Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 25.07.2002, Az.: 4 LA 145/02

Aufwendung; Beihilfe; Darlehen; Dividende; Erwerb; Genossenschaftsanteil; Hilfe zum Lebensunterhalt; Miete; Pflichtanteil; Regelsatz; Sozialhilfe; Unterkunftsbedarf; Wohnung; Wohnungsbaugenossenschaft; Wohnungsbeschaffungskosten

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
25.07.2002
Aktenzeichen
4 LA 145/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 43818
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 15.01.2002 - AZ: 4 A 86/00

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Aufwendungen für den Erwerb von Pflichtanteilen an einer Wohnungsbaugenossenschaft, die Voraussetzung für die Anmietung einer von dieser angebotenen Wohnung sind, gehören zum Unterkunftsbedarf i. S. d. § 12 BSHG und zu den Wohnungsbeschaffungskosten i. S. d. § 3 Abs. 1 Satz 5 RegelsatzVO. Gleiches dürfte für diejenigen Aufwendungen gelten, die der Hilfeempfänger bei einer Erhöhung der Pflichtanteile nach Bezug der Wohnung aufzubringen hat. Der Hilfeempfänger braucht hierfür Regelsatzleistungen nicht einzusetzen. Die Gewährung einer Beihilfe als Darlehen reicht zur Deckung des Bedarfs aus. Die Dividenden, die auf die mittels eines Darlehens des Hilfeträgers erworbenen Genossenschaftsanteile gezahlt werden, stehen dem Hilfeträger zu.

Gründe

1

Der Antrag ist in dem sich aus dem Entscheidungsausspruch ergebenden Umfang begründet. Aufgrund der Darlegungen der Klägerin in ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung vom 26. März 2002 bestehen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (nur), soweit die Klage auf Verpflichtung des Beklagten, Aufwendungen der Klägerin für die Erhöhung der Pflichtanteile an der Wohnungsbaugenossenschaft S. eG aus Sozialhilfemitteln zu übernehmen, abgewiesen worden ist. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen hingegen nicht, soweit die Klage auf Verpflichtung des Beklagten, die von der Genossenschaft jährlich ausgezahlte Dividende auf die bereits von der Klägerin gehaltenen Genossenschaftsanteile zur Tilgung des Darlehens einzusetzen, das der Beklagte der Klägerin für den Erwerb dieser Anteile aus Sozialhilfemitteln gewährt hatte, abgewiesen worden ist.

2

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bezüglich der begehrten Übernahme von Aufwendungen für die Erhöhung der Pflichtanteile bestehen, weil der Klägerin dieser Anspruch gegen den Beklagten zustehen dürfte. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, ein solcher Anspruch der Klägerin könne sich nur aus § 15 a BSHG ergeben, dürfte sich als unzutreffend erweisen. Der Senat nimmt an, dass Aufwendungen für den Erwerb von Anteilen an einer Wohnungsbaugenossenschaft zu dem Zweck, eine Wohnung der Genossenschaft zu mieten, dem Unterkunftsbedarf i. S. d. § 12 BSHG unterfallen. Dies folgt aus dem Wortlaut der Norm, seinem Sinn und Zweck sowie aus dem systematischen Zusammenhang der einschlägigen sozialhilferechtlichen Vorschriften.

3

Nach § 12 BSHG umfasst der notwendige Lebensunterhalt u. a. die Unterkunft. Gemäß §§ 21 Abs. 1, 22 Abs. 1 BSHG kann Hilfe zum Lebensunterhalt durch laufende und einmalige Leistungen gewährt werden und werden laufende Leistungen zum Lebensunterhalt außerhalb von Anstalten, Heimen und gleichartigen Einrichtungen nach Regelsätzen gewährt. Nach § 3 Abs. 1 Sätze 1 und 5 der VO zu § 22 BSHG (RegelsatzVO) werden laufende Leistungen für die Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen gewährt; Wohnungsbeschaffungskosten und Mietkautionen können bei vorheriger Zustimmung (des Trägers der Sozialhilfe) übernommen werden.

4

Dem Wortlaut der Vorschriften, insbesondere des § 12 BSHG, ist nicht zu entnehmen, dass Sozialhilfeleistungen nur für bestimmte mit der Beschaffung und Erhaltung einer Unterkunft in Zusammenhang stehende Aufwendungen zu gewähren sind. Vielmehr ist die Regelung des § 12 BSHG vor dem Hintergrund des Bedarfsdeckungsprinzips dahin zu verstehen, dass Hilfe zum Lebensunterhalt durch Übernahme all derjenigen - ihrer Höhe nach angemessenen - Aufwendungen zu gewähren ist, die im Einzelfall erforderlich sind, den Unterkunftsbedarf zu decken.

