Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 15.12.2014, Az.: 12 B 2771/14
Amtsermittlungsgrundsatz; Italien; PTBS; Suizidgefahr; Überstellung
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 15.12.2014
- Aktenzeichen
- 12 B 2771/14
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2014, 42596
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 27a AsylVfG
- § 34a AsylVfG
- EUV 604/2013
- § 86 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Keine systemischen Mängel des Asyl- und Aufnahmeverfahrens in Italien.
2. Zu den Anforderungen an ärztliche Bescheinigungen bei psychischen Erkrankungen und Suizidgefahr im vorläufigen Rechtsschutz.
Gründe
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat Erfolg.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der vom Antragsteller erhobenen Klage (12 A 2770/14) gegen die Anordnung der Abschiebung nach Italien in dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 1. August 2014 ist gem. § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 34 a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG zulässig. Er ist insbesondere fristgerecht gestellt worden.
Der Antrag ist auch begründet.
Für eine nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu treffende Entscheidung ist maßgebend, ob das private Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes vorerst verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse am Vollzug des Verwaltungsaktes überwiegt. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs vorrangig zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. April 2005 - 4 VR 1005/04 -, BVerwGE 123, 241 und juris). Hat der Rechtsbehelf voraussichtlich Erfolg, weil der angegriffene Verwaltungsakt offenbar fehlerhaft ist, überwiegt das Aussetzungsinteresse des Betroffenen das öffentliche Vollzugsinteresse. Der Antrag ist dagegen in aller Regel unbegründet, wenn der Antragsteller im Verfahren zur Hauptsache keinen Erfolg haben wird, insbesondere, wenn die angegriffene Verfügung offensichtlich rechtmäßig ist. Bei offenem Ausgang der Hauptsache sind die Folgen, die einträten, wenn die aufschiebende Wirkung nicht angeordnet würde, die Klage aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte Anordnung erlassen würde, der Klage aber der Erfolg versagt bliebe (vgl. BVerfG in ständiger Rechtsprechung, u.a. Beschluss vom 12. Januar 2014 - 1 BvR 3606/13 -, NVwZ 2014, S. 329 und juris). Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, ob nicht rückgängig zu machende Beeinträchtigungen zu befürchten sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Dezember 2009 - 2 BvR 2879/09 -, NVwZ 2010, S. 318 und juris). Im Fall der Überstellung eines Asylsuchenden in einen anderen Mitgliedstaat stehen sich das öffentliche Interesse an der wirksamen und effektiven Durchsetzung der Regelungen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, insbesondere der Dublin-Verordnungen, und die mögliche Verletzung der grundrechtlich geschützten Positionen des Asylsuchenden, wie sie insbesondere in Art. 3 EMRK und Art. 4 Grundrechtscharta niedergelegt sind, gegenüber.
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe geht die Interessenabwägung hier zu Gunsten des Antragstellers aus. Nach der sich dem Gericht derzeit darbietenden Sach- und Rechtslage wird die Klage gegen die Abschiebungsanordnung aller Voraussicht nach Erfolg haben, so dass das Aussetzungsinteresse der Antragsteller das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegt.
Rechtsgrundlage für die Abschiebungsanordnung ist § 34 a Abs. 1 AsylVfG. Danach ordnet das Bundesamt dann, wenn ein Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§26a) oder - wie vorliegend - in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§27a) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Die Voraussetzungen der Abschiebungsanordnung liegen deshalb derzeit nicht vor: Der Asylantrag der Antragsteller ist zwar gem. § 27 a AsylVfG unzulässig, weil ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Es steht aber nicht fest, dass die Abschiebung in den zuständigen Staat durchgeführt werden kann. Dies ergibt sich im Einzelnen aus Folgendem:
Die Anordnung der Abschiebung beruht vorliegend auf der vollziehbaren Grundverfügung im Bescheid des Bundesamtes, dass der Asylantrag des Antragstellers gem. § 27a AsylVfG unzulässig ist, weil Italien für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Die Grundverfügung ist vollziehbar, weil die Klage der Antragsteller gegen diese Entscheidung gem. § 75 Abs. 1 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung hat.
Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens richtet sich vorliegend nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung) (ABl. L 180 vom 29. Juni 2013, S. 31) - Dublin III-VO -. Die Zuständigkeitskriterien der Dublin III-VO finden nach Art. 49 Abs. 2 dieser Verordnung auf Asylanträge, die - wie hier - nach dem 1. Januar 2014 gestellt worden sind, Anwendung. Der Antragsteller hat am 8. Mai 2014 in der Bundesrepublik einen Asylantrag gestellt.
Das Übernahmeersuchen wurde am 17. Juni 2014 gestellt.
Für die Prüfung des Asylantrages des Antragstellers ist gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO Italien zuständig. Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben im Mai 2011 nach Italien eingereist und hat dort einen Asylantrag gestellt. Dies ergibt sich auch aus dem für ihn erzielten Eurodac-Treffer, der mit der Erkennung „IT1“ beginnt. Die Ziffer „1“ steht gemäß Art. 24 Abs. 4 Eurodac-VO für einen Antrag auf internationalen Schutz.
Die nach Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO zuständige italienische Behörde hat dem Wiederaufnahmegesuch nicht ausdrücklich zugestimmt, so dass Italien mit Ablauf von zwei Wochen nach Stellung des Gesuchs gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO zuständig ist.
Entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers sind die Verfahrensvorschriften des Art. 4 und des Art. 5 Dublin III-VO nicht verletzt. Der Antragsteller ist entsprechend der Regelung in Art. 4 Dublin III-VO informiert worden. Ihm ist das Informationsblatt in der für ihn verständlichen französischen Sprache ausgehändigt worden (Bl. 23 der vorgelegten Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin). Auch ist er entsprechend der Regelung des Art. 5 Dublin III-VO in einem persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates angehört worden. Anhaltspunkte für die Andeutung des Prozessbevollmächtigten des Antragsteller, diesem sei in Italien „(wohl) humanitärer nationaler Abschiebungsschutz zuerkannt worden“ (Antragsschrift, S. 6) liegen nicht vor. Der Antragsteller hat in dem persönlichen Gespräch vom 8. Mai 2014 lediglich angegeben, den Schutz beantragt zu haben, die Frage nach der Zuerkennung hat er dagegen verneint.
