Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 08.07.2021, Az.: 7 B 2527/21

Biwak; Camp; Feststellung; Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG; Versammlung; Zelte

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
08.07.2021
Aktenzeichen
7 B 2527/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 70684
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Im Wege der einstweiligen Anordnung wird vorläufig festgestellt, dass die vom Antragsteller angezeigte Veranstaltung „Camp für Agrarwende 2021“ entgegen dem Tenor des Bescheides des
Antragsgegners vom 6. Juli 2021 (Seite 1, 1. Absatz) eine
Versammlung im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Grundgesetz darstellt.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller zeigte im Mai 2021 eine Versammlung unter freiem Himmel (Protestcamp) zu dem Thema „Camp für Agrarwende 2021“ bei dem Antragsgegner an.

Im Kreisgebiet des Antragsgegners soll danach in der Zeit von Montag, 12. Juli 2021, bis Samstag, 17. Juli 2021, eine zeltstadtähnliche Veranstaltung mit Übernachtung und Versorgung von etwa 500 Teilnehmern stattfinden, die sich inhaltlich gegen die „Verantwortung der industriellen Tierwirtschaft für vielfältige soziale, tierethische und ökologische Problemlagen sowie ... Klimaveränderungen“ richte.

Dieses Biwak ziele darauf ab, „den Protest und alternative Möglichkeiten der landwirtschaftlichen Produktion im unmittelbaren Umfeld der Hauptzentrale des größten deutschen Geflügelfleischproduzenten C. sowie dessen Futtermittelwerk D., wo u.a. Soja von Regenwaldflächen verarbeitet wird, aufzuzeigen“.

Weiter heißt es dazu in dem Anmeldeschreiben vom 19. Mai 2021:

„Die Veranstaltung trägt somit den Charakter eines Protestcamps: Durch den mehrtägigen Aufenthalt ermöglicht das Camp allen Teilnehmenden direkt vor Ort und zu jeder Zeit im angegebenen Versammlungszeitraum ihre Haltung sowie ihren persönlichen und gemeinschaftlichen Protest gegen die Umwelt- und Klimazerstörung, die artwidrige Zucht, Haltung und Tötung von Tieren, sowie die ausbeuterischen Beschäftigungsbedingungen, den mangelnden Infektionsschutz und die unzureichenden Wohnbedingungen der prekär beschäftigten“ Arbeiter in der Tierindustrie zum Ausdruck zu bringen (usw.).

Die Versorgung der zu einem großen Teil (ca. 300) in Zelten unterzubringenden Teilnehmer erfolge durch eine Feldküche. Wasserversorgung, Toilettenkabinen und Waschgelegenheiten würden bereitgestellt, ferner ein großflächiges Zirkuszelt aufgebaut. Hinzu kämen 20 Versorgungs-, Funktions- und Veranstaltungszelte, eine stationäre Lautsprecheranlage sowie mehrere Megafone, ein Anhänger und mehrere Solarpaneele sowie ein Notfallstromgenerator.

Nach Mailverkehr und einem Kooperationsgespräch am 22. Juni 2021, insbesondere auch Modifikationen hinsichtlich der Örtlichkeiten, nach welchen es zum Schluss zur Auswahl des Veranstaltungsortes „Am E.“ (Gemeinde F.) gekommen sei, sowie einer Vorverlegung des Zeitpunktes der Aufbauarbeiten schon auf Donnerstag, den 8. Juli, ab 16:00 Uhr, erließ der Antragsgegner seinen

Feststellungsbescheid vom 6. Juli 2021, auf dessen Seite 1 der Antragsgegner im Absatz 1 die folgende Negativfeststellung trifft:

„hiermit wird festgestellt, dass es sich bei der von Ihnen angezeigten Veranstaltung nicht um eine Versammlung im Sinne des Niedersächsischen Versammlungsgesetzes handelt; die von Ihnen angezeigte Veranstaltung ist somit nicht vom Versammlungsrecht gedeckt.“

