Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 31.05.2010, Az.: 11 A 1520/09
Anforderungen an die hinreichende Bestimmheit eines Rücknahmebescheids; Erfordernis einer primären Prüfung des öffentlichen Interesses für eine Rücknahme eines rechtswidrigen Aufenthaltstitels; Wiederaufleben einer Aufenthaltserlaubnis nach Rücknahme einer rechtswidrigen Niederlassungserlaubnis
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 31.05.2010
- Aktenzeichen
- 11 A 1520/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 17235
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOLDBG:2010:0531.11A1520.09.0A
Rechtsgrundlagen
- § 48 Abs. 1 VwVfG
- § 48 Abs. 4 VwVfG
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Zwar ist es üblich, einen schriftlichen Verwaltungsakt nach dem Datum seiner Abfassung zu bezeichnen, ein Rücknahmebescheid ist aber auch dann noch hinreichend bestimmt, wenn er den zurückgenommenen Verwaltungsakt mit dem Datum der Bekanntgabe bezeichnet.
- 2.
Der "Erlass" eines Verwaltungsaktes ist zwar nicht immer zwingend gleichbedeutend mit der "Bekanntgabe", beides fällt aber zusammen, wenn der Betroffene den Bescheid persönlich bei der Behörde abholt.
- 3.
Bei der Ermessensentscheidung nach § 48 Abs. 1 VwVfG darf sich die Behörde nicht mit der Feststellung begnügen, dass keine privaten Interessen gegen eine Rücknahme sprechen, sondern muss zunächst prüfen, welche öffentliche Interessen für eine Rücknahme sprechen.
- 4.
Entscheidet sich die Behörde, einen rechtswidrigen Aufenthaltstitel zurückzunehmen, muss in ihren Ermessenserwägungen zum Ausdruck kommen, dass sie die Alternativen der Rücknahme ex tunc oder ex nun gesehen und gegeneinander abgewogen hat.
- 5.
Eine Aufenthaltserlaubnis erlischt, wenn dem Ausländer eine Niederlassungserlaubnis erteilt wird, und lebt auch bei einer Rücknahme der Niederlassungserlaubnis ex tunc nicht wieder auf.
- 6.
Die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG beginnt neu zu laufen, wenn ein Rücknahmebescheid vom Gericht wegen Ermessensfehlern aufgehoben wurde.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rücknahme einer Niederlassungserlaubnis.
Der Kläger am 1. September 1985 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er reiste im Jahre 1989 mit seinen Eltern nach Deutschland ein. Die Asylanträge blieben erfolglos.
Am 29. Juni 1998 erhielt der Kläger erstmal eine Aufenthaltsbefugnis nach der sogenannten Niedersächsischen Bleiberechtsregelung vom 18. Oktober 1990. Die Aufenthaltsbefugnis wurde mehrfach verlängert, seit Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes als Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG. Die letzte Verlängerung erfolgte am 7. Januar 2008 mit Gültigkeit bis zum 29. Januar 2010.
Nachdem zwei Anträge des Klägers auf Erteilung unbefristeter Aufenthaltstitel daran gescheitert waren, dass er seinen Lebensunterhalt nicht ohne Inanspruchnahme von Sozialleistungen sichern konnte, übernahm der Kläger im März 2008 einen Imbissbetrieb und beantragte am 15. Mai 2008 die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Das Job-Center teilte der Beklagte auf Anfrage mit, dass der Kläger seit 1. März 2008 keine Leistungen nach dem SGB II mehr erhalte, sondern den Lebensunterhalt durch Einnahmen aus selbständiger Erwerbstätigkeit bestreite. Die Beklagte ließ sich in den folgenden Monaten vom Kläger Nachweise über die erzielten Gewinne vorlegen. Am 26. August 2008 fertigte sie für den Kläger eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG aus. Am 31. August 2008 gab der Kläger seinen Gewerbebetrieb auf. Am 1. September 2008 holte er die Niederlassungserlaubnis bei der Beklagten ab und zahlte die Erteilungsgebühr ein. Vom selben Tag an erhielt er auch wieder vom Job-Center Leistungen nach dem SGB II.
Die Beklagte konfrontierte den Kläger mit Schreiben vom 3. Februar 2009 mit diesem Sachverhalt und hörte ihn zu einer beabsichtigten Rücknahme der Niederlassungserlaubnis an. Daraufhin bestellte sich am 5. März 2009 sein jetziger Prozessbevollmächtigter als Verfahrensbevollmächtigter und bat um Akteneinsicht, die ihm am 12. März 2009 gewährt wurde. Der Verfahrensbevollmächtigte sandte die Akte am 27. März 2009 zurück; eine Äußerung zur Sache erfolgte nicht.
