Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 24.10.2024, Az.: 3 B 4063/24
Heilung eines Verfahrensfehlers; Sachaufklärungsmangel; unbegleitet eingereiste Minderjährige - UMA -; Verfahrenspfleger; Vertreter
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 24.10.2024
- Aktenzeichen
- 3 B 4063/24
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2024, 25445
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2024:1024.3B4063.24.00
Rechtsgrundlagen
- SGB X § 41
- SGB X § 42
- SGB VIII § 42a
- SGB VIII § 42b
- RL 2013/33/EU Art. 24
- UN-Kinderrechtskonvention Art. 3
Amtlicher Leitsatz
Zur Notwendigkeit der Bestellung einer unabhängigen Vertretungsperson für unbegleitete minderjährige Asylsuchende und zur Sachaufklärungspflicht der Behörde hinsichtlich von Verteilungshindernissen.
- 1.
Unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden (UmA) ist gemäß Art. 24 RL 2013/33/EU i.V.m. Art. 3 Abs. 1 UN-Kinderrechtskonvention auch im nationalen Umverteilungsverfahren gemäß §3 42a ff. SGB VIII - zwingend - ein unabhängiger Vertreter zu bestellen.
- 2.
Der Mangel der Vertreterbestellung wird nicht durch die Bestellung eines Verfahrenspflegers für das verwaltungsgerichtliche Verfahren geheilt.
- 3.
Der Mangel ist vorliegend nicht gemäß § 41 SGB X geheilt worden und nicht gemäß § 42 SGB X unbeachtlich.
- 4.
Geht die anmeldende Behörde Anhaltspunkten für Beeinträchtigungen der psychischen Gesundheit von UmA oder sonstigen Verteilungshindernissen nicht oder nicht hinreichend nach, liegt darin ein nicht heilbarer Sachaufklärungsmangel, der sich zu einer materiell-rechtlich falschen Entscheidung der umverteilenden Behörde verdichtet.
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom F..09.2024 (Az.: 3 A G. /24) gegen den Bescheid des Antragsgegners vom H..08.2024 wird angeordnet.
Die Beigeladene zu 1. trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers. Im Übrigen tragen die Beteiligten ihre Kosten selbst.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen seine bundeslandübergreifende Verteilung als unbegleitet eingereister ausländischer Minderjähriger.
Der nach eigenen Angaben am I. 2008 geborene Antragsteller ist gambischer Staatsangehöriger. Die Minderjährigkeit des Antragstellers ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Nach eigenen Angaben verließ der Antragsteller Gambia im Jahr 2023 (Bl. 19 Verwaltungsvorgang der Beigeladenen zu 1., im Folgenden: VV BL1) und beantragte am 29.07.2024 als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling beim Jugendamt der Beigeladenen zu 1. - Referat Erstversorgung, zugehörig dem Fachdienst Flüchtlinge, Integration und Familien - eine Inobhutnahme. Unter dem 06.08.2024 unterzeichnete der Antragsteller einen durch das Referat Erstversorgung ausgehändigten Vordruck der Beigeladenen zu 1., wonach er bestätige, dass er unter Hinzuziehung eines Sprachmittlers
"durch die Mitarbeiter*innen des AfSD über die Möglichkeit im Erstgespräch und allen anderen Gesprächen im AfSD von einer Vertrauensperson sowie rechtliche Notvertretung durch den Fachdienst Amtsvormundschaft begleitet zu werden, aufgeklärt wurde. Die Adresse des Fachdienstes Amtsvormundschaft wurde den o.G. mitgeteilt." (Bl. 5 VV BL1).
Der darin genannte "Fachdienst Amtsvormundschaft" verfügt über ein Emailfunktionspostfach mit der Bezeichnung "Notvertretung Altersdiagnostik (Amt für soziale Dienste)". Die Beigeladene zu 1. nennt den dieser Emailadresse zugehörigen Bereich in ihren Schriftsätzen zu den gerichtlichen Verfahren "Referat Amtsvormundschaften/-pfleg-schaften". Jenes gehört nach den unbestrittenen Angaben der Beigeladenen zu 1. zum Jugendamtsbereich des Amtes für Soziale Dienste, welches wiederum organisatorisch von dem Referat Erstversorgung bzw. dem Fachdienst Flüchtlinge, Integration und Familien getrennt ist (vgl. im Einzelnen Bl. 29 d. A.). Der Fachdienst Amtsvormundschaft entscheidet laut den unbestrittenen Angaben der Beigeladenen zu 1. nach "eigenem pädagogischen Ermessen" darüber, ob er mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Kontakt tritt. Vorliegend wurde er laufend über den Fortgang des Verfahrens, insbesondere Termine mit dem Antragsteller und deren Ergebnisse, per Email an das Funktionspostfach informiert (vgl. z.B. Email vom 12.08.2024, Bl. 30 VV BL1, vgl. ferner insbesondere Bl. 46, 52 VV BL1). Eine Kommunikation oder ein persönliches Aufeinandertreffen zwischen dem Fachdienst Amtsvormundschaft und dem Antragsteller fand in der Folge nach derzeitiger Aktenlage zu keinem Zeitpunkt statt.
Unter dem 12.08.2024 unterzeichnete der Antragsteller einen Vordruck der Beigeladenen zu 1., in welchem er ankreuzte, keine Vertrauensperson in dem anstehenden, durch das Referat Erstversorgung zu führenden Gespräch zur Altersfeststellung, das am gleichen Tag stattfand, zu wünschen (Bl. 15 VV BL1). Ausführungen zu einer etwaigen Vertretung durch einen Dritten oder durch eine andere Stelle der Beigeladenen zu 1. enthielt der letztgenannte Vordruck nicht. In dem Gespräch gab der Antragsteller an, er habe in Italien versucht, einen Asylantrag zu stellen. Bereits der Akt der Antragstellung sei aber gescheitert. Seine Verwandten hätten ihm dann empfohlen, "nach Deutschland zu kommen, um hier einen Antrag zu stellen." (Bl. 16 VV BL1). Er habe insbesondere eine Schwester, die denselben Vater habe wie er. Diese lebe in J., habe drei Kinder und sei nicht verheiratet. Zu dieser habe er telefonischen Kontakt (Bl. 18 VV BL1). Weiterhin lebe noch eine minderjährige Cousine im räumlichen Zuständigkeitsbereich der Beigeladenen zu 1. Diese halte sich dort seit einem knappen Jahr auf. Die Kontaktdaten teilte die Cousine unmittelbar selbst im Gespräch mit, da sie zufällig zu diesem Zeitpunkt den Antragsteller telefonisch kontaktierte (Bl. 19 VV BL1). Sie wohnt in einer über die Beigeladene zu 1. vermittelten Jugendwohngruppe. Im Übrigen gab der Antragsteller nur Verwandte an, die im Senegal lebten. Im Rahmen der Schilderung seiner Reise nach Europa weinte der Antragsteller, als er von dem Tod seines Freundes, der mit ihm gereist war, in Tunesien berichtete (Bl. 20 VV BL1). Die Mitarbeitenden der Beigeladenen zu 1. sprachen ihr Beileid aus und boten eine Pause an. Eine weitere Aufklärung der psychischen Verfassung des Antragstellers erfolgte bis dato nicht. Dieser berichtete in dem vorgenannten Gespräch sodann, dass er, in Deutschland angekommen, zunächst nach J. und dann in den räumlichen Zuständigkeitsbereich der Beigeladenen zu 1. gereist sei.
