Anwaltsgerichtshof Niedersachsen
Beschl. v. 15.07.2005, Az.: AGH 6/05

Voraussetzungen für die Verleihung einer Fachanwaltsbezeichnung; Qualizifierung der von einem durch einen Arbeitgeberverband beschäftigten Syndikusanwalt bearbeiteten Fälle

Bibliographie

Gericht
AGH Niedersachsen
Datum
15.07.2005
Aktenzeichen
AGH 6/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 33091
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Fundstelle

  • BRAK-Mitt 2005, 236 (amtl. Leitsatz)

Verfahrensgegenstand

Gestattung der Führung der Bezeichnung "Fachanwalt für Versicherungsrecht"

In dem anwaltsgerichtlichen Verfahren
hat der 2. Senat des Niedersächsischen Anwaltsgerichtshofes
durch
den Rechtsanwalt V. als Vorsitzenden,
den Rechtsanwalt A. und
die Rechtsanwältin T. als anwaltliche Beisitzer sowie
den Richter am Oberlandesgericht H. und
die Richterin am Oberlandesgericht V. als richterliche Beisitzer
auf Grund
der mündlichen Verhandlung vom 20. Juni 2005
im schriftlichen Verfahren am 15. Juli 2005
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird zurückgewiesen.

  2. 2.

    Die sofortige Beschwerde zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.

  3. 4.

    Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

  4. 5.

    Der Geschäftswert wird auf 14.000,00 EURO festgesetzt.

Gründe

1

I.

Der am XX.XX.1952 geborene Antragsteller ist seit dem 13.06.1997 wieder als Rechtsanwalt bei dem Amts- und Landgericht O. zugelassen. Seit 1987 ist er bei den Öffentlichen Versicherungen O. angestellt, seit 1996 ist er dort in der Funktion eines Syndikusanwaltes und als Abteilungsleiter der H-Versicherung Schaden- und Rechtsabteilung tätig.

2

Mit Schreiben vom 29.03.2004 hat der Antragsteller bei der Antragsgegnerin beantragt, ihm die Führung der Bezeichnung "Fachanwalt für Versicherungsrecht" zu gestatten.

3

Zum Nachweis seiner theoretischen Kenntnisse nach §§ 4, 6 FAO legte der Antragsteller eine Bescheinigung der DeutscheAnwaltAkademie (DAA) vom 12.02.2004 über seine erfolgreiche Teilnahme an dem Fachlehrgang Versicherungsrecht in dem Zeitraum vom September 2003 bis Dezember 2003 vor. Aus dieser Bescheinigung ergibt sich, dass der Fachlehrgang 18 Fortbildungstage mit 120 Zeitstunden Unterricht zzgl. 15 Zeitstunden Klausur umfasste. Außerdem wurden vom Antragsteller die von ihm im Rahmen dieses Fachlehrgangs geschriebenen und jeweils mit bestanden bewerteten 3 Klausuren vorgelegt.

4

Zum Nachweis seiner besonderen praktischen Erfahrungen legte der Antragsteller nach § 6 Abs. 3 FAO eine Fallliste vor und erklärte, dass die Fälle von ihm "persönlich und weisungsfrei" bearbeitet wurden. Die vom Antragsteller eingereichte Fallliste umfasst 22 gerichtliche Verfahren aus dem Bereich § 14 a Ziffer 1. FAO, 13 gerichtliche Verfahren aus dem Bereich des § 14 a Ziffer 5. FAO, 7 gerichtliche Verfahren aus dem Bereich des § 14 a Ziffer 6. FAO und 2 gerichtliche Verfahren aus dem Bereich des § 14 Ziffer 7. FAO, die der Antragsteller jeweils innerhalb der letzten 3 Jahre vor der Antragstellung bearbeitet hat.

5

Darüber hinaus enthält die vom Antragsteller vorgelegte Fallliste 12 Fälle aus dem Bereich des § 14 a Ziffer 5. FAO, 20 Fälle aus dem Bereich des § 14 a Ziffer 6. FAO und 4 Fälle aus dem Bereich des § 14 a Ziffer 7. FAO, die der Antragsteller innerhalb der letzten 3 Jahre vor Antragstellung außergerichtlich bearbeitet hat.

