Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 12.07.2021, Az.: 7 B 2319/21

Artenschutz; Bestimmtheit; Dauerkundgebung; Protestcamp; Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG; Versammlung

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
12.07.2021
Aktenzeichen
7 B 2319/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 70687
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 14. Juni 2021 (7 A 2318/21) gegen die Beschränkung nach Nr. 9 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 4. Juni 2021 wird wiederhergestellt.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 1.250,00 € festgesetzt.

Gründe

Das nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO zu beurteilende Begehren des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner Klage vom 14. Juni 2021 (7 A 2318/21) gegen die für sofort vollziehbar erklärte Beschränkung nach Nr. 9 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 4. Juni 2021, wonach die von ihm am 29. Mai 2021 angemeldete Dauerkundgebung in der Form eines mehrmonatigen sog. Protestcamps mit dem Thema „Der Klimawandel schläft nicht – Bau der A 20 stoppen! – Dauermahnwache im Trassenbereich – Bündnis Moor bliebt Moor“ nur bei Tageslicht durchgeführt werden darf, wiederherzustellen, hat Erfolg.

Der Antrag ist zulässig und begründet.

Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Beschränkung gemäß Nr. 9 des Bescheids der Antragsgegnerin:

„Die angemeldete Versammlung darf nur bei Tageslicht durchgeführt werden.“,

entfällt, weil die Antragsgegnerin nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung des Verwaltungsaktes angeordnet hat.

Die schriftliche Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung auf Seite 6 des angegriffenen Bescheids genügt den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.

Für den Erfolg eines Antrags nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist in materieller Hinsicht entscheidend, ob das private Interesse eines Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage höher als das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angegriffenen Allgemeinverfügung zu bewerten ist. Im Rahmen dieser gerichtlichen Abwägung der widerstreitenden Interessen sind mit der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen Zurückhaltung die Aussichten des Begehrens im Hauptsacheverfahren maßgeblich zu berücksichtigen. Bei einer offensichtlich Erfolg versprechenden Klage überwiegt das Suspensivinteresse des Betroffenen regelmäßig das öffentliche Vollzugsinteresse. Der Antrag ist dagegen in aller Regel unbegründet, wenn der Antragsteller im Verfahren zur Hauptsache voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, insbesondere wenn die angegriffene Verfügung offensichtlich rechtmäßig ist.

Nach diesen Maßstäben überwiegt das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Interesse am Sofortvollzug der Beschränkung nach Nr. 9 des angegriffenen Bescheids. Die auf Grundlage des § 8 Abs. 1 NVersG verfügte Einschränkung wird sich im Hauptsacheverfahren voraussichtlich als rechtswidrig erweisen. Im Hinblick hierauf ist dem Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage zu entsprechen, denn an der Durchsetzung rechtswidriger Verwaltungsakte besteht kein überwiegendes öffentliches Interesse.

Das Gericht geht in Übereinstimmung mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Oldenburg – 4. Kammer – vom 2. Juli 2021 im baurechtlichen Parallelverfahren (4 B 2325/21) davon aus, dass die angemeldete Dauermahnwache insgesamt, d. h. auch hinsichtlich des errichteten Zeltlagers als einem sog. Protestcamp, von dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG umfasst sein dürfte. Die 4. Kammer hat hierzu in ihrem Beschluss vom 2. Juli 2021 ausgeführt:

„aa) Vorliegend bestehen nach diesen Maßstäben gewichtige Anhaltspunkte für die Annahme, dass jedenfalls Teile des in Rede stehenden Zeltlagers auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sind und dabei eine Vielzahl kommunikativer Anliegen und Aktivitäten mit einem übergreifenden Protestanliegen anlässlich des geplanten Bau der Autobahn A 20 und den damit aus Sicht der Teilnehmenden verbundenen Folgen für den Klimaschutz und die örtliche Fauna verbinden, was als solches durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützt ist. Es ist davon auszugehen, dass den Anlagen zumindest teilweise eine funktionale und symbolische Bedeutung im Hinblick auf das Versammlungsthema zukommt, also die Zelte in der Gesamtschau als Teil der angemeldeten Dauermahnwache anzusehen sind.

