Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 11.03.2024, Az.: 1 ORs 3/24

Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch im Falle der Strafbarkeit wegen gewerbsmäßigen Betruges

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
11.03.2024
Aktenzeichen
1 ORs 3/24
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 15868
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2024:0311.1ORS3.24.00

Verfahrensgang

vorgehend
LG Braunschweig - 27.10.2023 - AZ: 15 NBs 306 Js 52820/22 (219/23)

Amtlicher Leitsatz

Tatsachen, die sich auf die gewerbsmäßige Begehung als Regelbeispiel i. S. d. § 263 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 Var. 1 StGB beziehen, betreffen allein den Rechtsfolgenausspruch; im Falle einer wirksamen Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch muss das Berufungsgericht daher Feststellungen zur Gewerbsmäßigkeit treffen.

In der Strafsache
gegen
X,
geboren am ... in ...,
wohnhaft ...,
- Verteidiger:
Rechtsanwalt Dr. B -
wegen Betruges
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig
am 11. März 2024 beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 27. Oktober 2023 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Braunschweig zurückverwiesen.

Gründe

I.

Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Braunschweig vom 13. Juni 2023 wegen Betruges in 6 Fällen mit einer Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Monaten belegt worden. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts bot der Angeklagte in der Zeit vom 9. Juni 2022 bis zum 3. Juli 2022 bei eBay mehrere Waren (Diaprojektor, Fleecejacke etc.) zum Kauf an. Obgleich er über diese Gegenstände nicht verfügt habe und von Anfang an nicht geplant habe, den Käufern das Eigentum an den Waren zu verschaffen, habe er sich jeweils den Preis für die angebotenen Waren auf sein Konto überweisen lassen. Bei allen Taten habe er in der Absicht gehandelt, sich eine Einnahmequelle von gewisser Dauer zu verschaffen und hiervon seine Spielsucht zu finanzieren. Aus den vom Amtsgericht im Einzelnen in den Urteilsgründe dargestellten Taten errechnet sich ein den Käufern entstandener Gesamtschaden von 315,95 €, der sich aus Einzelbeträgen von 40,95 € (Tat Nr. 1), 38,- € (Tat Nr. 2), 35,- € (Tat Nr. 3), 35,- € (Tat Nr. 4), 135,- € (Tat Nr. 5) und 32,- € (Tat Nr. 6) errechnet.

Das Landgericht Braunschweig hat die Berufung des Angeklagten mit dem angefochtenen Urteil vom 27. Oktober 2023 verworfen. Zuvor hatte der Angeklagte das Rechtsmittel in der Berufungshauptverhandlung vom selben Tag mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.

In den Gründen des angefochtenen Urteils hat die Strafkammer ausgeführt:

"Aufgrund der wirksamen Beschränkung der Berufung auf den Straffolgenausspruch ist der Schuldspruch wegen Betruges in einem besonders schweren Fall in 6 Fällen gemäß § 263 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, § 53 StGB in Rechtskraft erwachsen."

Danach ist die Kammer im Rahmen der konkreten Strafzumessung von dem durch § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB vorgegeben Strafrahmen ausgegangen. Im Rahmen der Strafzumessung hat sie neben dem vollumfänglichen Geständnis und den geringen Schadensbeträgen den Umstand, dass der Angeklagte einen Betrag von 320,- € zur Schadenswiedergutmachung mitgebracht und an seinen Verteidiger zur Einzahlung bei der Zahlstelle des Amtsgerichts übergeben hat, strafmildernd berücksichtigt. Die Übergabe dieses Betrages sei "am Rande der erstinstanzlichen Hauptverhandlung" erfolgt.

Der Angeklagte hat gegen das Urteil durch - über das besondere elektronische Anwaltspostfach versandten und am 3. November 2023 beim Landgericht eingegangenen - Schriftsatz seines Verteidigers Revision eingelegt und diese nach Zustellung des Urteils am 9. November 2023 mit einem weiterem - ebenfalls über das besondere elektronische Anwaltspostfach versandten - Verteidigerschriftsatz am 6. Dezember 2023 (Eingang bei Gericht) mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet. Er hat beantragt, das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer zurückzuüberweisen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 27. Oktober 2023 gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die Revision ist gemäß § 333 StPO statthaft und auch ansonsten zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Sie hat zudem mit der Sachrüge - zumindest vorläufig - Erfolg. Das angefochtene Urteil, das wegen der wirksamen Berufungsbeschränkung und der dadurch eingetretenen Rechtskraft des Schuldspruchs nur hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruches zu überprüfen war, ist aufzuheben, weil der Kammer sowohl beim Straf- als auch beim Einziehungsausspruch ein Fehler unterlaufen ist.