Insbesondere reiche allein die räumliche Nähe zu im Landkreis ansässigen Unternehmen, gegen welche sich die Veranstaltung richte, zur Begründung des Camps zur Meinungsäußerung nicht aus. Das Camp diene vielmehr nicht der Meinungskundgabe, sondern der Unterbringung und der Kommunikation der Teilnehmer. Dieses Anliegen unterfalle jedoch gerade nicht dem Schutz der Versammlungsfreiheit, deren Zweck die nach außen gerichtete, gemeinsame freie Meinungsbetätigung sei. Unter Berücksichtigung und Zugrundelegung der Intention der geplanten Veranstaltung sei ein Schlaferfordernis der Teilnehmer auch nicht notwendig, diese könnten auch von anderen Orten anreisen und sich zu Aktionen treffen.

Das Gericht nimmt auf den Inhalt des Bescheides im Übrigen Bezug (vgl. § 117 Abs. 5 VwGO).

Noch am 6. Juli 2021 hat der Antragsteller „Eilantrag“ bei Gericht gestellt, mit welchem er sich um eine vorläufige Regelung zugunsten der Durchführung der Veranstaltung bemüht, indem er im Kern nämlich anbringt (Seite 2 Antragsschriftsatz, obere Hälfte):

„Mit dieser Klage verfolgt der Antragsteller das Ziel, dass die Versammlung wie angemeldet durchgeführt werden kann ...“

Er hält die „Feststellung der Behörde, dass es sich bei der angezeigten Versammlung nicht um eine Versammlung handelt“, für rechtswidrig (ebenda).

Wegen der Einzelheiten nimmt das Gericht auf den Inhalt der Akten Bezug.

II.

Der nach § 123 VwGO zu beurteilende Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat im Ergebnis Erfolg, weil der die Negativfeststellung des Antragsgegners treffende Bescheid vom 6. Juli 2021 rechtswidrig ist.

Zugleich kommen dem Antragsteller damit hinreichend ein glaubhafter Anordnungsgrund (d.h. die Eilbedürftigkeit der erstrebten Regelung) und Anordnungsanspruch (d.h. der materiell-rechtliche Anspruch auf die erstrebte Leistung) zu.

Allerdings musste die Kammer sein zur Entscheidung gestelltes Begehren auslegen (§ 88 VwGO). Angesichts der erfolgten Anzeige der geplanten Versammlung bei dem Antragsgegner und dessen Negativfeststellung, nach welcher angeblich diese Veranstaltung nicht unter den Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 GG falle, zugleich aber auch des völligen Fehlens von Regelungen, etwa Beschränkungen, Untersagungen o.ä., und der dieser Negativfeststellung konkret entgegenstehenden Auffassung des Antragstellers, der den Schutz von Art. 8 Abs. 1 GG annimmt, geht die Kammer im wohlverstandenen Interesse beider Beteiligten von einem feststellungsfähigen konkreten Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten aus und entscheidet dieses im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO vorläufig. Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag nicht nur eine einstweilige Anordnung treffen, wenn in Bezug auf den Streitgegenstand die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung, § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO), oder wenn in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine vorläufige Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung, § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes kann auch der Erlass einer einstweiligen Anordnung in Gestalt einer vorläufigen Feststellung des in der Hauptsache sachlich Begehrten geboten sein (sog. Feststellungsanordnung, vgl. BVerfG, Urt. v. 18. Dezember 1985 - 2 BvR 1167/84 u.a., BVerfGE 71, 305, 347; Bayerischer VGH, Beschl. v. 12. März 2010 - 11 CE 09.2712 -, VD 2010, 170 f.; Hessischer VGH, Beschl. v. 12. Oktober 1989 - 3 TG 2633/89 -, juris Rn. 14; Finkelnburg/Dolbert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Aufl., Rn. 217; Beschl. des Nds. OVG vom 4. April 2012 – 8 ME 49/12 – juris). Darauf kommt es hier an; die Voraussetzungen sind erfüllt.