Mit Bescheid vom 22. April 2009, dem Verfahrensbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 24. April 2009 nahm die Beklagte die dem Kläger "am 1. September 2008 erteilte Niederlassungserlaubnis" zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Voraussetzungen für die Niederlassungserlaubnis hätten schon nicht mehr vorgelegen, als sie dem Kläger am 1. September 2008 ausgehändigt wurde. Denn der Kläger habe sein Gewerbe bereits am 31. August 2008 aufgegeben und beziehe seit dem 1. September 2008 wieder Leistungen nach dem SGB II für sich und seine Familie. Die Rücknahme stehe im pflichtgemäßen Ermessen der Beklagten. Gründe, die gegen eine Rücknahme sprechen, seien nicht ersichtlich. Namentlich hätte die Niederlassungserlaubnis auch nicht aufgrund anderer Vorschriften erteilt werden können. Da dem Kläger die Aufenthaltserlaubnis nach § 23 AufenthG "belassen" werde, entstünden ihm durch die Rücknahme auch keine Nachteile. Weiter heißt es in dem Bescheid: "Die Niederlassungserlaubnis ist daher ab Erteilung zurückzunehmen." Der Kläger hat am 25. Mai 2009 Klage erhoben. Er ist der Auffassung, der Rücknahmebescheid sei ermessensfehlerhaft. Es liege ein Ermessensfehl- bzw. Ermessensnichtgebrauch vor. Durch die Formulierung, dass der Kläger "für sich und seine Familie" wieder SGB II-Leistungen beziehe, habe die Beklagte zum Ausdruck gebracht, dass sie verkennt, dass es im Rahmen der Niederlassungserlaubnis nur auf die Lebensunterhaltssicherung für den Kläger selbst ankomme. Die Beklagte habe auch keinerlei Ermessenserwägungen dahingehend angestellt, ob die Niederlassungserlaubnis nur mit Wirkung für die Zukunft oder auch mit Rückwirkung zurückgenommen werden soll. Dies sei insbesondere deswegen von Bedeutung, weil die Staatsangehörigkeit seines inzwischen geborenen jüngsten Kindes davon abhänge. Weitere Ermessenserwägungen enthalte der Bescheid überhaupt nicht. Die lange Aufenthaltsdauer des Klägers, die eine Aufenthaltsbeendigung ohnehin ausschließe, sei ebenso wenig berücksichtigt worden wie der Umstand, dass die Niedersächsische Bleiberechtsregelung materiell ohnehin auf einen Daueraufenthalt angelegt sei. Außerdem lägen die Voraussetzungen für eine Rücknahme nicht vor. Die Niederlassungserlaubnis sei ausweislich der Verfügung im Verwaltungsvorgang und ausweislich des in ihr selbst eingetragenen Ausstellungsdatums nicht am 1. September, sondern am 26. August 2008 erteilt worden, während der Imbissbetrieb erst am 31. August 2008 aufgegeben wurde. Deshalb gehe auch der Tenor des Bescheides ins Leere; eine "am 1. September 2008 erteilte Niederlassungserlaubnis" gebe es gar nicht. Ein neuer Rücknahmebescheid könne wegen Ablaufs der Jahresfrist nach § 48 Abs. 4 VwVfG nicht mehr erlassen werden.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 22. April 2009 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, im angefochtenen Bescheid ausdrücklich Ermessen ausgeübt zu haben. Weitergehende Ermessenserwägungen seien unterblieben, weil der Kläger im Rahmen der Anhörung diesbezüglich nichts vorgetragen habe und auch keine Umstände, die zu solchen Erwägungen Anlass boten, offenkundig waren. Es sei im Rahmen des Ermessens aber berücksichtigt worden, dass dem Kläger keine Niederlassungserlaubnis aufgrund einer anderen Vorschrift zustehe und dass ihm nach Rücknahme der Niederlassungserlaubnis noch seine Aufenthaltserlaubnis verbleibe. Was die Lebensunterhaltssicherung angehe, so müsse nach § 2 Abs. 3 AufenthG auch der Lebensunterhalt der Familienangehörigen gesichert werden. Letztendlich komme es darauf aber nicht an, weil der Kläger auch selbst Leistungen nach dem SGB II beziehe. Erteilungsdatum der Niederlassungserlaubnis sei gemäß § 43 Abs. 1 VwVfG der 1. September 2008, da dem Kläger die Niederlassungserlaubnis an diesem Tag durch Aushändigung bekannt gegeben worden sei. Dies werde dadurch bestätigt, dass der Kläger an diesem Tag die Erteilungsgebühr am Kassenautomaten der Beklagten eingezahlt habe.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet. Der Rücknahmebescheid der Beklagten vom 22. April 2009 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage der Rücknahme ist § 48 VwVfG. Denn das AufenthG enthält nur für den Widerruf ursprünglich rechtmäßig erteilter Aufenthaltstitel Spezialvorschriften, nicht aber für die Rücknahme von Aufenthaltstiteln, die bereits bei ihrer Erteilung rechtswidrig waren (vgl. Schäfer, GK-AufenthG, § 52 Rn. 33, § 51 Rn. 34). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtswidrigkeit oder Rechtmäßigkeit des Rücknahmebescheides ist dabei nach neuster Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. Urteil vom 13. April 2010 - 1 C 10.09 - noch nicht im Volltext veröffentlicht).
