Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 05.12.1996, Az.: V 162/95
Ausübung einer Tätigkeit als entscheidendes Merkmal der Unternehmerdefinition; Vorbereitungshandlungen für noch zu verwirklichende Umsatztätigkeit als unternehmerischer Tätigkeit
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 05.12.1996
- Aktenzeichen
- V 162/95
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1996, 18710
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1996:1205.V162.95.0A
Rechtsgrundlagen
- § 2 Abs. 1 S. 1 u. 3 UStG
- § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG
- § 9 Abs. 1 UStG
Fundstelle
- DStRE 1997, 562-564 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Vorbereitungshandlungen als unternehmerische Betätigung
Umsatzsteuer 1990
In dem Rechtsstreit
hat der V. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
ohne mündliche Verhandlung
in der Sitzung vom 5. Dezember 1996,
an der mitgewirkt haben:
Vizepräsidentin des Finanzgerichts ... als Vorsitzende
Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
ehrenamtlicher Richter ... Bauingenieur
ehrenamtlicher Richter ... Land- und Forstwirt
für Recht erkannt:
Tenor:
Unter Abänderung des Einspruchsbescheids vom 11. Januar 1995 wird die Umsatzsteuer auf minus 7.666,46 DM festgesetzt.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der zu erstattenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit leistet.
Der Streitwert wird auf 13.899,00 DM festgesetzt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin meldete zum Februar 1990 bei der Samtgemeinde O. einen Gewerbebetrieb "Verkauf und Reparatur von Kraftfahrzeugen" an. Sie erwarb mit notariell beurkundeten Vertrag vom 9. Februar 1990 von der Stadt C. das unbebaute Grundstück S. in C. Dieses Grundstück sollte die Betriebsstätte für die angemeldete Tätigkeit darstellen. Das Grundstück ging unmittelbar nach Vertragsschluß in den Besitz der Klägerin über.
Bereits in 1989 hatte sich die Klägerin bei der O. AG um einen O. Händlervertrag beworben. Die O. AG stellte der Klägerin mit Schreiben vom 14. April 1989 den Abschluß eines solchen Vertrages unter bestimmten Voraussetzungen in Aussicht.
Die Klägerin erteilte im April 1990 dem Bauunternehmen B. GmbH den Auftrag zur Errichtung einer Kraftfahrzeugwerkstatt auf dem erworbenen Grundstück. Die Erdarbeiten begannen noch im April 1990. Bis Mitte Mai 1990 waren die Erdarbeiten fertiggestellt, die Fundamente erstellt und die Sohle teilfertiggestellt. Hierdurch waren Zahlungen in Höhe von 173.655,50 DM fällig.
Gegenüber dem in der Planungsphase angenommenen Gesamtvolumen der Baumaßnahmen in Höhe von 1.400.000,00 DM ergab sich aufgrund eines Gespräches der Klägerin und ihres Architekten mit der in die Finanzierung eingeschalteten Volksbank ..., daß sich die Gesamtkosten voraussichtlich um 230.000,00 DM erhöhen würden. Die Volksbank war nicht bereit, diese Mehrkosten zu finanzieren. Sie wies die Klägerin darauf hin, daß sie Gelder aus öffentlichen Finanzierungshilfen, die der Klägerin zugesagt waren, so lange nicht werde auszahlen dürfen, als die Finanzierung der Mehrkosten nicht gesichert sei. Der Klägerin waren entsprechend der ursprünglichen Finanzierungsplanung 300.000,00 DM an Landesdarlehen, 300.000,00 DM an ERP-Darlehen und 350.000,00 DM an Eigenkapitalhilfedarlehen zugesagt worden. Auf das Schreiben der Volksbank ... an die Klägerin vom 11.04.1990 (Bl. 56 Gerichtsakte) wird verwiesen.
Mit Schreiben vom 19. Juni 1990 widerrief die Deutsche Ausgleichsbank gegenüber der Klägerin ihre Zusage auf ein Darlehen aus dem Eigenkapitalhilfeprogramm. Die Begründung für den Widerruf lag in der außerplanmäßigen Erhöhung des Finanzierungsvolumens.
Aufgrund der unklaren Finanzierungssituation stellte die B. GmbH am 22. Mai 1990 die Bauarbeiten auf dem Betriebsgrundstück ein.