Im unmittelbar anschließenden Gespräch zur Einschätzung hinsichtlich eines Umverteilungsverfahrens gemäß § 42a Abs. 2 SGB VIII, weiterhin mit dem Referat Erstversorgung der Beigeladenen zu 1., dessen diesbezüglicher Aufklärungsvordruck (Bl. 24 VV BL1) keine Informationen über ein etwaiges Recht oder eine Möglichkeit des Antragstellers auf eine Vertretung enthielt, gab der Antragsteller nach dem darüber gefertigten Protokoll an, ihm sei "ganz egal, wohin ich gehe." Seine Schwester in J. sei nicht in der Lage, sich um ihn zu kümmern. Die telefonisch im Gespräch kontaktierte Schwester bestätigte dies, wünschte sich aber eine Unterbringung in der Nähe von J.. Eine Erziehungsberechtigung dieser Schwester für den Antragsteller liegt nicht vor.
Die Beigeladene zu 1. schlussfolgerte nach Auswertung aller Informationen, auch der bisherigen, ohne Befund gebliebenen körperlichen Untersuchungen des Antragstellers, dass keine Gründe gegen eine Umverteilung sprächen, und entschloss sich verwaltungsintern zur Umverteilung (Bl. 29 VV BL1). Mit einer nicht im Verwaltungsvorgang befindlichen Nachricht an das Bundesverwaltungsamt und an den Antragsgegner vom 13.08.2024 meldete sie den Antragsteller zur Umverteilung an.
Mit Bescheid des Antragsgegners vom 14.08.2024, der an das "Amt für soziale Dienste, z. Hd. Frau K." der Beigeladenen zu 1. adressiert war, wies der Antragsgegner den Antragsteller dem Jugendamt des Beigeladenen zu 2. zur Inobhutnahme zu und stützte dies auf § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII. Zur Begründung führte er aus, die Beigeladene zu 1. sei gemäß § 42a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII vorläufiger gesetzlicher Vertreter des Antragstellers. Das Land Niedersachsen sei laut der Bestimmung des Bundesverwaltungsamts zur Aufnahme des Antragstellers verpflichtet. Die Zuweisung trage den spezifischen Schutzbedürfnissen und Bedarfen unbegleiteter ausländischer Minderjähriger Rechnung. Im Jugendamtsbezirk der Beigeladenen zu 1. sei die Aufnahmequote bereits erfüllt. Daher sei eine dem Kindeswohl entsprechende Unterbringung dort nicht mehr möglich. Die Zuweisung an das Jugendamt des Beigeladenen zu 2. sei wünschenswert, da diese Unterbringung in der Nähe von J. und damit dem Wohnort der Schwester des Antragstellers liege. Es seien keinerlei spezifische Schutzbedürfnisse oder Bedarfe des Antragstellers erkennbar, die gegen eine solche Umverteilung sprächen. Es wurde um Aushändigung dieses Bescheids an den Antragsteller gebeten, ggf. unter Hinzuziehung eines Sprachmittlers. Diese Aushändigung wurde durch den Beigeladenen zu 1. mit Email vom 15.08.2024 bestätigt (Bl. 46 f. VV BL1). Der Bescheid sei vom Antragsteller "akzeptiert" worden.
Ausweislich der von den Beteiligten unbestrittenen Angaben der Beigeladenen zu 2. wurde der Antragsteller am Vormittag des 20.08.2024, organisiert durch das Jugendamt der Beigeladenen zu 1., in die Notgruppe L. des Beigeladenen zu 2. gebracht. Am Nachmittag desselben Tages führte die dortige Sachbearbeiterin mit Hilfe einer Dolmetscherin und im Beisein einer Betreuerin der Wohngruppe ein Aufnahmegespräch. In diesem Gespräch teilte der Antragsteller mit, dass er vor seiner vorläufigen Inobhutnahme durch das Jugendamt M. bereits in J. bei seiner Halbschwester gewesen sei. Er konnte bzw. wollte nicht sagen, wie lange der Zeitraum war. Der Antragsteller berichtete ebenfalls, dass seine Cousine in M. in einer betreuten Wohngruppe lebe. Die Sachbearbeiterin vereinbarte daraufhin mit dem Antragsteller, dass er für jedes Wochenende Fahrkarten gestellt bekäme für Tagesbesuche in J. oder in M.. Der Beigeladene zu 2. ging insoweit von Fahrtzeiten nach M. zwischen 1 Std. 32 und 1 Std. 45 Minuten und nach J. Hauptbahnhof von 47 Minuten aus. Die S-Bahnstation L. sei demnach in 10 Minuten fußläufig gut erreichbar. Auf die Frage, ob weitere wichtige Bezugspersonen in Deutschland lebten, teilte der Antragsteller mit, es gäbe außer seiner Cousine und seiner Halbschwester keine weiteren wichtigen Personen in Deutschland.
Auf Nachfrage berichtete der Antragsteller ferner, er habe sehr schlimme, traumatische Erlebnisse auf seinem Weg von Gambia nach Deutschland gehabt; er leide unter starken Schlafstörungen. Vereinbart wurde daher, dass das Team der Wohngruppe ihn umgehend bei der Flüchtlingsambulanz am N. und bzw. oder bei der Instituts-ambulanz der Kinder- und Jugendpsychiatrie in O. anmelden sollte. Zudem sollte schnellstmöglich ein Termin bei einer Praxis für Pneumologie vereinbart werden, da es einen Hinweis auf eine vorherige TBC-Erkrankung gab. Weitere Absprachen betrafen die Anmeldung an der BBS P. - Sprachlernklasse - und die Anmeldung bei der Gemeinde L.. Einen Antrag auf Feststellung des Ruhens der elterlichen Sorge und der Einrichtung einer Vormundschaft für den Kläger stellte die Sachbearbeiterin am 21.08.2024 beim zuständigen Amtsgericht - Familiengericht -Q., der inzwischen jedoch zurückgenommen wurde. Ein Folgetermin zur weiteren Hilfeplanung wurde für den 10.09.2024 vereinbart.
Am 21.08.2024 telefonierte die Sachbearbeiterin des Beigeladenen zu 2. mit der Halbschwester des Antragstellers. Diese teilte mit, dass sie mit ihren drei Kindern in J. lebe und den Antragsteller bei sich aufgenommen gehabt habe, nachdem er nach Deutschland gekommen war. Beide hätten sich zuvor nicht gekannt. Die Halbschwester schilderte, sie habe sich sehr um den Antragsteller bemüht, u.a. ein Beratungsgespräch bei einem Anwalt vereinbart, ihn beim Fußballnachwuchstraining angemeldet und ihm ein Familienleben geboten. Der Antragsteller habe jedoch "gemacht, was er will", die Tage verschlafen und sich nicht am Familienleben beteiligt. Letztlich sei er einfach verschwunden und die Halbschwester habe erst durch einen Anruf vom Jugendamt der Beigeladenen zu 1. erfahren, dass er dort in Obhut genommen worden sei. Trotzdem habe die Halbschwester erklärt, den Kläger gerne für Tagesbesuche willkommen zu heißen. Am 22.08.2024 telefonierte die Sachbearbeiterin mit den Verantwortlichen der Wohngruppe im Gebiet der Beigeladenen zu 1., in der die Cousine des Antragstellers untergebracht ist. Auch dorthin könne der Antragsteller gerne für Tagesbesuche zu seiner Cousine kommen.