Der Rücknahmebescheid vom 22. April 2009 ist formell rechtmäßig. Er lässt namentlich mit hinreichender Bestimmtheit (§ 37 Abs. 1 VwVfG) erkennen, welcher Verwaltungsakt aufgehoben werden soll.
Der Inhalt eines Verwaltungsaktes ist nach dem objektiven Erklärungswert aus Sicht des Empfängerhorizonts zu beurteilen, d.h. danach, wie Adressaten und Drittbetroffene den Verwaltungsakt nach Treu und Glauben verstehen müssen bzw. dürfen. Unklarheiten gehen dabei zu Lasten der Verwaltung, die es in der Hand gehabt hätte, eine eindeutigere Formulierung zu wählen (vgl. Kopp/ Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., § 35 Rn. 18 f.).
Bei Anwendung dieser Auslegungsgrundsätze auf den hier angefochtenen Rücknahmebescheid lässt dieser mit hinreichender Deutlichkeit erkennen, welcher Verwaltungsakt zurückgenommen wird: Nämlich diejenige Niederlassungserlaubnis, die am 26. August 2008 von der Beklagten für den Kläger ausgefertigt und diesem am 1. September 2008 bekannt gegeben worden war. Zwar ist dem Kläger zuzugeben, dass die Beklagte mit ihrer Entscheidung, diesen Verwaltungsakt im Tenor des Rücknahmebescheides nach seinem Bekanntgabedatum als "am 1. September 2008 erteilte Niederlassungserlaubnis" zu bezeichnen, von der allgemein üblichen Ausdrucksweise abgewichen ist. Auch wenn Verwaltungsakte gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 VwVfG erst im Zeitpunkt ihrer Bekanntgabe wirksam werden, ist es doch allgemein üblich, schriftliche Verwaltungsakte nicht nach dem Bekanntgabedatum sondern nach dem Datum, unter dem die Behörde sie verfasst hat, zu zitieren. Nach der Erfahrung des Einzelrichters nennen sowohl die Verwaltungsgerichte als auch die Prozessbeteiligten praktisch einhellig das Datum, unter dem der Verwaltungsakt verfasst wurde, und nicht das Bekanntgabedatum, wenn sie tenorieren bzw, beantragen, dass "der Bescheid vom ..... aufgehoben" wird. Dies macht im Interesse der Rechtsklarheit auch Sinn, denn in aller Regel kann nur das Abfassungsdatum dem Bescheid selbst entnommen werden, während das Bekanntgabedatum erst mit Hilfe weitere Aktenstücke - etwa Postzustellungsurkunden, Empfangsbekenntnisse, Übergabevermerke - bestimmt, bei der formlosen Bekanntgabe häufig sogar nur nach § 41 Abs. 2 VwVfG fingiert werden kann. Dies wird gerade hier deutlich: Die Niedererlassungserlaubnis selbst, in die nach § 78 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AufenthG das Ausstellungsdatum einzutragen ist, enthält hier nur die Datumsangabe "26. August 2008", während das Bekanntgabedatum "1. September 2008" mühsam über den Nachweis der Einzahlung der Erteilungsgebühr am Kassenautomaten der Beklagten rekonstruiert werden muss. Insofern wäre es sicher vorzugswürdig gewesen, die Niederlassungserlaubnis auch im Tenor des Rücknahmebescheides als "Niederlassungserlaubnis vom 26. August 2008" zu bezeichnen. Diese Abweichung von der üblichen Ausdrucksweise führt aber noch nicht dadurch, dass sich der Gegenstand des Rücknahmebescheides nicht mehr mit hinreichender Bestimmtheit im Rahmen der Auslegung ermitteln ließe. Angesichts des Umstandes, dass dem Kläger nur eine einzige Niederlassungserlaubnis erteilt wurde, dass zwischen dem in der Niederlassungserlaubnis genannten Ausstellungsdatum und dem im Rücknahmebescheid genannten Bekanntgabedatum ein Abstand von nur wenigen Tagen liegt, was es für jeden aufmerksamen Leser zusätzlich unwahrscheinlich macht, dass es um zwei verschiedene Niederlassungserlaubnisse geht, und angesichts der Ausführungen in der Begründung, die ausdrücklich erwähnt, dass es sich die Formulierung "am 1. September 2008 erteilt" auf den Bekanntgabezeitpunkt bezieht, konnte es hier für keinen, der den Rücknahmebescheid liest, ernsthaft zweifelhaft sein, welcher Verwaltungsakt zurückgenommen wird.
