Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 26.05.2009, Az.: 2 Ws 113/09
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 26.05.2009
- Aktenzeichen
- 2 Ws 113/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 41692
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2009:0526.2WS113.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Lüneburg - 24.04.2009
Fundstellen
- RPsych (R&P) 2010, 57
- StV 2010, 494-495
- StraFo 2009, 346-347
In der Strafvollstreckungssache
...
wegen räuberischer Erpressung
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen die unterlassene Reststrafenaussetzung in dem Beschluss der 7. kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lüneburg vom 24.04.2009 durch den Richter am Oberlandesgericht Rosenow - zu Ziffer 1 als Vorsitzender allein - die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Ferber und den Richter am Amtsgericht Simon am 26.05.2009 beschlossen:
Tenor:
- 1.
Dem Verurteilten wird Rechtsanwalt Albers als Verteidiger gemäß § 140 Abs. 2 StPO entspr beigeordnet.
- 2.
Die sofortige Beschwerde wird verworfen.
- 3.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Verurteilten auferlegt.
Gründe
I.
Das Landgericht Lüneburg verhängte gegen den Verurteilten am 24.11.2006 wegen schwerer räuberischer Erpressung und wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten. Ferner wurde seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet.
Der Verurteilte konsumiert, so die Urteilsgründe, seit seinem 17. Lebensjahr regelmäßig Heroin, wobei er dieses von Anfang an spritzte. Ab dem 18. Lebensjahr nahm er zeitweise zusätzlich auch Benzodiazepine zu sich. In den Jahren 2001 bis 2006 ist der Angeklagte im Landeskrankenhaus Lüneburg mit Methadon substituiert worden. Seit 1998 hat er insgesamt fünf stationäre Drogenentgiftungen begonnen, jedoch jeweils vorzeitig abgebrochen. Auch zwei Drogentherapien in den Jahren 1999 und 2000 hat er vorzeitig abgebrochen. Der Angeklagte ist bereits 1997 wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung, räuberischer Erpressung und unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in 62 Fällen zu einer Jugendstrafe von einem Jahr mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden. 1998 ist diese Strafe einbezogen worden in eine weitere Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens sowie unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln und ist er zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt worden, die auch vollstreckt worden ist. Am 16.02.2000 verurteilte ihn das Amtsgericht Lüneburg wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten, die ebenfalls vollstreckt wurde. Der Unterbringung gemäß § 64 StGB lag ein Gutachten zugrunde wonach der Angeklagte an einer Polytoxikomanie leide.
Der Verurteilte befand sich zunächst 171 Tage in Untersuchungshaft, sodann 76 Tage in Organisationshaft. Seit dem 08.02.2007 befand der Verurteilte sich im Maßregelvollzug wobei er zunächst im Landeskrankenhaus Brauel und seit dem 15.10.2007 im Psychiatrischen Klinikum Lüneburg untergebracht war. Aus den Berichten des Niedersächsischen Landeskrankenhauses Brauel ergab sich zunächst, dass sich der Behandlungsverlauf im Aufnahmebereich weitestgehend komplikationslos gestaltete, sodass der Verurteilte durch kurze, unbegleitete Ausgänge erprobt werden konnte. Aus der Stellungnahme des Psychiatrischen Klinikums Lüneburg vom 14.12.2007 folgte jedoch bereits, dass bei dem Verurteilten nur eine geringe Veränderungsmotivation erkennbar war. Diese Einschätzung wurde bestätigt im Bericht vom 16.06.2008. Der Verurteilte war sodann durch eine positive Atemalkoholkontrolle aufgefallen, stritt den Konsum von Alkohol jedoch ab. Eine daraufhin durchgeführte Urinkontrolle führte zu einem sicheren Nachweis des Konsums von Alkohol. Eingeräumt hat der Verurteilte dagegen den Konsum von Subutex, das er sich von außerhalb der Station besorgt habe. Das Klinikum hat daraufhin angeregt, die Maßregel wegen Aussichtslosigkeit für erledigt zu erklären. Dies ist durch den angefochtenen Beschluss sodann insoweit allerdings unangefochten auch geschehen. Die Strafvollstreckungskammer hat mit dem angefochtenen Beschluss ferner, was auch Gegenstand der sofortigen Beschwerde ist, die noch zu vollziehende Reststrafe aus dem Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 24.11.2006 nicht zur Bewährung ausgesetzt. Die Kammer begründet dies damit, dass der Zweidrittelzeitpunkt erst am 07.08.2009 erreicht sei. Zudem könne zur Zeit aufgrund der erfolglos verlaufenen Therapie auch keine günstige Prognose gestellt werden.
Gegen diesen Teil des Beschlusses wendet der Verurteilte sich mit seiner sofortigen Beschwerde mit der er geltend macht, dass der Zweidrittelzeitpunkt unter Anrechnung der Untersuchungshaft und der Organisationshaft sowie der Zeit im Maßregelvollzug bereits erreicht sei und dem Verurteilten eine positive Prognose zu stellen sei, da der therapeutische Prozess während der zwei Jahre im Maßregelvollzug nicht erfolglos gewesen sei und es zu den Ruckfällen im Wesentlichen aufgrund der erheblichen Belastung durch drei Todesfälle in der Familie gekommen sei.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt,
die sofortige Beschwerde zu verwerfen.