Die Kammer ist von der Richtigkeit ihrer Auffassung überzeugt, dass es sich bei der geplanten Veranstaltung um eine Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG handelt. Hier verzichtet die Kammer auch zu Gunsten der Geschwindigkeit der Gewährung effektiven Rechtsschutzes auf eigenständige Bemühungen einer ausführlichen Begründung und verweist stattdessen auf die von ihr für zutreffend gehaltenen folgenden Ausführungen der 4. Kammer des Verwaltungsgerichtes Oldenburg in deren Beschluss vom 2. Juli 2021 – 4 B 2325/21 –, soweit es dort heißt:

„Denn die Annahme des Antragsgegners, dass es sich bei dem Zeltlager nicht um eine Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG handele, begegnet erheblichen rechtlichen Bedenken.

Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2004 – 1 BvR 19/04 –, juris, Rn. 19). Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 – 1 BvR 233/81 u.a. –, juris, Rn. 61 ff.). In ihrer idealtypischen Ausformung sind Versammlungen die gemeinsame körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen, bei der die Teilnehmer in der Gemeinschaft mit anderen eine Vergewisserung dieser Überzeugungen erfahren und andererseits nach außen – schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und die Wahl des Ortes – im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 – 1 BvR 233/81 u.a. –, juris, Rn. 63; OVG HH, Beschluss vom 22. Juni 2017 – 4 Bs 125/17 –, juris, Rn. 22).

Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet auch das Recht, selbst zu bestimmen, wann, wo und unter welchen Modalitäten eine Versammlung stattfinden soll. Als Abwehrrecht, das auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugute kommt, gewährleistet das Grundrecht den Grundrechtsträgern so nicht nur die Freiheit, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fern zu bleiben, sondern zugleich ein Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung. Die Bürger sollen damit selbst entscheiden können, wo sie ihr Anliegen – ggf. auch in Blick auf Bezüge zu bestimmten Orten oder Einrichtungen – am wirksamsten zur Geltung bringen können (BVerfG, Urteil vom 22. Februar 2011 – 1 BvR 699/06 –, juris, Rn. 64 m.w.N.).

Auch die Errichtung von „baulichen Anlagen" wie das Aufstellen von Zelten, Pavillons, Sitzelementen, Ver- und Entsorgungseinrichtungen und das Schlafen am Versammlungsort kann von dem Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG erfasst sein. Zwar ist das Aufstellen von Zelten oder Pavillons bei Durchführung einer Versammlung nicht gleichsam automatisch als „notwendiger Bestandteil" der Versammlung und der dabei beabsichtigten kollektiven Meinungsbildung und Meinungsäußerung mit umfasst. Eine derartige bauliche Anlage stellt nur dann einen geschützten Teil der Versammlung dar, d.h. sie unterfällt lediglich dann dem besonderen Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG, sofern ihr eine funktionale oder symbolische Bedeutung für das Versammlungsthema zukommt und diese Art Kundgebungsmittel damit einen erkennbaren inhaltlichen Bezug zur kollektiven Meinungskundgabe aufweist. Dieser besondere Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG greift unter Hinnahme der straßen- und wegerechtlichen sowie ordnungsrechtlichen Beeinträchtigungen vor allem dann, wenn es sich dabei um inhaltsbezogene Bestandteile der Versammlung handelt, ohne die die geplante gemeinsame Meinungsbildung und Meinungsäußerung nicht möglich ist (OVG NRW, Urteil vom 7. Dezember 2016 – 7 A 1668/15 –, juris, Rn. 30 ff.; Bay. VGH, Beschluss vom 12. April 2012 – 10 CS 12.767 –, juris, Rn. 10).

Als geschützter Teil der Versammlung kann eine solche bauliche Anlage auch dann angesehen werden, wenn es sich bei dieser um ein „gemischtes" Element in dem Sinne handelt, dass es sowohl kommunikativen wie auch nichtkommunikativen Zwecken dient. Ob ein solches „gemischtes" Element versammlungsrechtlichen Schutz genießt, richtet sich danach, ob es nach seinem Gesamtgepräge als Teil einer Versammlung anzusehen ist. Für die Abgrenzung kann auf die Grundsätze zurückgegriffen werden, nach denen gemischten Veranstaltungen im Rahmen einer Gesamtschau versammlungsrechtlicher Schutz zuerkannt werden kann (OVG NRW, Urteil vom 7. Dezember 2016 – 7 A 1668/15 –, juris, Rn. 32 ff.).

