Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 19.10.2009, Az.: 1 Ss 133/09
Anforderungen an eine Anklageschrift [hier: an einen Strafbefehl] wegen unrichtiger/unvollständiger Angaben zur Beschaffung eines Aufenthaltstitels durch einen Ausländer
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 19.10.2009
- Aktenzeichen
- 1 Ss 133/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2009, 25491
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2009:1019.1SS133.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- I. AG Oldenburg - Urteil vom 28.01.2009
- LG Oldenburg - 25.05.2009 - AZ: 13 Ns 77/09
Rechtsgrundlagen
- § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG
- § 200 Abs. 1 S. 1 StPO
Fundstelle
- NStZ-RR 2010, 334-335
Amtlicher Leitsatz
Wird die einen Aufenthaltstitel beantragende ausländische Mutter eines Kindes, dessen Vaterschaft von einem Deutschen anerkannt wurde, der - wie er und die Mutter wussten - nicht der biologische Vater ist, in einem Strafbefehl des Machens oder Benutzen unrichtiger Angaben zur Erlangung eines Aufenthaltstitels beschuldigt, so stellt der Strafbefehl keine ausreichende Verfahrensgrundlage dar, wenn in ihm allein diese Umstände als strafbares Verhalten dargestellt werden.
Redaktioneller Leitsatz
1. Nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG wird bestraft, wer unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder benutzt, um für sich oder einen anderen einen Aufenthaltstitel oder eine Duldung zu beschaffen oder eine so beschaffte Urkunde wissentlich zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht.
2. Ein diesbezüglicher Anklagevorwurf muss konkret benennen, welche tatsächliche Handlung welche Tatbestandsalternative erfüllt haben soll; eine unterschiedslose Aufzählung von Lebenssachverhalten ohne Angabe, worin die Straftat liegen soll, reicht hierfür nicht aus.
3. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Angabe, dass der deutsche Staatsbürger ... die Vaterschaft anerkannt habe; denn die Mitteilung des erfolgten Vaterschaftsanerkenntnisses wäre als solche nicht unrichtig, sondern zutreffend gewesen, und kommt als Tathandlung deshalb nicht in Betracht.
Tenor:
Das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 25. Mai 2009 und das Urteil des Amtsgerichts Oldenburg vom 28. Januar 2009 werden aufgehoben.
Das Verfahren wird eingestellt.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
Die Angeklagte, die die g... Staatsangehörigkeit besitzt, wird mit Strafbefehl des Amtsgerichts Oldenburg vom 3. März 2008 beschuldigt, in Oldenburg am 13. Mai 2005 unrichtige Angaben gemacht oder benutzt zu haben, um für sich einen Aufenthaltstitel oder eine Duldung zu beschaffen, wodurch sie sich wegen Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz (AufenthG) strafbar gemacht habe. Ihr wird zur Last gelegt, im Rahmen der Anhörung zu ihrem Asylantrag am 15. März 2005 angegeben zu haben, dass sie ein Kind von einem weißen Mann namens H... mit deutscher Staatsangehörigkeit erwarte. Am 13. April 2005 sei ihr Kind S... S... in Oldenburg geboren worden. Der gesondert verfolgte R... K... habe am 13. Mai 2005 die Vaterschaft des Kindes anerkannt, obwohl ihm und der Angeklagten bekannt gewesen sei, dass das Kind nicht von ihm stamme. Die Angeklagte habe daraufhin eine Aufenthaltserlaubnis wegen der Ausübung der Personensorge für ein minderjähriges deutsches Kind beantragt.
Nach fristgerechter Einspruchseinlegung hat das Amtsgericht Oldenburg die Angeklagte sowie den vormaligen Mitangeklagten K..., gegen den das Urteil rechtskräftig geworden ist, am 28. Januar 2009 aus rechtlichen Gründen freigesprochen.
Die dagegen gerichtete Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht Oldenburg mit Urteil vom 25. Mai 2009 verworfen, weil die Angeklagte angesichts des wirksamen Vaterschaftanerkentnisses keine unrichtigen Angaben gemacht habe.