Organisations- und Untersuchungshaft seien auf das letzte Drittel der Strafe anzurechnen, sodass der Zweidrittelzeitpunkt noch nicht erreicht sei.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig, aber im Ergebnis unbegründet. Zuzugeben ist dem Beschwerdeführer allerdings dass der Zweidrittelzeitpunkt bereits erreicht ist.
Dies ergibt sich aus Folgendem:
In Rechtsprechung und Literatur ist streitig, ob eine vor dem Maßregelvollzug vollstreckte Untersuchungshaft auf das nach § 67 Abs. 4 Satz 1 StGB von der Anrechnung des Maßregelvollzuges ausgenommene Strafdrittel angerechnet wird oder ob sie dem anrechenbaren Zweidrittelzeitraum zugeschlagen werden und so die Anrechenbarkeit des Maßregelvollzuges beschränken soll (so die herrschende Meinung, vgl nur OLG Jena, StV 2007, 427 [OLG Jena 17.10.2006 - 1 Ws 332/06]; OLG Stuttgart, NStZ-RR 2002, 191; OLG Naumburg, Beschluss vom 11.02.2008, 1 Ws 12/08; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 22.06.2006, 1 Ws 217/06; OLG Köln, StraFo 2006, 120 [OLG Köln 06.01.2006 - 2 Ws 619/05]; Leipziger Kommentar-Schöch, StGB, 12. Aufl., § 67 Rdnr. 31; Fischer, StGB, 56. Aufl., § 67 Rn 23; a.A: OLG Düsseldorf, NStZ-RR 2006, 251 [OLG Düsseldorf 08.02.2006 - III-4 Ws 50/06]; OLG Celle StV 1997, 477 Schönke-Schröder-Stree, StGB, 27. Aufl., § 67 Rn 3.). Für diese Auffassung wird insbesondere angeführt, dass eine Verkürzung des Restdrittels die mit der Regelung in § 67 Abs. 4 StGB angestrebte Motivation des Verurteilten, an der eigenen Rehabilitation mitzuwirken, entfallen ließe ( OLG Naumburg, Beschluss vom 11.02.2008, 1 Ws 12/08; OLG Köln, StraFo 2006, 120 [OLG Köln 06.01.2006 - 2 Ws 619/05]). Gegen diese Auffassung spricht aber, dass für die Anrechnung des Maßregelvollzuges dann nicht zwei Drittel der Strafe zur Verfügung stehen, sondern nur ein um frühere Haftzeiten gekürzter Zweidrittelzeitraum, wobei das Maß der Anrechnung dabei von vom Verurteilten in der Regel nicht verschuldeten und nur begrenzt beeinflussbaren Unwägbarkeiten in der Dauer des Strafverfahrens abhängig wäre (vgl. dazu OLG Düsseldorf, NStZ-RR 2006, 251 [OLG Düsseldorf 08.02.2006 - III-4 Ws 50/06]). Auch ist in diesen Fällen die Dauer der vor Antritt des Maßregelvollzuges verbüßten Haftzeiten nicht Folge einer Entscheidung des die Maßregel anordnenden erkennenden Gerichts, anders als etwa bei Anordnung eines Vorwegvollzuges. So hat auch das Bundesverfassungsgericht die von der herrschenden Meinung vorgenommene Anrechnungsfolge zwar für mit der Verfassung vereinbar erklärt, dabei aber zugleich betont, dass gute Gründe für die andere Auffassung sprechen (vgl. dazu BVerfG, NStZ 1998,77 [BVerfG 18.06.1997 - 2 BvR 2422/96]).
Sprechen also gute Gründe dafür die Zeit der Anrechnung des Maßregelvollzuges gemäß § 67 Abs. 4 StGB nicht um die Zeitspanne der Untersuchungshaft zu kürzen, stellt sich die zusätzliche Frage, ob die Untersuchungshaft, wie auch die Organisationshaft auf das letzte Drittel der Strafe anzurechnen sind, mit der Folge, dass der Zweidrittelzeitpunkt im vorliegenden Fall noch nicht erreicht wäre, oder ob diese Vollstreckungszeiten im unmittelbaren Anschluss an die Maßregelvollzugszeiten zu berücksichtigen sind, mit der Folge, dass der Zweidrittelzeitpunkt hier bereits überschritten wäre.
Diese Frage ist, soweit erkennbar, in den bisher ergangenen Entscheidungen zu der Frage der Anrechnung der Untersuchungs- und Organisationshaft kaum thematisiert worden. Lediglich einer Entscheidung des OLG Zweibrücken, NStZ 2001, 54, [OLG Zweibrücken 20.07.2000 - 1 Ws 315/00] lässt sich entnehmen, dass bei einer Vollstreckungszeit im Maßregelvollzug, die das Zweidrittelmaß nicht erreicht hat, die Untersuchungs- und Organisationshaft direkt im Anschluss anzurechnen ist. Es ist aber ungewiss, ob das OLG Zweibrücken für die Frage der Bestimmung des Zweidrittelzeitpunktes auch heute noch an dieser Auffassung festhält (vgl. dazu OLG Zweibrücken, Beschluss von 22.06.2006, 1 Ws 217/06 ).