6

Auf Anforderung des Fachanwaltsausschusses der Antragsgegnerin legte der Antragsteller der Antragsgegnerin Arbeitsproben für jeweils ein gerichtliches Verfahren aus den Bereichen § 14 a Ziffer 5., 6. und 7. FAO sowie für ein außergerichtliches Verfahren aus dem Bereich § 14 a Ziffer 5. FAO vor. Der Antragsteller wies dabei darauf hin, dass er sämtliche in der Fallliste aufgeführten Fälle im Rahmen seiner Tätigkeit bei den Öffentlichen Versicherungen O. persönlich und weisungsfrei bearbeitet habe. Außerhalb dieser Tätigkeit habe er einen Fall aus dem Gebiet des § 14 a Ziffer 5. FAO nachzuweisen, der in der vorgelegten Fallliste nicht enthalten sei und deshalb von ihm als Anlage zu seinem Schreiben vom 12.05.2004 zusätzlich überreicht wurde. Aus den von dem Antragsteller vorgelegten Arbeitsproben zu den von ihm bearbeiteten gerichtlichen Verfahren ergibt sich, dass der Antragsteller jeweils im Auftrage seines Arbeitgebers, den Öffentlichen Versicherungen O., eine externe Rechtsanwaltskanzlei mit der Vertretung der Öffentlichen Versicherungen O. in den Klageverfahren beauftragt hat und dieser im Rahmen der Übertragung des Mandates kurz den Sachverhalt und seine rechtliche Einschätzung mitgeteilt hat.

7

Die Antragsgegnerin hat den Antrag auf Gestattung der Führung der Bezeichnung Fachanwalt für Versicherungsrecht mit Bescheid vom 09.02.2005, dem Antragsteller zugestellt am 10.02.2005, mit der Begründung zurückgewiesen, dass der Antragsteller den nach § 5 FAO erforderlichen Nachweis seiner besonderen praktischen Erfahrung nicht geführt habe. Die in der vom Antragsteller vorgelegten Fallliste enthaltenen Vorgänge seien von ihm nicht persönlich und weisungsfrei bearbeitet worden. Aus den vom Antragsteller vorgelegten Arbeitsproben ergäbe sich vielmehr, dass er die von ihm in der Fallliste aufgezählten gerichtlichen Verfahren nicht persönlich und weisungsfrei geführt, sondern jeweils andere Rechtsanwälte mit der Durchführung dieser Verfahren beauftragt habe.

8

Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 03.03.2005, bei Gericht eingegangen am 07.03.2005, einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt. Zur Begründung verweist er darauf, dass durch die Änderung des § 5 Satz 1 FAO zum 01.07.2003 gerade den Syndikusanwälten der Zugang zu den Fachanwaltschaften erleichtert werden sollte und deshalb seine Bearbeitung der von ihm vorgelegten Fälle als Syndikusanwalt und Abteilungsleiter der H-Versicherung Schaden- und Rechtsabteilung ausreichen müsse, um von der notwendigen persönlichen und weisungsfreien Bearbeitung der Fälle auszugehen.

9

Der Antragsteller beantragt,

den Bescheid der Antragsgegnerin vom 09.02.2005, zugestellt am 10.02.2005 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller zu gestatten, die Bezeichnung "Fachanwalt für Versicherungsrecht" zu führen.

10

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

11

Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen nochmals die Gründe des ablehnenden Bescheides vom 09.02.2005 vor und verweist darauf, dass nach der aktuellen Rechtsprechung des BGH maßgeblich sei, ob der Antragsteller seine praktischen Erfahrungen fast ausschließlich im Rahmen einer Syndikustätigkeit erworben habe, oder ob er zusätzlich zu dieser Tätigkeit in seinem Fachgebiet auch noch nennenswert originär anwaltlich tätig geworden sei. Dies sei bei dem Antragsteller jedoch gerade nicht der Fall.

12

Die Antragsgegnerin hat auf eine mündliche Verhandlung verzichtet, der Antragsteller hat sich diesem Verzicht nicht angeschlossen.

13

II.

Der Antrag ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

14

Die Verleihung einer Fachanwaltsbezeichnung setzt nach § 43 c Abs.1 BRAO i.V.m. § 2 FAO voraus, dass der Antragsteller besondere theoretische Kenntnisse und besondere praktische Erfahrungen nachweist.

