Verwaltungsgericht Osnabrück
Urt. v. 16.07.2004, Az.: 1 A 101/04

Genehmigung der Einrichtung eines Realschulzweigs sowie einer 10. Klasse an einer bestehenden Hauptschule; Vorliegen eines Bedürfnisses i.S.v. § 106 Abs. 1 u. 3 Niedersächsisches Schulgesetz (NSchG); Erreichung der nach der Verordnung zur Schulentwicklungsplanung (VO-SEP) erforderlichen Mindestzahl für die Errichtung eines einzügigen Realschulzweiges; Sicherung eines Schulstandortes; Einsparung von Schülerbeförderungskosten; Gewährleistung der Zusammenarbeit zweier Schulstandorte nach § 25 NSchG; Annahme besonderer regionaler Verhältnisse zur Abweichung von der Zweizügigkeit

Bibliographie

Gericht
VG Osnabrück
Datum
16.07.2004
Aktenzeichen
1 A 101/04
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 36411
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOSNAB:2004:0716.1A101.04.0A

Fundstelle

  • SchuR 2005, 214 (Kurzinformation)

Redaktioneller Leitsatz

Das Bedürfnis für die Einrichtung einer Schule orientiert sich an der prognostischen Entwicklung der Schülerzahlen, am vom Schulträger zu ermittelnden Interesse der Erziehungsberechtigten und an den Zielen des Schulentwicklungsplans.

In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Osnabrück -1. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 16. Juli 2004
durch
den Präsidenten des Verwaltungsgerichts Schwenke,
den Richter am Verwaltungsgericht Specht,
die Richterin Meyer sowie
die ehrenamtlichen Richter E. und E.
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Genehmigung, in dem Ortsteil F. einen Realschulzweig sowie eine 10. Klasse an der bestehenden Hauptschule einzurichten.

2

Die Klägerin ist eine Einheitsgemeinde und unterhält unter anderem im Ortsteil F. bis zum Ende des Schuljahres 2003/2004 eine dreistufig geführte Orientierungsstufe und eine einzügig geführte Hauptschule. Im Kernort A. existiert eine Realschule, die abhängig von den Schülerzahlen zurzeit zwei- bzw. dreizügig geführt wird.

3

Der Rat der Klägerin beschloss am 08.12.2003 an der Wilhelm-Busch-Schule F. - der bestehenden Hauptschule - eine einzügige Realschule zu errichten sowie an der Hauptschule eine 10. Klasse an diesem Schulstandort einzuführen. Daneben wurde die Einführung von Schulbezirken beschlossen. In Ausführung dieses Ratsbeschlusses beantragte die Klägerin unter dem 11.12.2003 bei der Beklagten die Herstellung des Benehmens zur Umsetzung dieses Beschlusses bzw. die Erteilung der Genehmigung nach § 106 Abs. 6 NSchG. Zur Begründung verwies sie auf die mit der beabsichtigten Maßnahme bezweckte Sicherung des Schulstandortes F., der mit knapp 4.000 Einwohnern bei einer gesunden wirtschaftlichen Struktur auf ein gesichertes schulisches Angebot für den Sekundär I-Bereich angewiesen sei. Die besondere Verbundenheit zwischen Schule und Betrieben in F. habe sich in der Vergangenheit für beide Seiten bewährt und bewahre den ländlichen Raum vor Nachteilen. Die Raumsituation in A. und F. erlaube die Errichtung des Realschulzweiges bzw. der 10. Klasse, weil in F. im Jahr 2000 die Wilhelm-Busch-Schule um vier Klassenräume erweitert worden und im Jahr 2002 eine neue Sporthalle fertig gestellt worden sei. Die Erweiterung entzerre deshalb einerseits die Raumsituation in A. und erlaube eine optimale Nutzung der vorhandenen Räumlichkeiten in F.. Durch die Erweiterung des Angebots am Schulstandort F. würden zudem Schülerbeförderungskosten für den Besuch der 10. Klasse der Hauptschule in A. und der Realschule in A. entfallen. Einem Schulstandort in F., wie es angestrebt werde, kämen die Vorteile einer kleinen und überschaubaren Schulstruktur zugute. Auswirkungen auf den Schulstandort in A. seien nicht zu erwarten. Die Zusammenarbeit der beiden Schulstandorte nach § 25 NSchG könne gewährleistet werden. Auch die Entwicklung der Schülerzahlen erlaube die Einrichtung der Realschule in F.. Nach ersten Einschätzungen sei mit der Einschulung von 24 Schülern in die 5. Klasse der Realschule im Schuljahr 2004/2005 zu rechnen. Die tatsächlichen Zahlen dürften letztlich darüber liegen. Zudem beabsichtige die Gemeinde, in den kommenden Jahren weitere Baugebiete auszuweisen, die auch die Schülerzahlen erhöhen würden. Die Gesamtkonferenz der Haupt- und Realschule A. machte gegen die geplante Veränderung Bedenken geltend, der Realschulrektor der Realschule A. wies auf mögliche Einschränkungen des Kursangebots für den Fall der Umsetzung der Schulstrukturänderung und bei der schulformübergreifenden Arbeit in diesem Bereich hin.