Der Senat hält diese Ansicht jedoch für zutreffend. Insbesondere in den Fällen, in denen Verurteilte nur eine kurze Zeit im Maßregelvollzug verbringen, ist nicht erkennbar, warum möglicherweise längere Zeiten in Untersuchungs- und Organisationshaft erst im Restdrittel berücksichtigt werden sollen, mit der Folge, dass der Zweidrittelzeitpunkt möglicherweise erst ganz kurz vor dem tatsächlichen Entlassungszeitpunkt liegt, obwohl dieser nach der ausgeurteilten Freiheitsstrafe durchaus mehrere Monate, wenn nicht Jahre, hätte betragen sollen.
Es ist nicht nachvollziehbar, warum in Fällen in denen der Vollstreckung einer mehrjährigen Freiheitsstrafe eine kurze Zeit im Maßregelvollzug vorangegangen ist, etwa weil sich schon nach kurzer Zeit gezeigt hat, dass für eine Therapie keine Erfolgsaussichten mehr bestehen, Zeiten der Untersuchungs- und Organisatonshaft erst im letzten Strafdrittel angerechnet werden sollten. In diesen Fällen mag sich im langjährigen Strafvollzug durchaus eine positive Entwicklung des Verurteilten ergeben haben. Eine vorzeitige Entlassung hätte in diesen Fällen für die Verurteilten kaum Relevanz, wenn sie wüssten, dass von ihrem Restdrittel die Zeiten der Untersuchungs- und Organisationshaft abgezogen werden, also nur noch eine erheblich verkürzte Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt werden könnte. Dies würde sich negativ auf die Resozialisierungsbemühungen für diese Verurteilten auswirken, insbesondere, was deren Motivation betrifft, auf eine vorzeitige Entlassung hinzuarbeiten.
Zwar ist im vorliegenden Fall die Differenz zwischen der Zeit im Maßregelvollzug zwei Jahre und knapp drei Monate zum Zweidrittelzeitpunkt (zwei Jahre und sechs Monate) nicht so groß, wie in den eben dargestellten Fällen, doch erscheint eine Differenzierung nach der Länge der Zeitspanne, die der Verurteilte im Maßregelvollzug verbracht hat, nicht sinnvoll begründbar. Demnach vertritt der Senat jedenfalls in den Fällen, in denen die Zeitspanne, die der Verurteilte im Maßregelvollzug verbracht hat, den Zweidrittelzeitpunkt noch nicht erreicht hat, die Auffassung, dass für die Bestimmung des Zweidrittelzeitpunktes nach Berücksichtigung der Maßregelvollzugszeit zunächst die Zeitspanne anzurechnen ist, die der Verurteilte in Organisations- und Untersuchungshaft verbracht hat. Ist unter Berücksichtigung dieser Zeiten der Zweidrittelzeitpunkt bereits erreicht, hat zu diesem Zeitpunkt auch eine entsprechende Prüfung gemäß § 57 StGB zu erfolgen.
In diesen Fällen also, in denen die Zeitspanne im Maßregelvollzug kürzer ist als der Zweidrittelzeitraum, gebietet es auch das Übermaßverbot nicht, Organisations- und Untersuchungshaft erst im letzten Strafdrittel anzurechnen, da der Verurteilte dadurch gerade benachteiligt würde. Dies mag in den Fällen, in denen allein durch die Zeit im Maßregelvollzug der Zweidrittelzeitpunkt erreicht wird, anders zu beurteilen sein (für diese Fälle OLG Celle StV 1997, 477).
Die daher im vorliegenden Fall bereits jetzt vorzunehmende Prüfung gemäß § 57 StGB führt indessen dazu, dass, wie die Strafvollstreckungskammer zutreffend erkannt hat, die Strafe gegen den Verurteilten nicht zur Bewährung auszusetzen ist. Dem Verurteilten ist unter Berücksichtigung des bisherigen Vollstreckungsverlaufes keine günstige Prognose zu stellen. Die Drogentherapie des Verurteilten ist gerade nicht erfolgreich verlaufen. Vielmehr ist die Drogentherapie mangels Erfolgsaussichten beendet worden. Es ist davon auszugehen, dass der Verurteilte gerade nicht in der Lage ist, außerhalb der geordneten Verhältnisse des Maßregelvollzuges insbesondere in Krisen und Belastungssituationen ohne Drogenkonsum auszukommen. Genau dies hat sich durch den Drogenrückfall auch bestätigt. Demnach ist gerade nicht davon auszugehen, dass es dem Verurteilten in Zukunft gelingen wird, drogenfrei zu leben. Damit besteht aber auch die Gefahr zur Begehung weiterer Straftaten, entweder aus dem Bereich der Drogendelikte oder der Beschaffungskriminalität.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 StPO.