Ferner liegen auch die Tatbestandsvoraussetzungen einer Rücknahme nach § 48 VwVfG vor.
Eine solche Rücknahme setzt zunächst voraus, dass der aufzuhebende Verwaltungsakt bereits im Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig war. War er dagegen bei Erlass noch rechtmäßig und sind seine Erteilungsvoraussetzungen erst später weggefallen, kommt nur ein Widerruf in Betracht (vgl. Kopp/ Ramsauer, a.a.O.., § 48 Rn. 57).
Die dem Kläger erteilte Niederlassungserlaubnis war bereits im Zeitpunkt ihres Erlasses rechtswidrig, weil schon damals die Erteilungsvoraussetzung der Lebensunterhaltssicherung (§§ 26 Abs. 4 Satz 1, 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG) nicht erfüllt war.
Maßgeblicher Zeitpunkt ist dabei entgegen der Ansicht des Klägers nicht der 26. August 2008, sondern der 1. September 2008 als der Tag, an dem der Kläger die Niederlassungserlaubnis bei der Beklagten abholte.
Dass die Niederlassungserlaubnis vom Kläger erst am 1. September 2008 abgeholt wurde, steht zur Überzeugung des Einzelrichters ohne vernünftigen Zweifel fest. Zwar sagte der Kläger, ohne sich konkret erinnern zu können, in der mündlichen Verhandlung, er "meine" die Niederlassungserlaubnis früher abgeholt zu haben. Diesem unsubstantiierten Bestreiten steht aber der Nachweis gegenüber, dass die Erteilungsgebühr vom Kläger am 1. September 2008 am Kassenautomaten der Beklagten eingezahlt wurde. Verbunden mit der nachvollziehbaren Darstellung der Beklagten, dass Aufenthaltstitel nach ihrer ständigen Verwaltungspraxis erst nach Einzahlung der Gebühr ausgehändigt werden, und der gleichlautenden Einlassung des Klägers, er habe erst bezahlt und dann die Niederlassungserlaubnis bekommen, beweist der Einzahlungsnachweis hier das Übergabedatum.
Nicht entscheidend ist hier allerdings, dass die Niederlassungserlaubnis nach § 43 Abs. 1 Satz 1 VwVfG erst mit Bekanntgabe wirksam wurde. Denn der "Erlass" eines Verwaltungsaktes ist nicht zwangsläufig gleichbedeutend mit seiner "Bekanntgabe" bzw. seiner "Wirksamkeit". Ein Verwaltungsakt ist erlassen, wenn die Behörde ihrerseits alles getan hat, was zur Bewirkung der Bekanntgabe erforderlich ist. Bei beispielsweise mündlich oder telefonisch bekannt gegebenen Verwaltungsakten fallen Bekanntgabe und Erlass damit zusammen. Bei der Bekanntgabe schriftlicher Verwaltungsakte per Post oder Boten ist der Erlass dagegen bereits abgeschlossen, wenn das Schriftstück zur Post gegeben wurde oder den Machtbereich der Behörde auf andere Weise verlassen hat, während die Bekanntgabe erst mit dem Zugang des Schreibens beim Adressaten erfolgt (vgl. Kopp/ Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., § 41 Rn. 20). Nach diesen Grundsätzen wurde die Niederlassungserlaubnis hier am 1. September 2008 erlassen, als sie dem Kläger in den Amtsräumen der Beklagten ausgehändigt wurde. Erlass und Bekanntgabe fielen hier - wie bei einem mündlich erlassenen Verwaltungsakt - zusammen. Nach Auskunft der Vertreterin der Beklagten in der mündlichen Verhandlung wurde am "Ausstellungsdatum" 26. August 2008 lediglich die Ausstellung verfügt (vgl. Bl. 174 des Verwaltungsvorgangs), der Passaufkleber mit der Niederlassungserlaubnis angefertigt und dann im Tresor der Beklagten bis zur Abholung durch den Kläger verwahrt. Das bedeutet: Vor der Abholung am 1. September 2008 befand sich der Aufkleber mit der Niederlassungserlaubnis noch in der behördeninternen Sphäre der Beklagten und hatte deren Machtbereich noch nicht verlassen. Die Beklagte hatte auch noch nicht alles getan, was von ihrer Seite zur Bewirkung der Bekanntgabe erforderlich war. Vielmehr musste noch einer ihrer Bediensteter prüfen, ob der Kläger die Erteilungsgebühr entrichtet hat, dann zum Tresor gehen, diesen öffnen, die Niederlassungserlaubnis entnehmen und sie dem Kläger übergeben.