Ausweislich der Versammlungsanmeldung vom 29. Mai 2021 ist das Thema der Versammlung ‚Dauermahnwache mit Aufklärungs- und Informationszielen, Austausch und Dialog mit lokaler Bevölkerung im Trassenbereich der A 20‘. Dabei sollen Informationsmaterialien (u.a. Flyer, Broschüren, Banner, Transparente) und Pavillons und Zelte zur Informations- und Versammlungszwecken verwendet werden. Die bis zu 30 Zelte sollen hiernach öffentlichkeitswirksam nach durch den Bau der A 20 bedrohten Tierarten benannt werden.

Nach Aktenlage kommt der beabsichtigten Verwendung von Zelten jedenfalls auch eine funktionale und symbolische Bedeutung für das Versammlungsthema zu. Sie bilden nach den Ausführungen in der Anmeldung einen integralen Bestandteil der Dauermahnwache. Hierfür spricht bereits der gewählte Standort der Dauermahnwache und dem dazugehörigen Zeltlager. Die geplante Trasse der A 20 soll unmittelbar südlich des Grundstücks des Antragstellers verlaufen, das Anliegen der Versammlung wird mithin direkt in einen Bereich getragen, der von dem Autobahnbau betroffen ist. Ausweislich der in den Verwaltungsvorgängen des Antragsgegners befindlichen Lichtbilder sind die Zelte zudem jedenfalls teilweise mit Bannern und Spruchbändern versehen, die sich auf das Versammlungsthema beziehen. Insbesondere die größeren Zelte im vorderen und hinteren Bereich können Workshops und den Austausch mit der lokalen Bevölkerung ermöglichen, sodass nachvollziehbar erscheint, dass diese Zelte Meinungsbildungs- und Kundgabezwecken dienen. Sie ermöglichen eine Befassung mit dem Versammlungsthema im Sinne einer Vergewisserung von Überzeugungen unter den Teilnehmenden und sind zudem auf die Meinungskundgabe gegenüber Dritten gerichtet. Zudem sollen nach Angaben des Antragstellers und den Beschreibungen in der Versammlungsanzeige die Zelte öffentlichkeitswirksam jeweils nach einer durch den Bau der A 20 bedrohten Tierart benannt werden, wobei bisher Themenzelte mit den Bezeichnungen Seeadler, Fischotter, Löffelente, Fransenfledermaus, Fitis, Zilzalp und Kolkrabe vorhanden seien, die einen Teil des Ökosystems Moor symbolisierten. Auch hieraus ergibt sich die symbolische Bedeutung der Zelte für das Anliegen der Versammlung.

Soweit der Antragsgegner – offensichtlich unter Berufung auf die Ausführungen der Polizeidirektion Oldenburg in der Bestätigung der Anmeldung der Versammlung vom 4. Juni 2021 – die Ansicht vertritt, dass die angemeldete Dauermahnwache und das Zeltlager unabhängig voneinander zu sehen seien, erscheint diese Aufspaltung nach Aktenlage nicht nachvollziehbar. Augenscheinlich befinden sich die Zelte in dem Bereich, der als Ort der Dauermahnwache vorgesehen ist. Nach den Angaben in der Versammlungsanmeldung sind die Zelte integraler Bestandteil der angemeldeten Dauermahnwache; die vorgelegten Lichtbilder bestätigen den Vortrag des Antragstellers, dass sich auf seinem Grundstück ‚im hinteren Bereich der Wiese‘ alleine die Versammlung unter Einbeziehung der Zelte befindet.