4

Die Beklagte ermittelte bei der Klägerin die aus den Einwohnerzahlen zu erwartende Schülerzahlen in der Gemeinde A. und deren Entwicklung getrennt nach den Standorten A. und Hunteburg für die Schuljahre 2004 bis 2013/2014. Nach Mitteilung der Klägerin betrugen diese am Stichtag 04.09.2003:

KlassenSchüler
GS01359
02250
03237
04357
KlassenSchüler
OS05248
06366
KlassenSchüler
HS07114
08119
09119
5

Als Szenario für den Fall der Einrichtung eines Realschulzweiges in F. und einer 10. Klasse bei der bestehenden Hauptschule entwickelten sich die Schülerzahlen unter Berücksichtigung einer Übergangsquote zum Gymnasium von 35%, zur Hauptschule von 29,9% und zur Realschule von 35,1% wie folgt:

5. SchuljahrAbgänger-4. Klasse Erich-Kästner-Schule Christopherus-Schule GS-J.Abgänger 4. Klasse Wilhelm-Busch-SchuleRS A.HS A.RS F.HS F.
2004/20051285645382017
2005/20061175741352017
2006/20071255844372017
2007/20081145940342118
2008/20091334247401513
2009/20101234543371613
2010/20111025436301916
2011/2012974634291614
2012/2013973834291311
6. SchuljahrAbgänger-5. Klasse OS-A. für 2004/2005 danach Abgänger 4.SchuljahrAbgänger 5. Klasse Wilhelm-Busch-Schule für 2004/2005 danach Abgänger 4. SchuljahrRS A.HS A.RS F.HS F.
2004/20051034836311714
2005/20061285645382017
2006/20071175741352017
2007/20081255844372017
2008/20091145940342118
2009/20101334247401513
2010/20111234543371613
2011/20121025436301916
2012/2013974634291614
7. SchuljahrAbgänger 5-6. Klasse OS-A. für 2004-2006 danach Abgänger 4.SchuljahrAbgänger 5-6. Klasse Wilhelm-Busch-Schule für 2004-2006 danach Abgänger 4. SchuljahrRS A.HS A.RS F.HS F.
2004/20051326646392320
2005/20061034836311714
2006/20071285645382017
2007/20081175741352017
2008/20091255844372017
2009/20101145940342118
2010/20111334247401513
2011/20121234543371613
2012/20131025436301916
8. SchuljahrIst-Zahlen auf Prognose 2003/2004 für 2004/2005 danach Abgänger 4.SchuljahrIst-Zahlen auf Prognose 2003/2004 für 2004/2005 danach Abgänger 4.SchuljahrRS A.HS A.RS F.HS F.
2004/200564362414
2005/20061326646392320
2006/20071034836311714
2007/20081285645382017
2008/20091175741352017
2009/20101255844372017
2010/20111145940342118
2011/20121334247401513
2012/20131234543371613
9. SchuljahrIst-Zahlen auf Prognose 2003/2004 für 2004-2006 danach Abgänger 4.SchuljahrIst-Zahlen auf Prognose 2003/2004 für 2004-2006 danach Abgänger 4.SchuljahrRS A.HS A.RS F.HS F.
2004/200543632119
2005/200664362414
2006/20071326646392320
2007/20081034836311714
2008/20091285645382017
2009/20101175741352017
2010/20111255844372017
2011/20121145940342118
2012/20131334247401513
9. SchuljahrIst-Zahlen auf Prognose 2003/2004 für 2004-2006 danach Abgänger 4.SchuljahrIst-Zahlen auf Prognose 2003/2004 für 2004-2006 danach Abgänger 4.SchuljahrRS A.HS A.RS F.HS F.
2004/200543632119
2005/200664362414
2006/20071326646392320
2007/20081034836311714
2008/20091285645382017
2009/20101175741352017
2010/20111255844372017
2011/20121145940342118
2012/20131334247401513
10. SchuljahrIst-Zahlen auf Prognose 2003/2004 für 2004-2007 danach Abgänger 4.SchuljahrIst-Zahlen auf Prognose 2003/2004 für 2004-2007 danach Abgänger 4.SchuljahrRS A.HS A.RS F.HS F.
2004/200537502516
2005/200643542116
2006/200764312412
2007/20081326646342317
2008/20091034836261712
2009/20101285645332014
2010/20111175741302014
2011/20121255844322015
2012/20131145940292115
6

