Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 04.05.2021, Az.: 1 Ss 2/21

Feststellungen des Berufungsgerichts (hier zur Gewerbsmäßigkeit eines Betrugs) auch bei Beschränkung der Berufung auf Strafausspruch; Kein Recht zur Änderung der Tatzeit bei Berufungsbeschränkung auf Rechtsfolge

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
04.05.2021
Aktenzeichen
1 Ss 2/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 26024
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2021:0504.1SS2.21.00

Verfahrensgang

vorgehend
AG Göttingen - 16.10.2020 - AZ: 4 Ns 35/20

Fundstelle

  • NStZ 2022, 128

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Tatsachen, die sich auf die gewerbsmäßige Begehung als Regelbeispiel i. S. d. § 263 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 Var. 1 StGB beziehen, betreffen allein den Strafausspruch; ist der Schuldspruch infolge einer wirksamen Beschränkung in Rechtskraft erwachsen, muss das Berufungsgericht zur Gewerbsmäßigkeit dennoch Feststellungen treffen.

  2. 2.

    Feststellungen zur Tatzeit beziehen sich hingegen auf den Schuldspruch; dem Berufungsgericht ist die Änderung der Tatzeit daher nicht gestattet, wenn das Rechtsmittel wirksam auf den Strafausspruch beschränkt wurde.

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 16. Oktober 2020 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Soweit die Kammer das Urteil des Amtsgerichts Göttingen vom 28. Mai 2020 klarstellend dahin berichtigt hat, dass der Gesamtschaden, den das Amtsgericht mit 8.390,24 € angegeben hatte, tatsächlich 12.303,15 € beträgt (Seite 3 der Gründe des Kammerurteils), haben die Feststellungen jedoch Bestand.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Göttingen zurückverwiesen.

Gründe

I.

Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Göttingen vom 28. Mai 2020 wegen Betruges in 64 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 8 Monaten verurteilt worden. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts bot der Angeklagte in der Zeit vom 16. April 2018 bis zum 16. August 2019 bei eBay Produkte (Staubsauger und eBook-Reader) an. Obgleich er von Anfang an nicht geplant habe, den Käufern das Eigentum an der Ware zu verschaffen, habe er sich von den Käufern den Preis für die angebotenen Waren auf eines seiner Konten überweisen lassen. Bei allen Taten habe er in der Absicht gehandelt, sich in Höhe der gezahlten Kaufpreise zu bereichern. Er habe die Waren nie selbst geliefert. In einer Vielzahl von Fällen habe er allerdings später ohne Wissen der Käufer die ihm von diesen übermittelten Daten genutzt, um die Waren direkt bei verschiedenen Unternehmen (V, T, G, H oder L) unter deren Namen zu bestellen und von dort aus an diese versenden zu lassen.

Aus den vom Amtsgericht im Einzelnen auf Seiten 4 bis 13 der Urteilsgründe aufgeführten Taten errechnet sich ein Gesamtschaden von 12.303,15 €. Dieser Betrag entspricht - abgerundet auf 12.303,- € - auch dem Betrag, in dessen Höhe das Amtsgericht die Einziehung angeordnet hat. Auf Seite 3 seines Urteils hat das Amtsgericht demgegenüber allerdings ausgeführt, der Angeklagte habe sich in Höhe von 8.390,24 € bereichern wollen.

Das Landgericht Göttingen hat die Berufung des Angeklagten mit dem angefochtenen Urteil vom 16. Oktober 2020 verworfen. Zuvor hatte der Angeklagte das Rechtsmittel in der Berufungshauptverhandlung vom selben Tag mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Aus dem Hauptverhandlungsprotokoll ergibt sich, dass der Angeklagte mit der Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch das Ziel einer Strafaussetzung zur Bewährung verfolgt hat. Der Angeklagte hat daher am 16. Oktober 2020 bei der Kammer beantragt, ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren zu verurteilen und deren Vollstreckung zur Bewährung auszusetzen.

