Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 17.05.2022, Az.: 9 U 6/22
Anspruch auf Rückzahlung wegen einer Genussrechtsbeteiligung nach außerordentlicher Kündigung der Beteiligung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 17.05.2022
- Aktenzeichen
- 9 U 6/22
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2022, 70048
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Lüneburg - 23.12.2021 - AZ: 5 O 387/20
Rechtsgrundlage
- § 6 der Genussrechtsbedingungen
In dem Rechtsstreit
pp.
hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 11. Mai 2022 durch die Richter am Oberlandesgericht ..., ... und ... für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 23. Dezember 2021 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 5. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 16.167,59 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 6. Januar 2021 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert für das Berufungsverfahren: Wertstufe bis 19.000 €.
Gründe
(§§ 313 a Abs. 1 Satz 1, 540 Abs. 2 ZPO):
I.
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Rückzahlung wegen einer Genussrechtsbeteiligung in Anspruch, welche sie (infolge einer einvernehmlichen Umwandlung einer zunächst bei der ... AG eingegangenen Genussrechtsbeteiligung, Anl. K 2 und K 3, Bd. I, Bl. 139 ff. d. A.) an der Rechtsvorgängerin der Beklagten, einer österreichischen Aktiengesellschaft, erworben hatte. Mit Schreiben vom 4. April 2019 (Anl. K 7, Bd. I, Bl. 146 d. A.) erklärte die Klägerin die außerordentliche Kündigung der Beteiligung.
Das Landgericht, auf dessen Urteil (Bd. III, Bl. 843 ff. d. A.) wegen der näheren Einzelheiten der tatbestandlichen Feststellungen, der gestellten Anträge und der Entscheidungsgründe verwiesen wird, hat unter Bejahung seiner internationalen und örtlichen Zuständigkeit sowie einer wirksamen Klageerhebung die Klage abgewiesen. Es hat gemeint, die Klägerin könne auch bei einer (vom Landgericht offengelassenen) wirksamen Beendigung ihrer Beteiligung einen Rückzahlungsoder Schadensersatzanspruch allenfalls in Höhe des Nennwerts ihrer Beteiligung abzüglich eines Verlustanteils geltend machen. Insoweit habe die Beklagte substantiiert und unter Bezugnahme auf die Bilanzen ihrer Rechtsvorgängerin vorgetragen, dass im Streitfall Verluste eingetreten seien, die anteilig den Nennbetrag der Beteiligung der Klägerin überstiegen. Diesen Vortrag habe die Klägerin nicht zureichend bestritten.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die ihr erstinstanzliches Prozessziel in vollem Umfang weiterverfolgt. Sie macht geltend, die Klägerin habe wirksam die außerordentliche Kündigung ihrer Beteiligung erklärt, nachdem die Rechtsvorgängerin der Beklagten mitgeteilt habe, die Genussrechtsbeteiligung durch die Durchführung einer grenzüberschreitenden Verschmelzung zum Untergang gebracht zu haben. Angesichts dessen hafte, wie zahlreiche Obergerichte in gleich gelagerten Fällen bereits entschieden hätten, die Beklagte für den der Klägerin hierdurch entstandenen Schaden. Dessen Höhe ergebe sich, wie ebenfalls vielfach gerichtlich entschieden worden sei, aus dem der Klägerin von der Rechtsvorgängerin mit Schreiben vom Februar 2019 (Anl. K 6, Bd. I, Bl. 144 f. d. A.) mitgeteilten rechnerischen Wert der Beteiligung. Zu insoweit abzugsfähigen Verlustanteilen habe die Beklagte nichts Überprüfbares vorgetragen.
Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Insbesondere habe das Landgericht zu Recht angenommen, dass die Genussrechte der Klägerin zum Stichtag der Schlussbilanz der Rechtsvorgängerin, also am 31. Dezember 2017, wertlos gewesen seien. Weiter macht die Beklagte geltend, sie habe zudem aufgezeigt, dass der Klägerin zum Ausgleich für die untergegangenen Genussrechte wirtschaftlich mehr als gleichwertige Rechte gewährt worden seien. Ohnehin müsse hinsichtlich des Wertes der Genussrechte zwischen dem rechnerischen Wert im Sinne eines Marktwertes und dem Rückzahlungsbetrag im Sinne des Buchwertes differenziert werden. Auf den der Klägerin mit Schreiben vom Februar 2019 mitgeteilten Wert könne insoweit nicht abgestellt werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen verwiesen.
II.
Die Berufung der Klägerin erweist sich in vollem Umfang als begründet, weshalb die angefochtene Entscheidung abzuändern und der Klage - auf den Hauptantrag hin - stattzugeben war.