1.

Der Strafausspruch weist einen durchgreifenden Fehler auf, weil die Kammer in der Annahme einer Bindungswirkung des erstinstanzlichen Urteils keine eigenen Feststellungen zu den Voraussetzungen gewerbsmäßigen Handelns getroffen hat. Solche Feststellungen wären notwendig gewesen, weil das Urteil des Amtsgerichts insoweit nicht in Teilrechtskraft erwachsen ist. Ausweislich des angefochtenen Urteils ist die Berufungskammer demgegenüber davon ausgegangen, infolge der Berufungsbeschränkung sei auch die Feststellung bindend geworden, dass der Angeklagte bei allen 6 Taten in der Absicht gehandelt habe, sich aus der wiederholten Begehung von Betrugstaten eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer zu verschaffen.

Die Gewerbsmäßigkeit des Handelns betrifft, soweit sie - wie hier (§ 263 Abs. 3 Satz 2 Nr.1 StGB) - Bestandteil einer Strafzumessungsregel ist, allein den Rechtsfolgenausspruch. Das Merkmal hat keine Doppelrelevanz, sondern kann losgelöst vom Schuldspruch beurteilt werden (BGH, Beschluss vom 20. Juni 2017, 1 StR 458/16, juris, Rn. 15 ff. zu § 95 Abs.3 S. 2 Nr.2 AMG; OLG Braunschweig, Beschluss vom 4. Mai 2021, 1 Ss 2/21, juris, Rn. 10; OLG Celle, Beschluss vom 17. Mai 2019, 2 Ss 59/19, juris, Rn. 15). Die Ausführungen des Amtsgerichts sind lediglich bindend geworden, soweit sie den Schuldspruch des Betrugstatbestandes - einschließlich der von der Gewerbsmäßigkeit zu trennenden Bereicherungsabsicht - umschreiben. Die gewerbsmäßige Vorgehensweise wird hingegen durch ein zusätzliches subjektives Element außerhalb des Tatbestandes des § 263 Abs.1 StGB, nämlich die Absicht der Verschaffung einer dauerhaften Einnahmequelle durch wiederholte Tatbegehung, begründet (OLG Braunschweig, a.a.O.; OLG Köln, Beschluss vom 23. Mai 2003, Ss 202/03 - 108, juris, Rn. 12; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 6. November 2019, Rv 21 Ss 784/19, juris, Rn. 7; OLG Bamberg, Beschluss vom 6. März 2018, 3 OLG 130 Ss 19/18, juris, Rn. 3; OLG Saarbrücken, Urteil vom 16. Juli 2018, Ss 44/2018, juris, Rn. 20 f.). Dementsprechend sind bei einer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufung zur Frage der Gewerbsmäßigkeit eigene Feststellungen zu treffen (OLG Braunschweig, a.a.O.; OLG Celle, a.a.O.; KG Berlin, Beschluss vom 9. April 2020, (5) 121 Ss 1/20, juris, Rn. 22 ff.). Daran fehlt es.

2.