In den Gründen des angefochtenen Urteils hat die Strafkammer trotz der Berufungsbeschränkung die Feststellungen zu der Tat Nr. 7 dahin geändert, dass die Tatzeit nicht der 16. April 2018 (so das Urteil des Amtsgerichts Göttingen vom 28. Mai 2020), sondern der 12. Juli 2018 sei. Ferner hat die Kammer klargestellt, dass der Gesamtschaden, den das Amtsgericht auf Seite 3 der Urteilsgründe mit 8.390,24 € angegeben hatte, tatsächlich 12.303,15 € betrage. Der Betrag von 8.390,24 € entspreche lediglich den insgesamt 51 Taten, die dem Angeklagten mit Anklageschrift vom 4. August 2019 vorgeworfen worden seien. Zudem hat die Berufungskammer ausgeführt:

"Infolge der Berufungsbeschränkung ist auch die Feststellung bindend, dass der Angeklagte bei allen 64 Taten, die er in einem Zeitraum von 16 Monaten begangen und durch die er über 12.300,00 € vereinnahmt hat, in der Absicht handelte, sich aus der wiederholten Begehung von Betrugstaten eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer zu verschaffen. Mithin hat er bei einer jeden Tat gewerbsmäßig gehandelt und hierdurch das Regelbeispiel eines besonders schweren Falles des Betruges i.S.d. § 263 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 StGB jeweils erfüllt."

Der Angeklagte hat gegen das Urteil vom 16. Oktober 2020 durch seinen Verteidiger am 22. Oktober 2020 Revision eingelegt und diese nach Zustellung des Urteils am 3. November 2020 mit weiterem Verteidigerschriftsatz vom 3. Dezember 2020 - beim Landgericht per Fax eingegangen am selben Tage - mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet. Er hat beantragt, das angefochtene Urteil, soweit es nicht durch die am 16. Oktober 2020 abgegebene Berufungsbeschränkung rechtskräftig geworden ist, mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Göttingen zurückzuverweisen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 16. Oktober 2020 auf die Revision des Angeklagten im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben und die Sache an eine andere Strafkammer des Landgericht Göttingen zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

II.

Die Revision ist gemäß § 333 StPO statthaft und auch ansonsten zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Sie hat in der Sache bereits mit der Sachrüge - zumindest vorläufig - Erfolg. Das angefochtene Urteil, das wegen der wirksamen Berufungsbeschränkung lediglich hinsichtlich des Strafausspruches zu überprüfen war, ist aufzuheben. Dass die Berufung entgegen dem Wortlaut nicht auf gesamten Rechtsfolgenausspruch, zu dem auch die Einziehungsentscheidung gehört (OLG Köln, Beschluss vom 30.10.2018, III 1 RVs 214/18, juris, Rn. 12; Hanseatisches Oberlandesgericht Bremen, Beschluss vom 05.06.2018, 1 Ss 28/18, juris, Rn. 17), sondern nur auf den Strafausspruch beschränkt war, ergibt sich nach der vom Senat von Amts wegen vorgenommenen Prüfung (dazu: Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 352 Rn. 4 aE) aus den Erklärungen des Angeklagten im Rahmen der Berufungshauptverhandlung. Denn der Angeklagte hat sich nicht gegen die Einziehungsentscheidung gewandt, lediglich eine Aufhebung der vom Amtsgericht verhängten Strafe beantragt und zusätzlich erläutert, dass er mit der Beschränkung seines Rechtsmittels das Ziel einer Strafaussetzung zur Bewährung verfolge.

1.

Der Strafausspruch weist einen ersten durchgreifenden Fehler auf, weil die Kammer in der Annahme einer Bindungswirkung des erstinstanzlichen Urteils keine eigenen Feststellungen zu den Voraussetzungen gewerbsmäßigen Handelns getroffen hat. Solche Feststellungen wären notwendig gewesen, weil die von der Kammer zitierten Ausführungen des Amtsgerichts insoweit nicht in Teilrechtskraft erwachsen sind.