Die gegen dieses Urteil gerichtete, auf die Verletzung des sachlichen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft führt zur Einstellung des Verfahrens unter Aufhebung der Urteile des Amts und Landgerichts.
Die im Revisionsverfahren von Amts wegen vorzunehmende Prüfung der allgemeinen Verfahrensvoraussetzungen ergibt, dass der Strafbefehl, durch den hier gemäß § 407 Abs. 1 Satz 4 StPO die öffentliche Klage erhoben wurde, mit durchgreifenden Mängeln behaftet ist.
Die Anklage entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen von § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO. Die Anklage bestimmt den Prozessgegenstand. Die Anklageschrift hat deshalb in sachlicher und persönlicher Hinsicht den Gegenstand, über den das Gericht zu entscheiden hat, zu bezeichnen. Sie hat insbesondere die angeklagte Tat in einer Weise zu beschreiben, dass eindeutig feststeht, welcher historische Lebensvorgang Gegenstand der Aburteilung sein soll. Neben Tatzeit und Tatort muss auch das als strafbar angesehene Verhalten so konkret wie möglich geschildert werden, vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 200 Rdn. 2, 7 m. w. N..
Dem wird die hier durch den Strafbefehl vom 3. März 2008 erhobene Anklage nicht gerecht. In dem Strafbefehl wird der Angeklagten als Vergehen des Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz, strafbar nach § 52 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG, vorgeworfen, zur Last gelegt, "am 13. Mai 2005 in Oldenburg unrichtige Angaben gemacht oder benutzt zu haben, um für sich einen Aufenthaltstitel oder eine Duldung zu beschaffen." Soweit dabei eine nicht existierende Norm - § 52 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG statt richtig § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG - angegeben worden ist, ist dieser Fehler durch einen gerichtlichen Hinweis in der Hauptvorhandlung des Amtsgerichts behoben worden.
Durchgreifend ist hingegen der Mangel des Strafbefehls, der darin liegt, dass in ihm die das Angeklagten zur Last gelegte strafbare Verhalten nicht bezeichnet ist.
Der Strafbefehl schildert unterschiedslos und ohne Angabe, worin die Straftat liegen soll, vier Lebensvorgänge, nämlich
1. die am 15. März 2005 von der Angeklagten vor der Asylbehörde gemachten Angaben über ihre Schwangerschaft und einen deutschen Erzeuger namens "H...",
2. die Geburt ihrer Tochter S... am 13. April 2005,
3. die Abgabe eines Vaterschaftsanerkenntnisses durch Herrn R... K... vom 13. Mai 2005, wobei diesem und der Angeklagten bekannt gewesen sei, dass das Kind nicht von Herrn K... stamme, und
4. dass die Angeklagte daraufhin eine Aufenthaltserlaubnis wegen der Ausübung der Personensorge für ein minderjähriges deutsches Kind beantragt habe.
Dieser Inhalt des Strafbefehls lässt nicht erkennen, durch welches Verhalten sich die Angeklagte strafbar gemacht haben soll. Das wäre um so deutlicher zu bezeichnen gewesen, als nach dem Strafbefehl beide Tatbestandsalternativen von § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG erfüllt worden sein sollen.
Es ist nicht ersichtlich, ob und welche unrichtige Angaben die Angeklagte im Sinne der 1. Tatbestandsalternative von § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG gemacht haben soll. Insoweit kommt das oben zu 1., 3. und 4. geschilderte Verhalten in Betracht. Der Strafbefehl enthält insoweit keine Konkretisierung. Hierauf kann auch nicht etwa deshalb verzichtet werden, weil aus dem Strafbefehl ohne weiteres zu ersehen wäre, worin die strafbare Handlung liegen soll. Denn das ist gerade nicht der Fall. Keinem der drei oben angeführten, allein in Betracht kommenden Verhaltensweisen der Angeklagten ist zu entnehmen, dass - und welche - unrichtige Angabe sie dadurch gemacht haben soll.
