Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 08.02.1995, Az.: 4 L 1036/93
Asyl; Prozeßkostenhilfe; Sozialhilfe; Sprachkurs
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 08.02.1995
- Aktenzeichen
- 4 L 1036/93
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1995, 14070
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:1995:0208.4L1036.93.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Stade 08.12.1992 - 4 A 283/91
- nachfolgend
- BVerwG - 13.06.1995 - AZ: BVerwG 5 B 74.95
- BVerwG - 25.01.1996 - AZ: BVerwG 5 C 20/95
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade - 4. Kammer Lüneburg - vom 8. Dezember 1992 wird zurückgewiesen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens. Insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die im Jahre ... geborene Klägerin, polnische Staatsangehörige, beantragte im Juli 1988 in der Bundesrepublik Asyl und wurde angewiesen, ihren Wohnsitz im Bereich des Beklagten zu nehmen. Sie bezog eine Wohnung in der Gemeinde R. Der Beklagte gewährte ihr laufende Hilfe zum Lebensunterhalt und Krankenhilfe. Wie die Akten zeigen, erschien sie bei Behörden schon damals gelegentlich in Begleitung des in Hamburg wohnhaften polnischen Staatsangehörigen ..., der dolmetschte.
Nach den von ihr nachträglich eingereichten Unterlagen befand sie sich seit dem 23. November 1988 in Behandlung bei dem Arzt für innere Medizin und Endokrinologie Prof. Dr. ... in ..., ferner seit dem 8. März 1989 bei dem Arzt für Neurologie Dr. ... in ....
Am 5. Oktober 1990 heiratete die Klägerin Herrn ....
Mit Schreiben vom 28. Februar 1991 beantragte sie unter Vorlage einer "Rechnung" ihres Ehemannes vom 27. Februar 1991 und "Bezug auf fernmündliche Absprache vom Oktober 1988", Aufwendungen in Höhe von 1.450,-- DM für dessen Dolmetschertätigkeit bei insgesamt 29 Arztterminen in der Zeit zwischen dem 23. November 1988 und dem 31. August 1990 zu übernehmen. Mit Bescheid vom 6. März 1991 lehnte der Beklagte den. Antrag ab. Zur Begründung heißt es, daß der geltend gemachte Bedarf nicht zum notwendigen Lebensunterhalt im Sinne der §§ 11, 12 BSHG gehöre; eine Absprache wegen der Übernahme von Dolmetscherkosten bestreite er.
Hiergegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 10. April 1991 ohne nähere Begründung Widerspruch. Den wies der Beklagte mit Bescheid vom 30. Mai 1991 und der zusätzlichen Begründung zurück, daß nach § 5 BSHG die Tilgung von Schulden ausscheide.
Mit ihrer Verpflichtungsklage vor dem Verwaltungsgericht hat die Klägerin im wesentlichen vorgetragen:
Wie sich aus den beigefügten Bescheinigungen der genannten Fachärzte ergebe, wären eine Diagnose und Behandlung ohne die Hilfe eines Dolmetschers unmöglich gewesen. Sie habe seinerzeit weder Deutsch noch Englisch gesprochen. Vor Beginn der Behandlung und der Dolmetschertätigkeit habe ihr späterer Ehemann ausdrücklich mit dem Sozialamt gesprochen, und die Sachbearbeiterin Frau ... habe ihm die Übernahme der Kosten zugesagt. Sie - die Klägerin - berufe sich auf das Zeugnis ihres Ehemannes und der Frau ....
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 6. März 1991 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. Mai 1991 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, Dolmetscherkosten von 1.450,-- DM zu übernehmen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat auf die Begründung der angefochtenen Bescheide verwiesen und hinzugefügt: Von einer mündlichen Zusage durch die von der Klägerin benannte Sachbearbeiterin könne nicht die Rede sein; das zeige deren schriftliche Erklärung vom 30. Oktober 1991.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 8. Dezember 1992 abgewiesen. Zur Begründung heißt es im wesentlichen: Der geltend gemachte Anspruch scheitere jedenfalls daran, daß die Klägerin ihren Bedarf an der Tätigkeit eines Übersetzers nicht rechtzeitig bekannt gegeben habe; es sei nicht Aufgabe der Sozialhilfe, Schulden eines Hilfesuchenden zu tilgen. Sollte es das von der Klägerin behauptete Gespräch mit dem von ihr behaupteten Inhalt gegeben haben, könnte die Klägerin daraus nichts herleiten, weil eine Zusicherung nur wirksam sei, wenn sie schriftlich gegeben worden sei; im übrigen hätte die Klägerin vor dem Beginn der Behandlungen die Zeit gehabt, eine Entscheidung des Beklagten herbeizuführen.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt, mit der sie ihr Vorbringen wiederholt und vertieft. Sie beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil zu ändern und der Klage stattzugeben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er erwidert ergänzend: Entgegen seiner Äußerung vor dem Verwaltungsgericht sei die von der Klägerin benannte Sachbearbeiterin gar nicht bei ihm, sondern bei der Gemeinde R. beschäftigt gewesen. Diese aber sei zur Entscheidung über die Bewilligung von Sozialhilfe nicht befugt gewesen, sondern habe lediglich Amtshilfe geleistet.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Im Ergebnis zutreffend hat das Verwaltungsgericht entschieden, daß der Klägerin der geltend gemachte Anspruch nicht zusteht. In seinem, der Klägerin die beantragte Bewilligung von Prozeßkostenhilfe versagenden, Beschluß vom 1. Februar 1995 hat der Senat zur Rechtslage ausgeführt:
Von einer wirksamen mündlichen "Vorweg"-Bewilligung der begehrten Beihilfe oder einer rechtswirksamen Zusicherung der späteren Kostenübernahme durch den Beklagten kann schon deshalb nicht die Rede sein, weil sich im Berufungsverfahren herausgestellt hat, daß die von der Klägerin benannte Sachbearbeiterin, mit der ihr Ehemann angeblich im Oktober 1988 telefoniert hat, seinerzeit gar nicht Bedienstete (im Sozialamt) des Beklagten, sondern der Gemeinde R. gewesen ist. Die Gemeinde Rosengarten aber ist weder für eine Bewilligung noch für eine Zusicherung von Sozialhilfe zuständig gewesen.