In der Nacht vom 26.08.2024 auf den 27.08.2024 bat der Antragsteller erneut bei der Beigeladenen zu 1. um Inobhutnahme, nachdem er eigenständig dorthin gereist war. In der Unterkunft des Beigeladenen zu 2. gefalle es ihm nicht, da dort keine Jugendlichen seien, mit denen er sich verständigen könne. Die diesen Wunsch aufnehmende Sachbearbeiterin der Beigeladenen zu 1. nahm den Antragsteller daraufhin erneut in Obhut (Bl. 59 VV BL1). Im mit der Beigeladenen zu 1. geführten Rückkehrgespräch am 27.08.2024 (Bl. 66 f. VV BL1) teilte der Antragsteller mit, in der Einrichtung des Beigeladenen zu 2. hätten nur einige Jugendliche aus Guinea gelebt, mit denen er sich nicht habe verständigen können. Diese seien "zu unterschiedlich". Aus seinem Heimatland Gambia seien keine Jugendlichen dort gewesen. Er fühle sich dort auch unwohl und habe die gesamte Zeit auf seinem Zimmer verbracht. Eine Mitarbeiterin der Beigeladenen zu 1. habe ihm vor der Umverteilung geraten, zurück zur Beigeladenen zu 1. zu reisen, falls es ihm bei dem Beigeladenen zu 2. nicht gefalle. Dies hielt der Sachbearbeiter der Beigeladenen zu 1. nicht für glaubhaft. Das im Rückkehrgespräch geäußerte Angebot eines eventuellen Einrichtungswechsels im Zuständigkeitsbereich des Beigeladenen zu 2., sodass er auch mit Jugendlichen aus Gambia zusammenleben könne, lehnte der Antragsteller ab. Der Sachbearbeiter teilte dem Antragsteller insbesondere mit, dass er von der Beigeladenen zu 1. keine Leistungen erhalten werde. Die Zuständigkeit liege aus rechtlichen Gründen bei dem Beigeladenen zu 2.
Der Antragsteller wurde sodann von der Erstaufnahmeeinrichtung der Beigeladenen zu 1. als Rückkehrer aufgenommen (Bl. 69 VV BL1). Mit Schreiben vom 27.08.2024 und Email vom gleichen Tag informierte die Beigeladene zu 1. den Beigeladenen zu 2. über die erneute Inobhutnahme (Bl. 71 f. VV BL1). Sie wies auf die von ihr angenommene Zuständigkeit des Beigeladenen zu 2. hin und bat um Maßnahmen des Beigeladenen zu 2. zur Herstellung der Rückkehr des Antragstellers, für die nach Auffassung der Beigeladenen zu 1. der Beigeladene zu 2. zuständig sei. Nur im Falle des Bestehens aufenthaltsrechtlicher Beschränkungen könne vorbehaltlich weiterer Prüfung evtl. die Polizei der Beigeladenen zu 1. Maßnahmen zur Umsetzung solcher Beschränkungen einleiten. In einem Gespräch des Beigeladenen zu 2. mit der Halbschwester des Antragstellers in J. gab diese sodann an, dass sie den Antragsteller kaum kenne. Er habe sie vor der Überfahrt nach Europa angerufen und um Geld gebeten. Dem sei sie auch nachgekommen. Sie habe sich nach dessen Einreise auch eine Zeit lang um diesen gekümmert. Ein Fußballtraining infolge des geäußerten Wunsches, Fußballprofi zu werden, habe er verweigert. Er habe sich dann ihr gegenüber zunehmend respektlos verhalten und sie habe ihn daraufhin zu einer Erstaufnahmeeinrichtung in J. gebracht. Er habe dann aber entschieden, wegen seiner Cousine nach M. zu fahren. Die Sachbearbeiterin des Beigeladenen zu 2. teilte ferner mit, dass sie einer Unterbringung bei dem Beigeladenen zu 1. nicht zustimmen werde. Der Antragsteller habe in der Einrichtung des Beigeladenen zu 2. ein Einzelzimmer bewohnt und sich "bequem" gezeigt. Insbesondere habe er nicht für sich einkaufen und kochen wollen. Er habe bereits einen Schulplatz im Gebiet des Beigeladenen zu 2. Am 02.09.2024 möge eine Rückführung erfolgen.
Die geplante Rückreise - unter Begleitung seitens der Beigeladenen zu 1. bis zum R. Bahnhof und dann nach Aktenlage offenbar ohne Begleitung - scheiterte: Mit Email vom 02.09.2024 teilte die Beigeladene zu 1. dem Beigeladenen zu 2. mit, dass der Antragsteller sich geweigert habe, zum Beigeladenen zu 2. zu fahren. Er wurde daher nach Dienstschluss des Allgemeinen Dienstes am Abend des 02.09.2024 wieder durch die Beigeladene zu 1. in Obhut genommen (Bl. 82 ff., 90, 93 VV BL1). Nach einer weiteren Weigerung, am 03.09.2024 zurückzufahren, wurde der Antragsteller bis auf Weiteres durch die Beigeladene zu 1. in Obhut genommen.
In einer Telefonkonferenz des Beigeladenen zu 2. mit dem Antragsteller und einer Vertreterin der Erstaufnahmeeinrichtung der Beigeladenen zu 1. teilte der Antragsteller mit, dass er "wegen seinen Leuten und seiner Cousine" zurück nach M. gegangen sei. Er wolle nicht in die vorherige Einrichtung des Beigeladenen zu 2. zurückkehren. Er habe Albträume in dieser Einrichtung gehabt und nicht schlafen können. In der Einrichtung der Beigeladenen zu 1. könne er dagegen schlafen und habe keine Albträume. Ihm wurde mitgeteilt, dass auch von der Einrichtung des Beigeladenen zu 2. Besuche in M. am Wochenende möglich seien. Der Antragsteller wollte gleichwohl in M. bleiben (Bl. 102 VV BL1). Der Beigeladene zu 2. plante dann, den Antragsteller in M. zu besuchen, um diesen ggf. zu einer Rückkehr zu überzeugen (Bl. 104 VV BL1).
Hiervon wurde angesichts der nachfolgenden Klageerhebung (3 A G. /24) sowie des vorliegenden Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes vom 13.09.2024 Abstand genommen.