Die vom Prozessbevollmächtigten des Antragstellers angeführte Verordnung (EU) Nr. 603/2013 vom 16. Juni 2013 (Eurodac-Verordnung) ist nach Art. 46 inzwischen zwar in Kraft getreten, sie gilt aber erst ab dem 20. Juli 2015.
Es liegen grundsätzlich auch keine Umstände vor, die die Zuständigkeit Italiens in Durchbrechung des Systems der Bestimmungen der Dublin-Verordnungen entfallen ließen.
Dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem, zu dem insbesondere die Dublin-Verordnungen gehören, liegt die Vermutung zugrunde, dass jeder Asylbewerber in jedem Mitgliedstaat gemäß den Anforderungen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. C 83/389 vom 30. März 2010), des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl. II 1953, S. 559) sowie der Europäischen Konvention der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. II 1952, S. 685, ber. S. 953, in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. Oktober 2010 (BGBl. II S. 1198)) behandelt wird. Es gilt daher die Vermutung, dass Asylbewerbern in jedem Mitgliedsstaat eine Behandlung entsprechend den Erfordernissen der Charta, der Genfer Flüchtlingskonvention - GFK - und der Europäischen Menschenrechtskonvention - EMRK - zukommt.
Die diesem „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“ (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 u. C-493/10 -, NVwZ 2012, S. 417 [EuGH 21.12.2011 - Rs. C-411/10; C-493/10] u. juris; ders.: Urteil vom 14. November 2013 - C-4/11 -, NVwZ 2014, S. 129 u. juris) bzw. dem „Konzept der normativen Vergewisserung“ (BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938/93 u. 2315/93 -, BVerfGE 94, S. 49 = NJW 1996, S. 1665 u. juris) zugrunde liegende Vermutung ist jedoch dann als widerlegt zu betrachten, wenn den Mitgliedstaaten „nicht unbekannt sein kann“, also ernsthaft zu befürchten ist, dass dem Asylverfahren einschließlich seiner Aufnahmebedingungen in einem zuständigen Mitgliedstaat derart grundlegende, systemische Mängel anhaften, dass für dorthin überstellte Asylbewerber die Gefahr besteht, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta ausgesetzt zu werden (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011, a.a.O.; ders.: Urteil vom 14. November 2013, a.a.O.). In einem solchen Fall ist die Prüfung anhand der Zuständigkeitskriterien der Dublin-Verordnungen fortzuführen, um festzustellen, ob anhand der weiteren Kriterien ein anderer Mitgliedstaat als für die Prüfung des Asylantrages zuständig bestimmt werden kann; ist zu befürchten, dass durch ein unangemessen langes Verfahren eine Situation, in der Grundrechte des Asylbewerbers verletzt werden, verschlimmert wird, muss der angegangene Mitgliedstaat den Asylantrag selbst prüfen (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011, a.a.O.; ders.: Urteil vom 14. November 2013, a.a.O.).
Als systemische Mängel sind solche Störungen anzusehen, die entweder im System eines nationalen Asylverfahrens angelegt sind und deswegen Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von ihnen nicht vereinzelt oder zufällig, sondern in einer Vielzahl von Fällen objektiv vorhersehbar treffen oder die dieses System aufgrund einer empirisch feststellbaren Umsetzung in der Praxis in Teilen funktionslos werden lassen (vgl. Bank/Hruschka, Die EuGH-Entscheidung zu Überstellungen nach Griechenland und ihre Folgen für Dublin-Verfahren (nicht nur) in Deutschland, ZAR 2012, S. 182; OVG Rheinland-Platz, Urteil vom 21. Februar 2014 - 10 A 10656/13 -, juris).
Die Auslegung der Tatbestandsmerkmale des Art. 4 GR-Charta ist gem. Art. 52 Abs. 3 S. 1 GR-Charta einschließlich der Erläuterungen hierzu (ABL. C 303/17 vom 14. Dezember 207) i. V.m. Art. 6 Abs. 1 S. 3 EUV vom 7. Februar 1992 (ABl. C 191, S. 1), zuletzt geändert durch Art. 1 des Vertrages von Lissabon vom 13. Dezember 2007 (ABl. C 306, S. 1, ber. ABl. 2008 C 111 S. 56 u. ABl. 2009 C 290 S. 1) an Art. 3 EMRK auszurichten. Nach der Rechtsprechung des EGMR (Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696/09 - (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243) ist eine Behandlung dann unmenschlich, wenn sie absichtlich über Stunden erfolgt und entweder tatsächliche körperliche Verletzungen oder schwere körperliche oder psychische Leiden verursacht. Als erniedrigend ist eine Behandlung dann anzusehen, wenn sie eine Person demütigt oder herabwürdigt und fehlenden Respekt für ihre Menschenwürde zeigt oder diese herabmindert oder wenn sie Gefühle der Furcht, Angst oder Unterlegenheit hervorruft, die geeignet sind, den moralischen oder psychischen Widerstand der Person zu brechen. Die Behandlung/Misshandlung muss dabei, um in den Schutzbereich des Art. 3 EMRK zu fallen, einen Mindestgrad an Schwere erreichen. Dessen Beurteilung ist allerdings relativ, hängt also von den Umständen des Falles ab, insbesondere von der Dauer der Behandlung und ihren physischen und psychischen Auswirkungen sowie mitunter auch vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers. Art. 3 EMRK kann allerdings nicht in dem Sinn ausgelegt werden, dass er die Vertragsparteien verpflichtete, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen. Auch begründet Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen (EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011, a.a.O.; ders.: Beschluss vom 2. April 2013 - 27725/10 - Mohammed Hussein u.a. gegen die Niederlande und Italien, ZAR 2013, S. 336 u. juris).