5

Auch der systematische Zusammenhang der genannten Regelungen zeigt, dass der Bedarf des einzelnen Hilfeempfängers bzw. -suchenden an einer - sozialhilferechtlich angemessenen - Unterkunft durch laufende und einmalige (Geld-)Leistungen zu decken ist, und zwar durch laufende Leistungen für die einheitlich und beständig anfallenden Aufwendungen für Mietzins und Nebenkosten sowie durch einmalige Leistungen für die

6

- wenn auch gegebenenfalls wiederkehrend entstehenden - übrigen Aufwendungen, die zur Deckung des Unterkunftsbedarfs entstehen.

7

Als solche Aufwendungen, für die einmalige Leistungen in Betracht kommen, sind in § 3 Abs. 1 Satz 5 RegelsatzVO ausdrücklich Wohnungsbeschaffungskosten und Mietkautionen genannt. Ihrem Wesen nach dürften zu den Wohnungsbeschaffungskosten auch Aufwendungen für den Erwerb von Anteilen an einer Wohnungsbaugenossenschaft zählen, denn die mit dem Anteilserwerb einhergehende Mitgliedschaft eröffnet dem Hilfeempfänger die Möglichkeit, eine Genossenschaftswohnung zu mieten (so im Ergebnis auch: OVG Hamburg, Beschl. v. 07.11.1996 - Bs IV 337/96 - , FEVS 47, 497; Knopp/ Fichtner, BSHG, 7. Aufl., RdNr. 12 zu § 12; wohl auch Schellhorn, BSHG, 16. Aufl., RdNr. 7 zu § 15 a). Insofern unterscheiden sich solche Aufwendungen nicht von denen für die Gestellung einer Mietkaution, die als Aufwendungen für die Deckung des Unterkunftsbedarfs i. S. d. § 12 BSHG in der Rechtsprechung des Senats anerkannt sind (vgl. Beschl v. 02.02.2000 - 4 M 4713/99 - , NJW 2000, 1355 [BAG 02.12.1999 - 2 AZR 139/99] = NdsRpfl 2000, 156 = FEVS 51, 477; Beschl. v. 08.12.1995 - 4 M 3210/95 - WuM 1996, 355 [OVG Niedersachsen 08.12.1995 - 4 M 2310/95]; a. A. VGH Mannheim, Beschl. v. 02.09.1996 - 6 S 314/96 - , FEVS 47, 325 und Beschl. v. 31.01.1997 - 7 S 1414/95 - , ZfSH/SGB 1997, 425, wonach als Anspruchsgrundlage für die Übernahme einer Mietkaution und einer Maklerprovision allein § 15 a BSHG in Betracht kommt).

8

Offensichtlich sind auch die Beteiligten davon ausgegangen, dass es sich bei den Aufwendungen für den Erwerb von insgesamt fünf Pflichtanteilen zu je 300,- DM zuzüglich einer Bearbeitungsgebühr i. H. v. 40,- DM vor Anmietung der Wohnung um Wohnungsbeschaffungskosten handelt. Zwar gewährte der Beklagte mit Bescheid vom 27. Mai 1998 die Hilfeleistungen darlehensweise gemäß § 15 a BSHG. Aber nach § 2 des zwischen den Beteiligten geschlossenen Darlehensvertrages dient das Darlehen "zur Beschaffung von Wohnraum".

9

An der Einordnung der Aufwendungen für die Erhöhung der Pflichtanteile als Wohnungsbeschaffungskosten ändert der Umstand nichts, dass die Erhöhung der Genossenschaftsanteile erst im November 1999, also geraume Zeit, nachdem die Klägerin die Genossenschaftswohnung bezogen hatte, von der Vertreterversammlung der Genossenschaft beschlossen wurde. Die Erhöhung der Pflichtanteile steht ihrer Natur nach in unmittelbarem innerem Zusammenhang mit dem erstmaligen Erwerb der Genossenschaftsanteile. Eine unterschiedliche Zuordnung der Aufwendungen für den erstmaligen Erwerb als Wohnungsbeschaffungskosten und der Aufwendungen für die Erhöhung der Pflichtanteile etwa als "Wohnungserhaltungskosten" würde dem nicht gerecht. Doch auch wenn diese Unterscheidung zu machen wäre, unterfielen die hier streitigen Aufwendungen abstrakt dem Unterkunfts(kosten)bedarf, weil sie - wie ausgeführt - der Deckung dieses Bedarfs dienen.

10

Im Übrigen spricht einiges dafür, dass die Zustimmung zum Erwerb von Pflichtanteilen, die in § 2 des Darlehensvertrags zum Ausdruck kommt, dem Grunde nach auch die Zustimmung zur Erhöhung von Pflichtanteilen beinhaltet. Dem Beklagten hätte jedenfalls durch Einsichtnahme in das Statut der Wohnungsbaugenossenschaft S. eG bekannt sein können, dass Erhöhungen der Pflichtanteile möglich sind.