Die Klägerin sah sich fortan nicht mehr in der Lage, das Grundstück vollständig zu errichten und den Geschäftsbetrieb aufzunehmen. Sie trat in Verhandlungen mit der O. D. GmbH & Co. KG, die bereit war, das Grundstück zu übernehmen. Durch Vergleich vom 22. November 1990 verpflichtete sich die Klägerin, an die B. GmbH auf den geleisteten Werklohn insgesamt 100.000,00 DM zu zahlen und die bereits errichteten Baulichkeiten auf die O. D. GmbH & Co. KG zu einem Kaufpreis (brutto) von 50.000,00 DM zu übertragen. Außerdem verpflichtete sich die Klägerin, das Grundstück an die O. D. GmbH & Co. KG zu veräußern. Dies geschah durch notariell beurkundeten Vertrag vom 21. Dezember 1990 zu einem Kaufpreis von 61.905,00 DM.
Die Klägerin gab beim Beklagten eine Umsatzsteuerjahreserklärung für 1990 ab, in der sie als steuerpflichtige Umsätze die Veräußerung der Baulichkeiten mit einer Bemessungsgrundlage von 43.859,00 DM erklärte und andererseits abziehbare Vorsteuerbeträge im Umfang von 13.900,11 DM geltend machte. Die Vorsteuerbeträge resultieren aus Rechnungen für Notar- und Steuerberatungskosten, insbesondere aber aus den Abrechnungen der Baufirmen. Sie errechnete sich einen Erstattungsbetrag von 7.759,90 DM.
In seiner Steuerfestsetzung berücksichtigte der Beklagte lediglich abziehbare Vorsteuerbeträge in Höhe von 95,20 DM und setzte die Umsatzsteuer mit Steuerbescheid vom 15. Juli 1992 auf 6.045,00 DM fest. Zur Begründung führte er an, daß Vorsteuern, die in Zusammenhang mit dem Erwerb bzw. der Betreuung des Grundstücks entstanden seien, nicht abzugsfähig seien, weil das Grundstück steuerfrei verkauft worden sei.
Der hiergegen eingelegte Einspruch der Klägerin blieb erfolglos. Mit Einspruchsbescheid vom 11. Januar 1995 setzte der Beklagte die Umsatzsteuer (erhöht) auf 6.140,35 DM fest. Zur Begründung führte er an, daß die Klägerin keine Unternehmereigenschaft erlangt habe. Sie habe nicht nachhaltig Leistungen gegen Entgelt ausgeführt. Mithin stehe ihr kein Vorsteuerabzug zu. Sie schulde jedoch die Steuer, die sie der Firma O. D. GmbH & Co. KG in der Rechnung vom 27. Dezember 1990 offen ausgewiesen habe.
Ihre Klage begründet die Klägerin im wesentlichen wie folgt: Sie sei zur Gründung eines Unternehmens tätig geworden und habe umfangreiche Vorbereitungshandlungen getroffen. Dies sei objektiv nachweisbar. Der Begriff des Unternehmers fordere nach § 2 Abs. 1 Satz 3 Umsatzsteuergesetz (UStG) eine Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen. Dazu gehörten auch schon Vorbereitungshandlungen, wie sie von der Klägerin ausgeführt worden seien. Unter Beachtung der Rechtsgrundsätze, die der EuGH im Urteil vom 29.02.1996 (Rs. C 110/94) aufgestellt habe, sei sie Unternehmerin. Sie habe deshalb auch das Recht zum Vorsteuerabzug sowie die Berechtigung, an die Firma O. D. Umsatzsteuer für die weitergelieferte Baumaßnahme auszuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Umsatzsteuer auf minus 7.759,90 DM herabzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält daran fest, daß eine Unternehmereigenschaft nicht begründet werde, wenn es nach den Vorbereitungshandlungen nicht oder nicht nachhaltig zur Ausführung entgeltlicher Leistungen komme.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung vor dem Senat verzichtet.
Dem Gericht haben die für die Klägerin beim Beklagten geführten Steuerakten (Steuernummer: ...) vorgelegen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist überwiegend begründet.
