Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 05.03.2018, Az.: 17 UF 16/18
Vormundschaft; Amtsvormundschaft; Jugendamt; behördliche Zuständigkeit; Auswahl Vormund
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 05.03.2018
- Aktenzeichen
- 17 UF 16/18
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2018, 74058
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG - 08.11.2017 - AZ: 8 F 8152/17
Rechtsgrundlagen
- § 1779 BGB
- § 1791 BGB
- § 87c SGB 8
- § 88a SGB 8
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Bei Bestellung des Jugendamtes zum Vormund ist das Familiengericht an die vom Sozialrecht vorgegebenen örtlichen Zuständigkeitsregeln gebunden.
Die Bestellung eines örtlich nicht zuständigen Jugendamtes zum Vormund ist auch aus Kindeswohlgründen nicht zulässig (Anschluss OLG Karlsruhe, 22.12.2016, 5 WF 191/16, entgegen OLG Schleswig, 18.02.2016, 14 UF 12/16).
Tenor:
Auf die Beschwerde des Jugendamtes des Landkreises A. wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Celle vom 8. November 2017 geändert. Unter Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts – Familiengericht – Celle vom 26. Oktober 2017 wird das Jugendamt des Landkreises A. aus der Vormundschaft für den Jugendlichen E. B., geb. am … 2001, entlassen und das Jugendamt des Landkreises V. zum neuen Vormund bestellt.
Gerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten nicht erstattet.
Der Beschwerdewert beträgt € 1.000,-.
Gründe
I.
Das als Vormund tätige Jugendamt wendet sich gegen einen Beschluss, durch den seine Entlassung und die Bestimmung eines anderen Jugendamtes als Vormund aufgehoben worden ist.
Der am 24. Oktober 2001 geborene Jugendliche ist Angehöriger des Staates Eritrea. Er reiste ohne Begleitung seiner in Eritrea verbliebenen Eltern Mitte 2016 über Italien nach Deutschland ein, wo er sich zunächst im Erstaufnahmezentrum in Bremen, sodann ab August 2016 im Flüchtlingsheim in V. aufhielt. Leistungen der Jugendhilfe erbringt das Jugendamt des Landkreises V.. Von dort zog er kurz darauf in eine Einrichtung in N., Landkreis A.. Mit Beschluss vom 14. Oktober 2016 stellte das Amtsgericht – Familiengericht – Norden das Ruhen der elterlichen Sorge für den betroffenen Jugendlichen fest und bestimmte das Jugendamt des Landkreises A. zum Vormund.
Der betroffene Jugendliche wechselte im Oktober 2017 dauerhaft in eine Einrichtung in C.. Das Amtsgericht – Familiengericht – Celle hat daraufhin durch Beschluss vom 26. Oktober 2017 auf Antrag des Jugendamtes des Landkreises A. dieses aus der Vormundschaft entlassen und das Jugendamt der Stadt C. zum Vormund bestimmt. Nachdem das Jugendamt der Stadt C. dem Amtsgericht mitgeteilt hatte, dass ein vom Gericht angenommenes Einverständnis zur Übernahme der Vormundschaft weder erklärt worden noch vorhanden sei, hat das Amtsgericht – Familiengericht – Celle durch Beschluss vom 8. November 2017 den Beschluss vom 26. Oktober 2017 von Amts wegen aufgehoben. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Jugendamtes des Landkreises A., der auf traumatische Fluchterfahrungen des betroffenen Jugendlichen verweist und deshalb der Meinung ist, nur eine ortsnah zum Wohnort des Jugendlichen geführte Vormundschaft entspreche dessen Wohl.
II.
Die zulässige Beschwerde des Jugendamtes des Landkreises A. ist im Ergebnis begründet. Zwar hat es bei der Aufhebung des Beschlusses vom 26. Oktober 2017, durch den das Jugendamt der Stadt C. zum Vormund bestellt worden ist, zu verbleiben, weil das Jugendamt der Stadt C. nicht zur Führung der Vormundschaft berufen ist. Das Jugendamt des Landkreises A. ist aber als Vormund zu entlassen und das nach § 88 a Abs. 4 Nr. 3 SGB VIII örtlich zuständige Jugendamt des Landkreises V. zum Vormund zu bestellen.
1. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist der Antrag des Landkreises A., infolge des Wohnortwechsels des Jugendlichen aus der Vormundschaft entlassen zu werden. Dieser Antrag ist begründet, weil die Änderung des gewöhnlichen Aufenthaltes jedenfalls dann einen Entlassungsgrund begründet, wenn sich die Zuständigkeit des Jugendamtes nach § 87 c Abs. 3 SGB VIII bestimmt (vgl. Spickhoff, in: Münchener Kommentar, BGB, 7. Aufl. 2017, § 1791 b Rz. 11). Vorliegend richtet sich die örtliche Zuständigkeit zwar nach der für unbegleitete Flüchtlinge geltenden Vorschrift des § 88 a SGB VIII und hängt damit (anders als die Zuständigkeit nach § 87 c SGB VIII) nicht vom gewöhnlichen Aufenthalt ab. Im vorliegenden Fall kann der Landkreis A. aber in entsprechender Anwendung des § 87 c Abs. 3 SGB VIII die Entlassung begehren. Dies folgt daraus, dass der Landkreis A. allein aufgrund des gewöhnlichen Aufenthaltes des Jugendlichen zum Vormund bestellt worden ist (obwohl bereits im Oktober 2016 die spezielle Zuständigkeitsregelung des § 88 a Abs. 4 SGB VIII für unbegleitete Flüchtlinge galt). Nachdem nunmehr der Grund für die Bestellung entfallen ist, ist das Jugendamt des Landkreises A. aus der Vormundschaft zu entlassen, schon um nicht einen der sozialrechtlichen Zuständigkeitsregelung ohnehin nicht entsprechenden Zustand trotz Wegfalles seiner einzigen Rechtfertigung aufrecht zu erhalten.
2. Hat das Amtsgericht – Familiengericht – Celle daher mit Beschluss vom 26. Oktober 2017 den Landkreis A. zutreffend aus der Vormundschaft entlassen, so ist die Beschwerde gegen die diesen Beschluss aufhebende Entscheidung begründet. Zu Unrecht hat das Amtsgericht – Familiengericht – Celle aber im Beschluss vom 26. Oktober 2017 anstelle des entlassenen Vormundes das Jugendamt der Stadt C. zum Vormund bestimmt. Zuständig für die Führung der Vormundschaft ist vielmehr nach § 88 a Abs. 4 Nr. 3 SGB VIII das Jugendamt des Landkreises V., weil dieses für Leistungen der Jugendhilfe zuständig ist.
a. Ob das Familiengericht bei der Auswahl des Vormundes, die nach den §§ 1779, 1791 b BGB grundsätzlich in seinem pflichtgemäßen Ermessen steht, unmittelbar an die Vorschrift des § 88 a Abs. 4 SGB VIII gebunden ist, ist streitig: Während die Rechtsprechung teilweise annimmt, die behördlichen Zuständigkeitsregelungen beschränkten das Ermessen des Familiengerichts bei Auswahl des Vormundes nicht, soweit die Bestellung eines örtlich nicht zuständigen Jugendamtes im Interesse des Kindeswohls angezeigt sei (OLG Zweibrücken FamRZ 2002, 1064 f.; BayObLG FamRZ 1997, 897; OLG Schleswig NJW-RR 2016, 1030 f. und FamRZ 2016, 1474 f.), wird von anderen eine Bindung an die behördlichen Zuständigkeitsregeln angenommen, die nur aus zwingenden Gründen des Kindeswohls eine Abweichung gestatte (vgl. OLG Karlsruhe JAmt 2016, 633 f.; Spickhoff, in: Münchener Kommentar, BGB, 7 Aufl. 2017, § 1791 b Rz. 9).
