Anwaltsgerichtshof Niedersachsen
Beschl. v. 29.12.2004, Az.: AGH 13/04
Auslegung des Begriffs "dieselbe Rechtssache" in § 45 Abs. 1 Nr. 1 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO); Verbot der Wahrnehmung der Interessenvertretung einer Erbin als Anwalt im Falle einer durch den Anwalt vorgenommenen früheren Beurkundung einer Änderung des betroffenen Testaments
Bibliographie
- Gericht
- AGH Niedersachsen
- Datum
- 29.12.2004
- Aktenzeichen
- AGH 13/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 35919
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO
- § 73 Abs. 2 Ziff. 1 BRAO
Fundstelle
- BRAK-Mitt 2005, 87 (red. Leitsatz)
In dem anwaltsgerichtlichen Verfahren
hat der 1. Senat des Niedersächsischen Anwaltsgerichtshofes
durch
den AGH-Präsidenten Rechtsanwalt R. als Vorsitzenden,
die Rechtsanwältin N. und
den Rechtsanwalt L. als anwaltliche Beisitzer sowie
die Richter am Oberlandesgericht B. und L. als richterliche Beisitzer
am 29. Dezember 2004
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Der Antrag des Antragstellers auf gerichtliche Entscheidung wird zurückgewiesen.
- 2.
Der Antrag des Antragstellers, im Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung zur Niederlegung des Mandats bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens auszusetzen, hat sich damit erledigt.
- 3.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
- 4.
Die sofortige Beschwerde wird nicht zugelassen.
- 5.
Der Geschäftswert wird auf 3.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist als Rechtsanwalt und Notar in V. tätig. Am 5. Juni 1991 beurkundete er ein gemeinschaftliches Testament der Eheleute G. und H. M., in dem diese sich gegenseitig zu alleinigen Erben und die gemeinsamen Kinder W., F. und T. zu Schlusserben einsetzten. Am 6. Mai 2002 beurkundete der Antragsteller eine Änderung des Testaments, wodurch als Schlusserbe nur noch der gemeinsame Sohn T. M. eingesetzt wurde, während die weiteren Söhne W. und F. M. unberücksichtigt blieben. Als die auf den Pflichtteil gesetzten Söhne nach dem Tode ihres Vaters G. M. Ansprüche geltend machten, zeigte der Antragsteller die Interessenvertretung der Erbin H. M. an und nahm wiederholt zu der Erbauseinandersetzung schriftsätzlich Stellung.
Daraufhin teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Schreiben vom 5. August 2004 mit, dass seine Tätigkeit im Rahmen der Pflichtteilsauseinandersetzung gegen § 45 Abs. 1 Ziff. 1 BRAO verstoße. Zugleich forderte sie ihn auf, binnen zwei Wochen nachzuweisen, dass er das Mandat niedergelegt habe.
Gegen diese am 6. August 2004 zugestellte Mitteilung hat der Antragsteller mit einem am 17. August 2004 beim Niedersächsischen Anwaltsgerichtshof in Celle eingegangenen Schriftsatz Antrag auf Entscheidung des Anwaltsgerichtshofes gestellt.
Der Antragsteller meint, ein Verstoß gegen § 45 Abs. 1 Ziff. 1 BRAO liege nicht vor. Die Antragsgegnerin habe den Begriff "derselben Rechtssache" zu weit ausgelegt und dadurch seine Berufsausübung beeinträchtigt. Eine Interessenkollision bei der Ermittlung und Auseinandersetzung von Pflichtteilsansprüchen werde von der Antragsgegnerin nicht dargetan.
Er beantragt,
- 1.
die Entscheidung des Antragsgegners vom 05.08.2004 aufzuheben und die der Entscheidung zu Grunde liegende Beschwerde zurückzuweisen,
- 2.
im Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung zur Niederlegung des Mandats bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens auszusetzen,
- 3.
die sofortige Beschwerde an den Bundesgerichtshof zuzulassen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie meint, der Antragsteller sei nach § 45 Abs. 1 Ziff. 1 BRAO gehindert, nunmehr in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt tätig zu sein. Bei der Beurkundung des Testaments hätten dem Antragsteller auch Amtspflichten gegenüber den Pflichtteilsberechtigten oblegen, sodass der Antragsteller nicht als Rechtsanwalt in Pflichtteilsauseinandersetzungen zwischen der Ehefrau des Erblassers und den Pflichtteilsberechtigten tätig werden könne.
II.
1.
Einer mündlichen Verhandlung bedarf es nicht, weil die Beteiligten ausdrücklich auf sie verzichtet haben (§ 40 Abs. 2 Satz 2 BRAO).
2.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig, aber nicht begründet.
a)
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist nach § 223 BRAO statthaft. Das vom Antragsteller angegriffene und mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehene Schreiben der Antragsgegnerin vom 5. August 2004 stellt - entsprechend seiner Bezeichnung - eine Belehrung gemäß § 73 Abs. 2 Ziff. 1 BRAO dar, verbunden mit der Aufforderung, die Niederlegung des Mandats nachzuweisen. Die angefochtene Maßnahme ist grundsätzlich geeignet, dem Antragsteller einen erheblichen Schaden zuzufügen. Der Antrag im Schriftsatz des Antragstellers vom 16. August 2004 ist auch form- und fristgerecht gestellt worden (§§ 223 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4, 37, 39 BRAO).
b)
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist jedoch unbegründet, da die Belehrung der Antragsgegnerin rechtmäßig ist und den Antragsteller nicht in seinen Rechten beeinträchtigt.