Am 1. September 2008 war der Lebensunterhalt des Klägers aber bereits nicht mehr gesichert, da er seinen Gewerbebetrieb zum 31. August 2008 aufgegeben und laut Bescheid des Job-Centers Wilhelmshaven vom 3. November 2008 seit dem 1. September 2008 wieder Anspruch auf Arbeitslosengeld II hatte. Dabei kann hier dahinstehen, ob § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG fordert, dass der Lebensunterhalt der gesamten Familie gesichert ist, oder ob es ausreicht, wenn der betroffene Ausländer seinen eigenen Lebensunterhalt sichern kann. Zwar soll es nach der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift des BMI zum AufenthG vom 26. Oktober 2009, Ziff. 9.2.1.2, auf den Lebensunterhalt der gesamten Familie ankommen. Ein Großteil der Verwaltungsgerichte sieht dies aber anders (vgl. VG Hamburg, Urteil vom 9. Juni 2009 - 10 K 3065/08 -, [...]; VG Augsburg, Urteil vom 11. Dezember 2007 -AU 1 K 07.1061 -, [...]; VG Ansbach, Urteil vom 23. April 2009 - AN 5 K 09.00231 -, [...]). Jedenfalls dann, wenn die Familienangehörigen ein vom Antragsteller unabhängiges Aufenthaltsrecht besaßen, sah auch das BVerwG schon nach dem früheren AuslG die Sicherung des Lebensunterhaltes des Antragstellers selbst als ausreichend an (vgl. Urteil vom 28. September 2004 - 1 C 10/03 - NVwZ 2005, 460). Da der Kläger laut dem Bescheid des JobCenters vom 3. November 2008 aber auch für sich selbst am 1. September 2008 Arbeitslosengeld II bezog (334,94 EUR zzgl. 78,80 EUR für Kosten der Unterkunft und Heizung), ist diese Frage hier nicht entscheidend.
Da die Vorschriften des § 48 Abs. 2 und 3 VwVfG einer Rücknahme nicht entgegen stehen und auch die Jahresfirst des § 48 Abs. 4 VwVfG eingehalten wurde, liegen die Tatbestandsvoraussetzungen der Rücknahme vor.
Der Rücknahmebescheid vom 22. April 2009 ist aber ermessensfehlerhaft.
Zwar kann der Beklagten entgegen der Ansicht des Klägers ein völliger Ermessensausfall nicht vorgeworfen werden. Im angefochtenen Bescheid wird auf S. 2 im 4. Absatz nach Prüfung der Tatbestandsvoraussetzunge des § 48 VwVfG ausdrücklich ausgeführt, dass "nach pflichtgemäßem Ermessen zu prüfen [sei], ob die Niederlassungserlaubnis zurückgenommen werden kann." Auch wenn der Kläger einen Ermessensfehler daraus herleiten will, dass die Beklagte auf die fehlende Lebensunterhaltssicherung "für sich [den Kläger]und seine Familie" [Hervorhebung nicht im Original] abstellte, überzeugt dies nicht. Zwar ist - wie oben dargelegt - durchaus fraglich, ob sich die Lebensunterhaltssicherung bei § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG auch auf die gesamte Familie beziehen muss. Die vorstehende Passage findet sich im angefochtenen Bescheid aber nicht in den Ermessenserwägungen, sondern im Rahmen der Prüfung, ob die Niederlassungserlaubnis von Anfang an rechtswidrig war - also: im Rahmen der Prüfung des Rücknahmetatbestandes. Auf der Tatbestandsseite kommt es aber nicht darauf an, ob die rechtlichen Erwägungen, mit denen die Behörde die Tatbestandsvoraussetzungen für den Erlass eines Verwaltungsaktes (hier: Rechtswidrigkeit der Niederlassungserlaubnis als Tatbestandsvoraussetzung der Rücknahme) als erfüllt ansah, in jeder Hinsicht zutreffen. Es reicht vielmehr aus, wenn diese rechtlichen Voraussetzungen nach Ansicht des Gerichts objektiv vorlagen (hier also: die Niederlassungserlaubnis objektiv rechtswidrig war). Nur auf der Ermessensseite ist es wichtig, dass die Behörde auch subjektiv von zutreffenden rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen ausging.
