Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 17.11.2005, Az.: 4 A 169/05

anderes Bundesland; Asylbewerber; Asylbewerberin; Aufenthaltsgestattung; Aufnahmequote; bedrohter Asylbewerber; Bedrohung; Bedrohung durch Ehemann; Bedrohungslage; Ermessen; Ermessensunterschreitung; fehlerhafte Ermessensabwägung; Frauenhaus; Gefahrenbewertung ; gewichtige Gefährdungssituation; gleichmäßige Verteilung; konkrete Gefahr; länderübergreifende Verteilung; niedersächsische Ausländerbehörde; persönliche Notlage; polizeiliche Gefahrenabwehrmaßnahme; psychisch kranker Ehemann; Schutzbedürfnis eines Bedrohten; sonstige humanitäre Gründe; Umverteilung; Umverteilung zu Verwandten; unzumutbare Aufenthaltsbeschränkung; Verlassen des Aufenthaltsbereiches; Verpflichtung zur Umverteilung; zugewiesener Aufenthaltsbereich

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
17.11.2005
Aktenzeichen
4 A 169/05
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 50824
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Wird eine Asylbewerberin durch ihren psychisch kranken Ehemann wiederholt bedroht, muss die Behörde dem Antrag der Asylbewerberin, zu ihrem Schutz in ein anderes Bundesland zu Verwandten umverteilt zu werden, stattgeben und kann sie nicht darauf verweisen, sich am Aufenthaltsort in ein Frauenhaus zu begeben.

Tatbestand:

1

Die am . .1972 geborene Klägerin ist Asylbewerberin aus P.. Sie ist nach Niedersachsen verteilt worden. Ihr Asylklageverfahren ist beim Verwaltungsgericht Q. zum Aktenzeichen ... anhängig und der Beigeladene zu 2) hat ihr eine Aufenthaltsgestattung mit der räumlichen Beschränkung auf den Landkreis M. erteilt. Außerdem ist angeordnet, dass sie ihren Wohnsitz in D. zu nehmen hat.

2

Die Klägerin ist mit R. S. verheiratet. [Eine Verwandte] wohnt im Zuständigkeitsbereich der Beigeladenen zu 1).

3

Unter dem 21./29. Juni 2005 beantragte die Klägerin ihre länderübergreifende Umverteilung in den Zuständigkeitsbereich der Beigeladenen zu 1). Sie trägt vor, dass es seit der im Jahre ... erfolgten gemeinsamen Einreise zu gegen sie gerichteten Handgreiflichkeiten ihres Ehemannes komme. Polizeieinsätze seien notwendig gewesen. Ihr Ehemann sei für die Dauer eines Monats in die Psychiatrie eingewiesen worden. Nach der Entlassung des Ehemannes aus der Psychiatrie sei es erneut zu Handgreiflichkeiten gegen sie gekommen. Aus Furcht vor ihrem Ehemann habe sie sich wiederholt bei Bekannten in Q. und Verwandten in G. versteckt. Im Frühjahr 2005 habe der Ehemann sie mit einem Messer bedroht. Deshalb sei er im März 2005 erneut in die Psychiatrie eingewiesen worden. Ihr Ehemann werde in Kürze erneut aus der Psychiatrie entlassen. Daher möchte sie dringend nach G. umverteilt werden, um erneuten Auseinandersetzungen zu entgehen. Eine Umverteilung innerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Beigeladenen zu 2) sei nicht ausreichend, weil T. Landsleute dem Ehemann sofort ihren Aufenthaltsort mitteilen würden.

4

Der Beigeladene zu 2) erteilte der Klägerin im Jahre 2005 mit folgenden Verfügungen jeweils die Erlaubnis, den nach der Aufenthaltsgestattung räumlich beschränkten Aufenthaltsbereich zu verlassen:

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am 2. März 2005 für die Dauer vom 4. bis 18. März 2005 nach G.

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am 21. Juni 2005 für die Dauer vom 21. Juni bis 31. Juli 2005 nach G.

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am 19. Juli 2005 für die Dauer vom 1. bis 31. August 2005 nach G.