Gleichwohl sind die in der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen - Aufnahmerichtlinie - (ABl. L 180 S. 96) genannten Mindeststandards für die Aufnahme von Asylsuchenden in den Mitgliedsstaaten zu berücksichtigen. Asylsuchende werden in einem Mitgliedsstaat unmenschlich oder erniedrigend behandelt, wenn ihnen nicht die Leistungen der Daseinsvorsorge gewährt werden, die ihnen nach der Aufnahmerichtlinie zustehen. Ihnen müssen während der Dauer des Asylverfahrens die notwendigen Mittel zur Verfügung stehen, mit denen sie ihre elementaren Grundbedürfnisse (wie z.B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) in zumutbarer Weise befriedigen können. Als Maßstab sind die Art. 17 und 18 der Aufnahmerichtlinie mit den dort geregelten zeitlich begrenzten Einschränkungsmöglichkeiten bei vorübergehenden Unterbringungsengpässen und der Verpflichtung, auch in diesen Fällen die Grundbedürfnisse zu decken, heranzuziehen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 – A 11 S 1721/13 -, InfAuslR 2014, 293; juris, unter Hinweis auf die Entscheidungen des EGMR vom 21. Januar 2011 und des EuGH vom 27. Februar 2014).
Prognosemaßstab für das Vorliegen derart relevanter Mängel ist eine beachtliche Wahrscheinlichkeit. Die Annahme systemischer Mängel setzt somit voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedsstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylsuchenden im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris). Bei einer zusammenfassenden, qualifizierten - nicht rein quantitativen - Würdigung aller Umstände, die für das Vorliegen solcher Mängel sprechen, muss ihnen ein größeres Gewicht als den dagegen sprechenden Tatsachen zukommen, d.h. es müssen hinreichend gesicherte Erkenntnisse dazu vorliegen, dass es immer wieder zu den genannten Grundrechtsverletzungen kommt (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014, a.a.O.; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 7. März 2014, a.a.O.; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 14. November 2013 - 4 L 44/13 -, juris; BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23/12 -, BVerwGE 146, S. 67 und juris; OVG Rheinland-Pfalz, a.a.O., juris).
Der Mitgliedsstaat, der die Überstellung des Asylsuchenden vornehmen muss, ist im Fall der Widerlegung der Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem Mitgliedsstaat im Einklang mit den Erfordernissen der GFK und der EMRK steht, verpflichtet, den Asylantrag selbst zu prüfen, sofern nicht ein anderer Mitgliedsstaat als für die Prüfung des Asylantrags zuständig bestimmt werden kann.
Gemessen an diesen Maßgaben liegen grundsätzlich in Italien systemische Mängel im Asyl- und Aufnahmeverfahren nicht vor.
Grundlage der gerichtlichen Entscheidung sind die verschiedenen Berichte über die Situation von Flüchtlingen insbesondere bezüglich der Rücküberstellungen nach Italien.
Nach den insoweit im Kern überstimmenden aktuellen Erkenntnismitteln des Auswärtigen Amtes (AA an das OVG NRW vom 11. September 2013, an das OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013), des UNHCR (an das VG Freiburg vom 19. Dezember 2013; Bericht vom Juli 2013) und der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH vom Oktober 2013) werden Dublin-Rückkehrer in der Regel auf dem Luftweg nach Italien überstellt. Sie werden von der italienischen Grenz- bzw. Luftpolizei nach der Landung zu den regionalen Polizeidirektionen (Questura) am Flughafen begleitet bzw. erhalten ein Zugticket, um zu einer weiter entfernten Questura zu fahren. Die dort vorzunehmende Formalisierung des Asylantrages - sog. Verbalizzazione - kann einige Tage, Wochen oder gelegentlich sogar Monate dauern (SFH, Oktober 2013; UNHCR, Bericht vom Juli 2013; AA an OVG NRW vom 11. September 2013; nach dem aida-Report (National Country Report Italy - Asylum Information Database), November 2013, S. 42, sind exakte Angaben nicht möglich). Während dieser Zeit sind die Asylsuchenden nicht immer hinreichend vor Obdachlosigkeit geschützt. Eine Unterkunft erhalten sie im Regelfall erst nach der Verbalizzazione. Zumindest an den italienischen Hauptflughäfen stehen den Dublin-Rückkehrern, die noch keinen Asylantrag gestellt haben, in der Übergangszeit bis zur Aufnahme des Asylgesuchs Nichtregierungsorganisationen (NGO) zur Seite, die sie bei Bedarf betreuen und die sich - in der Regel auch erfolgreich - um eine Unterkunft bemühen. Nach der Verbalizzazione gelangen die Asylsuchenden in Aufnahmezentren für die Erstaufnahme (CARA - Centri di accoglienza per richiedeni asilo) bzw. des Aufnahmesystems SPRAR - Sistema di protezione per richiedenti asilo e rifugiati). Obwohl daneben noch kommunale oder von NGOs betriebene Unterkünfte zur Verfügung stehen, wird von Flüchtlingsorganisationen - anders das Auswärtige Amt (AA vom 11. September 2013) - auf Engpässe der Belegungssituation hingewiesen. Das gilt insbesondere für die überbelegten CARA (SFH, Oktober 2013, S. 18 ff., vgl. hierzu die Stellungnahme der Liaisonsbeamtin des Bundesamtes an das OVG NRW vom 21. November 2013). Hinzuweisen ist auf die Schwierigkeiten, zuverlässige Belegungszahlen zu ermitteln, da diese nicht nur von den bereits vorhandenen Unterkunftsplätzen abhängen, sondern von häufig irrationalen nicht vorhersehbaren Verhaltensweisen der Asylbewerber - ein typischer Belegungszeitraum lässt sich nicht eindeutig festlegen - und kurzfristig auftretenden Flüchtlingsströmen in die EU beeinflusst sind. Der italienische Staat ist erfolgversprechend bemüht, die Unterbringungskapazitäten den jeweiligen Belastungssituationen anzupassen. Nach dem zwischenzeitlichen Höchststand der Zahl der nach Italien geflüchteten Personen im Jahr 2011 und einem Rückgang im Jahr 2012 ist die Zahl im Jahr 2013 wieder angestiegen (SFH, Oktober 2013, S. 7). Auf den Anstieg der Zahlen im Jahr 2011 haben die italienischen Behörden mit zusätzlichen - im Jahr 2012 wieder reduzierten - Unterbringungsmöglichkeiten reagiert. Auch für 2013 war eine Erhöhung der Platzzahl vorgesehen (vgl. hierzu im Einzelnen: aida-Report, November 2013; Liaisonsbeamtin des Bundesamtes vom 21. November 2013; AA vom 24. Mai 2013 an das VG Minden und 21. August 2013 an das OVG Sachsen-Anhalt; UNHCR vom Juli 2013; SFH, Oktober 2013).