aa) Vorliegend bestehen nach diesen Maßstäben gewichtige Anhaltspunkte für die Annahme, dass jedenfalls Teile des in Rede stehenden Zeltlagers auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sind und dabei eine Vielzahl kommunikativer Anliegen und Aktivitäten mit einem übergreifenden Protestanliegen anlässlich des geplanten Bau der Autobahn A 20 und den damit aus Sicht der Teilnehmenden verbundenen Folgen für den Klimaschutz und die örtliche Fauna verbinden, was als solches durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützt ist. Es ist davon auszugehen, dass den Anlagen zumindest teilweise eine funktionale und symbolische Bedeutung im Hinblick auf das Versammlungsthema zukommt, also die Zelte in der Gesamtschau als Teil der angemeldeten Dauermahnwache anzusehen sind.

Ausweislich der Versammlungsanmeldung vom 29. Mai 2021 ist das Thema der Versammlung „Dauermahnwache mit Aufklärungs- und Informationszielen, Austausch und Dialog mit lokaler Bevölkerung im Trassenbereich der A 20“. Dabei sollen Informationsmaterialien (u.a. Flyer, Broschüren, Banner, Transparente) und Pavillons und Zelte zur Informations- und Versammlungszwecken verwendet werden. Die bis zu 30 Zelte sollen hiernach öffentlichkeitswirksam nach durch den Bau der A 20 bedrohten Tierarten benannt werden.

Nach Aktenlage kommt der beabsichtigten Verwendung von Zelten jedenfalls auch eine funktionale und symbolische Bedeutung für das Versammlungsthema zu. Sie bilden nach den Ausführungen in der Anmeldung einen integralen Bestandteil der Dauermahnwache. Hierfür spricht bereits der gewählte Standort der Dauermahnwache und dem dazugehörigen Zeltlager. Die geplante Trasse der A 20 soll unmittelbar südlich des Grundstücks des Antragstellers verlaufen, das Anliegen der Versammlung wird mithin direkt in einen Bereich getragen, der von dem Autobahnbau betroffen ist. Ausweislich der in den Verwaltungsvorgängen des Antragsgegners befindlichen Lichtbilder sind die Zelte zudem jedenfalls teilweise mit Bannern und Spruchbändern versehen, die sich auf das Versammlungsthema beziehen. Insbesondere die größeren Zelte im vorderen und hinteren Bereich können Workshops und den Austausch mit der lokalen Bevölkerung ermöglichen, sodass nachvollziehbar erscheint, dass diese Zelte Meinungsbildungs- und Kundgabezwecken dienen. Sie ermöglichen eine Befassung mit dem Versammlungsthema im Sinne einer Vergewisserung von Überzeugungen unter den Teilnehmenden und sind zudem auf die Meinungskundgabe gegenüber Dritten gerichtet. Zudem sollen nach Angaben des Antragstellers und den Beschreibungen in der Versammlungsanzeige die Zelte öffentlichkeitswirksam jeweils nach einer durch den Bau der A 20 bedrohten Tierart benannt werden, wobei bisher Themenzelte mit den Bezeichnungen Seeadler, Fischotter, Löffelente, Fransenfledermaus, Fitis, Zilzalp und Kolkrabe vorhanden seien, die einen Teil des Ökosystems Moor symbolisierten. Auch hieraus ergibt sich die symbolische Bedeutung der Zelte für das Anliegen der Versammlung.

Soweit der Antragsgegner – offensichtlich unter Berufung auf die Ausführungen der Polizeidirektion Oldenburg in der Bestätigung der Anmeldung der Versammlung vom 4. Juni 2021 – die Ansicht vertritt, dass die angemeldete Dauermahnwache und das Zeltlager unabhängig voneinander zu sehen seien, erscheint diese Aufspaltung nach Aktenlage nicht nachvollziehbar. Augenscheinlich befinden sich die Zelte in dem Bereich, der als Ort der Dauermahnwache vorgesehen ist. Nach den Angaben in der Versammlungsanmeldung sind die Zelte integraler Bestandteil der angemeldeten Dauermahnwache; die vorgelegten Lichtbilder bestätigen den Vortrag des Antragstellers, dass sich auf seinem Grundstück „im hinteren Bereich der Wiese“ alleine die Versammlung unter Einbeziehung der Zelte befindet.