Nach summarischer Prüfung sind auch keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme des Antragsgegners ersichtlich, dass das Zeltlager vorrangig zur Schaffung einer möglichst komfortablen Infrastruktur für die in der Umgebung stattfindenden Protestaktionen, insbesondere für eine Besetzung des in etwa 2 km Entfernung liegenden Waldstücks ‚E. er Büsche‘, dient. Zwar gab es unstreitig mehrere Versuche, in diesem Waldstück ein Hüttendorf zu errichten und dieses zu besetzen, die von der Polizei unterbunden wurden. Allerdings sind die vorgelegten Äußerungen in den sozialen Medien (BA 001, Bl. 80–82) oder der kurze Zeitungsartikel der NWZ vom 22. Mai 2021, wonach das eigentliche Ziel die Besetzung des Waldgebiets ‚E. er Büsche‘ sei, keine hinreichende Grundlage für die Annahme, dass das Zeltlager nur als Basislager für künftige Demonstrationen in diesem Bereich dienen soll. Es steht nicht einmal fest, dass diese Äußerungen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des angemeldeten Dauermahnwache auf dem Grundstück des Antragstellers zuzuordnen sind oder dass diese mit den ‚Besetzern‘ des Waldstücks personenidentisch sind, auch wenn in der ersten Anmeldung vom 17. Mai 2021 auf den Polizeieinsatz im Waldstück Bezug genommen wird. Es ist zu berücksichtigten, dass es sich bei den ‚Aktivisten‘ nicht um eine homogene Gruppe handeln dürfte, sondern zu erwarten ist, dass insgesamt verschiedenen Protestformen gewählt werden, sodass hier mangels tragfähiger entgegenstehender Hinweise die Angaben in der Versammlungsanmeldung zugrunde zu legen sind. Nach alledem ist die Annahme, dass es den Versammlungsteilnehmern vorrangig darum gehe, eine Infrastruktur für Aktionen im etwa 2 km entfernten Wald zu haben und dass daher das Zeltlager keine eigene versammlungsrechtliche Relevanz habe, nicht überzeugend. Denn das Camp befindet sich in unmittelbarer Nähe zu dem geplanten Trassenverlauf, sodass dem Zeltlager direkte versammlungsrechtlich relevante Wirkung zukommt, die über eine reine Übernachtungsmöglichkeit hinausgeht. Der o. g. Zeitungsbericht und die erwähnten Passagen aus den sozialen Medien erweisen sich damit als unzureichende Grundlage für die o. g. Annahme, zumal der Antragsgegner selbst darauf hinweist, dass dieses Waldgebiet etwa 2 km entfernt ist und er nicht näher konkretisiert, inwiefern das Zeltlager auf dem Grundstück des Antragstellers besonderen Nutzen für eine etwaige Besetzung des Waldgebietes haben könnte. Auch der Artikel in den Ammerländer Nachrichten vom 10. Juli 2021 ‚A 20-Gegner wollen Feld nicht räumen‘ enthält bestätigende Hinweise für die Annahme des Antragsgegners nicht. Gegen die Annahme, dass der derzeitige Standort auf dem Grundstück des Antragstellers beliebig sei und das Zeltlager auch an jedem anderen, z.B. innerhalb einer Ortschaft liegenden, Grundstück durchgeführt werden könne, spricht zudem der o. g. Gesichtspunkt, dass sich das Zeltlager in unmittelbarer Nähe zu der geplanten Trassenführung der A 20 befindet.

Gegen die Einbeziehung der Dauermahnwache unter Berücksichtigung des Zeltlagers in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG lässt sich auch nicht entscheidend die geplante Verweildauer der Versammlung anführen. In der Anmeldung vom 29. Mai 2021 wird das beabsichtigte Ende mit dem Ende der Verhandlungen der Klage gegen den Bauabschnitt 1, voraussichtlich 31. Dezember 2021, angegeben. Es ist zwar grundsätzlich zutreffend, dass eine Versammlung unter freiem Himmel strukturell nach außen gewandt ist und sie jedermann durch schlichtes Hinzutreten die Teilnahme gestatten und umgekehrt auch einfaches Weggehen ermöglichen soll. Sie ist regelmäßig zeitlich straffer und konzentrierter als Versammlungen in geschlossenen Räumen, sodass ein dauerhaftes Verweilen über Monate an einem Ort nicht dem herkömmlichen Bild der Versammlung unter freiem Himmel entspricht, was bei der Bestimmung der notwendigen Reichweite dieses Grundrechts nicht außer Acht bleiben kann (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. August 2012 – OVG 1 S 108.12 –, juris Rn. 11).

Gleichwohl lässt sich Art. 8 Abs. 1 GG eine Höchstzeitvorgabe nicht entnehmen (Kniesel, in: Dietel/Gintzel/ders., Versammlungsgesetze, 18. Auflage 2019, Teil I, Rn. 161 m.w.A.). Zudem ist vorliegend zu berücksichtigen, dass zum einen die Versammlungsanmeldung vom 29. Mai 2021 eine zeitliche Begrenzung enthält (s. o.) und es sich zum anderen um die zulässige Versammlungsform einer Dauermahnwache handelt, die ihrer Natur nach auf einen längeren Zeitraum angelegt ist. Dabei ist auch der Versammlungszweck in den Blick zu nehmen. Der Protest gegen ein großes Infrastrukturvorhaben wie den Bau der A 20, bei dem eine jahre- bzw. jahrzehntelange Planung und Umsetzung zu erwarten ist, entfaltet im Hinblick auf die beabsichtigte Meinungskundgabe keine oder eine lediglich geringe Wirkung, falls er lediglich punktuell bzw. kurzzeitig erfolgt. Dies gilt gerade im Hinblick auf den Standort der hier in Rede stehenden Versammlung im dünn besiedelten Außenbereich, der aufgrund der räumlichen Nähe zur geplanten Trasse der A 20 nachvollziehbar gewählt ist. Dort kann nur ein nachhaltiger und länger andauernder Protest die von den Teilnehmenden gewünschte Wirkung entfalten, da in kurzer Zeit ein größerer Personenkreis nicht öffentlichkeitswirksam angesprochen werden kann. Hierin liegt ein nicht unerheblicher Unterschied zu Versammlungen, die sich gegen bestimmte zeitlich begrenzte Veranstaltungen, etwa den G 20-Gipfel in Hamburg im Jahr 2017, richten. […]

bb) Auch im Hinblick auf den übrigen Teil des Zeltlagers, der von kleineren Zelten geprägt ist, sind die Erfolgsaussichten des erhobenen Widerspruchs jedenfalls offen, da auch insoweit zumindest möglich erscheint, dass noch der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG eröffnet ist.

Bei Betrachtung der Lichtbilder in den Verwaltungsvorgängen mag zwar vordergründig der Eindruck entstehen, dass ein Teil der Zelte, insbesondere die kleineren Zelte, möglicherweise vorrangig eine Übernachtungsmöglichkeit bieten sollen und damit ihnen keine funktionelle Bedeutung für das Versammlungsthema zukommen könnte. Allerdings liefert die Benennung der vorhandenen und geplanten Zelte nach durch den Bau der A 20 ggf. bedrohten Tierarten durchaus Hinweise darauf, dass möglicherweise auch den kleineren Zelten eine symbolische Bedeutung für das Versammlungsthema zukommen könnte. Zudem befinden sich auch die kleineren Zelte in unmittelbarer Nähe zu dem geplanten Vorhaben zum Bau der A 20 und weisen damit einen räumlichen Bezug zum Versammlungsthema auf.