Zur Begründung von Klage und Eilantrag trägt der Antragsteller vor, er stehe unter einer deutlichen emotionalen Belastung durch den Verlust seines Freundes in Tunesien, dessen Vater die Flucht aus Gambia finanziert habe. Von Anfang an sei sein Ziel M. gewesen, wo seine Cousine lebe. Es handele sich dabei um die Tochter der Schwester der Mutter des Antragstellers. Mit dieser Cousine habe er schon in Gambia in einem Haus gelebt. Zu ihr habe er einen emotionalen Bezug. Sie sei eine wichtige Ansprechperson für ihn, um die traumatischen Erlebnisse der Flucht zu verarbeiten und auszuhalten. Darüber hinaus lebten in M. mehrere Freunde, die er ebenfalls aus Gambia kenne. Zu seiner Halbschwester in J. wolle er nicht, da er diese nicht kenne und keinerlei emotionalen Bezug zu ihr habe. In der Einrichtung des Beigeladenen zu 2. habe es keine Trennung des Bereichs für unbegleitete Minderjährige von demjenigen für Familien und erwachsene Flüchtlinge gegeben. Der Bescheid über die Umverteilung vom 14.08.2024 verletze ihn in seinen Rechten, da dieser das Kindeswohl gefährde. Die Beigeladene zu 1. habe nicht ausreichend geprüft, ob Gründe gegen die Verteilung vorlägen. Eine Unterbringung in der Nähe der Cousine sei aus Kindeswohlgesichtspunkten geboten. Dies folge auch aus der Gesetzesbegründung zu § 42 a SGB VIII (BT-Drs. 18/5921), wonach das Jugendamt auf die Zusammenführung des Kindes oder Jugendlichen mit einer verwandten Person hinzuwirken habe, wenn dies dem Kindeswohl entspreche. Das Kind oder der Jugendliche sei auch an der Entscheidung über die Familienzusammenführung angemessen zu beteiligen. Aus der Aufgabenverteilung der §§ 42a ff. SGB VIII folge, dass der Antragsgegner für die rechtswidrige Vorgehensweise der Beigeladenen zu 1. einzustehen habe. Bei der Beigeladenen zu 1. lägen keine ausreichenden organisatorischen und personellen Vorkehrungen vor, um die Interessen der Betroffenen und das Kindeswohl effektiv zu schützen. Die interne Beteiligung der Stelle für Amtsvormundschaften bei der Beigeladenen zu 1. sei unzureichend. Es genüge nicht, den betroffenen unbegleiteten Minderjährigen lediglich deren Adresse mitzuteilen, ohne von dort aus mit ihnen aktiv und persönlich in Kontakt zu treten, sondern lediglich über den Verfahrensfortgang im Sinne eines Beteiligungsrechts über das Funktionspostfach der Amtsvormundschaft informiert zu werden. Die Amtsvormundschaftsstelle könne sich so kein eigenes Bild von den Jugendlichen machen. Eine Interessenvertretung durch die Amtsvormundschaft habe es nicht gegeben.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung seiner Klage vom 13.09.2024 (Az. 3 A G. /24) gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 14.08.2024 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er meint, dass Verteilungshindernisse i.S.v. § 42b Abs. 4 SGB VIII nicht bestünden. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids vom 14.08.2024 hätten dem Antragsgegner nur allgemeine persönliche Daten über den Antragsteller vorgelegen, namentlich diejenigen in der Email der Beigeladenen zu 1. vom 13.08.2024. Darüber hinaus sei unter dem Punkt "Besonderheiten" nur vermerkt gewesen, dass der Antragsteller eine Schwester in J. habe und daher eine Umverteilung in die Nähe von J. wünschenswert sei. Für den Antragsgegner sei es daher nicht erkennbar gewesen, dass eine Cousine und Freunde des Antragstellers im Zuständigkeitsbereich der Beigeladenen zu 1. wohnhaft seien. Dass insofern stabile schutzwürdige soziale/familiäre Bindungen des Antragstellers sowie dessen Gesundheitszustand etwaige Verteilungshindernisse begründen könnten, sei daher ebenfalls nicht erkennbar gewesen. Für eine Beurteilung von Verteilungshindernissen sei überdies nur die Beigeladene zu 1. zuständig. An die betreffende Entscheidung, die sich in der Anmeldung zur Umverteilung ausdrücke, sei er, der Antragsgegner, in den Fällen der bundeslandübergreifenden Verteilung gebunden. Seine Aufgabe erschöpfe sich in der Zuweisung des Antragstellers an einen örtlichen Jugendhilfeträger in Niedersachsen zur Inobhutnahme. Er habe sich infolge des Beschlusses des erkennenden Gerichts vom 28.07.2023 - 3 B 3714/23 - aber allgemein und auch im vorliegenden Fall dazu entschlossen, sich bei Eintragungen unter dem Punkt "Besonderheiten" im Umverteilungsanmeldungsformular den Dokumentationsbogen der anmeldenden Stelle über die Prüfung von Verteilungshindernissen übersenden zu lassen. Dies habe die Beigeladene zu 1. hier jedoch mit der Begründung abgelehnt, dass ausschließlich sie, die Beigeladene zu 1., für die Prüfung zuständig sei.
Weiter beantragt der Antragsgegner - sinngemäß hilfsweise -,
Beweis zu erheben durch Vernehmung des Antragstellers als Partei.
Bezugspunkte dieses Antrags sind die psychische Verfassung des Antragstellers, dessen Verhältnis zu der im räumlichen Zuständigkeitsbereich der Beigeladenen zu 1. lebenden Cousine und zu dort lebenden Freunden/Bekannten (vgl. Bl. 223 d. A.). Der Antragsgegner meint insoweit, die Beigeladene zu 1. habe in Anbetracht des "emotionalen Ausbruchs" des Antragstellers im Kontext des vorgetragenen Todes seines Freundes eine psychologische Vorstellung bei einem Facharzt prüfen müssen. Der Antragsteller selbst habe im gerichtlichen Verfahren keine ausreichenden Anhaltspunkte für seinen psychischen Gesundheitszustand glaubhaft gemacht. Auch schützenswerte soziale/familiäre Bindungen habe der Antragsteller nicht ausreichend glaubhaft gemacht. Sein diesbezüglicher Vortrag im Verwaltungsverfahren variiere hinsichtlich seiner vorgetragenen Freunde/Bekannten im räumlichen Zuständigkeitsbereich der Beigeladenen zu 1. Auch die Darstellung des Antragsstellers bezüglich seiner Bindung zu seiner dort aufhältigen Cousine variiere.
Die Beigeladene zu 1. stellt keinen Antrag.
Sie trägt vor: Der Antragsteller habe in der Erstaufnahmeeinrichtung am 29.07.2024 keine Angaben zu Verwandten und Bekannten in Deutschland gemacht. Das Referat Amtsvormundschaften/-pflegschaften beim ihrem Jugendamt sei am 06.08.2024 zum Erstgespräch eingeladen worden und auch nachfolgend über alle Schritte, Termine und Ereignisse fortlaufend informiert und dadurch eine aktive Beteiligungsmöglichkeit sichergestellt worden. Der Antragsteller sei über die rechtliche Notvertretung des Bereichs Amtsvormundschaften und über die Möglichkeit der Heranziehung einer eigenen Vertrauensperson aufgeklärt worden. Das Erstgespräch vom 12.08.2024 sei von erfahrenen Mitarbeitenden des Referats Erstversorgung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge geführt worden. Eine enge Bindung zur Cousine in M. habe der Antragsteller dabei nicht geltend gemacht. Vielmehr habe er angegeben, nur telefonisch mit der Cousine Kontakt zu haben. Das Vorbringen des Antragstellers im Klage- und Eilantragsverfahren weiche erheblich von seinen vorherigen Angaben und vom tatsächlichen Sachverhalt ab und diene offenbar ausschließlich dazu, einen Verbleib in M. zu erwirken. Das Verfahren zur Prüfung der Umverteilung habe sich an der Wahrung der Verfahrensrechte nach Art. 8 EMRK orientiert. Die aktuelle Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) A-Stadt fordere im Rahmen einer verbindlichen Regelung zwischen dem Referat Erstversorgung und dem Referat Amtsvormundschaften/-pflegschaften auch für Umverteilungsverfahren, dass Informationen und Termine zeitnah übermittelt würden. Hierfür sei eigens ein zentrales Mail-Postfach eingerichtet worden. Termine seien mindestens 48 Stunden vorher bekannt zu geben. Es liege im pädagogischen und weisungsfreien Ermessen der Mitarbeitenden des Referats Amtsvormundschaften/-pflegschaften, in welcher Art und Weise die Notvertretung ausgeübt werde. Die Trennung und Unabhängigkeit des Referats Amtsvormundschaft/-pflegschaft von dem Referat Erstversorgung sei auch organisationsstrukturell abgebildet.
Der Beigeladene zu 2. stellt ebenfalls keinen Antrag.
Er teilt insbesondere mit, dass in der Wohngruppe, der der Antragsteller zugewiesen worden sei, nachts, an den Wochenenden und an Feiertagen keine Betreuung stattfinde. Von Montag bis Freitag seien am Tage bis in die Abendstunden Betreuungskräfte vor Ort. Ein Sicherheitsdienst sei rund um die Uhr dort. Die Wohnbereiche für Familien seien räumlich abgetrennt. Der Zugang zu dem Bereich für Jugendliche - wie den Antragsteller - erfolge über eine Tür, an der ein Sicherheitsmitarbeiter sitze und die nachts nicht zu öffnen sei. Nur die Bewohner hätten einen Schlüssel. Die gegenläufige Behauptung des Antragstellers sei unwahr. Der Antragsteller habe dort ein Einzelzimmer mit eigenem Bad bewohnt. Der Antragsteller habe in dem Telefongespräch vom 12.09.2024 immer wieder neue Gründe angeführt, die nicht zu denjenigen passten, die er im Aufnahmegespräch bei ihm angeführt habe.