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am 30. August 2005 für die Dauer vom 1. bis 30. September 2005 nach G.

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Der Beigeladene zu 2) legte den Umverteilungsantrag der Klägerin mit Bericht vom 23. Juni 2005 der Beklagten zur Entscheidung vor und wies darauf hin, dass sich die Klägerin gegenwärtig mit seiner Genehmigung zu ihrem eigenen Schutz in G. aufhalte.

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Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 11. August 2005 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Umverteilung nach G. /U. ab. Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Klägerin keinen Anspruch darauf habe, sich für die Dauer ihres Asylverfahrens in einem bestimmten Bundesland oder an einem bestimmten Ort aufzuhalten. Die von ihr geltend gemachten Gründe stellten keinen berücksichtigungsfähigen Belang dar. Ihre derzeitige Lebenssituation sei zwar bedauerlich, begründe jedoch nicht ausreichend die begehrte Umverteilung nach G.. Zuständig sei bei derartigen Problemen in erster Linie die für die Klägerin zuständige Kommune. Gegebenenfalls sei Abhilfe im Wege einer anderweitigen Unterbringung innerhalb der Kommune oder im Wege der landesinternen Umverteilung zu schaffen. Die Klägerin unterliege dem Schutz und der Fürsorge des Bundeslandes, welches zu ihrer Aufnahme als Asylbewerberin verpflichtet worden ist. Gewichtige Gründe, die vor diesem Hintergrund gerade eine unabweisbare Dringlichkeit und Notwendigkeit einer Umverteilung nach G. bzw. U. erforderlich scheinen ließen, seien nicht erkennbar. Bei dieser Entscheidung sei zwischen dem öffentlichen Interesse an einer bundesweiten und gleichmäßigen Verteilung der Asylbewerber auf die Städte und Gemeinden und dem persönlichen Interesse der Klägerin abzuwägen und dem öffentlichen Interesse an einer gleichmäßigen Verteilung der Vorrang einzuräumen gewesen. Der Bescheid wurde dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 16. August 2005 zugestellt.

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Mit ihrer am 26. August 2005 beim Verwaltungsgericht Q. erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Ziel weiter. Das Verwaltungsgericht Q. hat den Rechtsstreit mit einem Beschluss vom 16. September 2005 an das Verwaltungsgericht Göttingen verwiesen. Zur Begründung führt die Klägerin aus, dass sie in der Bedrohungssituation die soziale Bindung zu ihrer in G. wohnhaften [Verwandten] benötige.

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Die Klägerin beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 11. August 2005 aufzuheben sowie die Beklagte zu verpflichten, sie in den Zuständigkeitsbereich der Beigeladenen zu 1) umzuverteilen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen

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Mit Schriftsatz vom 7. November 2005 führt sie aus, dass sich das private Sicherheitsinteresse der Klägerin grundsätzlich dem öffentlichen Interesse an einer gleichmäßigen Verteilung der Asylbewerber unterzuordnen habe. Dem Sicherheitsbedürfnis der Klägerin müsse durch sicherheits- und ordnungsrechtliche Maßnahmen des jeweiligen Bundeslandes (hier: Niedersachsen) und nicht durch Umverteilung in ein anderes Bundesland Rechnung getragen werden. Im Übrigen sei dem Ehemann der Klägerin sicher die Anschrift der in G. lebenden [Verwandten] bekannt, so dass Bedrohungen und Gewalttätigkeiten seitens des Ehemannes trotz räumlicher Trennung nicht auszuschließen seien. Die Beklagte rege deshalb nochmals als Gefahrenabwehrmaßnahme an, die Klägerin innerhalb des Bundeslandes Niedersachsen an einen für den Ehemann unbekannten Ort umzuverteilen. Unter Umständen sei die Klägerin in einem Frauenhaus unterzubringen.

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Die Beigeladenen

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stellen keine Anträge.

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Wegen der übrigen Einzelheiten wird auf den Inhalt der vorbezeichneten Gerichtsakten und der Verwaltungsvorgänge der Beklagten und des Beigeladenen zu 2) verwiesen, die dem Gericht zur Einsicht vorgelegen haben.