Ebenso kann ein Ermessensfehler nicht darin gesehen werden, dass die Behörde nicht ausreichend Gründe, die gegen eine Rücknahme sprechen, in Erwägung gezogen habe. Auch diese Argumentation des Klägers geht ins Leere. Obwohl der Kläger bereits im Verwaltungsverfahren anwaltlich vertreten war und sein Bevollmächtigter Akteneinsicht gehabt hatte, hat er in den circa zweieinhalb Monaten zwischen der Anhörung und dem Erlass des Rücknahmebescheides keine persönlichen Interessen vorgetragen, die einer Rücknahme entgegen stehen. Wenn ein Ausländer entgegen seiner Mitwirkungspflicht aus § 82 Abs. 1 S. 1 AufenthG trotz ordnungsgemäßer Anhörung bislang unbekannte Gesichtspunkte aus seiner Sphäre (etwa seinen persönlichen Verhältnissen) nicht vorträgt, kann er nicht im gerichtlichen Verfahren rügen, die Behörde habe wegen der Nichtberücksichtigung dieser Belange ermessensfehlerhaft gehandelt (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 5. März 2007 - 10 ME 64/07 -, [...]).
Ermessensfehler liegen aber insofern vor, als die Beklagte keine Gründe genannt hat, die für eine Rücknahme sprechen, kein Ermessen im Hinblick auf die Frage, ob mit Wirkung für die Vergangenheit oder nur mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen werden soll, angestellt hat und hinsichtlich der Frage, welche Folgen die Rücknahme der Niederlassungserlaubnis für die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Klägers in Deutschland hat, von falschen rechtlichen Voraussetzungen ausging.
Wenn sich ein Aufenthaltstitel als von Anfang an rechtswidrig erweist, hat die Behörde ein offenes Ermessen, ob sie ihn nach § 48 VwVfG zurücknehmen will. Die Ermessensausübung ist nicht von vornherein in eine bestimmte Richtung intendiert, etwa dahingehend, dass grundsätzlich eine Rücknahme zu erfolgen hat und davon nur abgesehen werden kann, wenn besondere Gründe dagegen sprechen. Vielmehr sind alle bekannten oder für die Behörde erkennbaren Umstände des Einzelfalls, die für oder gegen eine Rücknahme sprechen, gegeneinander abzuwägen (vgl. OVG Saarland, Urteil vom 11. März 2010 - 2 A 491/09 -, [...] Rn. 35 f.). Die Beklagte hat ihre Ermessenserwägungen hier aber darauf beschränkt, dass dem Kläger auch aufgrund anderer Vorschriften kein Anspruch auf eine Niederlassungserlaubnis zustehe und Gründe, die gegen eine Rücknahme sprechen, nicht ersichtlich seien, zumal dem Kläger seine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG "belassen" bleibe. Ob es Gründe gibt, die für eine Rücknahme sprechen, hat sie dagegen nicht in ihre Ermessenserwägungen einbezogen. Ein "offenes" Ermessen darf sich aber nicht darauf beschränken, festzustellen, dass nichts gegen die von der Behörde beabsichtigte Maßnahme spricht, sondern muss im Gegenteil zunächst einmal davon ausgehen, ob etwas für diese Maßnahme spricht. Nur wenn im ersten Schritt festgestellt wurde, dass gute Gründe für die Rücknahme sprechen, muss im nächsten Schritt überhaupt geprüft werden, ob noch bessere Gründe dagegen sprechen. Man kann dem Kläger hier auch nicht vorhalten, dass er solche Gründe nicht vorgetragen habe. Anders als hinsichtlich der gegen eine Rücknahme sprechenden Privatinteressen ist es hinsichtlich der für eine Rücknahme sprechenden öffentlichen Interessen selbstverständlich Aufgabe der Behörde, diese von Amts wegen zu ermitteln und in ihre Ermessenserwägungen einzustellen. Solche Gründe dürfte es hier auch durchaus geben. So spricht für eine Rücknahme, dass dem Kläger aufgrund des Verfahrensablaufs und seiner früheren Anträge auf unbefristete Aufenthaltstitel, die jeweils am Erfordernis der Lebensunterhaltssicherung gescheitert sind, bekannt gewesen sein muss, dass die Aufgabe seines Gewerbebetriebs von Relevanz für die Niederlassungserlaubnis ist. Wenn er bei der Abholung der Niederlassungserlaubnis dennoch verschwieg, dass er seinen Betrieb am Vortag aufgegeben hatte, grenzt dies jedenfalls hart an eine arglistige Täuschung im Sinne des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG. Insofern kann auch der generalpräventive Aspekt, anderen Ausländern zu verdeutlichen, dass ein solches Verhalten keine Früchte trägt, für eine Rücknahme bemüht werden. Ferner spricht für eine Rücknahme, dass der Kläger bereits circa fünf Monate nach Erteilung der Niederlassungserlaubnis zur beabsichtigten Rücknahme angehört wurde, so dass sich ein langfristiges Vertrauen auf deren Fortbestand noch nicht aufbauen konnte. Vor diesem Hintergrund geht das Gericht nicht davon aus, dass das Ermessen der Beklagten aus Rechtsgründen - etwa durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz - dahingehend auf Null reduziert war, von einer Rücknahme abzusehen. Das Gericht kann die vorstehenden Erwägungen aber nicht selbst ins Spiel bringen, um die unzureichenden Ermessenserwägungen des angefochtenen Bescheides zu vervollständigen. Nur die Beklagte kann im Rahmen einer erneuten Ermessensbetätigung entscheiden, ob sie sich von den vorstehend angeführten Erwägungen leiten lassen und die Rücknahme erneut verfügen will.