In der Zwischenzeit wandte sich der Schulelternrat an den Niedersächsischen Kultusminister und verwies unter anderem auf zwischenzeitlich gesammelte 2.200 Unterschriften aus der Ortschaft, die die Schulstrukturplanung der Klägerin unterstützten, in seiner Stellungnahme vom 06.01.2004 meldete der Landkreis Osnabrück Bedenken an, ob sich langfristig eine ausreichende Schülerzahl für die 10. Klasse an der Hauptschule anmeldete. In seiner Sitzung am 15.12.2003 entschied der Kreistag für die allgemein bildenden Schulen, die Beschlüsse der jeweiligen Standortkommunen zu übernehmen.

7

Mit Bescheid vom 04.02.2004 lehnte die Beklagte den Antrag auf Genehmigung der Errichtung einer organisatorisch mit der Grund- und Hauptschule Wilhelm-Busch-Schule zusammengefassten Realschule im Ortsteil F. und die Einrichtung einer 10. Klasse an der vorgenannten Hauptschule ab, weil sie kein Bedürfnis im Sinne des § 106 Abs. 1 und 3 NSchG zu sehen vermochte. Sie begründete die Ablehnung im Wesentlichen damit, dass unter Zugrundelegung der Übergangsquote von 35,1% für die Errichtung eines einzügigen Realschulzweiges am Schulstandort F. die nach der Verordnung zur Schulentwicklungsplanung erforderliche Mindestzahl von 27 Schülern pro Jahrgang weit unterschritten werde. Mittelfristig sei noch von einem weiteren Rückgang der Schülerzahlen auszugehen. Allein die Möglichkeit, vorhandenen Schulraum zu nutzen, bekunde keine besonderen regionalen Verhältnisse, die es erlaubten, von den Vorgaben der VO-SEP abzuweichen. Die von den Schülern zu überbrückende Entfernung zur bestehenden Einrichtung in A. von 10 km erschwere den Schulbesuch nicht in unzumutbarer Weise. Die Umsetzung der Planungen würde vielmehr dazu führen, dass in F. eine knapp einzügige Realschule mit zu erwartenden Schülerzahlen im Schuljahr 2004/2005 in den Klassen 5 bis 7 von 20,17 bzw. 23 Schülern und in A. eine knapp zweizügige Realschule mit zu erwartenden Schülerzahlen im Schuljahr 2004/2005 in den Klassen 5 bis 7 von 45,36 bzw. 46 Schülern zu führen seien. Diese Schülerzahlen unterschritten von Anfang an die nach dem geltenden Klassenbildungserlass genannten unteren Bandbreitenwerte und würden auf Dauer weiter absinken. An der heute bestehenden Realschule in A. würden nach Abzug der Schüler aus F. lediglich zwei Züge verbleiben. Auch der Landkreis Osnabrück als Schulentwicklungsplaner habe keine besonderen regionalen Erfordernisse hervorheben können. Diese Überlegungen geltend auch für die Errichtung der 10. Klasse an der bestehenden Hauptschule F.. Von einem Bedürfnis könne insoweit nur ausgegangen werden, wenn über einen längeren Zeitraum der Besuch von mindestens 16 Schülerinnen und Schülern gewährleistet sei. Nach den erhobenen Schülerzahlen sei aber bereits im Schuljahr 2006/2007 nur mit dem Besuch von 12 Schülern und weiter absinkenden Schülerzahlen zu rechnen.