Nach summarischer Prüfung sind auch keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme des Antragsgegners ersichtlich, dass das Zeltlager vorrangig zur Schaffung einer möglichst komfortablen Infrastruktur für die in der Umgebung stattfindenden Protestaktionen, insbesondere für eine Besetzung des in etwa 2 km Entfernung liegenden Waldstücks „G.“, dient. Zwar gab es unstreitig mehrere Versuche, in diesem Waldstück ein Hüttendorf zu errichten und dieses zu besetzen, die von der Polizei unterbunden wurden. Allerdings sind die vorgelegten Äußerungen in den sozialen Medien (BA 001, Bl. 80 - 82) oder der kurze Zeitungsartikel der NWZ vom 22. Mai 2021, wonach das eigentliche Ziel die Besetzung des Waldgebiets „G.“ sei, keine hinreichende Grundlage für die Annahme, dass das Zeltlager nur als Basislager für künftige Demonstrationen in diesem Bereich dienen soll. Es steht nicht einmal fest, dass diese Äußerungen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des angemeldeten Dauermahnwache auf dem Grundstück des Antragstellers zuzuordnen sind oder dass diese mit den „Besetzern“ des Waldstücks personenidentisch sind, auch wenn in der ersten Anmeldung vom 17. Mai 2021 auf den Polizeieinsatz im Waldstück Bezug genommen wird. Es ist zu berücksichtigten, dass es sich bei den „Aktivisten“ nicht um eine homogene Gruppe handeln dürfte, sondern zu erwarten ist, dass insgesamt verschiedenen Protestformen gewählt werden, sodass hier mangels tragfähiger entgegenstehender Hinweise die Angaben in der Versammlungsanmeldung zugrunde zu legen sind. Nach alledem ist die Annahme, dass es den Versammlungsteilnehmern vorrangig darum gehe, eine Infrastruktur für Aktionen im etwa 2 km entfernten Wald zu haben und dass daher das Zeltlager keine eigene versammlungsrechtliche Relevanz habe, nicht überzeugend. Denn das Camp befindet sich in unmittelbarer Nähe zu dem geplanten Trassenverlauf, sodass dem Zeltlager direkte versammlungsrechtlich relevante Wirkung zukommt, die über eine reine Übernachtungsmöglichkeit hinausgeht. Der o.g. Zeitungsbericht und die erwähnten Passagen aus den sozialen Medien erweisen sich damit als unzureichende Grundlage für die o.g. Annahme, zumal der Antragsgegner selbst darauf hinweist, dass dieses Waldgebiet etwa 2 km entfernt ist und er nicht näher konkretisiert, inwiefern das Zeltlager auf dem Grundstück des Antragstellers besonderen Nutzen für eine etwaige Besetzung des Waldgebietes haben könnte. Auch der Artikel in den Ammerländer Nachrichten vom 10. Juli 2021 „A 20-Gegner wollen Feld nicht räumen“ enthält bestätigende Hinweise für die Annahme des Antragsgegners nicht. Gegen die Annahme, dass der derzeitige Standort auf dem Grundstück des Antragstellers beliebig sei und das Zeltlager auch an jedem anderen, z.B. innerhalb einer Ortschaft liegenden, Grundstück durchgeführt werden könne, spricht zudem der o.g. Gesichtspunkt, dass sich das Zeltlager in unmittelbarer Nähe zu der geplanten Trassenführung der A 20 befindet.