Zu einer Unrichtigkeit der Angaben der Angeklagten vor der Asylbehörde enthält der Strafbefehl nichts. Auch ergibt sich aus ihm nicht, dass die Angeklagte bei der Abgabe des Vaterschaftsanerkenntnisses durch Herrn K..., bei der allein im Übrigen das angegebene Handlungsdatum mit dem eingangs des Strafbefehls genannten Tatdatum (13. Mai 2005) übereinstimmt, irgendetwas erklärt hat. Hinsichtlich der Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis durch die Angeklagte wird im Strafbefehl schließlich nicht mitgeteilt, was die Angeklagte dabei wahrheitswidrig erklärt haben soll. Zwar spricht einiges dafür, dass die Angeklagte bei der Antragstellung angab, der deutsche Staatsbürger K... habe die Vaterschaft anerkannt. Dem Wortlaut des Strafbefehls ist dies aber nicht zu entnehmen, sondern ließe sich allenfalls aus dem Zusammenhang erschließen. Ob dies für eine ausreichend konkretisierte Anklageerhebung ausreicht, ist zweifelhaft, kann aber offen bleiben. Denn die Mitteilung des erfolgten Vaterschaftsanerkenntnisses wäre als solche nicht unrichtig, sondern zutreffend gewesen, und kommt als Tathandlung deshalb nicht in Betracht. Dass die Angeklagte bei der Antragstellung irgendwelche weiteren (richtigen oder unrichtigen) Erklärungen abgegeben hätte, geht aus dem Strafbefehl nicht hervor. Insbesondere ergibt sich aus ihm nicht, dass die Angeklagte Herrn K... als den biologischen Kindesvater bezeichnet oder angegeben hätte, mit diesem in einer sozial familiären Beziehung gelebt zu haben oder zu leben. Damit bleibt es letztlich völlig unklar, welche unrichtige Angabe der Angeklagten in dem Strafbefehl vorgeworfen wird.
Auch ein Verhalten der Angeklagten, das der im Anklagesatz ebenfalls genannten 2. Tatbestandsvariante von § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG (Benutzen unrichtiger Angaben zur Erlangung eines Aufenthaltstitels) unterfallen könnte, ist dem Strafbefehl nicht zu entnehmen. Er enthält auch hierzu nicht die unentbehrliche Konkretisierung. Als von der Angeklagten benutzte unrichtige Angabe könnte allenfalls das Vaterschaftsanerkenntnis des Herrn K... (oben zu 3.) in Betracht kommen. Dieses beinhaltet aber nur die Erklärung, es werde die Vaterschaft anerkannt, und ist damit als solches ersichtlich nicht unrichtig. Zur leiblichen Abstammung des Kindes oder zum Bestehen einer sozialfamiliären Beziehung hat - nach dem Inhalt des Strafbefehls - weder Herr K... in dem Vaterschaftsanerkenntnis oder auch anderweitig eine unrichtige Angabe gemacht, noch hat die Angeklagte eine solche benutzt.
Der aufgeführte Mangel der Anklage ist auch nicht durch ein mitgeteiltes wesentliches Ermittlungsergebnis oder anderweitig im Verlauf des Verfahrens geheilt worden, vgl. zu dieser Möglichkeit BGHSt 5, 225 (227). BGH GA 1973, 111 (112).
Der Mangel des Anklagesatzes ist hier zugleich ein solcher des Eröffnungsbeschlusses, dessen Funktion der Strafbefehl übernimmt, vgl. BGHSt 23, 280 (281). Wegen seiner dargestellten durchgreifenden Mängel ist er unwirksam.
Wegen Fehlens einer wesentlichen Prozessvoraussetzung war deshalb das Verfahren unter Aufhebung der ergangenen Urteile nach § 206a StPO einzustellen, vgl. BGH NStZ 1992, 553.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs.1 StPO.