8

Den hiergegen unter dem 03.03.2004 eingelegten Widerspruch begründete die Klägerin mit den Ausführungen in einem an den Niedersächsischen Kultusminister gerichteten Schreiben vom 23.02.2004. Darin wies sie auf den aktuellen Elternwunsch hin, der mit einer Schülerzahl am Realschulzweig in F. von 21,19 bzw. 28 Schülern im Schuljahr 2004/2005 in den Klassen 5, 6 und 7 rechnen ließe. Ergänzend zu ihrer Antragsbegründung machte sie geltend, in den Gemeinden H. und I. seien jeweils einzügige Haupt- und Realschule bei vergleichbarer räumlicher Situation gegeben. Auf das an den Niedersächsischen Kultusminister gerichtete Schreiben lies dieser unter dem 23.03.2004 antworten und setzte sich darin im Einzelnen mit den örtlichen Gegebenheiten in den genannten angeblich vergleichbaren Schulen auseinander.

9

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 05.04.2004, zugestellt am 08.04.2004, zurück. Zur Begründung machte sie im Wesentlichen geltend, ein Bedürfnis im Sinne von § 106 NSchG bestehe nicht. Die Entwicklung der Schülerzahlen, das Interesse der Erziehungsberechtigten und die Ziele des Schulentwicklungsplanes rechtfertigten weder die Errichtung eines Realschulzweiges in F., noch einer 10. Hauptschulklasse an der bestehenden Wilhelm-Busch-Schule. Zur Begründung verwies sie auf die vorgesehene mittlere Bandbreitenwerte von 27 Schülern pro Jahrgang für den Realschulzweig und das ihres Erachtens fehlende besondere regionale Verhältnis als Voraussetzung für die Errichtung von einzügigen Haupt- bzw. Realschulzweigen. Die angeführten Vergleichsfälle in den Gemeinden H. und I. seien nicht vergleichbar und besondere regionale Verhältnisse begründeten eine Ausnahmemöglichkeit nicht. Die zum Ausdruck gebrachte Unterstützung durch die Elternschaft und den Schulelternrat führe deshalb nicht zu einer positiven Entscheidung des Antrages.

10

Mit der am 28.04.2004 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihr Vorbringen aus dem Antrag und dem Widerspruchsverfahren.

11

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 04. Februar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05. April 2004 aufzuheben,

die Beklagte zu verpflichten, ihr die beantragte Genehmigung zur Einrichtung einer Realschule an der Wilhelm-Busch-Schule in F. beginnend mit den Klassen 5, 6 und 7 zum 01.08.2004 zu erteilen,

die Beklagte zu verpflichten, ihr die beantragte Genehmigung zur Einrichtung einer Klasse 10 der Hauptschule am Standort F. zum 01.08.2004 zu erteilen.