Das Gericht hat dem Antragsteller mit Beschluss vom 24.09.2024 einen Verfahrenspfleger für das Eilverfahren und in seiner Eigenschaft als Kläger auch für das Hauptsacheverfahren bestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.
II.
Der Antrag des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes ist zulässig und begründet.
A) Der Antrag ist zulässig.
Der minderjährige und zur Führung eines verwaltungsgerichtlichen Prozesses sowie einer diesbezüglichen - Rechtsanwaltsgebühren auslösenden - Beauftragung eines Prozessbevollmächtigten nicht geschäftsfähige und daher prozessunfähige Antragsteller (vgl. § 62 Abs. 1 Nr. 2 VwGO) wird nach dem Beschluss des erkennenden Gerichts vom 24.09.2024 (Bl. 93 ff. d. A.) durch seinen Verfahrenspfleger vertreten. Dieser hat die Klageerhebung und Antragstellung vom 13.09.2024 jedenfalls konkludent für den Antragsteller genehmigt. Der Antragsteller verfügt auch über ein Rechtsschutzbedürfnis, da die dem in parallel geführten Klageverfahren angegriffenen Bescheid des Antragsgegners vorangegangenen Entscheidungen bzw. Handlungen der Beigeladenen zu 1. und des Bundesverwaltungsamts gemäß § 44a VwGO nicht eigenständig mit Rechtsbehelfen angegriffen werden können (vgl. VG Hannover, Beschl. v. 28.07.2023 - 3 B 3714/23, juris Rn. 25).
B) Der Antrag ist auch begründet.
I.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall des hier einschlägigen § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem Interesse der jeweiligen Antragspartei an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind maßgeblich die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Aufschubinteresse der Antragspartei regelmäßig zurück. Erweist sich der Bescheid bei dieser Prüfung dagegen als voraussichtlich rechtswidrig, besteht kein Interesse an dessen sofortiger Vollziehung.
II.
Ausgehend von diesen Maßstäben ist dem Antrag stattzugeben. Die Klage des Antragstellers gegen die Verteilungsentscheidung des Antragsgegners vom 14.08.2024 hat nach der gebotenen summarischen Prüfung voraussichtlich Erfolg. Der vorgenannte Bescheid leidet an einem gravierenden, nicht geheilten Verfahrensfehler, da die Beigeladene zu 1. dem Antragsteller im Verwaltungsverfahren entgegen den europarechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben keinen Vertreter bestellt hat (1.). Zudem verstößt die Verteilung des Antragstellers infolge eines Sachaufklärungsmangels gegen § 42b Abs. 4 Nr. 1 SGB VIII (2.). Der Antragsgegner muss sich die vorgenannten Versäumnisse der Beigeladenen zu 1. im Außenverhältnis zum Antragsteller zurechnen lassen (3.).
1.
Der Bescheid des Antragsgegners ist - die gerichtliche Entscheidung selbständig tragend - bei summarischer Würdigung bereits deshalb voraussichtlich rechtswidrig, weil ihm ein gravierender Verfahrensfehler zu Grunde liegt, indem die Beigeladene zu 1. dem Antragsteller im Verwaltungsverfahren entgegen der europarechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben keinen Vertreter bestellt hat (a]). Dieser Mangel ist nicht geheilt und er ist auch nicht unbeachtlich (b]).
a)
Der Verwaltungsgerichtshof des Landes Baden-Württemberg (im Folgenden: VGH BW) hat jüngst aus Art. 24 Abs. 1 UAbs. 1 Satz 1 RL 2013/33/EU (im Folgenden: Aufnahmerichtlinie) i.V.m. Art. 3 Abs. 1 der UN-Kinderrechtskonvention und den Begleitmaterialien des UN-Kinderrechtsausschusses hergeleitet, dass unbegleiteten ausländischen Minderjährigen im Verfahren der Altersfeststellung im Kontext einer (vorläufigen) Inobhutnahme so bald wie möglich ein Vertreter mit bestimmten Qualifikationen auf dem Feld des Minderjährigenschutzes "zu bestellen" ist, der sie vertritt und unterstützt, damit sie ihre Rechte aus der Aufnahmerichtlinie in Anspruch nehmen und den sich hieraus ergebenden Pflichten nachkommen können. Diese Vorgabe wir nach Auffassung des VGH BW derzeit nicht im nationalen Recht abgebildet, was zur unmittelbaren Anwendung von Art. 24 Aufnahmerichtlinie führt und - im Fall der Nichtbestellung eines Vertreters - grundsätzlich einen beachtlichen Verfahrensfehler zur Folge hat, der weder nach § 41 SGB X geheilt noch nach § 42 Abs. 1 Satz 1 SGB X unbeachtlich ist (vgl. VGH BW, Beschl. v. 09.04.2024 - 12 S 77/24, juris Rn. 11 ff., 35 ff., 38; bestätigend mit Beschl. v. 11.06.2024 - 12 S 1700/23, juris).
Dieser ausführlich begründeten Auffassung des VGH BW schließt sich die Kammer zunächst dem Grunde nach an und verweist auf sie. Die Kammer geht zudem davon aus, dass die in dieser Rechtsprechung aufgezeigten rechtlichen Vorgaben nicht nur für Verfahren der Altersfeststellung, sondern auch für die den Aufenthalt des unbegleiteten Minderjährigen bestimmende nationale Umverteilung gilt. Dies wird daraus deutlich, dass die Aufnahmerichtlinie den Aufenthaltsort von unbegleiteten Minderjährigen im Aufnahmestaat als ein von ihr geschütztes Interesse qualifiziert. So heißt es bereits unmittelbar in Art. 24 Abs. 2 UA2 Satz 2 Aufnahmerichtlinie:
"Wechsel des Aufenthaltsorts sind bei unbegleiteten Minderjährigen auf ein Mindestmaß zu beschränken."
Aus diesem Wortlaut und der gesetzlichen Systematik - d.h. der systematischen Nähe zu Art. 24 Abs. 1 Aufnahmerichtlinie, der die Vorgaben zur Vertreterbestellung enthält - folgt, dass auch Entscheidungen, die den Aufenthaltsort des unbegleiteten Minderjährigen betreffen, durch einen (zwingend) zu bestellenden Vertreter begleitet werden müssen. Selbiges folgt auch aus Art. 24 Abs. 2 Satz 1 lit. a)-c) Aufnahmerichtlinie, in welchem die Unterbringungsarten, die denknotwendig auch den Aufenthaltsort des unbegleiteten Minderjährigen adressieren, geregelt sind.
Der Antragsteller fällt vorliegend auch in den Anwendungsbereich der o.g. Richtlinie, da er gegenüber der Beigeladenen zu 1. unmissverständlich im Eingangsgespräch vom 12.08.2024 zu erkennen gegeben hat, internationalen Schutz zu begehren. In dem Gespräch hat er im Kontext seiner missglückten Asylantragstellung in Italien wörtlich angegeben: "Meine Verwandten haben mir empfohlen nach DE zu kommen, um hier einen Antrag zu stellen" (Bl. 16 VV BL1). Dies stellt ersichtlich einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes dar (vgl. zu den geringen Anforderungen an einen solchen Antrag VGH BW, Beschl. v. 09.04.2024 - 12 S 77/24, juris Rn. 12).
