Landgericht Oldenburg
Beschl. v. 08.09.1982, Az.: 5 T 88/82

Statthaftigkeit der Zwangsversteigerung von Straßenflächen und Wegeflächen; Möglichkeit der privatrechtlichen Übertragung des Eigentums von Straßenparzellen und Wegeparzellen; Zulässigkeit der Zwangsversteigerung eines öffentlichen Spielplatzes; Beschränkung der privatrechtlichen Sachherrschaft des Eigentümers durch öffentlichrechtliche Zweckbindung

Bibliographie

Gericht
LG Oldenburg
Datum
08.09.1982
Aktenzeichen
5 T 88/82
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1982, 14518
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGOLDBG:1982:0908.5T88.82.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Jever - 09.03.1982

Verfahrensgegenstand

Im Grundbuch von Wangerland Blatt ... eingetragenes Grundstück

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin gegen den Beschluß des Amtsgerichts Jever vom 9. März 1982 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 21.203,27 DM festgesetzt.

Gründe

1

Die Gläubigerin betreibt wegen einer in Abt. ... eingetragenen Sicherungshypothek die Zwangsversteigerung des im Tenor genannten Grundstückes, das aus zwei Flurstücken besteht.

2

Früherer Eigentümer der beiden Flurstücke war der ..., dem die frühere Gemeinde Minsen durch Vertrag vom 7.3.1969 eine größere Grundstücksfläche, zu der die beiden genannten Flurstücke gehörten, verkauft hat. In diesem Vertrag wurde vereinbart, daß die nach dem im Entwurf vorliegenden Bebauungsplan als Wegemasse und Kinderspielplatz vorgesehenen Flächen nach erfolgtem Ausbau unentgeltlich und lastenfrei an die Gemeinde übertragen werden sollen.

3

Demgemäß wurde das im Tenor genannte Grundstück am 7.5.1974 an die Gemeinde ... aufgelassen und die Gemeinde ... am 16.5.1977 als Eigentümerin des im Tenor genannten Grundstückes im Grundbuch eingetragen.

4

Durch den Bebauungsplan II/2 b "Schillig West", der nach öffentlicher Bekanntmachung am 8.7.1977 Rechtskraft erlangt hat, ist das eine Flurstück des im Tenor genannten Grundstückes (Flurstück ...) als Kinderspielplatz ausgewiesen, während das andere Flurstück (Flurstück ...) als Wegemasse vorgesehen worden ist.

5

Die Sicherungshypothek der Gläubigerin wurde am 21.3.1973 im Grundbuch eingetragen. Noch vor Eintragung dieser Sicherungshypothek am 21.3.1973, die aufgrund einer Bewilligung des früheren Eigentümers ... erfolgte, wurden die beiden Flurstücke für den öffentlichen Verkehr bzw. zur Nutzung durch die Öffentlichkeit freigegeben.

6

Die Gläubigerin hat aufgrund ihrer Sicherungshypothek ein Urteil gegen die Schuldnerin erstritten, wonach die Schuldnerin verurteilt worden ist, die Zwangsvollstreckung in das im Tenor genannte Grundstück aufgrund der Sicherungshypothek der Gläubigerin zu dulden (vgl. Versäumnis-Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 3. Febr. 1981 - 10 O 234/80 Landgericht Oldenburg).

7

Auf Antrag der Gläubigerin wurde durch Beschluß des Amtsgerichts Jever vom 5. Mai 1981 aufgrund des genannten vollstreckbaren Urteils des Landgerichts Oldenburg vom 3. Febr. 1981 (10 O 234/80) die Zwangsversteigerung des im Tenor genannten Grundstückes wegen des dinglichen Anspruches der Gläubigerin angeordnet.

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Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 11. Jan. 1982 hat die Schuldnerin gegen die Anordnung und Durchführung der Zwangsversteigerung Erinnerung eingelegt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, daß das im Tenor genannte Grundstück aus Flächen bestehe, die der Öffentlichkeit zur Nutzung zur Verfügung stünde und ohne deren Gebrauchsmöglichkeit die Versorgung der Bevölkerung in dem betreffenden Bebauungsgebiet gefährdet würde, und somit der Zwangsvollstreckung schlechthin entzogen sei.

9

Durch den angefochtenen, hiermit in Bezug genommenen Beschluß vom 9. März 1982 hat das Amtsgericht Jever die Erinnerung der Schuldnerin zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, daß keine Bedenken gegen die Zulässigkeit der Zwangsversteigerung bestünden, da die Gläubigerin dingliche Rechte verfolge.

10

Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Schuldnerin vom 15. März 1982, mit der sie weiterhin geltend macht, daß eine Zwangsversteigerung des Grundstückes wegen seiner Zweckbestimmung unzulässig sei.

11

Die sofortige Beschwerde ist nach § 793 ZPO zulässig und auch form- und fristgerecht eingelegt worden.