Ferner ist zu berücksichtigen, dass zwar grundsätzlich Infrastruktur wie Zelte und Pavillons vom Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG nicht erfasst sind, wenn damit lediglich Übernachtungs- und Verpflegungsmöglichkeiten für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bereitgestellt werden. Allerdings können gerade bei Versammlungen ‚rund um die Uhr‘ oder bei länger andauernden Mahnwachen Gelegenheiten für Ruhepausen oder das nächtliche Schlafen einzelner Demonstrationsteilnehmer erforderlich und durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützt sein, um eine effektive Kundgabe des Anliegens der Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmer zu gewährleisten. So liegt es auf der Hand, dass bei einer Dauermahnwache rund um die Uhr nicht alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer dauerhaft wachen können und einige zwischendurch schlafen oder ruhen müssen (OVG Hamburg, Beschluss vom 22. Juni 2017 – 4 Bs 125/17 –, juris Rn. 35 m. w. N.). Vor diesem Hintergrund erscheint es auch im Hinblick auf die kleineren Zelte auf dem Grundstück des Antragstellers möglich, dass diese in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG fallen, zumal die Erwägungen zum Standort in unmittelbarer Nähe zur geplanten Autobahntrasse und zum symbolischen Gehalt der Benennung mit ggf. gefährdeten Tierarten auch hier zu berücksichtigen sind. Letztendlich muss diese Frage der Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.“

Als Ermächtigungsgrundlage für die angegriffene Beschränkung dieser Versammlung i. S. d. Art. 8 Abs. 1 GG und auch i. S. d. § 2 NVersG kommt daher allein § 8 Abs. 1 NVersG in Betracht. Danach kann die zuständige Behörde eine Versammlung unter freiem Himmel beschränken, um eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren.

Die hierauf gestützte Beschränkung nach Nr. 9 des Bescheids vom 4. Juni 2021 ist voraussichtlich rechtwidrig. Zwar ist die Antragsgegnerin mit Beginn der Dauermahnwache am 2. Juni 2021 die zuständige Versammlungsbehörde gemäß § 24 Satz 1 Nr. 2 NVersG. Allerdings dürfte die Beschränkung nicht hinreichend bestimmt sein (§ 1 Abs. 1 NVwVfG i. V. m. § 37 Abs. 1 VwVfG).

Ein Verwaltungsakt muss, um im Sinne des § 37 Abs. 1 VwVfG hinreichend bestimmt zu sein, zum einen den Adressaten in die Lage versetzen, zu erkennen, was von ihm gefordert wird, und zum anderen eine geeignete Grundlage für Maßnahmen zu seiner zwangsweisen Durchsetzung darstellen. Im Einzelnen richten sich die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit eines Verwaltungsakts nach den Besonderheiten des je-jeweils anzuwendenden und mit dem Verwaltungsakt umzusetzenden materiellen Rechts. Der Regelungsgehalt eines Verwaltungsakts ist entsprechend §§ 133, 157 BGB durch Auslegung zu ermitteln. Dabei ist der erklärte Wille maßgebend, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte. Bei der Ermittlung dieses objektiven Erklärungswertes sind alle dem Empfänger bekannten oder erkennbaren Umstände heranzuziehen, insbesondere auch die Begründung des Verwaltungsaktes. Der Wille der Behörde muss unzweideutig – wenn auch durch Auslegung gewonnen – für die Beteiligten des Verfahrens erkennbar und darf nicht einer unterschiedlichen subjektiven Bewertung zugänglich sein (st. Rspr., vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 16. Dezember 2013 – 8 C 21.12 –, juris Rn. 15 m. w. N.).

Der von der Antragsgegnerin zur zeitlichen Beschränkung der Versammlung verwendete Begriff des „Tageslichts“ genügt diesen Anforderungen nicht. Weder aus dem Tenor der Beschränkung nach Nr. 9 des Bescheids, noch aus seiner Begründung ist aus objektiver Empfängersicht zweifelsfrei erkennbar, welcher Zeitraum hierunter zu verstehen ist. Es ist dem Antragssteller nicht möglich zu erkennen, in welchem konkreten Zeitfenster er die Versammlung zu unterbrechen hat bzw. andernfalls mit Zwangsmaßnahmen der Antragsgegnerin rechnen müsste.

Die versammlungsrechtliche Beschränkung dürfte sich im Hauptsacheverfahren darüber hinaus auch als rechtswidrig erweisen, weil die Antragsgegnerin zu Unrecht die Versammlung im Hinblick auf eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit beschränkt hat.