Die Asylsuchenden haben während der Dauer des Asylverfahrens im Regelfall neben dem Anspruch auf Unterbringung Anspruch auf materielle Leistungen wie Verpflegung und Hygieneartikel (vgl. nur AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013). Das gilt auch für die medizinische Versorgung. Der in Artikel 19 der Aufnahmerichtlinie vorgesehene Mindeststandard einer Notversorgung ist gewährleistet (AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013 und an VG Gießen vom 26. März 2013; SFH, Oktober 2013, S. 49 f, 52).
Auch im Hinblick auf die materiellen Leistungen und der medizinischen Versorgung ist aber nur im Regelfall von einem hinreichenden Schutz auszugehen. Sowohl in diesem Bereich wie auch besonders im Bereich der Unterbringung werden in den angeführten Erkenntnismitteln auf Mängel hingewiesen. Sie seien das Ergebnis struktureller Lücken und eines Kapazitätsmangels im Aufnahmesystem (UNHCR vom 19. Dezember 2013 und Juli 2013; Gutachten der Flüchtlingsorganisation borderline-europe an das VG Braunschweig vom Dezember 2012; amnesty international, Report 2013). Dies gilt insbesondere für Asylsuchende, über deren Antrag bereits entschieden worden ist. Gleichwohl hat der UNHCR eine generelle Empfehlung, Asylbewerber und Ausländer, die bereits einen Schutzstatus in Italien haben, nicht nach Italien zu überstellen, nicht ausgesprochen. Auch wenn daraus nicht geschlossen werden soll, wie der UNHCR in seiner Stellungnahme vom 7. März 2014 an das OVG NRW betont, dass keine einer Überstellung entgegenstehende Umstände vorlägen, ist die Nichtempfehlung als Indiz für das Fehlen systemischer Mängel zu werten, da die vom UNHCR herausgegebenen Dokumente bei der Auslegung der unionsrechtlichen Asylvorschriften besonders relevant sind (vgl. EuGH, Urteil vom 30. Mai 2013 - C-528/11 -, Rn 44, NVwZ 2013, 660 ff. [BVerwG 10.10.2012 - BVerwG 9 A 19.11] u. juris).
Auch unabhängig von dieser Indizwirkung liegen hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme systemischer Mängel nicht vor:
Entsprechend den genannten Anforderungen an den für die Annahme systemischer Mängel maßgeblichen Prognosemaßstab kann nämlich nicht allein auf einzelne Mängel des Systems verwiesen werden. Die beachtliche Wahrscheinlichkeit muss sich auf die Würdigung aller Umstände gründen, zu denen das jeweilige Rechtssystem des Mitgliedsstaates wie auch die Verwaltungspraxis gehört. Dieser hat sich auf den vorhersehbaren Verlauf der Dinge auszurichten. Bemühungen des betroffenen Staates, sich den Mängeln zu stellen und auf seine Entwicklungen etwa des enormen Anstiegs einer Flüchtlingszahl zu reagieren, sind zu berücksichtigen. Kommt es gleichwohl zu Mängeln bei der Unterbringung von Asylsuchenden bis zur Aufnahme ihres Asylantrages, liegen keine systemischen Mängel vor, wenn der betreffende Mitgliedsstaat erfolgversprechende Gegenmaßnahmen ergreift. Solche Bemühungen des italienischen Staates liegen vor. Beim Anstieg der Zahl der Asylsuchenden im Jahre 2011 ist - wie ausgeführt - ein besonderes Programm zur Unterbringung der Asylsuchenden aufgestellt und durchgeführt worden. Nach dem erneuten Anstieg der Zahl der Asylsuchenden im Jahre 2013 sind die italienischen Behörden vom italienischen Innenministerium angewiesen worden, dass die Verbalizzazione zeitlich mit der Asylgesuchstellung zusammenfallen und zur Verkürzung der Wartezeiten ein neues Informationssystem (Vestanet) eingeführt werden soll (vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014, a.a.O.). Von einem Inkaufnehmen der Mängel der Unterkunftsgewährung kann somit nicht ausgegangen werden. Von einer allgemeinen dramatischen Wohnungs- und Unterbringungsnot der Dublin-Rückkehrer wird nicht berichtet. Dies gilt auch für bereits in Italien anerkannte Flüchtlinge.