1. Entgegen der Auffassung des Landgerichts steht der Klägerin ein Anspruch hinsichtlich der von der Beklagten und ihrer Rechtsvorgängerin zum Untergang gebrachten Genussrechte aus den von der Rechtsvorgängerin der Beklagten selber gestellten Genussrechtsbedingungen (Anl. K 5, Bd. I, Bl. 142 f. d. A.) zu. Die Forderung ergibt sich aus deren §§ 6 und 8, und zwar auch bei Anwendung österreichischen Rechts, namentlich der einschlägigen Regelungen des ABGB (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 31. März 2021, 20 U 24/20, juris; OLG Zweibrücken, Urteile vom 25. März und 20. Mai 2021, 4 U 137/20 und 4 U 34/20, juris; OLG Bremen, Urteil vom 1. Juli 2021, 3 U 39/20, juris; OLG Dresden, Urteil vom 3. März 2021, 5 U 1581/20, Anl. BK 12 im gesonderten Hefter).
Die Beklagte haftet für die seitens ihrer Rechtsvorgängerin eingegangene Verpflichtung aus § 6 Nr. 4 der Genussrechtsbedingungen, die "Genussrechte zu 100 % des Nennbetrages abzüglich eines etwaigen Verlustanteils zurückzuzahlen". Die Zahlungsverpflichtung ergibt sich im Streitfall bereits daraus, dass durch die vorgenommene grenzüberschreitende Verschmelzung der Rechtsvorgängerin der Beklagten auf eine nach dem Brexit-Beschluss im Vereinigten Königreich gegründete Limited Company die Genussrechtsbeteiligungen der Klägerin im Sinne von § 6 Nr. 3 der Genussrechtsbedingungen "vorzeitig vertragswidrig und in von der Gesellschaft zu vertretender Weise beendet" worden sind. Die Beklagte und ihre Rechtsvorgängerin haben damit gegen die in § 8 der Genussrechtsbedingungen übernommene Verpflichtung, den Bestand der Genussrechte durch einen Umwandlungsvorgang nicht zu berühren, verstoßen und schon damit den Rückzahlungsanspruch ausgelöst.
2. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass die Beteiligung spätestens durch die erklärte außerordentliche Kündigung beendet worden ist und so die aus § 6 Nr. 4 der Genussrechtsbedingungen herrührende Verpflichtung ausgelöst hat. Die Kündigung ist im Hinblick auf die in vertragswidriger Weise (weil zum Untergang der Genussrechte führende) erfolgte grenzüberschreitende Verschmelzung berechtigt gewesen.
3. Entgegen der Annahme der Beklagten ist kein greifbarer Anhalt dafür ersichtlich, dass der Klägerin im Sinne von § 8 Nr. 2 der Bedingungen "gleichwertige Rechte an dem neuen/übernehmenden Rechtsträger eingeräumt" worden sind. Es ist schon nicht nachvollziehbar vorgetragen, was den Anlegern, die Genussrechte an einer in Österreich ansässigen Aktiengesellschaft gezeichnet hatten, in dieser Hinsicht "eingeräumt" worden und in welcher Weise dies geschehen sein soll. In dem Rundschreiben der ... Anlegerverwaltung vom Februar 2019 (Anl. K 6, Bd. I, Bl. 144 f. d. A.) ist die Rede von einem "automatischen Wandel Ihrer Genussrechte/-scheine in Aktien" der Beklagten.
Abgesehen davon, dass "B-Anteile" (so die Berufungserwiderung der Beklagten) an einer nach dem Brexit im Vereinigten Königreich errichteten Limited nicht per se gleichwertig zu Genussrechten an einer österreichischen Kapitalgesellschaft sind, ist auch nicht ersichtlich, wie der Klägerin ohne/gegen ihren Willen derartige "B-Anteile" überhaupt gewährt worden sein sollen. Dass die Klägerin eine auf den Abschluss eines Treuhandvertrages gerichtete Willenserklärung betreffend "B-Anteile" oder "Aktien" an der Beklagten, zu deren wirtschaftlichen und realisierbaren Wert ihr keinerlei nachvollziehbare Informationen gegeben worden waren, abgegeben hätte, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
Zudem spricht auch die Prozessführung der Beklagten, die jegliche infolge der Verschmelzung übergeleitete Zahlungspflicht in Abrede nimmt und sich (auch in diversen weiteren, vor dem Senat anhängigen und anhängig gewesenen Berufungsverfahren) u. a. auf angesichts der Verschmelzung rechtsmissbräuchlich erscheinende formale Verteidigungsargumente stützt, dagegen, dass die in der Berufungserwiderung erwähnten "B-Anteile im Nominalwert von jeweils 0,001 €" an der Beklagten, einer in England ansässigen Limited Company, irgendeinen realisierbaren Wert haben könnten.