Der Senat geht davon aus, dass die behördlichen Zuständigkeitsregeln die Bestellung eines danach unzuständigen Jugendamtes ausschließen und auch aus Gründen des Kindeswohls ein örtlich unzuständiges Jugendamt nicht bestellt werden kann (ebenso wohl OLG Karlsruhe FamRZ 2017, 812 ff. [OLG Karlsruhe 22.12.2016 - 5 WF 191/16]). Nach § 1779 BGB hat das Familiengericht nach seinem Ermessen eine natürliche Person zum Vormund zu bestimmen, die grundsätzlich auch zur Übernahme der Vormundschaft verpflichtet ist und anderenfalls dazu durch Zwangsgelder angehalten werden kann. In § 1791 a BGB erweitert die gesetzliche Regelung dies um die Möglichkeit, unter besonderen Umständen auch einen Verein auszuwählen; in § 1791 b BGB um die Möglichkeit, das Jugendamt – das als Behörde selbst keine rechtsfähige Person ist, die mit Zwangsmitteln zur Übernahme einer Vormundschaft angehalten werden könnte – mit der Aufgabe der Vormundschaft zu betrauen.
Dabei zeichnet sich die Vereinsvormundschaft dadurch aus, dass sie nicht zwangsweise, sondern nur im Einverständnis des Vereines angeordnet werden kann. Dieses Einverständnis kann der Verein nur dann erteilen, wenn und soweit die Führung der konkreten Vormundschaft seiner Satzung entspricht. Entsprechendes gilt für das Jugendamt – durch das Jugendamt nimmt der Staat seine Aufgaben im Bereich der Jugendhilfe wahr. Zu den Leistungen der Jugendhilfe gehört auch die gesetzlich durch § 1791 b BGB vorgesehene Übernahme einer bestellten Vormundschaft (vgl. § 55 Abs. 1 SGB VIII). Ebenso wie andere Sozialleistungen gewährt der Staat aber auch Leistungen der Jugendhilfe nur auf Grundlage der bestehenden Sozialgesetzgebung, die Umfang sowie Art der Leistung regelt und begrenzt. Zu dieser – den Rahmen für die in Betracht kommenden Leistungen setzenden – sozialrechtlichen Gesetzgebung zählen auch die Regelungen über die örtliche Zuständigkeit der Jugendämter.
Indem § 1791 b BGB daher die Möglichkeit eröffnet, das Jugendamt zum Vormund zu bestellen, erhält das Familiengericht die Befugnis, den betroffenen Minderjährigen auf eine Leistung der Jugendhilfe zu verweisen. Darin aber erschöpft sich die durch § 1791 b BGB erreichte Erweiterung familiengerichtlicher Befugnisse; insbesondere darf das Familiengericht nicht selbst eine gesetzlich nicht vorgesehene sozialstaatliche Leistung (um die es sich bei einer Vormundschaft durch das örtlich unzuständige Jugendamt handeln würde) anordnen.
Angesichts dessen kann dem Kindeswohl nur innerhalb der dem Familiengericht vorgegebenen Zuständigkeitsregelungen Rechnung getragen werden; eine Abweichung von diesen Regelungen rechtfertigt es nicht. Die §§ 42 b Abs. 4 Nr. 1 und insbesondere 88 a Abs. 2 Satz 3 SGB VIII (auf die das OLG Karlsruhe FamRZ 2017, 812 ff. [OLG Karlsruhe 22.12.2016 - 5 WF 191/16] hinweist) eröffnen für den Träger der Jugendhilfe die Möglichkeit, die Zuständigkeit für die Leistungsgewährung unter Berücksichtigung des Kindeswohls abweichend zu regeln. § 1791 b BGB (der nur von der Bestellung des Jugendamts als solchem spricht) gibt dem Familiengericht schon seinem Wortlaut nach nicht die Befugnis, diese Beurteilung der Leistungsträger durch das eigene Ermessen zu ersetzen.