Entscheidungsgründe

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Das Gericht kann gemäß § 101 Abs. 2 VwGO im erklärten Einverständnis aller Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

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Die Klage hat Erfolg.

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Die Ablehnung der länderübergreifenden Umverteilung der Klägerin durch die Beklagte ist rechtswidrig und verletzt sie in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Umverteilung in den Zuständigkeitsbereich der Beigeladenen zu 1), weil das Ermessen der Beklagten im Falle der Klägerin auf „Null“ reduziert ist.

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Gemäß § 55 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG hat die Klägerin als Asylbewerberin zwar keinen Anspruch darauf, sich in einem bestimmten Bundesland oder an einem bestimmten Ort aufzuhalten. Ist der Asylbewerber jedoch - wie hier - nicht mehr verpflichtet, nach § 47 Abs. 1 AsylVfG in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, ist gemäß § 51 AsylVfG auf seinen Antrag der Haushaltsgemeinschaft von Ehegatten sowie Eltern und ihren minderjährigen ledigen Kindern oder sonstigen humanitären Gründen von vergleichbarem Gewicht auch durch länderübergreifende Umverteilung Rechnung zu tragen. Über den Antrag entscheidet die zuständige Behörde des Landes, für das der weitere Aufenthalt beantragt ist, hier die Beklagte als zuständige Behörde des Landes U..

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Es ergibt sich von selbst, dass den sonstigen humanitären Gründen von vergleichbarem Gewicht im Sinne des § 51 Abs. 1 AsylVfG das Grundrecht des Asylbewerbers auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG mindestens gleichsteht. Das Grundrecht verpflichtet die staatlichen Organe, sich schützend und fördernd vor das im Grundrecht genannte Rechtsgut zu stellen, d.h. vor allem, es auch vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren (Jarass/Pieroth, GG, 6. Aufl., Art. 2 Rdnrn. 60, 70, 73 mwN). Besteht - wie hier - die konkrete Gefahr, dass die Asylbewerberin durch den psychisch kranken Ehemann einer Bedrohungslage ausgesetzt ist, hat der Staat auf ihren Antrag die räumliche Trennung der Eheleute zu ermöglichen und dem in seinem Grundrecht Bedrohten nicht das Festhalten an der auferlegten Aufenthaltsbeschränkung zuzumuten.

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Auf Antrag ist gemäß § 51 AsylVfG erforderlichenfalls dem Schutzbedürfnis des im Inland bedrohten Asylbewerbers auch durch länderübergreifende Umverteilung an einen Aufenthaltsort in einem anderen Bundesland Rechnung zu tragen. Diese Ermächtigung sieht das Gesetz ausdrücklich vor und beschränkt nicht etwa die Handlungsmöglichkeiten der staatlichen Organe auf eine landesinterne Umverteilung des bedrohten Asylbewerbers. Ob von der Ermächtigung Gebrauch gemacht wird, steht nach der Formulierung „Rechnung zu tragen“ im Ermessen der nach § 51 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG zuständigen Behörde des Bundeslandes, in dem der weitere Aufenthalt nach dem Antrag erfolgen soll (VG Lüneburg, Urteil vom 13.10.2004 - 1 A 271/04 -; vgl. auch Renner, AuslR, 8. Aufl. § 51 AsylVfG Rdnr. 3). Dabei sind das öffentliche Interesse und die privaten Belange des Asylbewerbers gegeneinander abzuwägen. Außerdem muss das Ermessen auf materielle und formelle Vorgaben des Verfassungsrechts Bedacht nehmen (vgl. Renner, aaO, § 50 AsylVfG Rdnr. 20).

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Die Ermessensentscheidung in dem angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 11. August 2005 ist fehlerhaft, weil von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (§§ 40 VwVfG, 114 Satz 1 VwGO). Die fehlerhaften Ermessenswägungen sind von der Beklagten mit dem Schriftsatz vom 7. November 2005 auch nicht in einer Weise ergänzt worden, dass die Ermessensentscheidung nunmehr als fehlerfrei zu beurteilen ist (§ 114 Satz 2 VwGO).