11

Die Aufwendungen für die Erhöhung der Pflichtanteile stellt sich als notwendiger Bedarf dar, weil die Wohnungsbaugenossenschaft zur fristgerechten Kündigung des Mietverhältnisses mit der Klägerin berechtigt ist, falls die Klägerin nicht mindestens fünf Pflichtanteile hält, d. h. auf eine beschlossene Erhöhung der Pflichtanteile (nach)zahlt.

12

Dem Anspruch der Klägerin steht nicht etwa entgegen, dass sie die Aufwendungen für die Erhöhung der Pflichtanteile - gegebenenfalls ratenweise - aus den ihr gewährten Regelsatzleistungen bestreiten könnte. Der Klägerin darf dies sozialhilferechtlich nicht, auch nicht in geringer Höhe, angesonnen werden. Regelsatzleistungen dienen, wie der Regelungsinhalt der §§ 1 und 3 RegelsatzVO zeigt und das Verwaltungsgericht dem Grunde nach auch nicht verkannt hat, nicht der Deckung des Unterkunftsbedarfs. Diesem Bedarf sind die in Rede stehenden Aufwendungen jedoch - wie ausgeführt - zuzuordnen.  

13

Die Aufwendungen für die Mitgliedschaft der Klägerin in der Wohnungsbaugenossenschaft S. eG i. H. v. insgesamt 1.995,85 DM (erstmalige Aufwendungen i. H. v. 1.540,- DM zzgl. Erhöhungsaufwendungen i. H. v. 5 x 91,17 DM = 455,85 DM) dürften auch (noch) nicht das Maß des sozialhilferechtlich Angemessenen überschreiten. Dies auch deshalb nicht, weil die Hilfeleistungen für den erstmaligen Erwerb als Darlehen gewährt wurden und - wie noch näher auszuführen sein wird - auch die Erhöhungsaufwendungen lediglich darlehensweise vom Beklagten zu übernehmen sind; hinzu kommt, dass die aus den Genossenschaftsanteilen zufließenden Dividenden - wie ebenfalls im weiteren noch dazulegen ist - dem Beklagten zustehen.

14

Die Klägerin dürfte einen Anspruch auf Gewährung von HLU für die Erhöhung der Pflichtanteile als Zuschuss - das Begehren ist nicht auf eine darlehensweise Gewährung beschränkt - nicht haben. Die "Art des Bedarfs" (§ 3 Abs. 1 BSHG) der Klägerin bedingt nicht die Gewährung als Zuschuss; vielmehr reicht die darlehensweise Gewährung der begehrten Hilfeleistung zur Bedarfsdeckung aus. Der hier streitige Bedarf liegt in der Übernahme der Aufwendungen für die Erhöhung von Genossenschaftspflichtanteilen. Diese gehen (wirtschaftlich) nicht verloren; sie werden - anders als etwa Mietzinszahlungen - nicht "verbraucht".

15

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen nicht, soweit ein Anspruch der Klägerin verneint wird, die von der Genossenschaft jährlich ausgezahlte Dividende auf die bereits von der Klägerin gehaltenen Genossenschaftsanteile zur Tilgung des Darlehens einzusetzen, das der Beklagte der Klägerin für den Erwerb dieser Anteile aus Sozialhilfemitteln gewährt hatte. Der Senat macht sich die zutreffenden Erwägungen des angefochtenen Urteils zu eigen und verweist deshalb auf sie (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Das Vorbringen im Zulassungsverfahren rechtfertigt eine andere Entscheidung nicht. Der Beklagte hat der Klägerin mit bestandskräftigem Bescheid vom 27. Mai 1998 lediglich darlehensweise Hilfeleistungen für den Erwerb von Genossenschaftsanteilen gewährt. Die Gewährung als Zuschuss war und ist zur Deckung des Unterkunfts- (nämlich des Wohnungsbeschaffungs)bedarfs der Klägerin (und deren Tochter), nicht erforderlich. Ebenso wenig ersichtlich ist, welcher sozialhilferechtlich anerkannter bzw. anerkennenswerter, bislang nicht gedeckter Bedarf durch die Anrechnung der Dividendenzahlungen auf das gewährte Darlehen nunmehr zu decken wäre. Vielmehr würde mit der begehrten Anrechnung die Tilgungsvereinbarung, die in § 3 Abs. 1 Satz 1 des zur Abwicklung der Darlehengewährung abgeschlossenen Darlehensvertrages vereinbart ist, umgangen. Denn dann würde das Darlehen nicht von der Klägerin, sondern aus den Erträgen des aus Sozialhilfemitteln gewährten Darlehens getilgt, also letztlich vom Beklagten. Die Rechtsposition, die der Klägerin durch den bestandskräftigen gewährenden Bescheid vom 27. Mai 1998 und den geschlossenen Darlehensvertrag eingeräumt worden ist, wird durch die Ablehnung der Anrechnung nicht verschlechtert.