Landgericht Hannover
Urt. v. 09.01.2024, Az.: 9 O 49/23

Abrechnung eines Verkehrsunfalls auf Totalschadensbasis

Bibliographie

Gericht
LG Hannover
Datum
09.01.2024
Aktenzeichen
9 O 49/23
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 11812
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHANNO:2024:0109.9O49.23.00

In dem Rechtsstreit
XXX
hat das Landgericht Hannover - 9. Zivilkammer - durch den XXX als Einzelrichter auf die mündliche Verhandlung vom 28.11.2023 für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 10.293,88 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 27.2.2023 sowie außergerichtliche Anwaltskosten von 250,61 € zu zahlen.

  2. 2.

    Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

  3. 3.

    Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

  4. 4.

    Der Streitwert wird auf 10.293,88 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die zutreffende Abrechnung eines Verkehrsunfalls auf Totalschadensbasis, wobei die Einstandspflicht der Beklagten für die Unfallschäden zwischen den Parteien außer Streit ist.

Am 15.12.2022 kam es zwischen dem Fahrzeug des Klägers, einem Mercedes-Benz CLS mit dem amtlichen Kennzeichen XXX und dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen XXX zu einem Verkehrsunfall. Der Kläger beauftragte den Privatsachverständigen XXX mit der Erstellung eines Gutachtens. In dem Sachverständigengutachten von 6.1.2023 stellte der Sachverständige einen Totalschaden fest und ermittelte den hier streitigen Restwert mit 16.100,00 €. Mit Schreiben vom 16.1.2023 übersandte die Beklagte dem Prozessbevollmächtigten des Klägers ein Restwertangebot der Firma Automobile XXX zu 25.680,00 €. Der Kläger lehnte das Angebot ab und legte der Beklagten einen Kaufvertrag vom 8.11.2023 über 16.000,00 € vor. Zuvor hatte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 15.12.2022 (Anlage B 2) in dem auf drei Seiten verschiedene Hinweise bzgl. der Abrechnung eines Verkehrsunfalls aufgeführt sind u.a. auch auf folgendes hingewiesen:

"Sollte ein Totalschaden vorliegen beachten Sie bitte:

Verkaufen Sie Ihr beschädigtes Fahrzeug bitte nicht sofort zu dem im Gutachten angegebenen Restwert. Wir können Ihnen sicher ein besseres Angebot vermitteln. Bitte warten Sie unsere Nachricht ab, damit Ihnen keine Nachteile entstehen (vgl. BGH vom 27.9.2016, AZ VI ZR 673/15)..."

Mit Abrechnungsschreiben vom 27.2.2023 akzeptierte die Beklagte den vom Sachverständigen ermittelten Restwert nicht, sondern rechnet des Schaden hinsichtlich des Restwertes mit 25.680,00 € (9.590,00 € Differenz) ab. Darüber hinaus wurden die Sachverständigenkosten von 3.211,69 € nur in Höhe von 2.497,81 € erstattet, so dass sich eine weitere Differenz von 713,88 € ergibt.

Im Rahmen des Rechtsstreits hat die Beklagte zunächst vorgetragen, dass der Kläger bzgl. des Sachverständigenhonorars nicht aktivlegitimiert sei, da die Ansprüche an den Sachverständigen abgetreten waren. Mit Schriftsatz vom 28.9.2023 hat der Kläger eine Rückabtretung der Sachverständigenkosten vorgelegt (Anlage K 10) und ausgeführt, dass der Betrag von 713,88 € von dem Kläger bezahlt worden sei. Mit der Klage werden neben beiden hier streitigen Beträgen, auch die entsprechenden außergerichtlichen Restanwaltskosten hinsichtlich dieser Mehrbeträge in Höhe von 250,61 € geltend gemacht.

Der Kläger behauptet, dass er sein Fahrzeug am 8.1.2023 für 16.000,00 € an den Zeugen XXX verkauft habe. Er ist der Ansicht, dass er nicht verpflichtet gewesen sei, ein besseres Angebot der Beklagten abzuwarten. Vielmehr sei er berechtigt gewesen, gleich nach Vorlage des Sachverständigengutachtens den Wagen zu veräußern.

Der Kläger beantragt,

wie erkannt.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie behauptet, dass der von dem Kläger vorgelegte Kaufvertrag nur zum Schein abgeschlossen worden sei oder jedenfalls zu einem höheren Kaufpreis. Dies ergebe sich aus der erheblichen Differenz zwischen dem vom Sachverständigen ermittelten Wert und dem von ihr eingeholten Restwertangebot. Sie ist der Ansicht, dass der Kläger bei Zugrundelegung des Kaufvertrages gegen seine Schadensminderungspflicht verstoßen habe, da er unmittelbar nach Vorlage des Gutachtens den Wagen verkauft haben will. Der Kläger sei in dem Schreiben vom 15.12. 2022 darauf hingewiesen worden, dass er ein Restwertangebot abwarten sollte. Hierzu sei er im Rahmen der Schadensminderungspflicht auch verpflichtet.

Das Gericht hat über die Umstände des Verkaufs des PKWs Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen XXX. Darüber hinaus wurde der Kläger informatorisch angehört. Insoweit wird auf das Protokoll vom 28.11.2023 verwiesen.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

I. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Abrechnung des Verkehrsunfalls hinsichtlich des Restwertes in Höhe des vom Privatsachverständigen ermittelten Restwert in Höhe von 16.100,00 € zu.

1. Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass der Kläger sein Fahrzeug zu einem Kaufpreis von 16.000,00 € an den Zeugen XXX veräußert hat. Der Kläger hat nachvollziehbar und plausibel geschildert, dass er schon kurz nach dem Verkehrsunfall von mehreren Interessenten auf den Verkauf des Wagens angesprochen worden sei, dies aber erst nach Vorlage des vom Gutachter ermittelten Restwertes beabsichtigt hatte, da ihm gesagt worden sei, dass er zunächst das Gutachten abwarten müsse. Dass der Kläger hierbei von ihm bisher nur flüchtig bekannten Personen angerufen wurde, die den Wagen kaufen wollten, hat er ebenfalls nachvollziehbar geschildert, zumal der hier streitgegenständliche Wagen in XXX als Liebhaberobjekt einen größeren Interessentenkreis angesprochen haben wird. Die Aussage des Klägers ist schließlich auch von dem Zeugen XXX bestätigt worden. Der Zeuge hat den Kaufvertrag und seine Umstände detailreich und plausibel geschildert. Er hat die Motive für den Kauf, die Barzahlung und den Umstand, dass der Wagen letztlich nicht den erwarteten Mehrwert für ihn brachte, überzeugend dargelegt, so dass die Kammer von der Richtigkeit seiner Aussage überzeugt ist.

2. Der Kläger war im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht nicht verpflichtet, zunächst ein Restwertangebot der Beklagten abzuwarten. Hierbei verkennt die Kammer nicht, dass der Kläger durch den sofortigen Verkauf nach Vorlage des Gutachtens der Beklagten keine Möglichkeit gegeben hat, einen höheren Verkaufspreis für die Abrechnung zu erzielen und hierbei ihre Schadenszahlung insgesamt zu verringern. Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 30.11.1999 (BGH, Urteil vom 30.11.1999 -VI ZR 219/98 -) ausgeführt, dass bei einem Totalschaden die Ersatzbeschaffung als Variante der Naturalrestitution unter dem Gebot der Wirtschaftlichkeit steht. Diesem Gebot genügt der Geschädigte, wenn er das Unfallfahrzeug auf der Grundlage eines von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens und des darin ausgewiesenen Restwerts verkauft. Ausnahmen hiervon seinen in engen Grenzen unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungsverpflichtung gemäß § 254 Abs. 2 BGB gegeben, so zum einen, wenn der Geschädigte ohne größere Anstrengung einen tatsächlich höheren Preis erzielen kann. Bei einem Restwertangebot der Versicherung sei dies nur gegeben, wenn ein bindendes Angebot vorliegt und der Unfallwagen beim Geschädigten abgeholt wird. Die Frage, ob der Geschädigte ein Angebot der Versicherung nach Vorlage des Sachverständigengutachtens noch abwarten muss, hat der Bundesgerichtshof in dieser Entscheidung nicht erörtert.

Ob und welche Frist der Versicherung für die Vorlage eines Restwertangebotes neben dem Sachverständigengutachten einzuräumen ist, ist nach Ansicht der Kammer davon abhängig, ob der Geschädigte mit dem Abwarten keine wirtschaftlichen Einbußen befürchten muss. Nur in diesem Fall, kann ihm ein abwarten im Rahmen der Schadensminderungspflicht zugemutet werden. Es ist nämlich zum Zeitpunkt des Verkaufs des Wagens in der Regel nicht von vornherein klar, dass die Versicherung auch tatsächlich ein höheres Restwertangebot anbieten wird. Insoweit kann im Rahmen der Schadensminderungspflicht ein Abwarten des Verkaufs zu dem vom Sachverständigen ermittelten Wert nur dann verlangt werden, wenn dem Geschädigten keine weiteren Schäden drohen, die er eventuell nicht erstattet bekommt. Hierzu zählt bei einem späteren Verkauf z.B. die Erstattung von Mietwagenkosten oder die Bezahlung einer Nutzungsentschädigung für Zeitraum, den die Versicherung für die Prüfung eines höheren Restwertangebots braucht, da ein neues Fahrzeug mit dem Kauferlös finanziert werden soll. Da die Versicherung in ihrem allgemeinen Schreiben sich aber nicht bereit erklärt hatte, entsprechende weitergehende Schäden des Geschädigten bei einem Abwarten zu übernehmen, stellt sich für den Geschädigten die Situation, entweder beim Abwarten auf ein höheres Restwertangebot dem Vorwurf eines nicht zügig genug vorgenommen Verkaufs ausgesetzt zu sein, oder aber wie hier nachträglich mit einem höheren Restwertangebot konfrontiert zu werden. Dies zeigt, dass ohne eine verbindliche Erklärung der Versicherung, in welcher Zeitspanne nach Vorlage des Gutachtens auf Kosten der Versicherung mit der Veräußerung gewartet werden darf und soll, keine Verletzung der Schadensminderungspflicht des Geschädigten angenommen werden kann.

II. Darüber hinaus steht dem Kläger ein Anspruch auf Erstattung der weiteren Sachverständigenkosten zu. Die Beklagte hat nach Vorlage der Rückabtretungserklärung den Anspruch nicht weiter in Abrede genommen.

III. Schließlich steht dem Kläger ein Anspruch hinsichtlich der außergerichtlichen Restanwaltskosten zu. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers konnte seine außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten hinsichtlich eines Gesamtstreitwertes in Höhe von 32.834,01 € abrechnen, so dass sich ein weiterer Anspruch in Höhe von 250,61 € ergibt.

Die weiteren Nebenentscheidungen folgen aus §§ 286, 288 BGB sowie §§ 91, 709 ZPO.

Arend