Landgericht Aurich
Urt. v. 18.12.2015, Az.: 4 S 188/15

Bibliographie

Gericht
LG Aurich
Datum
18.12.2015
Aktenzeichen
4 S 188/15
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2015, 44930
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG - 16.07.2015 - AZ: 10 C 29/14 (WEG)

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Oldenburg vom 16.07.2015 - 10 C 29/14 (WEG) - auf Kosten des Klägers wie folgt geändert:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4. Gegen die Entscheidung wird die Revision nicht zugelassen.

5. Der Streitwert wird auf 3.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand:

Die Parteien sind Wohnungseigentümer der aus 14 Wohnungseigentumseinheiten bestehenden Wohnungseigentümergemeinschaft P.weg in Oldenburg. Der Kläger ist Wohnungseigentümer der Wohnung Nr. 16 des Aufteilungsplans auf der 3. Etage. Die Beklagte ist Wohnungseigentümerin Nr. 17 des Aufteilungsplans in der 4. Etage, der obersten Etage der Wohnungseigentumsanlage.

Die Beklagte hat 2011 eigenmächtig ohne Genehmigung der anderen Wohnungseigentümer in den Fensterlaibungen von zwei Fenstern ihrer Eigentumswohnung auf der Rückseite des Hauses silberfarbene  Außenjalousien mit Jalousien-Kästen angebracht. Die Eigentümerversammlung vom 25.07.2013 hat diese nachträglich genehmigt. Auf Antrag des Klägers hat das Amtsgericht Oldenburg durch Urteil vom 30.01.2014 - 10 C 14/13 (WEG) - diesen Beschluss für ungültig erklärt, weil er zum einen nicht hinreichend bestimmt auf der Tagesordnung der Eigentümerversammlung stand und zum anderen, weil es sich um eine bauliche Veränderung des Gemeinschaftseigentums handele, durch die die Rechte des Klägers über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus beeinträchtigt worden seien. Das architektonische Bild der Außenfront der Rückseite der Anlage sei in negativer Hinsicht verändert insbesondere dadurch, dass in den den Fenstern der Beklagten darunterliegenden Fenstern der 3. Etage keine Jalousien eingebaut seien. Wegen aller Einzelheiten wird auf das Urteil verwiesen.

Der Kläger hat im vorliegenden Verfahren vor dem Amtsgericht Klage erhoben mit dem Antrag,

die Beklagte zu verurteilen, die im Bereich der Wohnung Nr. 17 gemäß Aufteilungsplan im Bereich der Fenster auf der Rückseite des Hauses installierten silberfarbenen Jalousien sowie die Jalousie-Kästen zu entfernen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Amtsgericht Oldenburg hat durch Urteil vom 16.07.2015 - 10 C 29/14 (WEG) - die Beklagte antragsgemäß verurteilt.

Von der Darstellung der übrigen tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO abgesehen.

Gegen das ihr am 24.07.2015 zugestellte Urteil richtet sich die am 21.08.2015 eingelegte Berufung der Beklagten mit Begründung, die im Wesentlichen vorträgt, das Amtsgericht habe verkannt, dass es an seine früheren Entscheidung über  die vorgenannte Anfechtungsklage gebunden sei. Dementsprechend verfahrensfehlerhaft habe es keine Augenscheinsnahme durchgeführt. Die Vorgehensweise des Klägers sei auch rechtsmissbräuchlich, da sie bereit sei, gegen Duldung der Veränderung alle Kosten zu tragen, die evtl. bei Renovierung oder Sanierung des Gemeinschaftseigentums wegen der Jalousien anfallen könnten.

Die Berufungsklägerin beantragt,

das Urteil des Amtsgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten und vorgetragenen Schriftsätze verwiesen.

Das Berufungsgericht hat die Wohnungseigentumsanlage am 04.12.2015 in Augenschein genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist begründet.

Die von der Beklagten angebrachten Außenjalousien und Jalousien-Kästen stellen eine bauliche Veränderung des Gemeinschaftseigentums im Sinne § 22 Abs. 1 WEG dar (vgl. Niedenführ, WEG, 11. Auflg., § 22 Rn 61). Sie bedarf der Zustimmung des Klägers, wenn dessen Rechte durch die bauliche Veränderung über das im § 14 Nr. 1 WEG bestimmte Maß hinaus beeinträchtigt sind. Ist dies der Fall, hat der Kläger einen Anspruch auf Beseitigung aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB.

Eine Beeinträchtigung des Klägers i. S. § 14 Nr. 1 WEG über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidlichem Maß hinaus kommt hinsichtlich der angebauten Jalousien und Jalousien-Kästen allenfalls in Betracht, wenn diese bauliche Veränderung eine nachteilige optische Veränderung des Gesamteindrucks der Wohnungseigentumsanlage mit sich gebracht hat. Eine Erschwerung der Arbeiten bei einer Renovierung oder Sanierung des Gemeinschaftseigentums durch die angebauten Jalousien vermag die Kammer nicht zu  erkennen, konkret  notwendige Maßnahmen insoweit sind weder vorgetragen, noch ersichtlich. Abgesehen davon hat die Beklagte auch ausdrücklich erklärt, die Wohnungseigentümer von etwaigen Mehrkosten bei einer etwaigen Sanierung des Gemeinschaftseigentums infolge der angebauten Jalousien freizustellen und insoweit eine selbstschuldnerische, unbedingte, unbefristete Bankbürgschaft über einen Betrag in Höhe von 1.500,00 € zu stellen.