Die Gewerbsmäßigkeit des Handelns betrifft, soweit sie - wie hier (§ 263 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 StGB) - Bestandteil einer Strafzumessungsregel ist, allein den Rechtsfolgenausspruch. Das Merkmal hat keine Doppelrelevanz, sondern kann vielmehr losgelöst vom Schuldspruch beurteilt werden (BGH, Beschluss vom 20. Juni 2017, 1 StR 458/16, juris, Rn. 15 ff. zu § 95 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 AMG). Die gewerbsmäßige Vorgehensweise wird durch ein zusätzliches subjektives Element außerhalb des Tatbestandes des § 263 Abs. 1 StGB, nämlich die Absicht der Verschaffung einer dauerhaften Einnahmequelle durch wiederholte Tatbegehung, begründet (OLG Köln, Beschluss vom 23. Mai 2003, Ss 202/03 - 108, juris, Rn. 12; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 6. November 2019, Rv 21 Ss 784/19, juris, Rn. 7; OLG Bamberg, Beschluss vom 6. März 2018, 3 OLG 130 Ss 19/18, juris, Rn. 3; OLG Saarbrücken, Urteil vom 16. Juli 2018, Ss 44/2018, juris, Rn. 20 f.). Dementsprechend sind bei einer auf den Strafausspruch beschränkten Berufung zur Frage der Gewerbsmäßigkeit eigene Feststellungen zu treffen (KG Berlin, Beschluss vom 9. April 2020, (5) 121 Ss 1/20, juris, Rn. 22 ff.). Daran fehlt es. Ausweislich des angefochtenen Urteils ist die Berufungskammer vielmehr davon ausgegangen, dass infolge der Berufungsbeschränkung auch die Feststellung bindend geworden sei, dass der Angeklagte bei allen 64 Taten in der Absicht handelte, sich aus der wiederholten Begehung von Betrugstaten eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer zu verschaffen.

2.

Ein weiterer Rechtsfehler, der zur Aufhebung der entsprechenden Feststellung zwingt, ist der Kammer unterlaufen, weil sie in Bezug auf die Tat Nr. 7 eine Feststellung zur Tatzeit (12. Juli 2018) getroffen hat, die den bereits rechtskräftigen Schuldspruch und nicht den nach der Beschränkung allein noch zu überprüfenden Strafausspruch betraf. Die Tatzeit ist eine den Schuldspruch betreffende Mindestfeststellung (OLG Bamberg, Beschluss vom 20. Dezember 2012, 3 Ss 136/12, juris, Ls. 3), so dass die Berufung auch insoweit (Tatzeit am 16. April 2018) wirksam beschränkt und kein Raum für die Ergänzung war.