Nach § 45 Abs. 1 Ziff. 1 BRAO darf der Rechtsanwalt nicht tätig werden, wenn er in derselben Rechtssache als Richter, Schiedsrichter, Staatsanwalt, Angehöriger des öffentlichen Dienstes, Notar, Notarvertreter oder Notariatsverwalter bereits tätig geworden ist. Entgegen der Auffassung des Antragstellers liegen diese Voraussetzungen vor. Die Antragsgegnerin hat insbesondere den Begriff "derselben Rechtssache" nicht fehlerhaft ausgelegt. Mit dem Begriff ist derselbe Sachverhalt gemeint (Hartung/Holl-Hartung, Anwaltliche Berufsordnung, 2. Aufl. § 45 Rz. 15). Er umfasst jede rechtliche Angelegenheit, die bei natürlicher Betrachtungsweise auf ein innerlich zusammengehörendes, einheitliches Lebensverhältnis zurückzuführen ist, wobei die Einheitlichkeit nicht durch längeren Zeitablauf aufgehoben wird und auch ein Wechsel der beteiligten Personen unerheblich ist (Feuerich/Weyland, BRAO, 6. Aufl. § 45 Rz. 7). Danach ist eine Erbengemeinschaft und ihre Auseinandersetzung auch dann als einheitlicher Lebenssachverhalt angesehen worden, wenn sich daraus verschiedene Ansprüche ergeben können (BayObLG NJW 1989, 2903; Henssler/Prütting-Eylmann, BRAO, 2. Aufl. § 43 a Rz. 140). Insofern kann nicht zweifelhaft sein, dass die Tätigkeiten des Antragstellers "dieselbe Rechtssache" betrafen.
Entgegen der Auffassung des Antragstellers liegt ein Verstoß gegen § 45 Abs. 1 Ziff. 1 BRAO vor. § 45 Abs. 1 Ziff. 1 BRAO soll eine strikte Trennung anwaltlicher und notarieller Berufsausübung gewährleisten (Henssler/Prütting-Eylmann a.a.O. § 45 Rz. 16). Hat der Notar sich, in welcher Amtstätigkeit auch immer, mit einer Rechtssache befasst, ist sie für ihn als Anwalt tabuisiert (Henssler/Prütting-Eylmann a.a.O. § 45 Rz. 18; Kleine-Cosack, BRAO, 4. Aufl. § 45 Rz. 14; Hartung/Holl-Hartung a.a.O. § 45 Rz. 23). In diesem Sinne ist allgemein anerkannt, dass im Falle der Beurkundung letztwilliger Verfügungen der Notar gehindert ist, später als Anwalt die Interessen einzelner Erben bei der Erbauseinandersetzung zu vertreten oder im Falle der Geltendmachung von Pflichtteils- und Vermächtnisansprüchen Mandate für oder gegen die Erben zu übernehmen (Henssler/Prütting-Eylmann a.a.O. § 45 Rz. 17; Hartung/Holl-Hartung a.a.O. § 45 Rz. 20; Feuerich/Weyland a.a.O. § 45 Rz. 8). Das anwaltliche Vertretungsverbot beschränkt sich somit nicht auf die Personen, die unmittelbar an dem Amtsgeschäft des Notars beteiligt waren.
Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist unerheblich, ob die Antragsgegnerin mögliche Interessenkollisionen dargelegt hat. Handelt es sich - wie vorliegend - um dieselbe Rechtssache, gilt das Tätigkeitsverbot auch dann, wenn ein konkreter Interessenwiderstreit nicht vorhanden ist (Feuerich/Weyland a.a.O. § 45 Rz. 8; Hartung/Holl-Hartung a.a.O. § 45 BRAO Rz. 16).
3.
Mit der Entscheidung zur Hauptsache hat sich der gemäß § 223 Abs. 4 i.V.m. § 40 Abs. 4 BRAO, § 24 Abs. 3 FGG analog zulässige Antrag des Antragstellers, im Wege einstweiliger Anordnung die Verpflichtung zur Niederlegung des Mandats bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens auszusetzen, - soweit er trotz Fristablaufs überhaupt aufrechterhalten werden sollte - erledigt.
4.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 223 Abs. 4, 201 Abs. 1 BRAO in Verbindung mit einer entsprechenden Anwendung des § 91 ZPO.
5.
Der Geschäftswert wurde mangels ausreichender tatsächlicher Anhaltspunkte gemäß § 202 Abs. 2 BRAO, § 30 Abs. 2 KostO auf 3.000,00 EUR geschätzt. Dieser Betrag dürfte im Übrigen angesichts der vorliegenden Angaben zum Nachlasswert auch der wirtschaftlichen Bedeutung der Angelegenheit für den Antragsteller entsprechen.
6.
Die sofortige Beschwerde an den Bundesgerichtshof wird nicht zugelassen, da die zu entscheidende Rechtsfrage keine grundsätzliche Bedeutung besitzt (§ 223 Abs. 3 Satz 2 BRAO). Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellt (BGH NJW 2003, 65). Im vorliegenden Fall kann angesichts der Eindeutigkeit der Rechtslage entgegen der Ansicht des Antragstellers von einer klärungsbedürftigen Rechtsfrage nicht ausgegangen werden.