4. Nach § 6 der Genussrechtsbedingungen steht der Klägerin ein Anspruch auf Rückzahlung ihres Genussrechts abzüglich eines etwaigen Verlustanteils bezogen auf den maßgeblichen Stichtag zu. Hinsichtlich der Höhe der Forderung der Klägerin ist auf den von der Rechtsvorgängerin der Beklagten mit Schreiben vom Februar 2019 unter Bezugnahme auf aktuelle Auszüge aus dem Aktienregister mitgeteilten "rechnerischen Wert der Genussrechte/-scheine" (Anl. K 6, Bd. I, Bl. 145 d. A.) abzustellen, weil die Beklagte, anders als das Landgericht meint, zu den für die Ermittlung des Abfindungsanspruchs maßgeblichen Voraussetzungen, insbesondere einem nach den Genussrechtsbedingungen abzugsfähigen etwaigen Verlustanteil, nichts Überprüfbares vorgetragen hat.
Dass sich ihre Rechtsvorgängerin, wie die Beklagte mit Schriftsatz vom 20. August 2021 (Bd. III, Bl. 685 d. A.) vorgetragen hat, bis Ende 2016 Verbindlichkeiten von rd. 67 Mio. € ausgesetzt gesehen haben will (Bd. III, Bl. 697 d. A.) und dass bis zum selben Zeitpunkt rd. 58 Mio. € vom Genussrechtskapital zu tragende Verluste erwirtschaftet worden seien (Bd. III, Bl. 703 d. A.), ist weder überprüfbar dargestellt noch belegt worden. Vielmehr ist der Vortrag der Beklagten, nämlich ihre Rechtsvorgängerin habe bis Ende 2016 vom Genussrechtskapital zu tragende Verluste in Höhe von kumuliert rd. 58 Mio. € erwirtschaftet, nicht ansatzweise damit in Einklang zu bringen, dass der Klägerin im Februar 2019 mitgeteilt worden ist, der rechnerische Wert ihrer Genussrechtsbeteiligung belaufe sich auf rd. 16.000 € und sei bei einer Umwandlung der Anlage in "Stammaktien B mit einem Nennwert von 0,001 €" durch Realisierung eines Aufwertungspotenzials sogar zu steigern. Träfe der Vortrag der Beklagten, in Wahrheit seien bereits bis Ende 2016 zu Lasten des Genussrechtskapitals gehende Verluste von rd. 58 Mio. € erwirtschaftet worden, zu, ließe sich der Inhalt des an die Klägerin als Anlegerin gerichteten Schreibens vom Februar 2019 schwerlich anders verstehen als als Versuch, sie durch wirtschaftlich vollkommen unzutreffende Angaben von einer Beendigung ihrer Beteiligung abzubringen.
Mithin ist die (auf die Angabe "nackter" Zahlen beschränkte) Darstellung der Beklagten, die Genussrechte seien wertlos ("0,00 €") gewesen, nicht widerspruchsfrei mit dem der Klägerin noch mit Schreiben vom Februar 2019 mitgeteilten rechnerischen Wert ihrer Genussrechtsbeteiligung in Einklang zu bringen. Hinzu kommt, dass die Genussrechte nach § 5 Abs. 1 der Bedingungen allenfalls an dem Jahresfehlbetrag der Gesellschaft im jeweiligen Geschäftsjahr teilzunehmen hätten, nicht jedoch an Verlustvorträgen aus früheren Geschäftsjahren (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 31. März 2021, 20 U 24/20, juris, Rn. 105). Auf vermeintliche, in der Zeit bis 2016 entstandene Verluste (die der Klägerin als Anlegerin offenbar niemals mitgeteilt worden sind) kommt es mithin unter keinem Gesichtspunkt an.
5. Angesichts des Schreibens noch vom Februar 2019 gebotenen und überprüfbaren Vortrag dazu, wie und warum der Wert der Genussrechte der Klägerin gleichsam von einem Tag auf den anderen gänzlich verloren gegangen sei, hält die Beklagte nicht. Die Beklagte beschränkt sich in unzureichender Weise darauf, tabellarisch und teils in englischer Sprache nicht näher vereinzelte Rechenpositionen, die den Vermögensstatus ihrer Rechtsvorgängerin betreffen sollen, wiederzugeben. Diese einer wirtschaftlichen Bewertung oder deren Überprüfung nicht zugänglichen allgemeinen Rechtsausführungen sind, zumal unter den Umständen des Streitfalls, kein zureichender Sachvortrag zu einer mit den Mitteilungen der Rechtsvorgängerin der Beklagten nachvollziehbar zu vereinbarenden Ermittlung des Rückzahlungsanspruchs der Klägerin als vormaliger Genussrechtsinhaberin.
Wegen des Fehlens entsprechenden konkreten und überprüfbaren Vortrags der Beklagten zu den von ihr darzulegenden, für die Ermittlung des Abfindungsguthabens maßgeblichen Umständen ist es entgegen der Annahme des Landgerichts nicht an der Klägerin, (Sach-) Vortrag der Beklagten - den diese bei rechtem Licht betrachtet nicht gehalten hat - mit mehr als Nichtwissen zu bestreiten.
6. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 280, 286, 291 BGB.
7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 543 ZPO) liegen nicht vor.