Den vorbenannten verfahrensrechtlichen Anforderungen ist die Beigeladene zu 1. ersichtlich nicht gerecht geworden. Sie hat dem Antragsteller keinen Vertreter mit den geforderten Qualifikationen "bestellt", sondern lediglich ihren Fachdienst für Amtsvormundschaften laufend über den Verfahrensstand in Kenntnis gesetzt und den Antragsteller über die Möglichkeit einer eigenen Kontaktaufnahme mit diesem Dienst informiert. Zu einem Kontakt zwischen dem Antragsteller und dem Fachdienst für Amtsvormundschaften ist es in der Folge nicht gekommen. Der Fachdienst für Amtsvormundschaften hat aus eigenem Ermessen entschieden, nicht mit dem Antragsteller in Kontakt zu treten. Eine Vertretung des Antragstellers, die den o.g. europarechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben gerecht wird, lag somit nicht vor.
Die dieser Rechtsauffassung möglicherweise entgegenstehenden, weil geringeren Anforderungen, die das Oberverwaltungsgericht A-Stadt jüngst zum Recht auf Vertretung von unbegleiteten Minderjährigen formuliert hat (vgl. OVG A-Stadt, Beschl. v. 15.04.2024 - 2 B 330/23, juris) und an denen sich die Beigeladene zu 1. orientiert haben will, werden nach Auffassung der Kammer dagegen nicht den vorgenannten europarechtlichen Rechtsverpflichtungen gerecht. Das OVG A-Stadt hat sich weder mit Art. 24 Aufnahmerichtlinie noch mit Art. 3 Abs. 1 der UN-Kinderrechtskonvention und den Begleitmaterialien des UN-Kinderrechtsausschusses auseinandergesetzt. In diesen heißt es, wie bereits ausgeführt, dass den unbegleiteten Minderjährigen "so bald wie möglich" ein "Vertreter bestellt wird, der den unbegleiteten Minderjährigen vertritt und unterstützt, damit dieser die Rechte aus dieser Richtlinie in Anspruch nehmen und den sich aus dieser Richtlinie ergebenden Pflichten nachkommen kann" (Art. 24 Abs. 1 Aufnahmerichtlinie, Hervorhebung durch die Kammer). Insofern greifen nach Auffassung der Kammer die allein auf Art. 8 EMRK gestützten Erwägungen des OVG A-Stadt schon normativ zu kurz, da Art. 8 EMRK, der als Völkerrecht im Rang eines einfachen Bundesgesetzes steht (vgl. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG), im Lichte des mit Anwendungsvorrang versehenen Rechts der Europäischen Union sowie des weiteren (gleichrangigen) Völkerrechts (vgl. Art. 3 Abs. 1 UN-Kinderrechtskonvention) auszulegen ist.
Soweit das OVG A-Stadt im Übrigen ausgeführt hat, es genüge die organisatorische und personale verwaltungsinterne Trennung des Fachdienstes für Amtsvormundschaften der Beigeladenen zu 1. von den übrigen für die Inobhutnahme verantwortlichen Bereichen sowie die bloße Information des unbegleiteten Minderjährigen und des vorgenannten Fachdienstes für Amtsvormundschaften über die Inobhutnahme im Sinne eines bloß sinngemäßen - allseitig unverbindlichen - Vertreterbestellungsrechts (OVG A-Stadt, aaO, juris Rn. 27), überzeugt dies die Kammer auch bei isolierter Betrachtung von Art. 8 EMRK nicht. Unbegleitete Minderjährige können nicht eigenständig abschätzen, ob sie eine Vertretung benötigen und was eine solche für sie bedeutet sowie bewirken kann und soll. Sie können auch den Interessenskonflikt, in dem sich die Erstaufnahmestelle der Beigeladenen zu 1. jedenfalls im Bereich der nationalen Umverteilung befindet und aufgrund dessen sich die rechtliche Notwendigkeit einer unabhängigen Vertretung des unbegleiteten Minderjährigen verfahrensrechtlich und rechtsstaatlich geradezu aufdrängt, in aller Regel nicht erkennen. Die bloße wechselseitige Information des unbegleiteten Minderjährigen und des für Amtsvormundschaften zuständigen Fachdienstes der Beigeladenen zu 1. über die jeweilige Existenz des anderen genügt daher nicht, um die Interessen des unbegleiteten Minderjährigen gegenüber der Beigeladenen zu 1. zu wahren. Ein bloßes Beteiligungsrecht des Fachdienstes für Amtsvormundschaften, welches dieser nach eigenem "Gutdünken" und ohne zwingende persönliche Kontaktaufnahme mit dem unbegleiteten Minderjährigen ausüben oder - wie hier - eben nicht ausüben kann, reicht nicht an eine effektive und die Rechte (je)des Minderjährigen durch unabhängige Amtsausübung wahrende Vertretung heran. Ob das OVG A-Stadt sich hinreichend mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) auseinandergesetzt hat, wonach in der mangelnden unverzüglichen Vertreterbestellung für unbegleitete Minderjährige gemäß Art. 25 Abs. 1 lit. a) RL 2013/32/EU (im Folgenden: Asylverfahrensrichtlinie) wohl zugleich gerade ein Verstoß gegen Art. 8 EMRK zu sehen sein dürfte (vgl. EGMR, Urt. v. 21.07.2022 - 5797/17, Darboe und Camara gg. Italien, NLMR 4-2022-EGMR, S. 3, 4, Rn. 141 ff., 155-157 und hierzu in diesem Kontext ferner VBGH BW, Beschl. v. 11.06.2024 - 12 S 1700/23, juris Rn. 3), kann vor diesem Hintergrund offenbleiben. Die Kammer tendiert derweil zu der Annahme, dass der EGMR in der genannten Entscheidung in dem Verstoß gegen die Vorgaben des Rechts der Europäischen Union zugleich einen Verstoß gegen Art. 8 EMRK erblickt hat.
Wenn es hierauf für die zu treffende Entscheidung auch nicht mehr tragend ankommt, erscheint es der Kammer im Übrigen nicht frei von Zweifeln zu sein, dass der Fachdienst für Amtsvormundschaften als Organisationseinheit der Beigeladenen zu 1. überhaupt im Sinne von Art. 24 Abs. 1 Satz 5 Aufnahmerichtlinie von einem Interessenskonflikt hinreichend freizusprechen wäre. Schließlich statuiert diese Vorschrift, dass Organisationen oder Einzelpersonen, deren Interessen denen des unbegleiteten Minderjährigen zuwiderlaufen oder zuwiderlaufen könnten, nicht als Vertreter in Betracht kommen (Hervorhebung durch die Kammer). Diese Frage kann hier derweil offenbleiben, da nach den aus Sicht der Kammer für maßgeblich erachteten europa- und völkerrechtlichen Vorgaben eine hinreichende Vertreterbestellung ersichtlich nicht vorlag.
Gleichsam kann offenbleiben, ob nunmehr die Neufassung der Aufnahmerichtlinie und des Art. 24 durch die Richtlinie (EU) 2024/1346 bzw. deren Art. 27 anzuwenden ist. Dies hielte die Kammer für zweifelhaft, da das einschlägige Umsetzungsdatum (12.06.2026) noch nicht abgelaufen ist, was aber Voraussetzung für den Anwendungsvorrang bzw. den Self-Executing-Charakter von EU-Richtlinien ist. Hierauf kommt es aber deshalb nicht an, weil Art. 27 der neugefassten Aufnahmerichtlinie die zuvor geltende EU-Rechtslage ohnehin bestätigt (vgl. VGH BW, Beschl. v. 11.06.2024 - 12 S 1700/23, juris Rn. 16).
Ebenfalls offenbleiben kann die Frage, ob die angegriffene Zuweisungsentscheidung dem Antragsteller überhaupt wirksam bekanntgegeben wurde, da der europarechtlich erforderliche und wohl einzig zur Entgegennahme dieser Entscheidung befugte Vertreter nicht nach den europa- bzw. völkerrechtlichen Vorgaben bestellt worden war.
b)
Eine Heilung des Mangels der Vertreterbestellung gemäß § 41 SGB X ist im vorliegenden Verfahren nicht erfolgt.