12

Sachlich ist sie begründet.

13

Zunächst ist entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin davon auszugehen, daß im vorliegenden Fall Beschränkungen der Zwangsvollstreckung durch § 882 a ZPO nicht eingreifen. Dies folgt allein schon daraus, daß die Gläubigerin nicht wegen einer Geldforderung vollstreckt, sondern aus einem dinglichen Recht. § 882 a ZPO ist aber nur bei einer Vollstreckung wegen einer Geldforderung anwendbar (vgl. Kammergericht RPfleger 1970, S. 359; Stein-Jonas-Münzberg-ZPO, 19. Aufl., Anm. II 2 zu § 882 a ZPO; Zeller, ZVG, 10. Aufl., Anm. 12 (3) zu § 15 ZVG).

14

Auch eine Zulassungsverfügung der Aufsichtsbehörde, d.h. des Landkreises Friesland, zur Zwangsvollstreckung nach § 136 Abs. 1 Nieders. Gemeindeordnung ist nicht erforderlich, da § 136 Nds. Gemeindeordnung nicht bei der Verfolgung dinglicher Rechte eingreift (vgl. Lüersen-Neuffer, Nieders. Gemeindeordnung, Anm. 1 zu 136 NGO).

15

Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin ist die Zwangsversteigerung des Flurstückes 97/68 auch nicht deswegen unstatthaft, weil dieses Flurstück zur öffentlichen Straße gewidmet worden ist.

16

Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob dieses Flurstück vor oder nach Eintragung der Sicherungshypothek der Gläubigerin zur Straße gewidmet worden ist. Denn auch letzterenfalls bedurfte die Widmung nicht der Zustimmung der Gläubigerin. § 6 Abs. 2 Nieders. Straßengesetz verlangt nur die Zustimmung des "zur Nutzung" dinglich Berechtigten. Darunter fallen nicht die Inhaber von Sicherungsrechten an dem Grundstück (vgl. Marschall-Schroeter-Kastner, Bundesfernstraßengesetz, 4. Aufl., Rd.Ziffer 2.2 zu dem dem § 6 Nieders. Straßengesetz entsprechen den § 2 Bundesfernstraßengesetz; Kodal, Straßenrecht, 3. Aufl., S. 150).

17

Die Sicherungsgrundschuld der Gläubigerin berührt also nicht die Widmung, so daß es auch auf die Streitfrage nicht ankommt, ob die ohne Zustimmung des dinglich Berechtigten vorgenommene Widmung nichtig oder nur anfechtbar ist (vgl. Marschall-Schroeter-Kastner, a.a.O., Rd.Ziffer 2.3 zu § 2 Bundesfernstraßengesetz). Auch aus dem Umstand, daß wegen der Widmung des Flurstückes ... zur Straße insoweit eine öffentliche Sache im Gemeingebrauch (vgl. zur Begriffsbestimmung: Soergel-Siebert-Baur, BGB, 11. Aufl., Rd.Ziffer 36-42 vor § 90 BGB) vorliegt, folgt nicht die Unzulässigkeit der Zwangsversteigerung des Flurstückes.

18

Zwar wird die privatrechtliche Sachherrschaft des Eigentümers durch die öffentlich-rechtliche Zweckbindung beschränkt, was im Fall der Widmung eines Grundstückes zur Straße aus § 6 Abs. 4 Nieders. Straßengesetz folgt, wonach die privatrechtlichen Verfügungen oder Verfügungen im Wege der Zwangsvollstreckung durch die Widmung nicht berührt werden. Das bedeutet aber nur daß die Nutzung des Grundstückes durch den Privateigentümer nach Maßgabe der Widmung begrenzt wird (vgl. Marschall-Schroeter-Kastner a.a.O., Rd.Ziffer 3.1. bis 3.3 zu § 2 Bundesfernstraßengesetz; Kodal a.a.O., S. 96/97). Privatrechtliche Geschäfte sowie Verfügungen im Wege der Zwangsvollstreckung hinsichtlich von Grundstücken, die als öffentliche Sachen im Gemeindegebrauch stehen, sind daher nur unwirksam, soweit sie die Zweckbestimmung der öffentlichen Sache beeinträchtigen würden. Sie sind dagegen jedoch nicht schlechthin nichtig (vgl. Wolff, Veraltungsrecht Bd. I, 9. Aufl., § 57 II b 1). Demgemäß kann das privatrechtliche Eigentum an einer Straße als öffentliche Sache übertragen werden, da lediglich die Durchsetzung der durch die Eigentumsübertragung begründeten Rechte durch die öffentliche Zweckbestimmung beschränkt wird (vgl. Soergel-Siebert-Bauer, a.a.O., Rd.Ziffer 42 vor § 90 BGB).