Da hier das Jugendamt des Landkreises V. für die Leistungen der Jugendhilfe zuständig ist, hat es nach § 88 a Abs. 4 Nr. 3 SGB VIII auch die Vormundschaft zu führen. Nach Aufhebung der vom Jugendamt des Landkreises A. geführten Vormundschaft ist daher zwingend das Jugendamt des Landkreises V. zum Vormund zu bestellen.
b. Lediglich ergänzend sei darauf hingewiesen, dass auch das Kindeswohl – selbst wenn es geeignet wäre, eine Abweichung von der sozialrechtlichen Zuständigkeitsregelung zu rechtfertigen – die Bestellung des Jugendamts der Stadt C. nicht rechtfertigen könnte. Zwar ist es für das ortsnähere Jugendamt regelmäßig leichter möglich, den erforderlichen persönlichen Kontakt zum Mündel zu pflegen, während persönliche Treffen bei größeren Entfernungen einen erheblichen Aufwand begründen können. Das Kindeswohl wird aber durch die Verringerung dieses vom Jugendamt zu betreibenden Aufwandes unmittelbar nicht besser gewährleistet. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Vormundschaft als solche nicht der Betreuung des Jugendlichen dient, sondern der Vormund lediglich Entscheidungen rechtlicher Natur für den Jugendlichen zu treffen hat. Dabei muss er – insbesondere wenn es um Angelegenheiten der tatsächlichen Betreuung geht – persönlichen Kontakt halten. In welchem Umfang aber tatsächlich persönliche Treffen erforderlich sind, um das Kindeswohl zu gewährleisten, hängt von der persönlichen Situation des Jugendlichen ab und ist abstrakt nicht zu beantworten.
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Belastung des Jugendamtes durch die Führung der Vormundschaft bei Einführung des § 88 a SGB VIII berücksichtigt worden ist. Eine Abweichung von dieser Vorschrift aufgrund des Kindeswohles kommt daher von vorneherein nur in Betracht, wenn und soweit die Vormundschaft aufgrund der Entfernung nicht in einer Weise geführt werden kann, die den Bedürfnissen des konkreten Jugendlichen gerecht wird. Dafür ist hier nichts ersichtlich. Das Jugendamt des Landkreises A. weist lediglich auf die traumatischen Fluchterfahrungen des Jugendlichen hin, die erheblichen Betreuungsbedarf begründeten. Das genügt nicht – ob und inwiefern die persönliche Situation des Jugendlichen häufige persönliche Treffen mit dem Vormund erfordert oder in der Vergangenheit erfordert hat, stellt keines der beteiligten Jugendämter dar.
Der Umgang mit den durch die traumatischen Fluchterfahrungen begründeten Belastungen des Jugendlichen ist vielmehr hauptsächlich Sache der tatsächlichen Betreuung, wobei sich die Betreuungspersonen ohne weiteres telefonisch oder schriftlich auch mit einem entfernteren Jugendamt als Vormund austauschen können. Mangels näherer Anhaltspunkte dafür, dass im konkreten Fall die örtliche Nähe des Vormundes sich überhaupt günstig auf das Kindeswohl auswirken könnte, ist eine Abweichung von der Zuständigkeitsregelung des § 88 a Abs. 4 SGB VIII hier deshalb unter keinen Umständen gerechtfertigt. Selbst wenn daher § 1791 b BGB aus Gründen des Kindeswohles die Bestellung eines örtlich nicht zuständigen Jugendamtes gestattete, fehlt es hier an entsprechenden Gründen, so dass das Jugendamt des Landkreises V. nach § 88 a Abs. 4 SGB VIII zum Vormund zu bestellen ist.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG, die Entscheidung über den Verfahrenswert auf § 45 Abs. 1 und 3 FamGKG, wobei die Bedeutung der Sache keinen höheren Wert als € 1.000,- rechtfertigt.