Es ist bereits fraglich, ob eine solche Heilung rechtlich überhaupt möglich ist. § 41 Abs. 1 SGB X benennt den Mangel einer Vertreterbestellung nicht ausdrücklich als heilbaren Verfahrensfehler. Selbst wenn man aber § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X hierauf entsprechend anwenden wollte (vgl. zum Streitstand Schütze/Schütze, 9. Aufl. 2020, SGB X § 41 Rn. 14, beck-online, m.w.N.), erforderte dies jedenfalls nach der herrschenden Meinung zur Heilung eines Anhörungsmangels in sozialrechtlichen Verfahren ein nochmaliges Verwaltungsverfahren, das parallel zum gerichtlichen Verfahren durchzuführen wäre und an das sich eine qualifizierte Äußerung des Antragsgegners im gerichtlichen Verfahren anzuschließen hätte (vgl. dazu etwa BSG, Urt. v. 09.11.2010 - B 4 AS 37/09 R, juris Rn. 14 ff.; Schütze/Schütze, 9. Aufl. 2020, SGB X § 41 Rn. 17, beck-online, m.w.N.). Dies ist hier nicht geschehen.
Auch die Verfahrenspflegerbestellung durch das erkennende Gericht für das vorliegende Verfahren und das parallel geführte Klageverfahren hat den Mangel der fehlenden Vertreterbestellung im Verwaltungsverfahren nicht geheilt. Diese Bestellung bezieht sich allein auf die gerichtlichen Verfahren und heilt dementsprechend keine Mängel des Verwaltungsverfahrens. Dies wird auch dadurch verdeutlicht, dass die Heilung des Mangels im Verwaltungsverfahren nach den oben wiedergegebenen gesetzlichen Vorgaben gemäß § 41 SGB X allein durch den Antragsgegner bzw. die Beigeladene zu 1. hätte bewirkt werden können. Zudem führt die Verfahrenspflegerbestellung im gerichtlichen Verfahren gerade dazu, einem im Verwaltungsverfahren nicht handlungsfähigen, weil nicht ordnungsgemäß vertretenem Beteiligten überhaupt die rechtliche Möglichkeit zu eröffnen, einen derartigen Verfahrensmangel rechtswirksam rügen und sich gegen eine von einem derartigen Verfahrensmangel "infizierte" Entscheidung, die in seine Rechte eingreift, wehren zu können. Würde eine gerichtliche Verfahrenspflegerbestellung auf das vorangegangene Verwaltungsverfahren heilend rückwirken, würde der Schutzzweck der o. a. europa- und völkerrechtlichen Regelungen über die Vertreterbestellung im Verwaltungsverfahren für unbegleitete minderjährige Schutzsuchende rechtspraktisch weitgehend obsolet werden. Denn es bestünde dann für die handelnden Behörden in einem Verwaltungsverfahren keinerlei Handlungsdruck, die benannten rechtlichen Vorgaben zur Vertreterbestellung einzuhalten und dadurch den betroffenen Minderjährigen den damit verbundenen effektiven Schutz ihrer Interessen angedeihen zu lassen. Entweder nämlich die betroffenen Minderjährigen nähmen ihnen gegenüber unter Missachtung ihres Rechts auf eine unabhängige Vertretung getroffene Entscheidungen - ggf. in Unkenntnis der ihnen zustehenden Rechte - hin, so dass es gar nicht zu einem dagegen geführten Gerichtsverfahren kommt, oder der verwaltungsverfahrensrechtliche Mangel einer nicht ordnungsgemäßen Vertretung würde im Gerichtsverfahren infolge einer gerichtlichen Verfahrenspflegerbestellung automatisch geheilt werden. Das aber widerspräche fundamental dem Regelungszweck der angeführten Regelungen zur Vertreterbestellung.
Der damit weiterhin bestehende Mangel einer Vertreterbestellung für das Verwaltungsverfahren ist auch nicht gemäß § 42 Satz 1 SGB X unbeachtlich, wobei im Ergebnis offenbleiben kann, ob dessen Anwendung nicht bereits nach § 42 Satz 2 SGB X in entsprechender Anwendung gesperrt wäre, wenn man auf den Mangel der Vertreterbestellung § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X für entsprechend anwendbar hält. Denn jedenfalls ist im vorliegenden Fall nicht offensichtlich, dass die fehlende Vertreterbestellung die Entscheidung in der Sache - hier: die von der Beigeladenen zu 1. vorgenommene Anmeldung des Antragstellers zur länderübergreifenden Verteilung als interne Verfahrenshandlung, die die vom Antragsgegner im rechtlichen Außenverhältnis getroffene Entscheidung maßgebend vorbestimmt hat, - nicht beeinflusst hat. Ein Vertreter mit den entsprechenden Qualifikationen im Bereich des Minderjährigenschutzes wäre bei pflichtgemäßer Aufgabenerfüllung von sich aus mit dem Antragsteller in einem geschützten, unabhängigen Rahmen in Kontakt getreten und hätte Anlass gehabt, vertiefende Fragen zu seiner psychischen Verfassung - namentlich in Bezug auf die von ihm bereits frühzeitig geschilderte Belastung infolge des Todes des Freundes in Tunesien - aber auch zu seinem persönlichen Verhältnis zu der Cousine und der Halbschwester zu stellen. Es ist jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass bei einem solchen Vorgehen weitergehende Informationen zu Tage getreten wären, die ggf. dazu hätten führen können, dass die Beigeladene zu 1. aus Kindeswohlgesichtspunkten von der Anmeldung des Antragstellers zur Umverteilung abgesehen hätte (vgl. §§ 42a Abs. 2, 42b Abs. 4 SGB VIII).
Ohne, dass es deshalb für die Entscheidung des vorliegenden Falles noch darauf ankäme, ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass die Auffassung der Beigeladenen zu 1., im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme sei die Initiierung der Bestellung eines Vormunds regelmäßig nicht angezeigt, ersichtlich mit § 88a Abs. 4 Nr. 1 SGB VIII nicht in Einklang zu bringen ist. Angesichts der Probleme, die gerade die vorliegend streitbefangene Konstellation für eine angemessene Wahrung der rechtlichen Interessen der betroffenen Minderjährigen im Rahmen der Anwendung des § 42a Abs. 2 SGB VIII aufzeigt, spricht im Gegenteil sehr viel dafür, in dem fehlenden Verweis in § 42a SGB VIII auf § 42 Abs. 3 Satz 4 SGB VIII letztlich doch eine ungewollte Regelungslücke im Gesetz anzunehmen, sodass letztere Norm analog anzuwenden sein dürfte (zweifelnd noch Lange in: juris-PK-SGB VIII, 3. Aufl. 2022, § 88a SGB VIII Rn. 71). Denn ersichtlich reicht für eine das Kindeswohl im Rahmen des § 42a Abs. 2 SGB VIII ausreichend wahrende rechtliche Vertretung die Regelung in § 42a Abs. 3 SGB VIII nicht aus.
2.
Unabhängig von den vorstehenden Erwägungen und damit selbständig tragend verstößt die Verteilung des Antragstellers nach Aktenlage voraussichtlich auch gegen § 42b Abs. 4 Nr. 1 SGB VIII. Danach ist eine Verteilung eines unbegleiteten minderjährigen Kindes oder Jugendlichen ausgeschlossen, wenn dadurch das Wohl des Minderjährigen gefährdet würde.