12

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

13

Sie verteidigt die angefochtenen Bescheide und trägt ergänzend vor, die Klägerin hätte einen Anspruch auf die beantragte Genehmigung nur, wenn ein Bedürfnis für die Errichtung einer Realschule bzw. zur Führung einer 10. Klasse der Hauptschule bestünde. Die der Verordnung zur Schulentwicklungsplanung zur Größe von Schulen zu entnehmenden Vorgaben verlangten grundsätzlich, dass eine Realschule zweizügig zu führen sei. Diese Schulgröße werde in der Ortschaft F. nicht erreicht. Nach der vorgelegten Schülerprognose sei vielmehr zu erwarten, dass die Klassenfrequenz die als Planungsgrundlage zur Bildung von Zügen und Lerngruppen vorgegebene Mindestzahl von 27 Schülerinnen und Schüler pro Jahrgang von Anfang an und dauerhaft immer weiter deutlich unterschritten würde. Deshalb sei davon auszugehen, dass der Schulstandort nicht als gesichert betrachtet werden könnte.

14

Auch an der heute dreizügigen Realschule in A. würde nach Abzug der Schüler aus F. die Mindestschülerzahl je Klasse bei zweizügiger Fortführung unterschritten. Allgemein gehaltene Hinweise auf die geplante Bebauungsentwicklung führten nicht zu einer anderen Einschätzung des Bedürfnisses. Besondere regionale Verhältnisse, die ein Abweichen von der Zweizügigkeit erlaubten, seien nicht erkennbar. Gleiches gelte für die Einrichtung einer 10. Klasse an der Grund- und Hauptschule in F.. Hier sei von einem Bedürfnis auszugehen, wenn über einen längeren Zeitraum der Besuch von mindestens 16 Schülerinnen und Schülern gewährleistet sei. Die erhobenen Schülerzahlen wiesen jedoch nur für das Schuljahr 2006/2007 12 Schüler für den Besuch der 10. Klasse aus, ab dem Schuljahr 2008/2009 würde die erforderliche Schülerzahl dauerhaft unterschritten werden. Mit ihrer vorgelegten Hochrechnung von Basis von Elternwünschen läge die Klägerin den Übergang aller Hauptschüler der 9. Klasse in die 10. Klasse zu Grunde. Davon könne erfahrungsgemäß nicht ausgegangen werden. Im Übrigen belege auch diese Hochrechnung, dass die Klägerin ab dem Schuljahr 2008/2009 auf Grund der Bevölkerungsentwicklung nur noch die Einschulung von jährlich 13 bis 17 Schülern in die Hauptschule F. erwarte. Eine Ungleichbehandlung gegenüber den Gemeinden I. und H. sei nicht festzustellen.

15

Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage bleibt ohne Erfolg. Dieses beruht für die Kammer - jeweils selbstständig tragend - auf dem fehlenden Bedürfnis zur Errichtung eines Realschulzweiges in F. und einer 10. Klasse an der dortigen Hauptschule (dazu 1) sowie aus der Unvereinbarkeit, eine Schule in F. einzügig neu zu führen mit den Rahmenbedingungen der Schulentwicklungsplanung (dazu 2).

17

(1)

Die Errichtung von Schulen gehört nach § 106 Abs. 1 Satz 1 Nds. Schulgesetzt - NSchG - i.d.F. der Bekanntmachung vom 03. März 1998 (Nds. GVBl. S. 137), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 29. April 2004 (Nds. GVBl. S. 140) - grundsätzlich zu den gesetzlichen Pflichtaufgaben kommunaler Schulträger, sobald die Schulbehörde im Benehmen mit dem Schulträger nach § 106 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 NSchG ein Bedürfnis festgestellt hat (vgl. OVG Lüneburg, Entscheidung vom 27.05.1998 -10 M 1723/98 -, Nds. VBI. 1998, 240).