Das Gericht schließt sich deshalb der Beurteilung des EGMR und der im Folgenden zitierten Rechtsprechung an, die infolge der umfassenden Auswertung der vorliegenden auch aktuellen Erkenntnismittel zu dem Ergebnis gekommen ist, dass zwar in einigen Bereichen, an einigen Orten insbesondere infolge des Eintreffens von Flüchtlingswellen immer wieder Mängel insbesondere bei der Unterbringung von Asylbewerbern zu verzeichnen sind, diese jedoch nicht den Grad bzw. Umfang von systemischen Mängeln aufweisen. Der EGMR hat in seinem Beschluss vom 2. April 2013 (a.a.O.) hierzu ausgeführt:
„Unter Berücksichtigung der Berichte von Regierungs- und Nichtregierungsinstitutionen und -organisationen über die Aufnahmeprogramme für Asylbewerber in Italien, kommt der Gerichtshof zu dem Schluss, dass die allgemeine Situation und die Lebensbedingungen in Italien für Asylbewerber, anerkannte Flüchtlinge und Ausländer, die aus Gründen des internationalen Schutzes oder zu humanitären Zwecken eine Aufenthaltserlaubnis erhalten haben, einige Mängel aufweisen mag, dass die vorliegenden Materialien jedoch kein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen für Asylbewerber als Mitglieder einer besonders schutzbedürften Personengruppe aufzeigen, wie es im Fall M.S.S. gegen Belgien und Griechenland der Fall war. Berichte des UNHCR und des Menschrechtskommissars weisen auf jüngste Verbesserungen der Situation hin, mit dem Ziel der Mängelbeseitigung; alle Berichte zeigen übereinstimmend und ausführlich die Existenz ausgearbeiteter Strukturen von Einrichtungen und Hilfsmaßnahmen, die auf die Bedürfnisse der Asylbewerber zugeschnitten sind. (…) Vor diesem Hintergrund kommt der Gerichtshof zu dem Schluss, dass die Bf. nicht aufgezeigt hat, dass ihr im Fall einer Rückkehr nach Italien aus wirtschaftlicher, gesundheitlicher oder psychologischer Sicht ein tatsächliches und dringliches Härtefallrisiko droht, das schwer genug wiegen würde, um von Art. 3 EMRK erfasst zu werden.“
Der EGMR, dessen Rechtsprechung für die Auslegung der EMRK auch über den jeweilig entschiedenen Fall hinaus eine Orientierungs- und Leitfunktion hat (vgl. BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2333/08 -, u.a., BVerwGE 128 S. 326 [BVerwG 24.04.2007 - BVerwG 2 WD 9/06] und juris; BVerwG, Urteil vom 28. Februar 2013 - C 3/12 -, NVwZ 2013, S. 1087 [BVerwG 28.02.2013 - BVerwG 2 C 3.12] und juris), hat seine Rechtsauffassung über die Einschätzung der Situation der Asylsuchenden in Italien durch die Entscheidung vom 10. September 2013 (Nr. 2314/10, HUDOC) ausdrücklich bestätigt.
Dieser Einschätzung schließt sich das Gericht mit einer Vielzahl weiterer Gerichte an: VGH Bad.-Württ., a.a.O., OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O.; OVG Rheinland-Pfalz, a.a.O.; OVG Sachsen-Anhalt, a.a.O.; hierzu: BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014, a.a.O.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013 - OVG 7 S 58/13 -, ders.: Beschluss vom 17. Oktober 2013 - OVG 3 S 40/13 -; Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012 - 4 MC 133/12 -, ders.: Beschluss vom 18. März 2014 - 13 LA 75/13 -; VG Lüneburg, Beschluss vom 6. März 2014 - 6 B 14/14 -; VG Osnabrück, Urteil vom 20. Januar 2014 - 5 A 81/13 -, VG Göttingen, Beschluss vom 19. Februar 2014 - 4 B 32/14 -; VG Braunschweig, Beschluss vom 7. März 2014 - 4 B 43/14 -; VG Stade, Beschluss vom 20. Februar 2014 - 1 B 375/14 -; VG Stuttgart, Urteil vom 28. Februar 2014 - A 12 K 383/14 -; VG Wiesbaden, Beschluss vom 6. März 2014 - 5 L 591/14.WI.A -; VG Regensburg, Beschluss vom 6. März 2014 - RN 5 S 14.30209 -; VG Würzburg, Beschluss vom 7. März 2014 - W 6 S 14.30255 -; VG Münster, Beschluss vom 20. März 2014 - 6 L 101/14.A -; VG Augsburg, Beschluss vom 20. März 2014 - Au 7 S 14.30174 -; VG Düsseldorf, Beschluss vom 31. März 2014 - 13 L 119/14.A -; VG Minden, Urteil vom 20. Januar 2014 - 10 K 1096/13.A -; VG Saarland, Beschluss vom 27. Januar 2014 - 3 K 339/13 -; VG Trier, Beschluss vom 11. Februar 2014 - 5 L 95/14.TR -; VG Ansbach, Beschluss vom 13. Februar 2014 - AN 1 S 14.30090 -; VG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 18. Februar 2014 - 10 A 5090/13 -; VG München, Beschluss vom 24. Februar 2014 - M 11 S 14.30179 -, alle juris.
Die Entscheidungen der Obergerichte der Länder Baden-Württemberg, Nordrhein- Westfalen, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz beleuchten dabei insbesondere detailliert die Zugangsmöglichkeiten zum Asylverfahren sowie dessen Dauer und Qualität, die Aufnahme- und Unterbringungsmöglichkeiten und -kapazitäten, die Sicherung der übrigen Grundbedürfnisse (u.a. Schutz vor Gewalt; hygienische Verhältnisse) und den Zugang zu medizinischer Versorgung. Sie weisen für die Zukunft darauf hin, dass der italienische Staat - wie schon das Notprogramm 2011 gezeigt habe - bemüht sei, Kapazitäten für den Zeitraum 2014 bis 2016 zu schaffen, und dass er ein verbessertes Computersystem (Vestanet) eingeführt habe.
Die Rechtsprechung der Gerichte, die eine Überstellung nach Italien für unzulässig halten, überzeugt das Gericht nicht. Sie nehmen entweder eine Interessenabwägung zu Gunsten der Asylbewerber allein aufgrund der Tatsache vor, dass der EGMR zur in Rede stehenden Frage der Situation in Italien die Große Kammer angerufen hat (VG Hannover, Beschluss vom 2. April 2014 - 4 B 8151/13 -, V.n.b.) oder bewerten die Lage aufgrund einzelner kritischer Äußerungen als offen (VG Aachen, Beschluss vom 18. Februar 2014 - 9 L 96/14.A -, juris), beruhen nicht auf der Auswertung der neuesten Erkenntnismittel und Entscheidungen, insbesondere des EGMR vom 10. September 2013 (VG Stuttgart, Beschluss vom 2. Juli 2012 - A 7 K 1877/12 -, InfAuslR 2012, S. 339 u. juris; VG Köln, Urteil vom 20. Februar 2014 - 20 K 2681/13.A - unter Bezugnahme auf das eigene Urteil vom 7. Mai 2013 - 20 L 613/13.A -, juris; VG Gießen, Urteil vom 25. November 2013 - 1 K 844/11.GI.A -, juris; VG Frankfurt a.M., Urteil vom 9. Juli 2013 - 7 K 560/11.F.A -, juris; VG Stade, Beschluss vom 10. Februar 2014 - 6 B 123/14 – V.n.b. unter Bezugnahme auf ein eigenes Urteil vom 10. Dezember 2013 - 6 A 1730/12 - V.n.b., welches wiederum auf eine nicht aktuelle Entscheidung des VG Braunschweig Bezug nimmt mit entsprechend älteren Erkenntnismitteln; ebenso VG Braunschweig, Beschluss vom 27. Januar 2014 - 7 B 20/14 - V.n.b.) oder stellen in erster Linie auf die Fälle besonders schutzwürdiger Personen ab (VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 5. März 2014 - 7 a L 180/14.A -, juris; VG Gießen, a.a.O.). Gegenüber der oben genannten Rechtsprechung, die aufgrund einer umfassenden Abwägung zu einer Einschätzung der Lage in Italien kommt, beleuchten diese Entscheidungen nach Auffassung des Gerichts nur Teilaspekte.