Insofern leidet die Verteilungsentscheidung an einem Aufklärungsmangel auf Seiten der Beigeladenen zu 1., welcher eine defizitäre fachliche, materiell-rechtliche Entscheidung begründet und im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu Lasten des Antragsgegners sowie dessen Verteilungsentscheidung zu werten ist. So begann der Antragsteller im Gespräch über die Altersfeststellung zu weinen, als er von dem Tod seines Freundes während der Flucht berichtete. Dieser sei in Tunesien ums Leben gekommen (Bl. 20 VV BL1). Aus Sicht der Kammer reicht die daraufhin erfolgte Beileidsbekundung der Mitarbeitenden der Beigeladenen zu 1. und das Angebot einer Pause nicht aus. Der Emotionsausbruch hätte vielmehr Anlass für weitere (vorsichtige) Nachfragen nach den Umständen des Todes sein müssen, um dieses Geschehen und eine hieraus resultierende Belastung des Antragstellers überhaupt ansatzweise beurteilen zu können. Stattdessen ist - aus Kindeswohlgesichtspunkten pflichtwidrig - keinerlei diesbezügliche weitere Sachverhaltsaufklärung vor der Entscheidung über die Anmeldung zur Verteilung erfolgt. Nur auf Grundlage einer weiteren Aufklärung hätte aber erst weiter beurteilt werden können, ob und inwieweit auch eine vorhandene familiäre Bindung zu der im Gebiet der Beigeladenen zu 1. aufhältigen Cousine schützenswert und vorliegend von besonderer Bedeutung sowie ggf. ob die psychische Verfassung des Antragstellers nicht eine gemeinsame Unterbringung mit der Cousine erforderlich machen könnte (vgl. § 42a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII). Je nach den Angaben und dem Verhalten des Antragstellers hätte dann ggf. auch eine psychiatrische Untersuchung nahegelegen, wie sie der Beigeladene zu 2. sofort initiiert hat, nachdem der Antragsteller im Aufnahmegespräch am 20.08.2024 abstrakt - und dort aus Sicht des Beigeladenen zu 2. offenbar glaubhaft - von traumatischen Erlebnissen auf der Flucht und Albträumen berichtet hatte. Der Verweis auf die durchgeführte Untersuchung des Antragstellers seitens des Gesundheitsdienstes der Beigeladenen zu 1. ist dagegen erkennbar ungenügend. Diese Untersuchungen fanden vor dem Aufklärungsgespräch mit dem Antragsteller zu seiner persönlichen Situation statt und es lässt sich der diesbezüglichen Dokumentation nicht hinreichend entnehmen, welche Fragen der Begutachter zu der psychischen Verfassung des Antragstellers an diesen gerichtet hatte.
Auch der Antragsgegner teilt diese Einschätzung einer nicht hinreichenden Sachaufklärung durch die Beigeladene zu 1. So hat er nach erfolgter Akteneinsicht in den Verwaltungsvorgang der Beigeladenen zu 1. unter Bezugnahme auf die oben geschilderte Situation einen Beweisantrag zur Aufklärung der psychischen Verfassung des Antragstellers durch Parteivernehmung gestellt und ausdrücklich ausgeführt: "Überdies hätte, nachdem der Kläger und Antragsteller vom Tod seines Freundes, mit dem er die Flucht gemeinsam bestritten hat, berichtet hat und dem damit einhergehenden emotionalen Ausbruch (Bl. 20 VV), von den sozialpädagogischen Fachkräften der Beigeladenen zu 1. eine psychologische Vorstellung des Klägers und Antragstellers bei einem Facharzt geprüft werden müssen."
Dem diesbezüglichen und den weiteren Beweisanträgen des Antragsgegners ist im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht nachzukommen. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes können wegen der Eilbedürftigkeit der Entscheidung nur präsente Beweismittel Berücksichtigung finden (vgl. speziell zum Asylrecht: BayVGH, Beschl. v. 28.06.2001 - 10 ZS 00.1781, juris Rn. 8; VG München, Beschl. v. 16.06.2016 - M 25 S 16.31216, juris Rn. 67).
Die Kammer verkennt hierbei nicht, dass manche Angaben des Antragstellers Zweifel an ihrer Schlüssigkeit aufwerfen. Beispielsweise muss dieser die Albträume, von denen er am 20.08.2024 im Aufnahmegespräch gegenüber dem Beigeladenen zu 2. berichtete, bereits zuvor gehabt haben, da er zu diesem Zeitpunkt noch nicht in der Notgruppe des Beigeladenen zu 2. übernachtet hatte. Dies deutet darauf hin, dass er die Albträume auch im Rahmen der Inobhutnahme durch die Beigeladene zu 1. gehabt hat. Insoweit bestehen Zweifel an der Schlüssigkeit des aktuellen Vortrags, er schlafe nur im Gebiet der Beigeladenen zu 1. gut und leide ausschließlich im Gebiet bzw. in der Notgruppe des Beigeladenen zu 2. an Schlafstörungen und Albträumen. Allerdings beseitigt dieser und ggf. anderer teilweise unstimmiger Vortrag nicht den - allem vorausliegenden - Aufklärungsmangel hinsichtlich seiner psychischen Verfassung und ggf. der dadurch ggf. gesteigerten Bedeutung seiner im Gebiet der Beigeladenen zu 1. aufhältigen Cousine. Unstimmigkeiten im Vortrag können im Übrigen auch Ausdruck und Folge einer psychischen Belastung des Antragstellers sein.
Dieser Aufklärungsmangel wurde nicht nach § 41 SGB X geheilt, da es sich nicht um einen reinen Verfahrensmangel handelt. Vielmehr hat sich dieser zu einer materiell-rechtlich bzw. fachlich nicht ausreichend tragfähigen Verteilungsentscheidung verdichtet. Aus dem gleichen Grund ist der Mangel auch nicht nach § 42 Satz 1 SGB X unbeachtlich.
3.
Der Antragsgegner muss sich nach der Systematik der §§ 42a ff. SGB VIII, die eine eigenständige verwaltungsgerichtliche Kontrolle der von der Beigeladenen zu 1. gemäß § 42a Abs. 2 Satz 2 SGB VIII getroffenen Anmeldeentscheidung nicht vorsieht, deren Fehlerhaftigkeit im Außenverhältnis zu dem Antragsteller zurechnen lassen. Daraus folgt, dass diese rechtsfehlerhafte Entscheidung auch seine Verteilungsentscheidung vom 14.08.2024 "infiziert" und diese dadurch gegenüber dem Antragsteller im rechtlichen Außenverhältnis rechtswidrig ist (vgl. VG Hannover, Beschl. v. 28.07.2023 - 3 B 3714/23, juris Rn. 35).
III.
Die Kostenentscheidung folgt hinsichtlich der Kostentragung der Beigeladenen zu 1. aus § 155 Abs. 4 VwGO. Hiernach können Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, diesem auferlegt werden. Dies gilt ausdrücklich auch für Beigeladene (§ 154 Abs. 3 VwGO). Die Versäumnisse der Beigeladenen zu 1. (s. oben) führen zur voraussichtlichen Rechtswidrigkeit des Bescheides des Antragsgegners vom 14.08.2024 und damit zum Erfolg des Antrags des Antragstellers. Dass der Antragsgegner, der einen eigenen Antragsabweisungsantrag gestellt hat, seine Kosten selbst trägt, ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Tragen der eigenen Kosten durch den Beigeladenen zu 2. folgt aus § 162 Abs. 3 VwGO. Demnach sind die außergerichtlichen Kosten eines Beigeladenen nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt. Nach dem Rechtsgedanken des § 154 Abs. 3 Halbsatz 1 VwGO entspricht dies in der Regel nur der Billigkeit, wenn der Beigeladene einen eigenen (Abweisungs-)Antrag stellt. Einen solchen hat der Beigeladene zu 2. vorliegend nicht gestellt. Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.