Landgericht Osnabrück
Urt. v. 09.10.1995, Az.: 9 O 181/95
Verhältnis von Wartepflicht eines Linksabbiegers und dem Vertrauensgrundsatz im Straßenverkehr
Bibliographie
- Gericht
- LG Osnabrück
- Datum
- 09.10.1995
- Aktenzeichen
- 9 O 181/95
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1995, 31919
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGOSNAB:1995:1009.9O181.95.0A
Rechtsgrundlagen
- § 7 Abs. 1 StVG
- § 3 PflVG
Tatbestand
Der Klägerin beansprucht Schadensersatz aufgrund eines Verkehrsunfalls vom 8.2.1995.
Der PKW der Klägerin und der bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversicherte PKW des Beklagten zu 1. stießen zum o.g. Zeitpunkt auf der Kreuzung Hannoversche Str./Am Huxmühlenbach in Osnabrück zusammen. Die Klägerin befand sich - aus Richtung Voxtrup kommend - im Linksabbiegen in die Straße Am Huxmühlenbach, während der Beklagte zu 1. die linke Geradeausfahrspur der Hannoverschen Str. in Richtung Voxtrup befuhr. Im Kreuzungsbereich, in der vom Beklagten zu 1. benutzten Fahrspur kam es zum Zusammenstoß beider PKW.
Am PKW der Klägerin entstand ein Schaden, der Reparaturkosten von 10.682,34 DM erforderte. Während der Reparaturzeit vom 8.2. bis 17.2.1995 nahm die Klägerin ein Mietfahrzeug in Anspruch, wodurch ihr - unter Ausschluß der Kosten für eine Haftungsbeschränkung - Kosten in Höhe von 1.524,90 DM entstanden. Weiterhin wurden der Klägerin seitens der Reparaturwerkstatt Zinsen auf den Werklohn im zuerkannten Umfang in Rechnung gestellt.
Die Klägerin behauptet, der Beklagte zu 1. sei in die Kreuzung eingefahren als die Lichtzeichenanlage für ihn "rot" gezeigt habe, nachdem andere Fahrzeuge in derselben Fahrtrichtung bereits angehalten hätten.
Die Klägerin beantragt
nach Reduzierung ihres ursprünglichen Antrags um die Kosten der Haftungsbeschränkung für den Mietwagen,
wie erkannt.
Die Beklagten beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie behaupten, die Lichtzeichenanlage habe für den Beklagten zu 1. "grün" gezeigt.
Das Gericht hat Beweis erhoben zum Hergang des Unfalls durch Vernehmung der Zeugen ..., ... und ... Wegen des Beweisergebnisses wird auf die Sitzungsniederschrift vom 9.10.1995 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Dabei ist davon auszugehen, daß die Klägerin nur versehentlich die Reduzierung des Zinsanspruchs im Hinblick auf die reduzierten Mietwagenkosten unterlassen hat. Nach der Erörterung im Termin sollte nämlich der Aufwand für die Haftungsbeschränkung bei der Nutzung des Mietfahrzeugs insgesamt nicht mehr geltend gemacht werden.
Die Klägerin kann von den Beklagten vollen Schadensersatz aus den §§ 7 Abs. 1 StVG, § 3 PflVersG verlangen. Es kann dahinstehen, ob der Zusammenstoß für die Klägerin ein unabwendbares Ereignis im Sinne von § 7 Abs. 2 StVG war. Denn die Beklagten haften für den Schaden zu 100%, da die Betriebsgefahr des PKW der Klägerin wegen des groben Rotlichtverstoßes des Beklagten zu 1. vollständig zurücktritt.
Hier steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest, daß der Beklagte zu 1. in die Kreuzung einfuhr als die für ihn maßgebliche Lichtzeichenanlage bereits "rot" zeigte und das Fahrzeug des vor dem Beklagten zu 1. fahrenden Zeugen Greshake bereits vor der Haltelinie angehalten hatte. Der Beklagte zu 1. passierte das haltende Fahrzeug des Zeugen ... durch ein Ausscheren auf die linke Fahrspur. Dieser Sachverhalt steht aufgrund der völlig übereinstimmenden Aussagen der 3 unbeteiligten Zeugen ohne die Spur eines Zweifels fest.
Der Klägerin kann kein Fehlverhalten vorgeworfen werden, das ein Mitverschulden oder eine Erhöhung der Betriebsgefahr rechtfertigen könnte. Zwar hat der Beklagtenvertreter zu Recht darauf hingewiesen, daß die Wartepflicht des Linksabbiegers in der Rechtsprechung sehr weit gefaßt wird und u.U. auch gegenüber solchen Fahrzeugen besteht, die bei Beginn der Rotphase noch in die Kreuzung einfahren. Diese Erwägung kann jedoch in der hier gegebenen besonderen Situation nicht zum Tragen kommen. Sie beruht nämlich darauf, daß der Linksabbieger regelmäßig die Phase der für den Gegenverkehr maßgeblichen Lichtzeichenanlage nicht zu erkennen vermag. Die Klägerin konnte und durfte hier aber darauf vertrauen, daß der Beklagte zu 1. an der Ampel anhielt, da das Anhalten des PKW des Zeugen * ein sicheres Anzeichen für eine Sperrung der Kreuzung für den Gegenverkehr darstellte. Sie durfte diese Erwartung zur Grundlage seines Entschlusses machen, in die Kreuzung einzufahren. Dieses Recht folgt aus dem Vertrauensgrundsatz, wie er vom Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertreten wird. Der Bundesgerichtshof hat ausgeführt, der Teilnehmer am Straßenverkehr brauche sich nicht vorsorglich auf alle möglichen Verkehrswidrigkeiten anderer einzustellen, sondern dürfe, sofern nicht besondere Umstände dagegen sprechen, erwarten und sich darauf einrichten, daß andere Verkehrsteilnehmer die für sie geltenden Vorschriften beachten und nicht durch pflichtwidriges Verhalten den Verkehr gefährdeten, (so z.B.: BGH VersR 1965, 570 [BGH 09.03.1965 - VI ZR 218/63]).
Der Verkehrsverstoß war auch im vorliegenden Fall für den Unfall ursächlich. Denn der Zusammenstoß wäre vermieden worden, wenn der Beklagte zu 1. an der Ampel angehalten hätte.
Der Schaden der Klägerin ist im Umfang des reduzierten Klageantrages unstreitig. Das gilt auch für den Zinsschaden infolge der fehlenden Möglichkeit der Klägerin, die Reparaturkostenrechnung auszugleichen.
Hinsichtlich der Mietwagenkosten ergibt sich aus § 284 BGB der Anspruch auf den gesetzlichen Zinssatz von 4% gem. § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91, 92 Abs. II und 269 Abs. III ZPO. Die Zuvielforderung hinsichtlich der Haftungsbefreiung für das Mietfahrzeug war verhältnismäßig gering und hat insbesondere keinen Kostensprung verursacht.