Ein weiterer Ermessensfehler ist der Beklagten dadurch unterlaufen, dass sie im Anschluss an ihre Ermessensentscheidung, die Niederlassungserlaubnis generell zurückzunehmen, kein weiteres Ermessen im Hinblick darauf angestellt hat, ob die Rücknahme nur mit Wirkung für die Zukunft oder auch mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgen soll. Denn wenn eine Behörde sich entschieden hat, einen rechtswidrigen Aufenthaltstitel grundsätzlich zurücknehmen zu wollen, muss sie in einem weiteren Schritt nach Ermessen prüfen, ob diese Rücknahme nur ex nunc oder auch ex tunc wirken soll (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26. März 2009 - 2 M 14/09 -, [...] Rn. 17). Die Beklagte hat hier aber im Anschluss an ihre Ermessenserwägungen zur Frage, ob überhaupt zurückgenommen werden soll, lediglich festgestellt: "Die Niederlassungserlaubnis ist daher ab Erteilung zurückzunehmen." Im angefochtenen Bescheid wird nirgends deutlich, dass sie die Alternative einer bloß für die Zukunft wirkenden Rücknahme überhaupt gesehen und in Betracht gezogen hat; erst recht wird nicht deutlich, welche Gründe sie bewogen haben, eine rückwirkende Rücknahme vorzuziehen. Auch im gerichtlichen Verfahren ist keine diesbezügliche Ergänzung der Ermessenserwägungen erfolgt.
Dies steht in engem Zusammenhang mit der fehlerhaften Feststellung der Beklagten, dem Kläger bleibe seine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 23 AufenthG belassen. Bei dieser Ermessenserwägung geht die Beklagte von der falschen rechtlichen Voraussetzung aus, die alte Aufenthaltserlaubnis des Klägers würde durch die Rücknahme der Niederlassungserlaubnis quasi automatisch wieder aufleben. Hintergrund ist nach den Erläuterungen der Vertreterin der Beklagten in der mündlichen Verhandlung, dass auch nach dem Willen der Beklagten trotz der Rücknahme der Niederlassungserlaubnis der Aufenthalt des Klägers in Deutschland ununterbrochen rechtmäßig bleiben und keine Aufenthaltsbeendigung erfolgen soll.
Grundsätzlich ist die Überlegung, dass der Betroffene trotz der Rücknahme der Niederlassungserlaubnis rechtmäßig in Deutschland bleiben können wird, eine einschlägige und zutreffende Ermessenserwägung (vgl. VG Dresden, Beschluss vom 1. August 2007 -3 K 1359/07 -, [...] Rn. 18). Das Ziel, die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes des Klägers nicht zu unterbrechen, ist aber bei einer Rücknahme der Niederlassungserlaubnis für die Vergangenheit nicht zu erreichen. Die dem Kläger zuletzt am 7. Januar 2008 bis zum 29, Januar 2010 verlängerte Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG ist nämlich durch Erledigung "auf andere Weise" im Sinne des § 43 Abs. 2 VwVfG erloschen, als ihm am 1. September 2009 eine Niederlassungserlaubnis erteilt wurde. Es muss hier entsprechendes gelten wie für das Schicksal einer Aufenthaltserlaubnis im Falle der Einbürgerung. Für diese Fallkonstellation ist anerkannt, dass die Einbürgerung die Regelung des Aufenthaltstitels, dem Antragsteller ein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet zu verschaffen, gegenstandslos werden lässt und damit dazu führt, dass der Aufenthaltstitel durch Erledigung erlischt. Ferner ist anerkannt, dass er selbst bei einer Rücknahme der Einbürgerung mit Wirkung für die Vergangenheit nicht wiederauflebt (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 21. Januar 2010 - 7 B 3163/09 -, InfAuslR 2010, 197 f.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 31. Januar 2008 - 18 A 4547/06 - InfAuslR 2008, 208; Niedersächsisches OVG, Urteil vom 13.07.2007 - 13 LC 468/03 - [...], RN 37; Hamburgisches OVG, Beschluss vom 28.08.2001 - 3 Bs 102/01 -, [...], Rn 28). Ebenso wird aber die Regelung der Aufenthaltserlaubnis, dem Kläger befristet den Aufenthalt in Deutschland zu gestatten (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 AufenthG), durch die Regelung der Niederlassungserlaubnis, dem Kläger den Aufenthalt in Deutschland unbefristet zu gestatten (vgl. § 9 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) gegenstandslos. Die Aufenthaltserlaubnis erlischt daher durch Erledigung und lebt auch durch die rückwirkende Rücknahme der Niederlassungserlaubnis nicht automatisch wieder auf. Bei einer Rücknahme der Niederlassungserlaubnis wird dem Kläger seine alte Aufenthaltserlaubnis also nicht, wie die Beklagte im Rahmen ihrer Ermessensausübung meinte, "belassen", sondern es könnte ihm allenfalls auf Antrag (§ 81 Abs. 1 AufenthG) eine neue Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Davor müsste allerdings näher geprüft werden, ob die Voraussetzungen für die Neuerteilung einer Aufenthaltserlaubnis überhaupt vorliegen; eine bloße "Verlängerung" der alten Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG ist nämlich nicht möglich, da diese ja bereits am 1. September 2008 erloschen ist.