Das Gericht hält an seiner Rechtsprechung grundsätzlich weiterhin fest. Der UNHCR verweist allerdings in Hinweisen vom Juni/Juli 2014 auf die im Vergleich zu den Vorjahren wieder angestiegene Zahl der Asylsuchenden in Italien im Jahr 2014. Bereits im Juni 2014 sei die Rekordzahl von 2013 erreicht worden. Es wird darauf hingewiesen, dass die italienischen Behörden Flüchtlinge in Parkhäusern außerhalb von Rom und Mailand, teilweise ohne Nahrungsmittel unterbringen würden. Der UNHCR bitte die EU, Italien bei der Aufnahme und Versorgung der Flüchtlinge zu helfen. Systemische Mängel des Aufnahmeverfahrens lassen sich aus diesen Hinweisen aber nicht ableiten. Dies gilt auch für die Stellungnahme des SFH vom 4. August 2014. Diese betrifft die Bewegungsfreiheit in Italien für mittellose Personen mit Schutzstatus. Zum Personenkreis der besonders Schutzberechtigten dürften auch Familien mit Säuglingen und Kleinkindern gehören. Der EGMR hält in seiner Entscheidung vom 4. November 2014 (Nr. 29217/12, HUDOC) Art. 3 EMRK im Falle der Überstellung von Personen mit besonderen Bedürfnissen - hier einer Familie mit sechs zum Teil kleinen Kindern - angesichts der Berichte in verschiedenen Erkenntnismitteln über immer wieder auftretende Aufnahmeengpässe in Italien für verletzt, wenn nicht zuvor Unterbringung und für die Bedürfnisse der Person ausreichende Lebensbedingungen sichergestellt sind. Eine solche Sicherstellung fordert für den Fall der Überstellung von Familien mit Neugeborenen oder Kleinstkindern nach Italien auch das Bundesverfassungsgericht (Beschlüsse vom 17. September 2014 – 2 BvR 1795/14 und 2 BvR 939/14 -, BeckRS 2014, 56447 und 56448). Zu einer besonders gefährdeten Personengruppe gehört der Antragsteller als im Jahre 1977 Geborener und Lediger nicht.
Die Abschiebung kann aber dennoch wegen in seiner Person liegender entgegenstehender Hindernisse nicht durchgeführt werden:
Eine Abschiebungsanordnung nach § 34 a AsylVfG setzt zusätzlich voraus, dass „feststeht“, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Das Bundesamt hat deshalb in den Fällen, in denen der Asylbewerber in einem für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat § 27 a AsylVfG) abgeschoben werden soll, vor Erlass einer Abschiebungsanordnung auch zu prüfen, ob Abschiebungsverbote oder Duldungsgründe vorliegen. Damit sind sowohl zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse als auch der Abschiebung entgegenstehende inlandsbezogene Vollzugshindernisse gemeint. Dies gilt nicht nur hinsichtlich der bei Erlass der Abschiebungsanordnung vorliegenden, sondern auch bei nachträglich auftretenden Abschiebungshindernissen und Duldungsgründen. So ist eine Abschiebung wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung auszusetzen, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass sich der Gesundheitszustand des Ausländers durch die Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert, und wenn diese Gefahr nicht durch bestimmte Vorkehrungen ausgeschlossen oder gemindert werden kann (BVerfG, Beschlüsse vom 17. September 2014, a.a.O.). Diese Voraussetzungen können - führt das Bundesverfassungsgericht (a.a.O.) weiter aus -
„nicht nur erfüllt sein, wenn und solange der Ausländer ohne Gefährdung seiner Gesundheit nicht transportfähig ist (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn), sondern auch, wenn die Abschiebung als solche – außerhalb des Transportvorgangs – eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bewirkt (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinn). Das dabei in den Blick zu nehmende Geschehen beginnt regelmäßig bereits mit der Mitteilung einer beabsichtigten Abschiebung gegenüber dem Ausländer. Besondere Bedeutung kommt sodann denjenigen Verfahrensabschnitten zu, in denen der Ausländer dem tatsächlichen Zugriff und damit auch der Obhut staatlicher deutscher Stellen unterliegt. Hierzu gehören das Aufsuchen und Abholen in der Wohnung, das Verbringen zum Abschiebeort sowie eine etwaige Abschiebungshaft ebenso wie der Zeitraum nach Ankunft am Zielort bis zur Übergabe des Ausländers an die Behörden des Zielstaats. In dem genannten Zeitraum haben die zuständigen deutschen Behörden von Amts wegen in jedem Stadium der Abschiebung etwaige Gesundheitsgefahren zu beachten. Diese Gefahren müssen sie entweder durch ein (vorübergehendes) Absehen von der Abschiebung mittels einer Duldung oder aber durch eine entsprechende tatsächliche Gestaltung des Vollstreckungsverfahrens mittels der notwendigen Vorkehrungen abwehren.“
Bestünden etwa aufgrund von Berichten international anerkannter Flüchtlingsorganisationen oder des Auswärtigen Amtes belastbare Anhaltspunkte für Kapazitätsengpässe bei der Unterbringung und Versorgung rückgeführter Ausländer im zuständigen Mitgliedsstaat, habe das Bundesamt dem angemessen Rechnung zu tragen.