Gegen die Einbeziehung der Dauermahnwache unter Berücksichtigung des Zeltlagers in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG lässt sich auch nicht entscheidend die geplante Verweildauer der Versammlung anführen. In der Anmeldung vom 29. Mai 2021 wird das beabsichtigte Ende mit dem Ende der Verhandlungen der Klage gegen den Bauabschnitt 1, voraussichtlich 31. Dezember 2021, angegeben. Es ist zwar grundsätzlich zutreffend, dass eine Versammlung unter freiem Himmel strukturell nach außen gewandt ist und sie jedermann durch schlichtes Hinzutreten die Teilnahme gestatten und umgekehrt auch einfaches Weggehen ermöglichen soll. Sie ist regelmäßig zeitlich straffer und konzentrierter als Versammlungen in geschlossenen Räumen, sodass ein dauerhaftes Verweilen über Monate an einem Ort nicht dem herkömmlichen Bild der Versammlung unter freiem Himmel entspricht, was bei der Bestimmung der notwendigen Reichweite dieses Grundrechts nicht außer Acht bleiben kann (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. August 2012 – OVG 1 S 108.12 –, juris, Rn. 11).

Gleichwohl lässt sich Art. 8 Abs. 1 GG eine Höchstzeitvorgabe nicht entnehmen (Kniesel, in Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetze, 18. Auflage 2019, Teil I, Rn. 161 m.w.A.). Zudem ist vorliegend zu berücksichtigen, dass zum einen die Versammlungsanmeldung vom 29. Mai 2021 eine zeitliche Begrenzung enthält (s.o.) und es sich zum anderen um die zulässige Versammlungsform einer Dauermahnwache handelt, die ihrer Natur nach auf einen längeren Zeitraum angelegt ist. Dabei ist auch der Versammlungszweck in den Blick zu nehmen. Der Protest gegen ein großes Infrastrukturvorhaben wie den Bau der A 20, bei dem eine jahre- bzw. jahrzehntelange Planung und Umsetzung zu erwarten ist, entfaltet im Hinblick auf die beabsichtigte Meinungskundgabe keine oder eine lediglich geringe Wirkung, falls er lediglich punktuell bzw. kurzzeitig erfolgt. Dies gilt gerade im Hinblick auf den Standort der hier in Rede stehenden Versammlung im dünn besiedelten Außenbereich, der aufgrund der räumlichen Nähe zur geplanten Trasse der A 20 nachvollziehbar gewählt ist. Dort kann nur ein nachhaltiger und länger andauernder Protest die von den Teilnehmenden gewünschte Wirkung entfalten, da in kurzer Zeit ein größerer Personenkreis nicht öffentlichkeitswirksam angesprochen werden kann. Hierin liegt ein nicht unerheblicher Unterschied zu Versammlungen, die sich gegen bestimmte zeitlich begrenzte Veranstaltungen, etwa den G 20-Gipfel in A-Stadt im Jahr 2017, richten.

Die Kammer geht dabei davon aus, dass die gegenwärtige Dauermahnwache mit dem Zeltlager maßgeblich anhand der Anmeldung vom 29. Mai 2021 zu beurteilen ist, weil hierdurch – durch einen neuen Versammlungsleiter – entweder eine neue Versammlung angemeldet wurde oder die unter dem 17. Mai 2021 angemeldete Versammlung eine Konkretisierung und Modifizierung („Ummeldung“) erfahren hat. Es überzeugt daher nicht, alleine oder überwiegend auf die Angaben in der Anmeldung vom 17. Mai 2021 abzustellen, da davon auszugehen ist, dass die Versammlung – sofern Abweichungen bestehen – in der Form durchgeführt werden soll, wie sie in der Anmeldung vom 29. Mai 2021 zum Ausdruck kommt.

bb) Auch im Hinblick auf den übrigen Teil des Zeltlagers, der von kleineren Zelten geprägt ist, sind die Erfolgsaussichten des erhobenen Widerspruchs jedenfalls offen, da auch insoweit zumindest möglich erscheint, dass noch der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG eröffnet ist.