Die öffentliche Sicherheit i. S. v. § 8 Abs. 1 NVersG umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen. Dazu gehört vor allem die Verhütung und vorbeugende Bekämpfung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten. Denn die Ausübung der Versammlungsfreiheit gibt keine Rechtfertigung für strafbares oder ordnungswidriges Verhalten (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24. Oktober 2001 – 1 BvR 1190/90 –, juris Rn. 54). Ein allgemein verbotenes Verhalten wird nicht dadurch rechtmäßig, dass es gemeinsam mit anderen in Form einer Versammlung erfolgt. Das den Grundrechtsträgern durch Art. 8 GG eingeräumte Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt sowie Art und Inhalt der Veranstaltung ist durch den Schutz der Rechtsgüter Dritter und der Allgemeinheit begrenzt (BVerfG, Beschl. v. 24. Oktober 2001 – 1 BvR 1190/90 –, juris Rn. 54).

Die Antragsgegnerin sieht hier eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit vornehmlich im Hinblick auf einen Verstoß gegen § 39 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG (sog. allgemeiner Artenschutz) sowie § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG (sog. besonderer Artenschutz). Insoweit ist hier das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit betroffen, weil die Begehung einer Ordnungswidrigkeit im Raum steht. Gemäß § 69 Abs. 3 Nr. 9 BNatSchG handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 39 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG eine Lebensstätte wild lebender Tiere oder Pflanzen ohne vernünftigen Grund erheblich beeinträchtigt oder zerstört. Nach § 69 Abs. 2 Nr. 2 BNatSchG handelt ordnungswidrig, wer entgegen § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG ein wild lebendes Tier erheblich stört.

Für eine „Beeinträchtigung“ i. S. v. § 39 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG bzw. eine „erhebliche Störung“ i. S. v. § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG liegen jedoch keine ausreichenden Gefahrenprognosen vor. Zur Annahme einer unmittelbaren Gefährdung i. S. v. § 8 Abs. 1 NVersG genügt nicht eine abstrakte Gefahr, die Gefährdung muss vielmehr nach dem gewöhnlichen Ablauf der Dinge unmittelbar bevorstehen, der Eintritt der Störung mit hoher Wahrscheinlichkeit in aller Kürze zu erwarten sein. Die Prognose muss dabei auf „erkennbaren Umständen“ beruhen, also auf Tatsachen, Sachverhalten und sonstigen Erkenntnissen; bloßer Verdacht oder Vermutungen können nicht ausreichen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 4. September 2009 – 1 BvR 2147/09 –, juris Rn. 9; OVG Lüneburg, Urt. v. 29. Mai 2008 – 11 LC 138/06 –, juris Rn. 44). Für das Vorliegen einer solchen hinreichend konkreten Tatsachengrundlage ist die Behörde darlegungs- und beweispflichtig (BVerfG, Beschl. v. 4. September 2009 – 1 BvR 2147/09 –, juris Rn. 13).

Hier liegen keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts in Bezug auf § 8 Abs. 1 NVersG vor, d. h. dass mit der Durchführung der angemeldeten Versammlung der Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit gem. §§ 69 Abs. 2 Nr. 2, 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG erfüllt werden wird.

Die von der Antragsgegnerin angeführte Fransenfledermaus (Myotis natteri) stellt zwar gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 14 BNatSchG i. V. m. Anhang IV der FFH-RL eine streng geschützte Art dar. Es bestehen jedoch bereits durchgreifende Zweifel daran, dass diese Fledermausart in dem Bereich des Protestcamps überhaupt vorkommt. Das Gericht stützt sich insoweit auf die von dem Antragsteller beigebrachte Stellungnahme der Dipl.-Biologen von Lemm und Wollf (vgl. Bl. 50 ff.).

Der Vortrag der Antragsgegnerin bleibt demgegenüber im Ungefähren und geht über bloße Vermutungen, die zudem nicht durch fachgutachtliche Stellungnahmen belegt werden, nicht hinaus.