Zutreffend hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, daß nach § 5 BSHG regelmäßig nur der Bedarf eines Hilfesuchenden aus der Vergangenheit berücksichtigt wird, der dem Träger der Sozialhilfe bekannt gewesen ist. Aus den Verwaltungsvorgängen des Beklagten ergibt sich nicht der geringste Anhaltspunkt dafür, daß er selbst vor dem Eingang des Antragsschreibens vom 28. Februar 1991 im Sinne des § 5 BSHG Kenntnis von den konkreten Erkrankungen der Klägerin, der konkreten Behandlungsbedürftigkeit und insbesondere dem für das anhängige Verfahren wesentlichen Umstand gehabt hat, daß die Klägerin stets in Begleitung ihres späteren Ehemannes bei den sie behandelnden Ärzten erschienen ist. Ob die von der Klägerin benannte Bedienstete der Gemeinde konkret gewußt hat, für welchen Sachverhalt genau (nämlich für den Besuch der bezeichneten Ärzte) die Klägerin die Tätigkeit eines Dolmetschers vorweg für erforderlich gehalten hat, ist bisher nicht geklärt; weder hat die Klägerin das ausdrücklich behauptet, noch ergibt es sich aus der vom Beklagten vorgelegten Erklärung der Bediensteten vom 30. Oktober 1991. Selbst wenn sich mit Hilfe einer Beweisaufnahme herausstellen würde, daß die Bedienstete diese Kenntnis gehabt hätte, und sich obendrein der Beklagte diese Kenntnis aus Rechtsgründen als eigene Kenntnis zurechnen lassen müßte, also § 5 BSHG dem geltend gemachten Anspruch nicht entgegenstände, wäre der Anspruch doch in der Sache selbst schon dem Grunde nach (ganz zu schweigen von der Höhe) nicht gegeben. Es liegt auf der Hand, daß es im Regelfalle nicht Aufgabe der Sozialhilfe ist - sei es nach den Vorschriften über die Hilfe zum Lebensunterhalt (§§ 11, 12 BSHG), sei es, woran hier möglicherweise zusätzlich zu denken wäre, denen über die vorbeugende Gesundheitshilfe oder die Krankenhilfe (§§ 36, 37 BSHG) -, dafür zu sorgen, daß jedem hier lebenden Ausländer, der die deutsche Sprache nicht (hinreichend.) beherrscht, ein gegen Entgelt arbeitender Dolmetscher beigegeben werden kann. Umgangssprache, Amtssprache (§ 19 SGB X) und Gerichtssprache (§ 184 GVG) ist deutsch. Es ist grundsätzlich Sache jedes Ausländers selbst, die ihm aus seiner Unkenntnis der deutschen Sprache entstehenden Probleme zu lösen; so ist es auch nicht Aufgabe der Sozialhilfe, hilfsbedürftigen Ausländern etwa den Besuch von Sprachkursen zu finanzieren. Ob in einem Ausnahmefall, etwa bei Vorliegen einer schweren, aktuell lebensbedrohlichen Erkrankung und deshalb besonders eilbedürftigen ärztlichen Behandlungen, etwas anderes gelten könnte, kann offenbleiben, denn dafür, daß ein solcher Ausnahmefall vorgelegen haben könnte, ist dem Vorbringen der Klägerin nichts zu entnehmen.
Daran hält der Senat fest.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO, ihre vorläufige Vollstreckbarkeit aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10 ZPO.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 132 Abs. 2 VwGO), bestehen nicht.
Klay
Willikonsky
Zeisler