Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 22.10.2009, Az.: 1 Ws 576/09
Erstattung notwendiger Auslagen bei Verteidigung sowohl durch einen Wahlverteidiger wie auch einen Pflichtverteidiger; Auslagen bei Herstellung einer Aktenkopie durch den Verteidiger eines Mitangeklagten
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 22.10.2009
- Aktenzeichen
- 1 Ws 576/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 25493
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2009:1022.1WS576.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Osnabrück - 17.08.2009 - AZ: 1a Kls 2/08
Rechtsgrundlagen
- § 143 StPO
- § 464 Abs. 2 Nr. 1 StPO
- § 464b StPO
Fundstellen
- HRA 2009, 10
- NJW 2010, 1898
- NStZ-RR 2010, 63-64
- StRR 2009, 443 (red. Leitsatz)
Amtlicher Leitsatz
1. Hat das Gericht über die Zurücknahme der Bestellung des Pflichtverteidigers nicht entschieden, nachdem der Angeklagte einen Verteidiger gewählt und dieser die Wahl angenommen hatte, und sind in der Folgezeit beide Verteidiger tätig geworden, so können die dem Angeklagten aus der Staatskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen für seinen Wahlverteidigers nicht um die an den Pflichtverteidiger gezahlten Beträge gekürzt werden.
2. Kosten für eine Kopie der gesamten Akte, die der noch unverteidigte Angeklagte vom Verteidiger eines Mitangeklagten hat anfertigen lassen, sind keine erstattungsfähigen notwendigen Auslagen.
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde des Rechtsanwalts W. wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Osnabrück vom 17. August 2009, durch den die aufgrund des vollstreckbaren Beschlusses des Landgerichts vom 26. März 2009 von der Landeskasse dem Angeklagten zu erstattenden notwendigen Auslagen auf 3.703,28 Euro festgesetzt worden sind, abgeändert.
Die dem früheren Angeklagten aufgrund seiner Anträge vom 31.03.2009 und 26.05.2009 von der Staatskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen werden auf 14.197,65 Euro festgesetzt.
Die weitergehende sofortige Beschwerde wird als unbegründet verworfen.
Die Gebühr für das Beschwerdeverfahren wird auf Zweidrittel ermäßigt. Die dem Beschwerdeführer im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen werden zu 2/3 der Staatskasse auferlegt, während sie im Übrigen von ihm selbst zu tragen sind.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 18.017,55 Euro festgesetzt.
Gründe
(Auszug zum besseren Textverständnis vom Vorsitzenden sprachlich geringfügig überarbeitet)
....
Nach der Auslagenentscheidung des gemäß § 153 Abs. 2 StPO ergangenen Einstellungsbeschluss trägt die Staatskasse die notwendigen Auslagen des früheren Angeklagten.
Durch den angefochtenen Beschluss des Rechtspflegers sind die aus der Staatskasse dem Wahlverteidiger zu erstattenden Gebühren und Auslagen unter Abweisung des weitergehenden Antrages auf 3.703,28 Euro festgesetzt worden. Die Differenz zum weitaus höheren Festsetzungsantrag entfällt zum einem wesentlichen Teil auf Gebühren und Auslagen in Höhe von 6.602,12 Euro, die der als Pflichtverteidiger des Angeklagten tätig gewesene Rechtsanwalt K. aus der Staatskasse erhalten hat, und die der Rechtspfleger mit der Begründung in Abzug gebracht, dass dem Angeklagten nur die Kosten eines Rechtsanwaltes zu erstatten seien.
...
Die zulässige sofortige Beschwerde ist teilweise begründet.
...
Der Rechtspfleger ist zutreffend von dem Grundsatz ausgegangen, dass nach §§ 467, 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO grundsätzlich nur die Kosten für einen Rechtsanwalt erstattungsfähig sind, wenn der Staatskasse die notwendigen Auslagen zur Last fallen. Diese gilt auch im Falle der Beiordnung eines Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger. Neben diesem ist eine Wahlverteidigung grundsätzlich nicht mehr "notwendig", vgl. OLG Köln Beschluss vom 24.08.2008, 2 Ws 383/04, zit. nach juris, OLG Düsseldorf JurBüro 2002, 594. Dieser Grundsatz lässt unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Strafverfahrens, in dem das Recht auf freie Verteidigerwahl zu beachten ist, allerdings Ausnahmen zu, vgl. OLG Köln, aaO. Ein Ausnahmefall ist anzunehmen, wenn die Bestellung des Pflichtverteidigers entgegen § 143 StPO nicht zurückgenommen wurde, vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 464a Rn. 13 m. w. N..
So liegt der Fall hier. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 09.06.2008 dem Angeklagten Rechtsanwalt K. als Pflichtverteidiger beigeordnet. Mit Schreiben des Angeklagten, eingegangen beim Landgericht am 16.06.2008, hat dieser der Beiordnung widersprochen und seine Vertretung durch einen Verteidiger angekündigt. Mit Schriftsatz vom 16.06.2009 hat sich Rechtsanwalt W. mit beigefügter Vollmacht als Wahlverteidiger zur Akte gemeldet. Das Landgericht hat hierauf nicht reagiert. Es hätte bei dieser Sachlage die Bestellung des Pflichtverteidigers gemäß § 143 StPO zurücknehmen müssen, wenn nicht ausnahmsweise deren Aufrechterhaltung geboten gewesen wäre. Für eine solche Ausnahme ist hier indessen nichts ersichtlich. Nach Aktenlage stand insbesondere nicht zu befürchten, dass der Beschwerdeführer als Wahlverteidiger alsbald das Mandat wegen Mittellosigkeit des Angeklagten wieder niederlegen werde. Auch hatte der Beschwerdeführer zu keiner Zeit die Entpflichtung des Rechtsanwalts K... mit dem Ziel selbst als Pflichtverteidiger beigeordnet zu werden, beantragt.
Damit sind dem Beschwerdeführer seine Auslagen und Gebühren dem Grunde nach ohne Abzug der an den Pflichtverteidiger gezahlten Beträge zu erstatten.
...
Schließlich waren die dem früheren Angeklagten durch Rechtsanwalt X. für das Erstellen einer kompletten Aktenkopie berechneten Kosten in Höhe von 2.939,30 Euro nicht zu erstatten. Diese Kopie war - ersichtlich um entgegen § 147 StPO dem früheren Angeklagten eine persönliche Akteneinsicht zu verschaffen - vom früheren Angeklagten persönlich bei dem Verteidiger eines Mitbeschuldigten in Auftrag gegeben worden, und zwar noch vor der Bestellung oder Beauftragung eines Rechtsanwaltes zum Verteidiger. Tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass diese Aktenkopie zu diesem Zeitpunkt für eine Verteidigung notwendig war, werden nicht vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich, zumal der bestellte Verteidiger K. und der Wahlverteidiger W. selbst Kopien in erheblich geringerem Umfang benötigten. Für letztere 1.370 Kopien sind antragsgemäß von 223, Euro zzgl. MwSt zu erstatten.