Ein weiterer durchgreifender Fehler liegt bei der getroffenen Einziehungsentscheidung, die ebenfalls ein Teil des Rechtsfolgenausspruchs ist (OLG Braunschweig, Beschluss vom 4. Mai 2021, 1 Ss 2/21, juris, Rn. 8; OLG Köln, Beschluss vom 30.10.2018, III 1 RVs 214/18, juris, Rn. 12; OLG Bremen, Beschluss vom 05.06.2018, 1 Ss 28/18, juris, Rn. 17), vor. Zwar ist der Kammer im Grundsatz zuzustimmen, dass wegen des entstandenen Gesamtschadens von 315,95 € gemäß § 73c StGB die Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen in dieser Höhe geboten ist. Dem Landgericht ist jedoch ein Darlegungsfehler unterlaufen, weil der Senat ein Erlöschen der Ansprüche der Verletzten gemäß § 73e Abs. 1 Satz 1 StGB nicht sicher ausschließen kann. Denn angesichts der getroffenen Feststellungen bleibt unklar, wie der Verteidiger mit dem ihm "am Rande der erstinstanzlichen Hauptverhandlung" zur Einzahlung beim Amtsgericht übergebenen Betrag von 320,- € verfahren ist. Hätte er den Betrag hinterlegt und lägen die Voraussetzungen der §§ 378, 376 Abs. 2 BGB vor, wäre der Angeklagte von seiner Schuld befreit, so dass die Einziehung des Wertes des Erlangten nicht hätte erfolgen dürfen.

3.

Aufgrund der dargelegten Rechtsfehler ist für eine eigene Entscheidung des Senats kein Raum (zum Erfordernis der Zurückverweisung bei etwa unzutreffendem Strafrahmen: BGH, Beschluss vom 4. Februar 2010, 4 StR 585/09, juris, Rn. 3; OLG Hamm, Beschluss vom 04.11.2014, III-4 RVs 128/14, juris, Rn. 13, 15) und das Urteil (§ 353 Abs. 1 StPO) daher mit den Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO) aufzuheben. Die Sache ist insoweit gemäß § 354 Abs. 2 StPO an eine andere Kammer des Landgerichts, die ausschließlich über den Rechtsfolgenausspruch zu entscheiden haben wird, zurückzuverweisen.

III.

Die Entscheidung über die Kosten der Revision ist dem Landgericht vorzubehalten, weil der endgültige Erfolg des Rechtsmittels derzeit nicht absehbar ist.

IV.

Die nunmehr zur Entscheidung berufene Kammer wird eigene Feststellungen zur Gewerbsmäßigkeit zu treffen haben. Sollte sie ein gewerbsmäßiges Handeln im Sinne des § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB feststellen, wird sie das Folgende in den Blick nehmen müssen:

Es bedarf zwar regelmäßig keiner zusätzlichen Prüfung, ob die Anwendung des erhöhten Strafrahmens im Vergleich zu den im Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle geboten erscheint (BGH, Urteil vom 31. März 2004, Az. 2 StR 482/03, zit. nach juris, Rn. 15, 16). Nähert sich die Schadenshöhe indes, wie bei den Taten Nr. 1 bis Nr. 4 und Nr. 6, der Geringwertigkeitsgrenze an, innerhalb derer ein besonders schwerer Fall kraft Gesetzes ausgeschlossen ist (§§ 263 Abs. 4, 243 Abs. 2 StGB), und sprechen weitere gewichtige Umstände (hier die Wiedergutmachung des Schadens und das Geständnis) für den Täter, ist eine sorgsame Prüfung des Strafrahmens geboten (KG Berlin, Beschluss vom 13. Januar 2010, (1) 1 Ss 465/09, juris, Rn. 5).

Erscheint eine solche umfassende Prüfung des Strafrahmens bereits aus diesem Grund bei den genannten Taten geboten, kommt noch hinzu, dass die Entscheidung des Bundesgerichtshofs, mit der die Geringwertigkeitsgrenze auf 25,- € festgesetzt wurde (BGH, Beschluss vom 9. Juli 2004, 2 StR 176/04, juris, Rn. 3, 6), knapp 20 Jahre zurückliegt und eine erstinstanzliche Entscheidung aus dem Jahr 2003 betraf. Der seither eingetretene Kaufkraftverlust gebietet es aus Sicht des Senats, die Geringwertigkeitsgrenze - wenngleich maßvoll (dazu: Fischer, StGB, 71. Aufl., § 248a Rn. 3a) - anzuheben (so auch KG Berlin, Beschluss vom 8. Januar 2015, (4) 121 Ss 211/14 (276/14), juris, Rn. 25). Sie dürfte daher aktuell bei 40,- € liegen und jedenfalls bei den im Jahr 2022 begangenen Taten Nr. 3, Nr. 4 und Nr. 6 schon kraft Gesetzes einem besonders schweren Fall entgegenstehen.