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Die Ermessensentscheidung der Beklagten, mit der der Antrag der Klägerin auf Umverteilung nach G. abgelehnt worden ist, lässt zum einen unberücksichtigt, dass die gegenwärtig zuständige niedersächsische Ausländerbehörde es der Klägerin seit 21. Juni 2005 fortlaufend im Wege der Erlaubnis nach § 58 AsylVfG ermöglicht, den Geltungsbereich der erteilten Aufenthaltsgestattung vorübergehend zu verlassen und Aufenthalt in G. zu nehmen. Dies ist der Beklagten in dem Vorlagebericht des Beigeladenen zu 2) vom 23. Juni 2005 auch ausdrücklich unter Hinweis darauf mitgeteilt worden, dass diese Erlaubnis zum Schutz der Klägerin erfolgt. Gleichwohl hat die Beklagte diesen Umstand nicht in ihre Ermessensentscheidung eingestellt und damit ihr Ermessen unterschritten. Hätte die Beklagte diesen Umstand in ihre Erwägungen eingestellt, wäre sie unschwer zu der Erkenntnis gelangt, dass jedenfalls die niedersächsische Ordnungsbehörde die Gefährdungssituation der Klägerin als dermaßen gewichtig einstuft, dass ihr der Aufenthalt fernab von ihrem gegenwärtigen Wohnort bei Verwandten in G. zu ihrem Schutz ermöglicht werden muss. Stellt eine Ordnungsbehörde dieses Erfordernis fest, muss sich die für die Umverteilungsentscheidung nach § 51 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG zuständige Behörde mit dieser Gefahrenbewertung und dem Verwaltungshandeln der Ausländerbehörde auseinandersetzen, der Klägerin vorübergehend als „Zwischenlösung“ bis zur Umverteilungsentscheidung fortlaufend Erlaubnisse zum Verlassen des zugewiesenen Aufenthaltsbereichs nach § 58 Abs. 1 AsylVfG zu erteilen. Dies ist vorliegend unterblieben und stellt eine Ermessensunterschreitung dar, die bereits für sich genommen zur Aufhebung des die Umverteilung ablehnenden Bescheides führt.

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Ermessensfehlerhaft ist die Ablehnung der Umverteilung auch insoweit, als sie das öffentlichen Interesse an der gleichmäßigen Verteilung der Asylbewerber im Verhältnis zum privaten Aufenthaltswunsch der Klägerin den Vorrang gibt. Zwar besteht ein solches öffentliches Interesse, jedoch ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin im Falle ihrer Umverteilung nach U. gemäß § 52 AsylVfG auf die Quote des aufnehmenden Bundeslandes (§ 45 VwGO) angerechnet wird. Insoweit wird das öffentliche Interesse an einer bundesweiten und gleichmäßigen Verteilung der Asylbewerber durch die Umverteilung eines Einzelnen, der sich in einer konkreten persönlichen Notlage befindet, nicht berührt. Selbst die vollständige Erfüllung einer Aufnahmequote durch das aufnehmende Bundesland steht einer Verteilungsentscheidung nach § 51 AsylVfG nicht entgegen (Renner, aaO, § 52 AsylVfG Rdnr. 2). Die Beklagte hat danach dem von § 45 AsylVfG geschützten öffentlichen Interesse im zu entscheidenden Einzelfall einen Stellenwert eingeräumt, der dem öffentlichen Interesse nicht zukommt und in Anbetracht des von der Klägerin in die Waagschale geworfenen Grundrechts auch nicht zukommen kann (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., § 114 Rdnr. 13).