18

Dabei kann das Gericht im vorliegenden Verfahren in Übereinstimmung mit der Auffassung der Beteiligten davon ausgehen, dass in dem Grunde nach gestuften Verfahren des § 106 NSchG nicht die Verpflichtung der Beklagten begehrt wird, im Benehmen mit der Klägerin das Vorliegen eines Bedürfnisses im Sinne § 106 Abs. 3 Satz 1 NSchG festzustellen, sondern - dies inzidenter voraussetzend - auf die Verpflichtung der Beklagten zu erkennen, die von der Klägerin in Aussicht genommene schulorganisatorische Entscheidung nach § 106 Abs. 6 Satz 1 NSchG zu genehmigen.

19

Diese begehrte Genehmigung setzt danach die Feststellung des Bedürfnisses voraus, dass seinerseits nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 106 Abs. 3 Satz 1 NSchG bejaht werden könnte. Nur dann wäre die Verpflichtung, aber auch Berechtigung des Schulträgers aus § 106 Abs. 1 Satz 1 NSchG gegeben, Schulen nach Maßgabe des Bedürfnisses zu errichten. Das Tatbestandsmerkmal "Bedürfnis" ist ein sog. unbestimmter Rechtsbegriff, der der Behörde grundsätzlich keinen Beurteilungsspielraum lässt, sondern vielmehr im Einzelfall gerichtlich voll nachprüfbar ist. Der Begriff ist nicht gesetzlich definiert, dürfte aber dem objektiven Bedarf entsprechen, wie ihn die Schulbehörde feststellt (vgl. VG Oldenburg, B. v. 06.07.2004 - 5 B 2063/04 V.n.b.; Seyderhelm pp., NSchG, § 106 Anm. 4). Für das Vorliegen des Bedürfnisses ergeben sich aus § 106 Abs. 3 Satz 1 NSchG drei Anhaltspunkte: Die Entwicklung der Schülerzahlen, das vom Schulträger zu ermittelnde Interesse der Erziehungsberechtigten (oder der - was für den vorliegenden Fall nicht zum Tragen kommen kann - volljährigen Schülerinnen und Schüler) sowie die Ziele des Schulentwicklungsplans. Aus der Verwendung des Begriffs "insbesondere" ergibt sich, dass diese Umstände vorrangig zu berücksichtigen sind. Weitere Kriterien zählt das Gesetz auch nicht beispielhaft auf, geht aber erkennbar weiter davon aus, dass nicht in jedem Fall alle drei Kriterien kumulativ erfüllt sein müssen (Schippmann in: Seyderhelm, a.a.O..).

20

Maßgebliche Bedeutung für die Feststellung des Bedürfnisses kommt im vorliegenden Fall nach Auffassung der Kammer der zu prognostizierenden Zahl der Schüler zu, die voraussichtlich den zu errichtenden Realschulzweig bzw. die 10. Klasse an der bestehenden Hauptschule besuchen werden. Ausgangspunkt für die Beurteilung des Bedarfs hat nach Auffassung der Kammer der Klassenbildungserlass des Nds. Kultusministeriums zu sein.

21

Dieser sah in der Fassung des Erlasses vom 28.02.1995 (SVBI S. 69) in Abschnitt 3 Ziff. 3.1 als Bandbreiten für Schülerinnen und Schüler an Hauptschulen eine Zahl von 20- 28 und an Realschulen von 24 - 30 vor. Der Runderlass des MK vom 09.02.2004 (Voris 22410), der diesen Klassenbildungserlass ersetzt hat, sieht keine Rahmenzahl mehr vor, sondern nennt Schülerhöchstzahlen in Ziff. 3.1 von 26 Schülern für Hauptschulen und 32 Schülern für Realschulen. An das Überschreiten der Schülerzahl knüpft regelmäßig die Verpflichtung zur Teilung der Klasse an. Damit enthält der neue Klassenbildungserlass zwar keine untere Zahl einer Bandbreite für die Klassenstärke mehr, die Kammer sieht sich gleichwohl befugt, diese Werte auch weiterhin gleichsam als geronnene pädagogische Erkenntnis als Mindestzahl dem Klassenbildungserlass aus 1995 zu entnehmen und der Prognose nach § 106 Abs. 3 Nr. 1 NSchG zu Grunde zu legen.