Die Klägerin ist Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuerrechts. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG ist Unternehmer, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Gewerblich oder beruflich ist jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt (§ 2 Abs. 1 Satz 3 UStG). Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs kommt als Unternehmer nur derjenige in Betracht, der Leistungen gegen Entgelt i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG erbringt (vgl. BFH-Urteil vom 6. Mai 1993 V R 45/88, BStBl II 1993, 564 mit weiteren Nachweisen). Dieser Rechtsauffassung folgt der Senat nicht. Entscheidend für die Definition des Unternehmers ist nicht die Erbringung tatsächlicher Umsätze, sondern die Ausübung einer Tätigkeit. Nach dem EuGH-Urteil vom 29.02.1996, Rs. C - 110/94, DStR 1996, 419 können Investitionsausgaben, die für die Zwecke eines Unternehmens oder zu dessen Verwirklichung getätigt werden, als wirtschaftliche Tätigkeiten im Sinne von Art. 4 der 6. EG-Richtlinie angesehen werden. Hieraus folgt, daß Vorbereitungshandlungen bereits eine unternehmerische Betätigung darstellen, wenn diese Vorbereitungshandlungen ernsthaft auf eine noch zu verwirklichende Umsatztätigkeit abzielen. Dies gilt auch dann, wenn die beabsichtigte Umsatztätigkeit nicht verwirklicht wird.
Im Streitfall war die Klägerin von Beginn an darum bemüht, das von ihr bereits angemeldete Gewerbe "Verkauf und Reparatur von Kraftfahrzeugen" zu verwirklichen. Verdeutlicht wird dies dadurch, daß sie ein entsprechendes Betriebsgrundstück erwarb, den Auftrag zur Errichtung der Kraftfahrzeugwerkstatt erteilte, sich um einen Händlervertrag mit der O. AG bemühte und gemäß der ursprünglichen Planung sich um Mittel staatlicher Finanzierungsprogramme bemühte. Damit sind die tatsächlich in Gang gesetzten Vorbereitungshandlungen, insbesondere die Beauftragung der B. GmbH zur Erstellung des Werkstattgebäudes als Ausübung wirtschaftlicher Tätigkeit anzusehen. Die Klägerin ist deshalb für das Streitjahr Unternehmer des Umsatzsteuerrechts
Die Veräußerung des Betriebsgrundstücks an die O. D. GmbH & Co. KG ist als steuerbare Lieferung gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 UStG anzusehen. Diese Lieferung ist zwar nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG von der Umsatzsteuer befreit. Der Klägerin stand nach § 9 Abs. 1 UStG jedoch das Recht zu, diesen Umsatz als steuerpflichtig zu behandeln, weil die Lieferung an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt wurde. Der Verzicht auf die Steuerbefreiung bei der Veräußerung eines Grundstücks kann dabei auf einen abgrenzbaren Teil beschränkt werden (vgl. BFH-Urteil vom 26. Juni 1996 XI R 43/90, DStR 1996, 1479). Deshalb war es für die Klägerin möglich, die Veräußerung des Grund und Bodens steuerfrei zu gestalten und hinsichtlich der bereits errichteten Baulichkeiten (Erdarbeiten, Fundamente und Sohlenplatte) zur Steuerpflicht zu optieren.
Da die Klägerin die ihr von der Firma B. GmbH erbrachten Bauleistungen im Ergebnis an die O. D. GmbH & Co. KG steuerpflichtig weiterlieferte, ist die Klägerin hinsichtlich der bezogenen Bauleistungen nicht vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG). Der Vorsteuerabzugsausschluß nach dieser Norm trifft die Klägerin nur insoweit, als sie Vorsteuerbeträge aus Notarleistungen bezüglich des Grundstückskaufs im Umfang von 83,44 DM mit ihrem Klagantrag geltend gemacht hat. In diesem Umfang kann die Klage deshalb keinen Erfolg haben.
Die Umsatzsteuer war danach wie folgt festzusetzen:
Umsatzsteuer lt. Klagantrag | minus 7.759,90 DM |
---|---|
abzüglich Vorsteuern Notar | 83,44 DM |
Umsatzsteuer lt. Urteil | minus 7.666,46 DM. |
Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO.
Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozeßordnung (ZPO).
Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert wird auf 13.899,00 DM festgesetzt.
Die Streitwertfestsetzung ergeht gemäß §§ 13, 25 Gerichtskostengesetz.