Ebenso wenig besteht eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass mit der Durchführung der angemeldeten Versammlung der Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit gem. § 69 Abs. 3 Nr. 9, § 39 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG erfüllt werden wird.

Nach § 39 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG ist es verboten, Lebensstätten wild lebender Tiere und Pflanzen ohne vernünftigen Grund zu beeinträchtigen oder zu zerstören. Als Lebensstätten sind gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG die regelmäßigen Aufenthaltsorte der wild lebenden Individuen einer Art definiert. Im Unterschied zu „Lebensräumen“ sind mit „Lebensstätten“ daher nur diejenigen räumlich enger gefassten Habitatbereiche gemeint, die von Tieren wild lebender Arten regelmäßig als Aufenthaltsort genutzt werden (Lau, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, 3. Aufl. 2021, § 39 Rn. 8).

Ob das Protestcamp als eine von der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG umfasste Dauerkundgebung bereits einen vernünftigen Grund i. S. d. § 39 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG darstellt, bedarf hier keiner Entscheidung, weil es vorliegend jedenfalls an einer ausreichenden Gefahrenprognose über die Beeinträchtigung von Lebensstätten wild lebender Tiere oder Pflanzen fehlt.

Die Antragsgegnerin stellt lediglich allgemein darauf ab, dass sich Wildtiere aufgrund der Dauermahnwache während der Nachtzeit nicht ungestört auf der Versammlungsfläche bewegen und Nahrung aufnehmen könnten. Sie bleibt auch insoweit mit ihrem Vortrag weitgehend im Allgemeinen. Sie nennt weder die auf der Versammlungsfläche bzw. in ihrer unmittelbaren Umgebung konkret vorkommenden Tiere, noch setzt sie sich im Übrigen näher mit den landschaftlichen und naturschutzfachlichen Gegebenheiten vor Ort auseinander.

Bereits aufgrund der örtlichen Gegebenheiten spricht jedoch bei summarischer Prüfung Überwiegendes gegen die Annahme einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit für eine Beeinträchtigung von Lebensstätten wild lebender Tiere. So handelt es sich bei der Versammlungsfläche um eine landwirtschaftlich genutzte Wiese, die in der Vergangenheit auch als Acker diente. Zwar findet die landwirtschaftliche Nutzung von Wiesen nicht durchgängig statt, dürfte aber entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin nicht lediglich auf eine im Turnus von etwa vier bis sechs Wochen stattfindende Mahd beschränkt sein. Vielmehr dürften zwischendurch Befahrungen zum Ausbringen von Gülle und Mineraldünger stattfinden. Das Gericht geht in Übereinstimmung mit der von dem Antragsteller beigebrachten fachgutachtlichen Stellungnahme (vgl. Bl. 51 f.) davon aus, dass die Nutzung einer Mähwiese, wie sie heute vielfach betrieben wird, bereits für sich genommen zu erheblichen Veränderungen des bestehenden Ökosystems führt. Die Flächen werden häufig – auch während der Brut- und Setzzeit – umgebrochen und zumeist mehrmals während des Frühjahrs und Sommers gedüngt und gemäht. Mit jeder Mahd werden alle vorhandenen Pflanzen entfernt, sodass der Versammlungsort aller Voraussicht nach nicht wesentlich für die Nahrungsaufnahme von Wildtieren und Vögeln ist. Es bestehen daher bereits erhebliche Zweifel, ob die Versammlungsfläche überhaupt wild lebenden Tieren als Lebensstätte im oben genannten Sinne dient. Hiergegen spricht neben der skizzierten landwirtschaftlichen Nutzung letztlich auch die Nähe zu mehreren Windkraftanlagen des Windparks Garnholt (vgl. die Abbildung auf Bl. 52), aus der sich eine entsprechende Vorbelastung des Versammlungsorts ergibt.