22

Diese Mindestzahlen für die zu errichtende Realschule in F. werden bei der prognostizierten Aufnahme auf der Grundlage der von der Klägerin genannten Zahlen im sog. "Szenario 2" in den Schuljahren 5, 6 und 7 bis in das Schuljahr 2012/13 hinein in keinem Jahr erreicht.

23

Lediglich eine 8. Klasse im Schuljahr 2004/05 und eine 10. Klasse im Schuljahr 2004/05 bzw. 2006/07 erreichte bzw. überschritt die untere Bandbreitenschwelle der erforderlichen Schülerzahl. Ähnliches gilt für die zu prognostizierenden Schülerzahlen in einem 10. Schuljahr an der Hauptschule in F.. Auch hier würden die unteren Bandbreiten des Klassenbildungserlasses 1995 nicht erreicht. Vielmehr zeigt sich in allen Klassen eine eher abnehmende Tendenz in der Folge der Schuljahre. Letztlich ist im Schuljahr 2012/13 in der Realschule in F. mit einer Einschulung in die 5. Klasse nur noch in einer Größenordnung von 13 Schülern zu rechnen. Bei dieser zu prognostizierenden Entwicklung der Schülerzahlen, die auf den verfügbaren Zahlen der Klägerin beruht, kann von einem Bedürfnis im Sinne von § 106 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 NSchG nicht gesprochen werden.

24

Die Kammer sieht sich auch nicht in der Lage, das Interesse der Erziehungsberechtigten aus der Zahl der gesammelten Unterschriften herzuleiten. Erkennbar wird daraus nur, dass die Wohnbevölkerung im Gebiet der Klägerin zu einem Gutteil die Schulplanung der Klägerin unterstützt. Das Interesse der Erziehungsberechtigten, das erkennbar dahin geht, den Kindern anlässlich des Besuchs der Realschule bzw. der 10. Klasse der Hauptschule einen 10 km längeren Fahrweg zu ersparen, wird deutlich, muss indes hinter der Bedeutung der Entwicklung der Schülerzahlen bei der Entscheidung über das Vorliegen eines Bedürfnisses im Sinne § 106 Abs. 1 NSchG zurücktreten. Auch die möglicherweise künftige Entwicklung der Altersstruktur und Einwohnerzahl, die durch neue Baugebiete gefördert werden mag, führt zu keiner anderen Beurteilung: Die Prognoseentscheidung ist naturgemäß abhängig von der tatsächlichen demokratischen Entwicklung. Unwägbare Faktoren, wie die Akzeptanz und die Kinderzahl künftiger Bewohner von noch auszuweisenden oder im Absatz begriffener Baugebiete können wegen ihrer Unwägbarkeit nicht zur Grundlage der zu treffenden Entscheidung gemacht werden. Der Klägerin bleibt es gleichwohl unbenommen, bei einer grundlegenden Veränderung der Prognosen zu einem späteren Zeitpunkt erneut den Antrag auf Feststellung des Bedürfnisses bzw. nach § 106 Abs. 3 bzw. Abs. 1 NSchG ohne Erteilung der Genehmigung für geplante schulorganisatorische Entscheidungen nach § 106 Abs. 6 Satz 1 NSchG zu stellen.