Die Beschränkung der Berufung auf bestimmte Beschwerdepunkte ist gemäß § 318 S. 1 StPO nach der Trennbarkeitsformel wirksam, wenn sie dem Rechtsmittelgericht die Möglichkeit eröffnet, den angefochtenen Teil des Urteils losgelöst vom nicht angegriffenen Teil der Entscheidung nach dem inneren Zusammenhang rechtlich und tatsächlich zu beurteilen, ohne die Prüfung des übrigen Urteilsinhalts notwendig zu machen. Die den Rechtsmittelberechtigten in § 318 StPO eingeräumte "Macht zum unmittelbaren Eingriff in die Gestaltung des Rechtsmittels" gebietet es, den in Erklärungen zum Ausdruck gekommenen Gestaltungswillen im Rahmen des rechtlich Möglichen zu respektieren (BGH, Beschluss vom 27. April 2017, 4 StR 547/16, juris, Rn. 17 m.w.N; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 8. Juli 2019, (1) 53 Ss 22/19, juris, Rn. 16). Das Rechtsmittelgericht darf diejenigen Entscheidungsteile daher nicht nachprüfen, deren Nachprüfung von keiner Seite begehrt wird, wenn und soweit der angegriffene Entscheidungsteil trennbar ist, also losgelöst vom übrigen Urteilsge- halt selbständig geprüft und beurteilt werden kann (BGH, Beschluss vom 27. April 2017, 4 StR 547/16, juris, Rn. 19 m.w.N.; Brandenburgisches Oberlandesgericht, a.a.O., m.w.N.). Dementsprechend ist der Beschränkbarkeit des Rechtsmittels auf den Strafausspruch ihre Wirksamkeit nur dann abzusprechen, wenn die dem Schuldspruch im angefochtenen Urteil zugrundeliegenden Feststellungen tatsächlicher und rechtlicher Art unklar, lückenhaft, widersprüchlich oder so dürftig sind, dass sich Art und Umfang der Schuld nicht in dem zur Überprüfung des Strafausspruchs notwendigen Maße bestimmen lassen oder unklar bleibt, ob sich der Angeklagte überhaupt strafbar gemacht hat (BGH, Beschluss vom 27. April 2017, 4 StR 547/16, juris, Rn. 20 m.w.N.). Allein die etwa fehlerhafte Tatzeit lässt die Rechtsmittelbeschränkung demgegenüber nicht unwirksam werden. Denn auch auf der Grundlage der vom Amtsgericht im erstinstanzlichen Urteil angenommenen Tatzeit (16. April 2018) lassen sich Art und Umfang der Schuld in dem zur Überprüfung des Strafausspruchs notwendigen Maße bestimmen. Der durch das Landgericht vorgenommenen Korrektur des Schuldspruchs stand demnach die in Bezug auf den Schuldspruch eingetretene Teilrechtskraft entgegen.

Etwas anders ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass Schreibfehler und andere offenbare Unrichtigkeiten in Strafurteilen berichtigt werden können (BGH, Beschluss vom 17. März 2000, 2 StR 430/99, juris, Rn. 4). Denn bei der Berichtigung eines Urteils muss stets ausgeschlossen sein, dass anstelle einer bloßen Fehlerkorrektur eine inhaltliche Änderung vorgenommen wird (BVerfG, Beschluss vom 10. September 2010, 2 BvR 2242/09, juris, Rn. 21). Hier handelt es sich auf der Grundlage der im Revisionsverfahren auf die Sachrüge zu überprüfenden Urteilsurkunde und ebenso auf der Basis der Anklageschrift vom 4. August 2019, aus der sich ebenfalls der 16. April 2018 als Tatzeit ergibt und die der Senat zur Prüfung eines etwaigen Prozesshindernisses von Amts wegen zur Kenntnis zu nehmen hat (OLG Hamm, Beschluss vom 2. Juni 2008, 2 Ss 190/08, juris, Rn. 11), nicht um eine solche offenbare Unrichtigkeit.

3.

Nach den genannten Kriterien zur Korrektur offenbarer Unrichtigkeiten war der Kammer lediglich die Berichtigung des Gesamtschadens von 8.390,24 € in einen solchen von 12.303,15 € gestattet. Insoweit liegt die Berichtigung eines offenkundigen Rechenfehlers vor, weil der zutreffende Betrag im rechtskräftig gewordenen Teil des amtsgerichtlichen Urteils durch eine einfache Addition ermittelt werden kann und dieses Ergebnis zudem durch die Einziehungsentscheidung bestätigt wird.

4.

Aufgrund der dargelegten Rechtsfehler ist das Urteil (mit Ausnahme der tenorierten Berichtigung des Gesamtschadens) gemäß § 353 StPO mit den Feststellungen aufzuheben. Die Sache ist insoweit gemäß § 354 Abs. 2 StPO an eine andere Kammer des Landgerichts, die ausschließlich über den Strafausspruch zu entscheiden haben wird, zurückzuverweisen.

III.

Die Entscheidung über die Kosten der Revision ist dem Landgericht vorzubehalten, weil der endgültige Erfolg des Rechtsmittels derzeit nicht absehbar ist.