19

Wenn aber demnach eine privatrechtliche Übertragung des Eigentums von Straßen- und Wegeparzellen möglich ist, muß eine entsprechende Übereignung im Wege der Zwangsversteigerung durch Erteilung des Zuschlages möglich sein, da insoweit kein innerer Grund vorliegt, den Erwerb im Wege der Zwangsversteigerung anders zu behandeln als eine rechtsgeschäftliche Übereignung (vgl. Landgericht Aachen, Rechtspfleger 1965, S. 78/80).

20

Dabei ist es ohne Einfluß auf die Zulässigkeit der Eigentumsübertragung, ob das Privateigentum an den Flurstück ..., das für den öffentlichen Verkehr gewidmet worden ist, infolge der weiter geltenden Widmung überhaupt einen wirtschaftlichen Wert hat, da darüber allein der Erwerber zu entscheiden hat, (vgl. Landgericht Aachen, a.a.O.).

21

Aus den vorstehenden Gründen wird daher allgemein angenommen, daß die Zwangsversteigerung von Straßen- und Wegeflächen zulässig ist (vgl. Zeller, a.a.O., Anm. 18 (5) zu § 15 ZVG; Dassler-Schiffauer-Gerhardt, ZVG, 11. Aufl., Anm. 2 k zu § 15 ZVG).

22

Die von der Beschwerdeführerin dagegen angeführte Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hannover vom 23.7.1970 (DVBl 1971, S. 524) spricht nicht gegen die Zulässigkeit der Zwangsversteigerung von Straßen- und Wegeflächen, da es bei der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hannover nur um die Zulassung der Zwangsvollstreckung wegen einer Geldforderung und nicht wie im vorliegenden Fall um die Zwangsvollstreckung aus einem dinglichen Recht ging.

23

Aus dem vorstehenden folgt, daß die Zwangsversteigerung des Flurstückes ... zulässig ist, obwohl dieses Flurstück dem öffentlichen Verkehr gewidmet ist. Es ist dabei unerheblich, ob die Schuldnerin bereits bei Übertragung des Eigentums an dem Flurstück von dem Voreigentümer auf sie Kenntnis davon hatte, daß das Flurstück als Straße dem öffentlichen Verkehr gewidmet war, da die Rechtslage nicht anders zu beurteilen wäre, wenn noch das Flurstück im Privateigentum des Voreigentümers stehen würde und der Voreigentümer somit Schuldner des Zwangsversteigerungsverfahrens wäre. Auch in diesem Falle hätte die Widmung des Flurstückes zum öffentlichen Verkehr keinen Einfluß auf die Zulässigkeit der Zwangsversteigerung (vgl. Landgericht Aachen a.a.O.).

24

Die vorstehenden Überlegungen, die für eine Zulässigkeit des Zwangsversteigerungsverfahrens hinsichtlich des Flurstückes ... sprechen, gelten entsprechend auch für das zweite Flurstück ..., das nach dem rechtskräftigen Bebauungsplan als Spielplatz ausgewiesen ist.

25

Als Spielplatz dürfte zwar das Flurstück ... nicht zur Straße zu rechnen sein, so daß die Widmung der Straße nicht den Spielplatz ergreift. Zweifelhaft könnte jedoch sein, ob ein öffentlicher Spielplatz lediglich als Privateigentum der Gemeinde anzusehen ist oder ob er als öffentliche Sache im Gemeingebrauch zu betrachten ist. Für letzteres könnten die §§ 10 ff des Nieders. Gesetzes über Spielplätze (Gesetzverordnungsblatt 1973, S. 29) sprechen.

26

Selbst wenn man das Flurstück ... angesichts seiner Ausweisung als Spielplatz als öffentliche Sache im Gemeingebrauch ansieht, dürfte dies einer Zwangsversteigerung ebensowenig entgegenstehen, wie der Zwangsversteigerung eines zur Straße gewidmeten Flurstückes. Zwar müßte der Ersteigerer eines Spielplatzes die Nutzung des Grundstückes als Spielplatz hinnehmen, da, wie vorstehend schon erörtert, die privatrechtliche Sachherrschaft des Eigentümers durch die öffentrechtliche Zweckbindung beschränkt wird. Da aber das privatrechtliche Eigentum an öffentlichen Sachen, wie vorstehend erörtert, übertragen werden kann, muß auch eine Übertragung des Eigentums an dem Spielplatz im Wege der Zwangsversteigerung durch Erteilung des Zuschlages möglich sein.

27

Das Zwangsversteigerungsverfahren ist daher auch hinsichtlich des Flurstückes ... zulässig, obwohl dieses Flurstück in dem Bebauungsplatz als Spielplatz ausgewiesen ist.

28

Nach alledem mußte die sofortige Beschwerde der Schuldnerin mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückgewiesen werden.

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 21.203,27 DM festgesetzt.