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Ermessensfehlerhaft ist die Entscheidung der Beklagten schließlich auch insoweit, als sie einer polizeilichen Gefahrenabwehrmaßnahme durch niedersächsische Behörden, etwa der Unterbringung der Klägerin in einem Frauenhaus, den Vorrang vor der beantragten Umverteilung in ein anderes Bundesland gibt. Damit geht die Beklagte von unzutreffenden rechtlichen Voraussetzungen aus, weil die Umverteilungsentscheidung nach dem Asylverfahrensgesetz nicht in Konkurrenz zu allgemeinen Gefahrenabwehrmaßnahmen steht, sondern selbständig dem Interesse des Asylbewerbers Rechnung tragen soll, bei Vorliegen eines gewichtigen Grundes in ein anderes Bundesland wechseln zu dürfen. Die allgemeine Anregung der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 7. November 2005, die Klägerin unter Umständen in Niedersachsen in einem Frauenhaus unterzubringen, wird zudem der ausdrücklichen humanitären Intention des § 51 Abs. 1 AsylVfG nicht gerecht. Einer jeden sich in einer konkreten Bedrohungslage befindlichen Person ist es nämlich zuzugestehen, sich der Nähe und Geborgenheit von Vertrauten, insbesondere [Verwandten] zu vergewissern, statt sich vorrangig in eine staatliche oder staatlich geförderte Einrichtung wie ein Frauenhaus begeben zu müssen. Dies rechtfertigt auch den Wunsch der Klägerin, nach G. zu ihrer [Verwandten] umverteilt zu werden. Für die Annahme der Beklagten, dem Ehemann der Klägerin sei sicher die Anschrift der [Verwandten] bekannt, so dass sie auch in G. keinen Schutz finden würde, fehlt jeglicher Anhaltspunkt.

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Soweit sich die Beklagte für ihre gegenteilige Rechtsauffassung auf die Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes vom 20.9.1991 (EZAR 228 Nr. 16, insbesondere S. 4) bezieht, die zu § 22 Abs. 6 AsylVfG a.F. ergangen ist, ist diese nicht einschlägig. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt hatte sich ein Asylbewerber unter Hinweis auf die anderen Asylbewerbern in Sachsen-Anhalt widerfahrenden Beeinträchtigungen gegen seine Verteilung in dieses Bundesland mit der Behauptung gewandt, die dortigen staatlichen Organe seien zum Schutz und zur Versorgung der Asylbewerber generell nicht in der Lage. Damit hatte der Asylbewerber in dem vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof entschiedenen Fall eine unzutreffende abstrakte Gefährdungslage behauptet, die dem öffentlichen Interesse an einer gleichmäßigen Verteilung der Asylbewerber zutreffend nicht entgegengehalten werden konnte. Andernfalls hätte in das betreffende Bundesland nämlich kein Asylbewerber mehr verteilt werden dürfen. Dieser Sachverhalt unterscheidet sich von dem vorliegenden in der Hinsicht, dass die Klägerin in einem Einzelfall eine individuelle und konkrete Gefährdungslage geltend macht, die bereits zu polizeilichem Einschreiten geführt hat und nunmehr durch eine Umverteilung der Klägerin in die von ihr gewünschte Obhut und Herstellung einer räumlichen Distanz zum psychisch kranken Ehemann entschärft werden soll.

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Das Ermessen der Beklagten ist auch auf „Null“ reduziert. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Ermessensreduzierung im Falle einer Entscheidung nach § 51 AsylVfG bereits dann eintritt, wenn einer der in der Vorschrift tatbestandlich genannten Gründe vorliegt (so VG Lüneburg, ebd. mwN). Jedenfalls liegt eine Ermessensreduzierung auf „Null“ dann vor, wenn eine besondere Gefahr für wichtige Rechtsgüter wie das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit vorliegt (Kopp/Schenke, aaO, § 114 Rdnr. 6 mwN). Dies ist vorliegend in Anbetracht des unstreitigen Sachverhalts der Fall, der durch das Verwaltungshandeln des Beigeladenen zu 2) bestätigt wird. Deshalb ist nicht nur der angefochtene Bescheid aufzuheben und die Beklagte zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts anzuhalten, sondern antragsgemäß auf Umverteilung der Klägerin in den Zuständigkeitsbereich der Beigeladenen zu 1) zu verpflichten.

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Nach alledem ist der Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO im vollem Umfang stattzugeben. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylVfG. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren gemäß § 162 Abs. 3 VwGO aus Billigkeitsgründen nicht für erstattungsfähig zu erklären, weil sie keinen Klagantrag im Sinne von § 154 Abs. 3 VwGO gestellt und sich damit keinem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt haben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der außergerichtlichen Kosten findet ihre Rechtsgrundlage in § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.