25

Das erkennbare Interesse der Klägerin selbst, vorhandene Räumlichkeiten sinnvoll zu nutzen ist durchaus nachvollziehbar; es gehört jedoch nicht zu den Interessen der Erziehungsberechtigten im Sinne § 106 Abs. 3 Nr. 2 NSchG. Bei der Beurteilung des Interesses der Erziehungsberechtigten an einem kürzeren Schulweg kann allenfalls die Differenz zwischen F. und A. berücksichtigt werden. Dieser beträgt 10 km und nur in diesem Umfang würde sich die Fahrt der Schüler zum Schulbesuch allenfalls verkürzen. Für Schüler, die nicht aus F. selbst stammen sondern einem Ortsteil zwischen F. und A., fiele demgegenüber die Verminderung der Fahrstrecke entsprechend kürzer aus. Im Übrigen zeigt die vom Rat zugleich mit der Errichtung des Realschulzweiges beschlossene Einrichtung von Schulbezirken, dass offenbar ein Bedürfnis gesehen wird durch die Zuweisung zu einer bestimmten Realschule sicherzustellen, dass Schüler in möglichst großer Zahl den zu errichtenden Realschulzweig in F. besuchen. Ein etwa entgegenstehendes Interesse der Erziehungsberechtigten könnte danach nicht mehr berücksichtigt werden.

26

(2)

Die Berücksichtigung der Ziele des Schulentwicklungsplan im Sinne von § 106 Abs. 3 Nr.

27

3 NSchG orientiert die Kammer an der Verordnung zur Schulentwicklungsplanung -VO-SEP - vom 19.10.1994 (Nds. GVBl. S. 460), geändert durch Verordnung vom 19.11.2003 (Nds. GVBl. S. 398=SVBI 2004 S. 11), die ihrerseits eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage in § 27 Abs. 7 Nr. 2 des Nds. Schulgesetzes findet. Nach § 3 Abs. 1 Ziff. 2 und 3 VO-SEP sind Haupt- und Realschulen grundsätzlich mit mindestens zwei und höchstens vier Klassenverbänden oder Lerngruppen pro Jahrgang zu führen. Eine Ausnahme ist nach den Ausführungen in Spalte 4 dann zulässig, d.h . eine Schule darf einzügig geführt werden, u.a. wenn dadurch der bestehende Schulstandort erhalten wird, die Gefährdung des Bestandes einer benachbarten Schule gleichen Typs ausgeschlossen ist und besondere regionale Verhältnisse dies erfordern. Nach Auffassung der Kammer fehlt es bereits daran, dass es einer einzügigen Realschule bedarf, um den bestehenden Schulstandort in F. zu erhalten.

28

Diese Regelung dokumentiert die Absicht des Verordnungsgebers, bestehenden einzügigen Schulen einen Bestandsschutz zukommen zu lassen. Bei der Neueinrichtung eines Schulzweiges kann dieser Gesichtspunkt (der kumulativ vorliegen muss) nicht greifen.

29

Auch besondere regionale Verhältnisse erfordern nach Auffassung der Kammer die einzügige Führung der Realschule bzw. die Ergänzung der Hauptschule um eine 10. Klasse nicht. Der Ortsteil F. der Klägerin stellt sich nach deren eigenen Darstellungen als wirtschaftlich gesunde Siedlungsstruktur im ländlichen Raum dar. Die von ihr als Vergleich herangezogenen Schulstrukturen in den Ortschaften I. und H. weisen hiervon wesentlich andere Merkmale auf, die es rechtfertigen, ausnahmsweise die einzügige Führung einer Schule zuzulassen. Dies ist im einen Fall die Auflösung eines Schulzweckverbandes und im anderen die auch regional gebotene Entzerrung einer über den Rahmen der VO-SEP hinaus 7-zügig geführten Realschule in Leer. Beide Gesichtspunkte stellen sich als örtliche Besonderheit dar, denen für das Begehren der Klägerin nicht Entsprechendes entgegen gehalten werden kann. Weder unter dem Gesichtspunkt der Selbstbindung der Beklagten noch bei isolierter Betrachtung für die Voraussetzungen der Nr. 5 in Spalte 4 der VO-SEP der Tabelle zu § 3 Abs. 1 ergeben sich deshalb Besonderheiten, die eine ausnahmsweise einzügige Führung der Schule rechtfertigten.

30

Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.

31

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet seine Grundlage in § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4000 EUR festgesetzt.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2 GKG.

Schwenke
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Meyer