Sollte eine neue Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, könnte dies aber jedenfalls frühestens mit Wirkung ab Antragstellung geschehen, nicht jedoch für den Zeitraum vor der Antragstellung (VG Oldenburg, Beschluss vom 12. März 2010 - 10 B 761/10 -). Zwingende Folge daraus ist, dass bei einer rückwirkenden Rücknahme der Niederlassungserlaubnis die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes des Klägers in Deutschland mindestens für die Zeit vom 1. September 2008 bis zu dem Zeitpunkt, an dem er eine neue Aufenthaltserlaubnis beantragt, unterbrochen wäre. Das selbstgesetzte Ziel der Beklagten, keine Lücke in der Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes des Klägers in Deutschland eintreten zu lassen, könnte also nur erreicht werden, wenn man als Zeitpunkt, zu dem die Rücknahme wirksam werden soll, ein Datum einige Tage nach Zustellung des Rücknahmebescheides wählt. Denn dann könnte der Kläger (gegebenenfalls hilfsweise und parallel zu einer Anfechtung der Rücknahme) während dieser Tage eine Aufenthaltserlaubnis beantragen und sie später rückwirkend auf den Zeitpunkt der Antragstellung erteilt bekommen.
Die Beklagte wird also erneut über eine Rücknahme der Niederlassungserlaubnis zu entscheiden haben. Dabei wird sie als Ausgangspunkt ihrer Ermessenserwägungen feststellen müssen, welche Gründe für eine Rücknahme der Niederlassungserlaubnis sprechen. Im Anschluss wird sie zu prüfen haben, welche offensichtlichen oder vom Kläger vorgetragenen Umstände gegen eine Rücknahme sprechen. Dabei wird sie auch in Betracht ziehen müssen, ob dem Kläger nach der Rücknahme der Niederlassungserlaubnis überhaupt erneut eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden könnte. Falls dies zu verneinen sein sollte, muss sie erwägen, ob die Niederlassungserlaubnis auch dann zurückgenommen werden soll, wenn dies die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes des Klägers in Deutschland endgültig beenden würde. Wenn eine neue Aufenthaltserlaubnis dagegen voraussichtlich erteilt werden kann, muss die Beklagte in Erwägung ziehen, ob die Niederlassungserlaubnis mit Rückwirkung zurückgenommen werden soll, obwohl dadurch die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes des Klägers für die Zeit vom 1. September 2008 bis zu dem Zeitpunkt, an dem er die neue Aufenthaltserlaubnis beantragt, unterbrochen wird, oder ob die Rücknahme einige Tage nach Zustellung der Rücknahmebescheides wirksam werden soll, um dem Kläger Gelegenheit zu geben, rechtzeitig vor Erlöschen der Niederlassungserlaubnis einen Antrag auf eine neue Aufenthaltserlaubnis zu stellen.
Anders als der Kläger meint, ist eine solche erneute Ermessensentscheidung auch jetzt noch möglich. Sie ist nicht durch die Jahresfrist in § 48 Abs. 4 VwVfG ausgeschlossen. Denn die Jahresfrist wird durch den Erlass eine Rücknahmebescheides unterbrochen und beginnt mit Rechtskraft eines Urteils, dass den Rücknahmebescheid wegen Ermessensfehlern aufhebt, neu (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Mai 1988 - 7 B 79/88 - NVwZ 1988, 822; VGH BadenWürttemberg, Urteil vom 17. Februar 2000 - 8 S 1817/99 -, NVwZ-RR 2001, 5, 6 [VerfGH Berlin 21.02.2000 - VerfGH 122/99]; auch Kopp/ Ramsauer, a.a.O.., § 48 Rn. 161).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.