Bei Betrachtung der Lichtbilder in den Verwaltungsvorgängen mag zwar vordergründig der Eindruck entstehen, dass ein Teil der Zelte, insbesondere die kleineren Zelte, möglicherweise vorrangig eine Übernachtungsmöglichkeit bieten sollen und damit ihnen keine funktionelle Bedeutung für das Versammlungsthema zukommen könnte. Allerdings liefert die Benennung der vorhandenen und geplanten Zelte nach durch den Bau der A 20 ggf. bedrohten Tierarten durchaus Hinweise darauf, dass möglicherweise auch den kleineren Zelten eine symbolische Bedeutung für das Versammlungsthema zukommen könnte. Zudem befinden sich auch die kleineren Zelte in unmittelbarer Nähe zu dem geplanten Vorhaben zum Bau der A 20 und weisen damit einen räumlichen Bezug zum Versammlungsthema auf.

Ferner ist zu berücksichtigen, dass zwar grundsätzlich Infrastruktur wie Zelte und Pavillons vom Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG nicht erfasst sind, wenn damit lediglich Übernachtungs- und Verpflegungsmöglichkeiten für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bereitgestellt werden. Allerdings können gerade bei Versammlungen „rund um die Uhr“ oder bei länger andauernden Mahnwachen Gelegenheiten für Ruhepausen oder das nächtliche Schlafen einzelner Demonstrationsteilnehmer erforderlich und durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützt sein, um eine effektive Kundgabe des Anliegens der Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmer zu gewährleisten. So liegt es auf der Hand, dass bei einer Dauermahnwache rund um die Uhr nicht alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer dauerhaft wachen können und einige zwischendurch schlafen oder ruhen müssen (OVG HH, Beschluss vom 22. Juni 2017 – 4 Bs 125/17 –, juris, Rn. 35 m.w.N.). Vor diesem Hintergrund erscheint es auch im Hinblick auf die kleineren Zelte auf dem Grundstück des Antragstellers möglich, dass diese in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG fallen, zumal die Erwägungen zum Standort in unmittelbarer Nähe zur geplanten Autobahntrasse und zum symbolischen Gehalt der Benennung mit ggf. gefährdeten Tierarten auch hier zu berücksichtigen sind. Letztendlich muss diese Frage der Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.“

So liegt der Fall.

Auch hier ist mit der verfassungsrechtlich herausragenden Bedeutung des Art. 8 Abs. 1 GG davon auszugehen, dass die geplanten und vorgesehenen Veranstaltungen, einschließlich der ‚baulichen‘ Maßnahmen, insbesondere das Biwak, dem Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG unterfallen. Insbesondere ist davon auszugehen, dass den Anlagen zumindest teilweise eine funktionale und symbolische Bedeutung für das Versammlungsthema zukommt, also die Zelte in der Gesamtschau als Teil der Proteste (etwa im Sinne einer Dauermahnwache) anzusehen sind. Für diese Annahme spricht etwa der gewählte Standort im Umfeld des größten deutschen Geflügelfleischproduzenten und die mögliche Nutzung der Zelte für Workshops und den Austausch mit der lokalen Bevölkerung. Diese Art Kundgebungsmittel durch das geplante Biwak weist einen erkennbaren inhaltlichen Bezug zur kollektiven Meinungskundgabe auf. Bereits am Donnerstag, 8. Juli 2021, 16 Uhr, mit der Aufnahme der Tätigkeit des Vorauskommandos (Aufbau etc.) greift der Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG ein, weil ansonsten der eigentliche Kern der Veranstaltung in der Folgewoche nicht durchführbar wäre.

Die entgegenstehenden Annahmen des angegriffenen Bescheides verwirft die Kammer als nicht durchgreifend ebenso wie es den Erwägungen der Antragserwiderung nicht zu folgen vermag. Dies geschieht zugleich in aller Kürze, weil der zeitliche Ablauf dies gebietet und zudem noch womöglich der 11. Senat des Nds. OVG befasst werden könnte, zumal es der Antragsgegner in der Hand gehabt hätte, zeitgerecht durch Erlass eines versammlungsrechtlichen Bescheides auf die Anzeige der Versammlung zu reagieren, sofern er Auflagen/Beschränkungen im Sinne des Nds. VersG für sachgerecht und rechtmäßig gehalten hätte.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 154 Abs. 1 VwGO, diejenige über den Streitwert orientiert sich an Nrn. 45.6, 1.5 (2. Fall) Streitwertkatalog.