erwägungen bedarf, die nach allgemeinen Grundsätzen vom Prozessgegner konkret darzulegen sind [BGH, Beschluss vom 12.09.2013, aaO., Rn. 12].

Unter Zugrundelegung der vorstehenden Erwägungen sind die entstandenen Reisekosten auch unter Berücksichtigung der klägerseitig getroffenen Gerichtsstandswahl im Kostenfestsetzungsverfahren als notwendig und zweckmäßig zu berücksichtigen. Anhaltspunkte für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Klägers sind auch unter Berücksichtigung der Einwendungen der Beklagten nicht ersichtlich. Insoweit ist zunächst zu berücksichtigen, dass es sich nicht um einen Fall der Klagerhebung an einem dritten Ort, der weder dem Gerichtsstand des Klägers noch dem der Beklagten entspricht, handelt. Vielmehr hat der Kläger nach prozessual zulässiger Auswahl unter mehreren - nicht ausschließlichen - Gerichtsständen gemäß § 35 ZPO Klage am Wohnort der Beklagten (§ 13 ZPO) erhoben. Der Kläger hat dargelegt, das und aus welchen Gründen die Klagerhebung vor dem Landgericht Lüneburg erfolgversprechender erschien. Hierbei handelt es sich um zulässige prozesstaktische Erwägungen, die in der Gesamtschau mit der Klagerhebung am allgemeinen Gerichtsstand der Beklagten und der - angesichts der noch vor Klagzustellung erfolgten - Teilklagerücknahme hinsichtlich der initial als Beklagte zu 2) in Anspruch genommenen und nachfolgend in hiesigem Rechtsstreit als Zeugin vernommenen Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs zum Unfallzeitpunkt, die sich auch zulasten der Klägerseite hätte auswirken können, nicht als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist.

a. Die Rechtspflegerin hat die durch den Klägervertreter geltend gemachten Reisekosten und das Abwesenheitsgeld für die vor dem Landgericht Lüneburg wahrgenommenen Termine zur mündlichen Verhandlung am 23. Januar 2023 und 15. April 2024 mit zutreffenden Erwägungen als erstattungsfähig angesehen und zur Ausgleichung angesetzt.

aa. Es entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass eine Partei einen Rechtsanwalt an ihrem (Wohn-) Sitz mit der Vertretung beauftragen kann, selbst wenn dadurch für die Wahrnehmung von Gerichtsterminen hohe Reisekosten anfallen. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass üblicherweise ein persönliches mündliches Gespräch zwischen der Partei und dem Rechtsanwalt erforderlich und gewünscht ist und die Partei grundsätzlich ein berechtigtes Interesse daran hat, sich durch einen Rechtsanwalt ihres Vertrauens auch vor auswärtigen Gerichten vertreten zu lassen [BGH Beschl. v. 25.10.2011 - VIII ZB 93/10, BeckRS 2011, 26904, Rn. 12; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, 26. Aufl. 2023, RVG VV 7003 Rn. 118-120]. Aufgrund der typisierenden Betrachtungsweise im Kostenfestsetzungsverfahren bedarf es für die Erstattungsfähigkeit von Reisekosten nicht der Feststellung des tatsächlichen Bestehens eines besonderen Vertrauensverhältnisses im Einzelfall [BGH Beschl. v. 25.10.2011, aaO. Rn. 13]. Die Beauftragung des am Wohnort des Klägers ansässigen klägerischen Prozessbevollmächtigten begegnet hiernach keinen Bedenken.

bb. Die Reisekosten (Fahrtkosten und Abwesenheitsgeld) wurden auch der Höhe nach zutreffend angesetzt. Dies wird von der Beklagten, die sich ausschließlich gegen die Berücksichtigung der Kostenpositionen dem Grunde nach wendet, auch nicht in Abrede genommen.

In Bezug auf die Höhe der Fahrtkosten gemäß Nr. 7004 VV RVG hat die Rechtspflegerin zutreffend die für den Hin- und Rückweg angefallenen Fahrtkosten unter Nutzung der Bahn als Transportmittel [1. Wagenklasse inklusive Sitzplatzreservierung, vgl. hierzu Ahlmann/Kapischke/Pankatz/Rech/Schneider/Schütz/Ahlmann, 11. Aufl. 2024, RVG VV 7003 Rn. 12] angesetzt, die durch Vorlage der entsprechenden Bahntickets glaubhaft belegt wurden.

Auch die Berücksichtigung des Abwesenheitsgeldes gemäß Nr. 7005 VV RVG in Höhe von 80,- EUR pro Termintag begegnet angesichts der klägerseitig dargelegten Verhandlungsdauer unter Berücksichtigung der Fahrzeit keinen Bedenken.

b. Ebenfalls zutreffend hat die Rechtspflegerin die Reisekosten des Klägers (Fahrtkosten und Zeitversäumnis) als erstattungsfähig angesehen und zur Ausgleichung angesetzt.

aa. Die Reisekosten einer Partei (Fahrtkosten und Zeitversäumnis) sind auch bei anwaltlicher Vertretung der Partei erstattungsfähig und stets dann als notwendig zu anzusehen, wenn das persönliche Erscheinen im Termin vom Gericht angeordnet war [Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 15. Dezember 2008 - 6 W 163/08 -, juris, Rn. 16]. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Das persönliche Erscheinen des Klägers zu den Terminen zur mündlichen Verhandlung wurde durch den Einzelrichter der 3. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg mit Verfügungen vom 9. Dezember 2022 (Bl. 123 d. A.) und 6. Februar 2024 (Bl. 278 d. A.) angeordnet.

bb. Die Erstattungsfähigkeit der Reisekosten der Partei ist der Höhe nach an die Regelung in § 5 JVEG angelehnt [Toussaint/Weber, 54. Aufl. 2024, JVEG § 5 Rn. 6]. Gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JVEG beläuft sich der erstattungsfähige Betrag auf 0,35 EUR pro Kilometer (0,25 EUR pro Kilometer gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JVEG a.F.).

Die Rechtspflegerin hat zutreffend für die Termine vor dem Landgericht Lüneburg unter Zugrundelegung der klägerseitig angegebenen und nach den gängigen Routenplanern nachvollziehbaren Wegstrecke von 271 Kilometer pro Strecke einen Betrag in Höhe von 379,40 EUR (271 km für die einfache Strecke, mithin 1.084 km Hin- und Rückweg bei zwei Terminen x 0,35 EUR/km) angesetzt.

cc. Auch die geltend gemachte Entschädigung für die Zeitversäumnis in Anlehnung an § 20 JVEG [vgl. MüKoZPO/Schulz, 6. Aufl. 2020, ZPO § 91 Rn. 178] wurde von der Rechtspflegerin unter Berücksichtigung der Fahrzeit von gut drei Stunden pro Strecke und der jeweiligen Terminsdauer in Höhe von insgesamt 64,- EUR für 16 Stunden zutreffend in Ansatz gebracht.

2. Die vorgenommene Kostenfestsetzung begegnet keinen Bedenken. Einwände werden von der Beklagten insoweit auch nicht vorgebracht.

Der Zinsanspruch folgt aus § 104 Abs. 1 Satz 2 ZPO.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

III. Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§§ 104 Abs. 3, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) sind keine Gründe ersichtlich. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Es handelt sich vielmehr um eine reine Einzelfallentscheidung, die im Einklang mit der bisherigen höchstrichterlichen und aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung steht.

IV. Die Festsetzung des Beschwerdewertes beruht auf § 3 ZPO.