Auch soweit die Versammlungsteilnehmer während der Nacht Lichtquellen in den Zelten oder beim Gehen benutzen, sind deren Emissionen bereits als geringfügig einzustufen. Lichter in Zelten sind durch die Zeltwände abgeschirmt und dringen nur sehr schwach nach außen. Die Kegel von beim Gehen genutzten Taschenlampen sind naturgemäß nach unten gerichtet, um den für die Sicht relevanten Boden zu beleuchten. Zudem bleibt es der Antragsgegnerin unbenommen, dem Antragsteller durch eine Beschränkung aufzugeben, nur geringfügig emittierende (auch stationäre) Lichtquellen zu verwenden. Als milderes Mittel gegenüber der Untersagung der Versammlung zur Nachtzeit erweist sich allein eine solche Beschränkung letztlich auch als erforderlich zur Erreichung des Ziels einer weitgehenden Schonung der Natur vor Ort.

Nach Maßgabe der zum Artenschutz gemachten Feststellungen über die tatsächlichen Gegebenheiten vor Ort kann schließlich nichts Anderes für den allgemeinen Gebietsschutz gelten. Soweit die Antragsgegnerin – insoweit nur implizit – die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung nach § 14 Abs. 1 BNatSchG bemüht, dürften durch die Versammlung keine erheblichen Beeinträchtigungen der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts oder des Landschaftsbilds herbeigeführt werden.

Eine unmittelbare Gefahr i. S. d. § 8 Abs. 1 NVersG lässt sich schließlich auch nicht aufgrund des Umstands herleiten, dass die am Versammlungsort vorherrschenden Bodenverhältnisse bei schlechten Sichtverhältnissen zur Nachtzeit ein hohes Verletzungsrisiko zur Folge hätten. Die Antragsgegnerin hat auch insoweit nicht hinreichend dargetan, dass sich die Bodenverhältnisse vor Ort als besonders verletzungsträchtig erweisen. Vielmehr dürfte es sich beim Versammlungsort um eine insoweit „gewöhnliche“ Wiese handeln, bei der sich in kurzer Zeit kleinere Pfade durch Grasniedertritt ausbilden. Darüber hinaus ist es durch die Verwendung von nur geringfügig emittierenden Lichtquellen möglich, etwaige Gefahrenstellen zu sichern.

Darüber hinaus dürfte die Antragsgegnerin bei dem Erlass der Beschränkung nach Nr. 9 des Bescheids auch ermessenfehlerhaft gehandelt haben, vgl. § 114 VwGO. Die Beschränkung stellt sich aller Voraussicht nach als unverhältnismäßiger Eingriff in die Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG dar. So hat es die Antragsgegnerin vollständig versäumt, mildere Mittel als die Einschränkung der Versammlung auf die Tageslichtzeit zu erwägen, etwa die weniger einschneidende Anordnung, dass stationäre Lichtquellen im Freien nur punktuell zur Sicherung bestimmter Wege verwendet und dabei von diesen bestimmte Emissionsgrenzen nicht überschritten werden dürfen. In Anbetracht der verfassungsrechtlich herausragenden Bedeutung des Art. 8 Abs. 1 GG dürfte die Beschränkung in Nr. 9 des Bescheids schließlich auch nicht als zur Erreichung des Ziels einer weitgehenden Schonung der Natur vor Ort und der Vermeidung etwaiger Verletzungsrisiken angemessen sein. Hiergegen spricht durchgreifend, dass eine Beschränkung der Versammlung auf die Tageslichtzeit letztlich zur Folge hat, dass das Protestcamp aufgrund der damit einhergehenden stetigen Unterbrechungen den Charakter einer Dauerkundgebung faktisch verliert. So verstanden, kommt die Beschränkung einem Verbot des Protestcamps nahe, welches jedoch nur als ultima ratio in Betracht gezogen werden darf (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14. Mai 1985 – 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81, juris Rn. 79).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und orientiert sich an den Nrn. 45.4 und 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NordÖR 2014, 11).