„Bei Vorliegen einer solchen Auskunftslage hat das zuständige Bundesamt angesichts der hier berührten hochrangigen Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 6 Abs. 1 GG und der bei der Durchführung von Überstellungen allgemein besonders zu beachtenden Gesichtspunkte der Familieneinheit und des Kindeswohls (vgl. etwa Erwägungsgrund 22 und Art. 14 Abs. 1 a) und b) der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger - Rückführungsrichtlinie) jedenfalls bei der Abschiebung von Familien mit Neugeborenen und Kleinstkindern bis zum Alter von drei Jahren in Abstimmung mit den Behörden des Zielstaats sicherzustellen, dass die Familie bei der Übergabe an diese eine gesicherte Unterkunft erhält, um erhebliche konkrete Gesundheitsgefahren in dem genannten Sinne für diese in besonderem Maße auf ihre Eltern angewiesenen Kinder auszuschließen.“ (BVerfG, Beschlüsse vom 17. September 2014 – a.a.O.).
So liegt es auch im vorliegenden Fall. Der Abschiebung stehen derzeit aller Voraussicht nach inlandsbezogene Abschiebungshindernisse entgegen. Der Antragsteller ist schwer erkrankt und ist suizidgefährdet. Er gab zunächst „lediglich“ an, „(offenbar) an einer neurologischen Erkrankung“ zu leiden. Der ihm behandelnde Arzt diagnostizierte „unklare Kribbelparästhesien der rechten Körperhälfte mit leichten Koordinationsstörungen“ und verwies den Antragsteller an einen Facharzt für Neurologie (Überweisungsschein vom …). In einem ärztlichen Attest vom … führt die Fachärztin für Allgemeinmedizin an:
„Herr K. leidet an einer mittelschweren bis schweren Episode einer Depression mit Ein- und Durchschlafstörungen, linksthorakalen Schmerzen, Beklemmungen.
Traurigkeit und Antriebsstörung ist ein anhaltendes Lebensgefühl, Konzentrationsstörungen sind sehr ausgeprägt.
Herrr K. leidet erheblich unter seinen jetzigen Lebensbedingungen.
Suizidale Gedanken nehmen immer mehr Raum ein.
Herr K. ist suizidgefährdet.
In dieser Lebenssituation ist eine stabile äußere Lebensmöglichkeit dringend erforderlich.
Eine Abschiebung würde höchstwahrscheinlich suizidale Folgen haben.
Herr K. braucht dringend psychotherapeutische Unterstützung.“
Ergänzend trägt der Antragsteller vor, dass ein Attest oder eine Diagnose von einem Psychiater/Psychotherapeuten nicht vorgelegt werden könne. Diese seien „ausgelastet“. Einen weiteren Überweisungsschein vom … lege er vor.
Zu den vorgelegten Attesten führt die Antragsgegnerin an, dass diese nicht von einem Facharzt für psychische Erkrankungen ausgestellt worden seien. Die in den Attesten angegebene Diagnose beruhte allein auf den Angaben des Antragstellers. Ihnen komme kein Beweiswert zu, weil sie den Mindestanforderungen für ärztliche Stellungnahmen nicht genügten.
Dem Vorbringen der Antragsgegnerin ist zuzustimmen, soweit es in der Weise zu verstehen ist, dass der Antragsteller mit seinen Behauptungen und der Vorlage der von Allgemeinmedizinern ausgestellten Atteste eine psychische Erkrankung nicht nachgewiesen hat. Gerade wegen der Unschärfen des Krankheitsbildes einer psychischen Erkrankung und der vielfältigen Symptome muss grundsätzlich hierfür ein fachärztliches Attest vorgelegt werden, aus dem sich nachvollziehbar ergeben muss, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. März 2006 – 1 B 91/05 -, NVwZ 2007, 346; Beschluss vom 11. September 2007 - 10 C 8.07 -, BVerwGE 129, 251). Die Diagnose der Allgemeinmedizinerin im vorliegenden Fall beruht ersichtlich lediglich auf den eigenen Angaben des Antragstellers. Eine ausführliche Anamnese, schon gar eines Facharztes, hat nicht stattgefunden. Auch die im Attest vom … angeführte prognostische Diagnose einer Suizidgefährdung ist nicht durch Umstände belegt, auf denen die Beurteilung beruht. Den Gerichten ist es zwar regelmäßig verwehrt, eigene medizinische Bewertungen, etwa zur Schwere zum Ausmaß einer Erkrankung vorzunehmen, ohne die hierfür erforderliche Sachkunde zu besitzen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. März 2006, a.a.O.). Da das Gericht die Behauptungen eines Antragstellers aber jeweils im Einzelfall zu überprüfen hat, dürfen auch Mindestanforderungen an die Verwertbarkeit ärztlicher Stellungnahmen gestellt werden. Aus den vom Betroffenen jeweils vorgelegten Attesten, Stellungnahmen oder anderen „Privatgutachten“ muss sich nachvollziehbar ergeben, aus welcher Grundlage die fachliche Beurteilung erfolgt ist. Dabei dürfen die Anforderungen an die Darlegungen und den Beweiswert der Äußerungen und der vorgelegten Unterlagen nicht überspannt, andererseits aber auch nicht negiert werden. Mutmaßungen, Spekulationen, Hinweise auf das Verhalten anderer Antragsteller wie auch bloße Behauptungen oder Gegenbehauptungen reichen nicht aus. Der Maßstab der Anforderungen richtet sich vielmehr wie in allen verwaltungsgerichtlichen Verfahren nach den formellen und materiellen Voraussetzungen der den Entscheidungen zugrundeliegenden Gesetzen, hier zusätzlich u.a. des Asylverfahrensgesetzes und der Dublin-VO. Auch in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren können im Rahmen der auch hier geltenden Amtsermittlungspflicht grundsätzlich Aufklärungspflichten erforderlich sein. Grenzen liegen in den Umständen, die in der Sphäre des Betroffenen liegen und die deshalb seiner besonderen Mitwirkung bedürfen. In einem Klageverfahren wird das Gericht auf entsprechende Behauptungen eines Klägers, bei ihm liege eine psychische Erkrankung oder eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) vor, an die Vorlage eines fachärztlichen Gutachtens Mindestanforderungen stellen, um im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes oder auf entsprechenden Beweisantrag ein Sachverständigengutachten einzuholen. Ein entsprechend gestellter Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Erkrankung an einer PTBS darf jedenfalls nicht allein mit der Begründung abgelehnt werden, dass der Betroffene diese Erkrankung „nicht glaubhaft gemacht” habe. Denn eine Pflicht zur Glaubhaftmachung, etwa i.S. von § ZPO § 294 ZPO, besteht für die Beteiligten in dem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verwaltungsprozess regelmäßig ebenso wenig wie eine Beweisführungspflicht. Liegen aber Anhaltspunkte vor, dass die Behauptung der psychischen Erkrankung mit einhergehender Suizidgefahr willkürlich aufgestellt oder aus der Luft gegriffen ist, besteht kein Anlass für weitere Ermittlungen oder eine Beweiserhebung (BVerwG, Beschluss vom 11. September 2007, a.a.O.).