Eine ins Gewicht fallende optisch nachteilige Veränderung der rückwärtigen Fassade des Gemeinschaftseigentums, die den Kläger mehr als unerheblich beeinträchtigt, liegt nach dem Ergebnis der Augenscheineinnahme nicht vor. Zutreffend führt das Amtsgericht in seinem Urteil vom 30.01.2014 zwar aus, dass die Schwelle für die Betrachtung, ob ein nur unerheblicher Nachteil vorliegt, grundsätzlich niedrig anzusetzen ist, weil eine einseitige Umgestaltung des Gemeinschaftseigentums ohne oder gegen den Willen eines davon beeinträchtigten Miteigentümers nicht zulässig ist.

Insoweit ist aber zunächst festzustellen, dass sich die Jalousien und die Jalousien-Kästen vor den Fenstern der Beklagten architektonisch, technisch und farblich unauffällig in die Rückseite des Gebäudes einfügen. Die Fenster der Beklagten ganz oben in der 4. Etage sind gegenüber den anderen Fenstern auf der Gebäuderückseite zurückversetzt. Deshalb fällt es auf den ersten Blick zunächst kaum auf, dass diese beiden Fenster im Gegensatz zu den sonstigen Fenstern auf der Rückseite des Gebäudes mit Jalousien versehen sind. Hinzu kommt, dass die beiden Fenster der Beklagten ganz oben rechts an der Rückseite des Gebäudes ohnehin bei der Betrachtung der Rückseite nicht ohne weiteres ins Auge fallen. Erst wenn sich der Kläger als Betrachter  an die äußerste hintere Grundstücksgrenze begibt und den Kopf stark in den Nacken legt, sind diese Fenster ganz oben rechts überhaupt wahrnehmbar. Von der Wohnung des Klägers aus, die zum  P.weg liegt, sind die Fenster überhaupt nicht sichtbar. Von der Ha.straße und der H.straße aus kann man die Rückseite  des Gebäudes der Wohnungseigentumsanlage entfernt, aber überhaupt nicht insgesamt, sondern stets nur  teilweise  in Perspektiven durch die Lücken der Bebauung, der Bäume und des sonstiges Bewuchses entlang dieser Straßen sehen. Es bedarf von diesen Standorten aus eines gezielten suchenden Blicks, um die beiden Fenster der Beklagten ganz oben rechts mit den Jalousien überhaupt zu finden. Von einer optischen Beeinträchtigung der Wohnungseigentumsanlage, insbesondere der Rückseite des Gebäudes, kann bei den vorgenannten Sichtverhältnissen auf die Rückseite des Gebäudes keine Rede sein, zumal die Fenster der Beklagten in der Fassade ganz oben zurückversetzt sind und sich die Jalousien einschließlich der Kästen unauffällig in die Gebäudefassade einfügen. Es fällt dem Betrachter deshalb  auch nicht sofort auf, dass diese beiden Fenster Jalousien haben, die anderen Fenster nicht. Insgesamt beurteilt ist die Beeinträchtigung des Klägers durch die Jalousien vor den beiden  Fenstern der Wohnung der Beklagten als belanglos und als nicht erheblich einzustufen.

Das Berufungsgericht ist in  seiner  Bewertung nicht an die Entscheidung des Amtsgerichts vom 30.01.2014 über die Beschlussanfechtungsklage gebunden. Streitgegenstand der Beschlussanfechtung war, ob der angefochtene Beschluss für ungültig zu erklären ist oder nicht. Streitgegenstand dieses Verfahrens ist, ob der Kläger die Beseitigung der baulichen Veränderung verlangen kann. Für diesen Prozess ist der Streitgegenstand des Beschlussanfechtungsprozesses nicht als Vorfrage neu zu prüfen. Nur wenn der Streitgegenstand des Vorprozesses als Vorfrage erneut zu prüfen wäre, wäre das Berufungsgericht gebunden (vgl. Zöller, ZPO, 31. Auflg., vor § 322 Rn 23).

Beiden Prozessen liegt lediglich die  gemeinsame Vorfrage zugrunde, ob der Kläger durch die baulichen Veränderungen des Gemeinschaftseigentums in seinen Rechten über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus beeinträchtigt ist. Diese gemeinsame Vorfrage beider Prozesse führt nicht zu einer Bindung des Gerichts an die erste Entscheidung (vgl. Zöller, ZPO, a. a. O., § 322 Rn. 28). Sie kann in zwei Verfahren durchaus unterschiedlich beurteilt werden.

Die Nebenentscheidungen folgen aus § 91, 708 Nr. 10, 711 und 543 Abs. 1 Nr. 1 Abs. 2 ZPO. Im Sinne von § 543 Abs. 2 ZPO hat die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 49 a GKG auf 3.000,00 € festgesetzt.