15

Den Nachweis der besonderen theoretischen Kenntnisse gemäß § 4 FAO hat der Antragsteller durch den Nachweis seiner erfolgreichen Teilnahme an dem Fachanwaltslehrgang Versicherung der DAA erbracht. Der Antragsteller ist auch innerhalb der letzten 6 Jahre vor seiner Antragstellung 3 Jahre als Rechtsanwalt zugelassen, § 3 FAO.

16

Der Antragsteller konnte jedoch nicht den Nachweis seiner besonderen praktischen Erfahrungen als Rechtsanwalt im Fachgebiet des Versicherungsrechts erbringen. Dies setzt nach § 5 FAO voraus, dass der Antragsteller innerhalb der letzten 3 Jahre vor Antragstellung in diesem Fachgebiet 80 Fälle, davon mindestens 10 gerichtliche Verfahren, die sich auf mindestens 3 verschiedene Bereiche des § 14 a FAO beziehen müssen, "als Rechtsanwalt persönlich und weisungsfrei" bearbeitet hat.

17

Der Antragsteller hat ausweislich der von ihm eingereichten Fallliste in den letzten 3 Jahren vor Antragstellung genau 80 Fälle aus dem Bereich des Versicherungsrechts bearbeitet, die sich auf insgesamt 4 verschiedene Bereiche des § 14 a FAO bezogen und von denen insgesamt 44 Fälle in einem gerichtlichen Verfahren anhängig waren. Darüber hinaus hat der Antragsteller mit seinem Schreiben vom 12. Mai 2004 noch einen weiteren von ihm bearbeiteten außergerichtlichen Fall aus dem Bereich des § 14 a Ziffer 5. FAO nachgereicht.

18

Der Antragsteller hat diese Fälle jedoch nicht als Rechtsanwalt persönlich und weisungsfrei im Sinne des § 5 Satz 1 FAO bearbeitet. Unter Berücksichtigung der Tragweite des Grundrechts der Berufsausübungsfreiheit (Artikel 12 Abs. 1 GG) ist nach der Rechtsprechung des BGH zur Beurteilung der Frage, ob die von einem Rechtsanwalt in seiner Syndikustätigkeit bearbeiteten Fälle im Rahmen des § 5 FAO zu berücksichtigen sind, danach zu beurteilen, ob und inwieweit hinsichtlich der betreffenden Fälle nach den konkreten Umständen eine selbstständige, das heißt eine eigenständige und von fachlichen Weisungen freie Bearbeitung durch den Syndikus gewährleistet war (BGH, Beschluss vom 13.01.2003, AnwBl 2003, S. 233, 234 = NZA 2003, S. 327 ff.).

19

Dem entsprechend hat der BGH (a.a.O.) für einen bei einem Arbeitgeberverband beschäftigten Syndikusanwalt entschieden, dass in von dem Syndikus bearbeiteten Fällen, bei denen es nicht um eigene Rechtsangelegenheiten des Verbandes, sondern um die arbeitsrechtliche Beratung und Prozessvertretung der Mitglieder des Verbandes ging, grundsätzlich nicht vom Vorliegen fachlicher Weisungen des Verbandes ausgegangen werden könne. Im Gegensatz dazu weist der BGH in diesem Beschluss außerdem darauf hin, dass es bei dem Tätigwerden des Syndikus im Interesse seines Arbeitgebers im Rahmen der Bearbeitung von dessen eigenen Rechtsangelegenheiten nahe liegt, von einer Weisungsgebundenheit des Syndikusanwaltes auszugehen (BGH, a.a.O., S. 234, unter Hinweis auf BGH, Beschluss vom 13.03.2000, NJW 2000, S. 1645).

20

Des Weiteren hat der BGH in seinem Beschluss vom 13.01.2003 (a.a.O., S. 234, unter Hinweis auf den Beschluss vom 18.06.2001, NJW 2001, S. 3130 f.) auch festgestellt, dass die Bearbeitung von Fällen als Syndikusanwalt allein nicht ausreiche, um die notwendige praktische Erfahrung "als Rechtsanwalt" nachzuweisen. Es bedarf daneben vielmehr auch der Bearbeitung einer erheblichen Anzahl nicht unbedeutender Mandate im Rahmen einer selbstständigen anwaltlichen Tätigkeit. Nur durch eine solche selbstständige anwaltliche Tätigkeit kann dem Syndikusanwalt die Erfahrung für die Organisation des Berufsalltags eines niedergelassenen Anwaltes vermittelt werden. Wird eine solche Tätigkeit nicht in nennenswertem Umfang ausgeübt, ist davon auszugehen, dass der Syndikusanwalt nicht über eine ausreichende spezifisch anwaltliche Berufserfahrung in seinem Fachgebiet im Sinne des § 5 FAO verfügt, sondern in mancher Hinsicht einem Berufsanfänger gleichstünde, wenn er mit der Fachanwaltsbezeichnung erstmals selbst um solche Mandate im Rahmen des Zulässigen werben würde. Dies widerspräche jedoch der berechtigten Erwartung des rechtsuchenden Publikums an einen Fachanwalt, die dahin geht, dass der Fachanwalt auch! über eine besondere Erfahrung in der anwaltlichen Berufspraxis verfügt (BGH, Beschluss vom 13.01.2003, AnwBl 2003, S. 233, 235). An dieser Auslegung des § 5 Satz 1 FAO hat sich auch durch die zum 01.07.2003 in Kraft getretene Neuformulierung ("persönlich und weisungsfrei" an Stelle des früheren "selbstständig") nichts geändert.

21

Noch immer muss die für die Gestattung des Führens der Fachanwaltsbezeichnung erforderliche besondere praktische Erfahrung aus einer Berufserfahrung "als Rechtsanwalt" und nicht aus einer berufsfremden Erfahrung resultieren (in diesem Sinne auch Henssler/Prütting, Bundesrechtsanwaltsordnung, 2. Aufl. (2004), § 5 FAO Rdn. 5).

22

Der Antragsteller hat die von ihm in der Fallliste aufgeführten gerichtlichen Verfahren ausschließlich in seiner Funktion als Syndikusanwalt begleitet. Er hat diese Verfahren auch nicht persönlich und eigenverantwortlich geführt, sondern als Vertreter seines Arbeitgebers die Bearbeitung der gerichtlichen Verfahren durch andere Rechtsanwälte unterstützt. Der Amtragsteller hat in diesen Verfahren keine eigenen Schriftsätze verfasst und nicht als Prozessbevollmächtigter an den mündlichen Verhandlungen vor den Gerichten teilgenommen. Diese Tätigkeit stellt keine typische persönliche und weisungsfreie Bearbeitung eines Rechtsfalles als Rechtsanwalt im Sinne des § 5 Satz 1 FAO dar, die den Antragsteller in die Lage versetzen würde, das rechtsuchende Publikum als spezialisierter und erfahrener Rechtsanwalt zu beraten und zu vertreten. Der Antragsteller hat selbst in seinem Schreiben vom 12. Mai 2005 darauf hingewiesen, dass er nur einen - von ihm nachträglich vorgelegten - Fall aus dem Bereich der Wassersportkaskoversicherung nicht im Rahmen seiner Tätigkeit bei den Öffentlichen Versicherungen O. bearbeitet habe. Bei diesem Fall handelt es sich um eine außergerichtliche Vertretung durch den Antragsteller. Der Antragsteller hat daher weder als Syndikusanwalt gerichtliche Verfahren aus dem Bereich des Versicherungsrechts persönlich und weisungsfrei bearbeitet, noch ist er in einer erheblichen Anzahl nicht unbedeutender Mandate aus diesem Bereich nebenberuflich anwaltlich tätig geworden.

23

Der Antragsteller hat demnach nicht die in § 5 FAO geforderte persönliche und weisungsfreie Bearbeitung der erforderlichen Anzahl von Fällen aus dem Bereich des Versicherungsrechts nachgewiesen.

24

Die sofortige Beschwerde zum BGH war nach § 223 Abs. 3 BRAO zuzulassen, da dieser sich soweit ersichtlich nach der Neufassung des § 5 Satz 1 FAO noch nicht mit der Frage befasst hat, unter welchen Voraussetzungen ein Syndikusanwalt die notwendigen praktischen Erfahrungen für die Fachanwaltsbezeichnung erfüllt.

25

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens (§ 201 BRAO). Es bestand kein Anlass, die Erstattung außergerichtlicher Kosten anzuordnen (§ 40 Abs. 4 BRAO i.V.m. § 13aFGG).

Streitwertbeschluss:

Der Geschäftswert wird auf 14.000,00 EURO festgesetzt.

Die Festsetzung des Geschäftswertes entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senates.