Auch in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren, in welchem nicht allein die Reiseunfähigkeit im engeren Sinn zu prüfen ist, sondern auch, ob die Abschiebung als solche außerhalb des Transportvorganges eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bewirkt, muss der Betroffene an der Erforschung des Sachverhalts mitwirken. Das gilt im besonderen Maße für die Umstände, die in seiner Sphäre liegen. Allerdings muss dem Betroffenen in diesem Verfahren auch die Möglichkeit offen stehen, seine Behauptungen durch Vorlage ärztlicher Begutachtungen zu substantiieren und zu untermauern. Flüchtlinge, die sich im Überstellungsverfahren befinden, haben aber nur einen eingeschränkten Anspruch auf medizinische Leistungen. Nach § 4 Asylbewerberleistungsgesetz werden die erforderlichen ärztlichen Leistungen zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände gewährt. Gerade bei psychischen Erkrankungen ist die Versorgung durch Fachärzte, Psychiater oder Psychotherapeuten wegen der Wartezeiten auf eine Behandlungsmöglichkeit zusätzlich eingeschränkt. Drängt sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls, zu denen nicht allein die bloßen Behauptungen einer Erkrankung gehören, die Einholung eines Sachverständigengutachtens im gerichtlichen Verfahren auf, überwiegt das Aussetzungsinteresse des betroffenen Antragstellers. Bliebe diesem die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage versagt, wäre er der möglichen konkreten Gesundheitsgefahr ausgesetzt. Die damit verbundenen nicht auszuschließenden physischen und psychischen Beeinträchtigungen, die grundrechtliche Positionen betreffen, wären im Falle einer erfolgreichen Klage und dem damit verbundenen Recht auf Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland auch nicht rückgängig zu machen. Diese Beeinträchtigungen des Betroffenen wiegen schwerer als der Aufschub oder auch der Ausfall der Durchsetzung einer Überstellung in den an sich zuständigen Mitgliedsstaat im Falle der Stattgabe des Antrages und späterer Klageabweisung. Die grundsätzliche Wirksamkeit und Effektivität des gemeinsamen europäischen Asylsystems wird durch eine sich im Nachhinein als falsch herausstellende Unterbindung einer Überstellung im Einzelfall nicht in Frage gestellt, zumal die Dublin-Verordnungen ein Recht zum jederzeitigen Selbsteintritt der Mitgliedstaaten vorsehen und eine gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung zur Überstellung nicht besteht.
Im vorliegenden Verfahren weist der Antragsteller auf Abschiebungshindernisse hin, die sich aus seiner Erkrankung und der nicht ordnungsgemäßen Behandlung und der Suizidgefahr im Falle einer Überstellung ergeben. In dem ärztlichen Attest vom … führt die Fachärztin für Allgemeinmedizin einzelne oben genannte Krankheitssymptome an und schließt ab mit der Wertung, dass der Antragsteller dringend psychotherapeutischer Unterstützung bedürfe. Ob dies tatsächlich der Fall ist, lässt sich nicht ohne weitere Aufklärung einschätzen. Das Gericht verfügt nicht über die erforderliche Sachkunde, die Suizidgefahr einschätzen zu können. Anhaltspunkte, dass der Antragsteller die Behauptungen ohne greifbare Anhaltspunkte willkürlich aufgestellt hat und die Ärztin eine bloße Gefälligkeitsbescheinigung ausgestellt hat, bestehen nicht. Das gilt sowohl für die Ärztin, die das ärztliche Attest vom … ausgestellt, wie auch für den Facharzt für Allgemeinmedizin, der den Überweisungsschein vom … ausgestellt hat. Damit diagnostizieren bereits zwei Ärzte eine Erkrankung, die fachärztlicher Begutachtung bedarf. Der Antragsteller ist aus den vorgetragenen nachvollziehbaren Gründen auch nicht in der Lage, im vorliegenden vorläufigen Rechtsschutzverfahren weitere Atteste oder Gutachten von Fachärzten vorzulegen.
Angesichts dieser Situation sind die möglichen Gesundheitsverfahren bei einer Überstellung zu beachten. Sie müssen durch notwendige Vorkehrungen abgewehrt werden.
Dass eine solche Abwehr während und nach der Überstellung nach Italien erfolgen kann, ist derzeit nicht absehbar. In den dem Gericht vorliegenden aktuellen Erkenntnismitteln wird von Problemen der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen in Italien berichtet, die auch die Rückkehrer aus Mitgliedsstaaten betreffen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Bericht vom Oktober 2013; AIDA, National Contry Report Italy, April 2014).
Damit ist nicht sichergestellt, dass eine mögliche konkrete Gesundheitsgefährdung des Antragstellers ausgeschlossen ist. Der Abschiebung des Antragstellers stehen damit derzeit der Schutz der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 6 Abs. 1 GG entgegen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylVfG.