Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 03.11.2020, Az.: S 44 AS 627/16

Berechnung des Einkommens; Berechnung des Einkommens aus selbständiger Arbeit; Betriebsausgaben; Nachläufer

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
03.11.2020
Aktenzeichen
S 44 AS 627/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2020, 71546
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Bei der Berechnung des Einkommens aus selbständiger Tätigkeit sind auch sogenannte „Nachläufer“ –notwendige Ausgaben aufgrund der selbstständigen Tätigkeit, die nach Beendigung der Tätigkeit anfallen – bei der Berechnung des Gewinns gemäß § 3 Alg II-VO zu berücksichtigen.

Nach § 3 Abs. 2 Alg II-VO sind nämlich zur Berechnung des Einkommens von den Betriebseinnahmen die im Bewilligungszeitraum tatsächlich geleisteten notwendigen Ausgaben abzusetzen. Auf die vorzeitige Beendigung der Tätigkeit kommt es nicht an.

Tenor:

Die Bescheide vom 14.1.2016 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 9.5.2016 werden hinsichtlich eines Rückforderungsbetrages in Höhe von je 64,08 € aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens zu 30%.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten sind Leistungen nach dem SGB II in der Zeit vom 1.11.2014 bis 30.4.2015 im Rahmen eines Verfahrens über die Festsetzung und Rückforderung gewährter Leistungen in Höhe von 195,42 € je Kläger streitig gewesen. Nach der teilweisen Erledigungserklärung im Termin zur mündlichen Verhandlung am 3.11.2020 sind nur noch die tenorierten Rückforderungen streitig.

Der G. geborene Kläger zu 1) und die H. geborene Klägerin zu 2) sind Eheleute und bilden eine Bedarfsgemeinschaft. Sie stehen im laufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II. Die Klägerin zu 2) ging bis Dezember 2014 betrieb seit Mai 2014 bis Dezember 2014 ein Kleingewerbe im Garten- und Landschaftsbau, in dem der Kläger mitarbeitete.

Nach Abschluss des Bewilligungszeitraums reichten die Kläger abschließende Angaben zu ihren Einnahmen und Ausgaben ein. Dabei legten sie dar und wiesen nach, dass im Februar 2015 die Beiträge zur Berufsgenossenschaft für die Klägerin und den Kläger in Höhe von 128,15 € fällig und überwiesen worden waren.

Im Rahmen der endgültigen Leistungsfestsetzung nach vorläufiger Bewilligung für den Zeitraum 1.11.2014 bis 30.4.2015 stellte die Beklagte eine Leistungsüberzahlung für die Monate November und Dezember 2014 in Höhe von je 195,42 € fest und machte mit den angegriffenen und hier streitgegenständlichen Bescheiden vom 14.1.2016 Erstattungsforderungen in dieser Höhe geltend gemacht.

Die Kläger legten hiergegen Widerspruch u. a. mit der Begründung ein, dass das Einkommen aus selbständiger Tätigkeit falsch ermittelt sei. Die Beiträge zur Berufsgenossenschaft in Höhe von 128,15 € seien als Betriebsausgaben zu berücksichtigen.

Die Beklagte hat die Widersprüche mit Widerspruchsbescheiden vom 9.5.2016 als unbegründet zurückgewiesen. Sie führte darin u. a. aus, dass die als Personalkosten geltend gemachten Beiträge zur Berufsgenossenschaft als Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung vorrangig in die Ermittlung der Einkommensfreibeträge nach § 11b SGB II einzubeziehen seien. Im Übrigen sei der Beitrag in Höhe von 128,15 € erst im Februar 2015 fällig gewesen und geleistet worden. Da die selbständige Tätigkeit bereits im Dezember 2014 geendet habe, habe bereits aus diesem Grunde keine Berücksichtigung als Betriebsausgabe erfolgen können.

Hiergegen haben die Kläger am 24.5.2016 Klagen erhoben.

Mit Beschluss vom 7.7.2020 hat das Gericht die Klagen der Kläger gegen die Bescheide vom 14.1.2016 verbunden.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 3.11.2020 haben die Kläger ihr Begehren auf die Berücksichtigung der Beiträge zur Berufsgenossenschaft beschränkt.

Die Kläger beantragen,

wie erkannt.

Die Beklagte beantragt,

die Klagen abzuweisen.

Die Beklagte tritt den Klagen entgegen. Ausgaben außerhalb des Betriebszeitraums des Gewerbes könnten nicht anerkannt werden. Im Übrigen sei der Betrag bereits über die Freibeträge des § 11b Abs. 2 SGB II erfasst.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

Entscheidungsgründe

Die zulässigen Klagen sind nach der teilweisen Erledigungserklärung begründet.

Die Bescheide vom 14.1.2016 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 9.5.2016 sind teilweise rechtswidrig und verletzten die Kläger insoweit in ihren Rechten.

Die Bescheide sind rechtswidrig, soweit die Beklagte bei der Berechnung des endgültigen Einkommens im Bewilligungszeitraum vom 1.11.2014 bis 30.4.2015 die unstreitig im Februar 2015 für das Personal (und die Klägerin selbst) abzuführenden Beiträge zur Berufsgenossenschaft in Höhe von 128,15 € nicht berücksichtigt hat.

Die Rechtmäßigkeit misst sich insbesondere an den Vorschriften zu Ermittlung des anzusetzenden Einkommens bei selbstständiger Tätigkeit, nämlich § 3 Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Alg II-V) und §§ 11ff Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Gemäß § 3 Abs. 1 Alg II-V ist bei der Berechnung von Einkommen aus selbstständiger Arbeit von den Betriebseinnahmen auszugehen. Betriebseinnahmen sind alle aus der selbständigen Arbeit erzielten Einnahmen, die im Bewilligungszeitraum tatsächlich zufließen. Wird eine Erwerbstätigkeit nach Satz 1 nur während eines Teils des Bewilligungszeitraumes ausgeübt, ist das Einkommen nur für diesen Zeitraum zu berechnen.

Nach § 3 Abs. 2 Alg II-V sind zur Berechnung des Einkommens von den Betriebseinnahmen die im Bewilligungszeitraum tatsächlich geleisteten notwendigen Ausgaben mit Ausnahme der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge ohne Rücksicht auf steuerrechtliche Vorschriften abzusetzen.

Der Gesetzgeber hat damit eine klare Berechnungsweise vorgegeben. Das im Bewilligungszeitraum errechnete Einkommen ist, soweit die Erwerbstätigkeit nur während eines Teils des Bewilligungszeitraumes ausgeübt wird, nur für diesen Zeitraum zu berechnen. Die tatsächlich geleisteten notwendigen Ausgaben sind jedoch im gesamten Bewilligungszeitraum zu berücksichtigen, sodass auch sogenannte „Nachläufer“, die während des Bewilligungszeitraumes fällig werden, in die Berechnung eingestellt werden müssen. Dies ist auch verständlich, da insbesondere Beiträge zur Berufsgenossenschaft erst im Nachgang zur geleisteten Tätigkeit festgesetzt werden können, da die erforderlichen Angaben zum tatsächlichen monatlichen Lohn auch erst im Nachgang zur geleisteten Tätigkeit vom Arbeitgeber übermittelt werden können. Dementsprechend errechnen die Berufsgenossenschaften erst nach Ablauf des Kalenderjahres, wie hoch die Beträge sind.

Da vorliegend die Beiträge zur Berufsgenossenschaft für die Klägerin und ihr Personal (den Kläger) in benanntem Betrag von 128,15 € zusammengefasst sind, war jedenfalls für den Anteil, der die Personalkosten betrifft, auf § 3 Alg II-V zur Berechnung des Einkommens zurückzugreifen, da § 11b Abs. 1 Nummer 2 SGB II gesetzessystematisch lediglich die eigenen Beiträge des Leistungsberechtigten umfasst.

Soweit der Beitrag die Klägerin selbst betrifft, hat die Absetzung vom Einkommen über § 11b Abs. 1 Nummer 2 SGB II zu erfolgen. Da der Gesetzgeber die Berücksichtigung von sogenannten „Nachläufern“ hinsichtlich des laufenden Bewilligungszeitraumes in § 11b SGB II nicht ausschließt, ist entsprechend der Berechnungsvorgabe in § 3 Alg II-V zu verfahren. Die im Februar 2015 fällig gewordenen Beiträge sind somit im hier streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum (November 2014 bis April 2015) als Absetzbetrag beim Einkommen zu berücksichtigen. Die Erstattungsforderungen waren entsprechend zu mindern.

Soweit sich die Beklagte hilfsweise noch darauf bezieht, die Berücksichtigung der Beiträge zur Berufsgenossenschaft erfolge über den Freibetrag nach § 11b Abs. 2 SGB II, so kann dem nicht gefolgt werden. Denn § 11b Abs. 2 SGB II bezieht sich dem eindeutigen Wortlaut nach lediglich auf die in Abs. 1 Ziffer 3 bis 5 genannten Absetzbeträge. Die Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung werden jedoch vom Gesetzgeber in Ziffer 2 aufgeführt und sind damit nicht vom Freibetrag umfasst.

Die Entscheidung zu den Kosten folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Obsiegen bzw. Unterliegen.

Die Berufung war nicht gemäß § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und das Urteil nicht von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht.