Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 19.12.1986, Az.: 4 U 284/85

Voraussetzungen für die Zulassung einer Berufung; Anforderungen an die Darlegung von Zulassungsgründen; Anspruch auf Schadensersatz wegen arglistiger Täuschung

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
19.12.1986
Aktenzeichen
4 U 284/85
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1986, 19758
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1986:1219.4U284.85.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Lüneburg - 24.09.1985 - AZ: 9 O 313/84

Fundstellen

  • MDR 1987, 407 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW-RR 1987, 744-745 (Volltext mit amtl. LS)
  • VersR 1987, 786 (amtl. Leitsatz)

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 24. September 1985 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beschwer der Beklagten beträgt 37.320 DM.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus arglistiger Täuschung.

2

Die Beklagten - inzwischen geschiedene Eheleute - verkauften der Klägerin durch notariellen Vertrag ein Haus mit dem üblichen Gewährleistungsausschluß. Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages war das Haus noch nicht vollständig fertiggestellt, u.a. fehlten drei Sickerschächte.

3

Nach einem Wassereinbruch im Frühjahr 1983 leitete die Klägerin ein Beweissicherungsverfahren (10 H 22/83 AG Lüneburg) ein. Der Sachverständige T. stellte mehrere Verstöße gegen die Regeln der Bauwerksabdichtung fest; wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten vom 28. Mai 1984 Bezug genommen.

4

Im vorliegenden Rechtsstreit verlangt die Klägerin Ersatz derjenigen Kosten, die zu einer ordnungsgemäßen Abdichtung des Kellers ihrer Ansicht nach erforderlich sind.

5

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 37.320,18 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 12. September 1983 zu zahlen.

6

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Der Beklagte zu 1), vorprozessual auf Schadensersatz in Anspruch genommen, hat durch seinen Anwalt vortragen lassen, der Keller sei trocken, von einer mangelhaften Abdichtung der Wände sei ihm nichts bekannt gewesen. Er habe auch in der Folgezeit nicht festgestellt, daß die Kellerwände undicht oder mangelhaft gewesen seien. Die Beklagte zu 2) hat insbesondere geltend gemacht, "derart viel Wasser, wie die Klägerin behaupte, sei zu keiner Zeit in den Keller eingedrungen". Im übrigen haben beide Beklagte im weiteren Verlauf der ersten Instanz nur noch geltend gemacht, sie seien zur Aufklärung nicht verpflichtet, gewesen, die Klägerin habe keine Fragen gestellt, und sie habe die Feuchtigkeitserscheinungen im Keller unbedingt erkennen müssen.

8

Das Landgericht hat über die Frage der Kenntnis der Klägerin von den Feuchtigkeitserscheinungen im Keller sowie zur Höhe der Kosten für erforderliche Abdichtungsmaßnahmen Beweis erhoben und der Klage stattgegeben, auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

9

Mit ihrer Berufung machen die Beklagten in erster Linie geltend, es fehle am Nachweis der subjektiven Voraussetzungen der Arglist, weil sie, die Beklagten, die von Baufragen nichts verstünden, davon ausgegangen seien, daß die in der Ausbauphase aufgetretenen Undichtigkeiten des Kellers auf die fehlende Ableitung des Regenwassers vom Dach in die Sickerschächte und eben nicht auf den zu hohen Grundwasserstand oder eine unzureichende Abdichtung des Baukörpers zurückzuführen seien. Sie, die Beklagten, hätten geglaubt, weitere Wassereinbrüche im Keller würden nicht eintreten, sobald für eine ordnungsgemäße Ableitung des Regenwassers vom Dach gesorgt sei. Aus diesem Grunde seien sie nicht verpflichtet gewesen, die Klägerin aufzuklären.

10

Die Beklagten bezweifeln im übrigen die Richtigkeit des Sachverständigengutachtens zu den Ursachen der Überflutung und meinen ferner, daß jedenfalls die Kosten der Sickerschächte, die ohnehin von der Klägerin hätten erstellt werden müssen, nicht zu ihren Lasten gehen dürften. Im übrigen greifen sie die Beweiswürdigung des Landgerichts an und wiederholen ihre Auffassung, der Klägerin seien die Durchfeuchtungserscheinungen bekannt gewesen.

11

Die Beklagten beantragen,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

12

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

13

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

14

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung ist nicht begründet, der Anspruch der Klägerin ergibt sich aus § 463 Satz 2 BGB wegen einer arglistigen Täuschung seitens der Beklagten durch Unterlassen.

16

1.

Während der Bauzeit des Hauses hat es im Keller wiederholte Wassereinbrüche von erheblichem Umfang gegeben. Die Beklagten haben sich zwar zu Zahl und Umfang dieser Wassereinbrüche nicht ausdrücklich geäußert, es muß sich jedoch um ganz erhebliche Wassereinbrüche deshalb gehandelt haben, weil die Beklagten im Verlauf des Rechtsstreits immer wieder mit Nachdruck geltend gemacht haben, der Klägerin hätten die deutlich sichtbaren Wasserränder und der feuchte Geruch nicht entgehen können.

17

2.

Der Keller ist auch mit einem wesentlichen Mangel behaftet.

18

Nach den Feststellungen des. Sachverständigen Tönjes im Beweissicherungsverfahren 10 H 22/83 AG Lüneburg sind die Überflutungen des Kellers in erster Linie darauf zurückzuführen, daß der Grundwasserstand im Gelände zeitweise einen Stand erreicht, der höher als die Oberkante des Kellerfußbodens liegt. Darüber hinaus reicht die vorhandene Abdichtung (Anstriche auf den Kelleraußenwänden) nicht einmal aus, um die Wände dauerhaft gegen normale Bodenfeuchtigkeit abzudichten, weil nach der DIN 4117 mindestens ein Voranstrich und zwei heißflüssige bzw. drei kaltflüssige Aufstriche erforderlich sind. Schließlich sind die Anstrichdichtungen nicht über das Terrain hochgezogen, eine Abdichtung des Sockels gegen Spritzwasser fehlt.

19

Soweit die Beklagten die Feststellungen des Sachverständigen in der Berufungsbegründung in Zweifel gezogen haben - ein substantiiertes Bestreiten liegt nicht vor, weil beispielsweise nicht in Abrede genommen wird, daß die vom Sachverständigen geforderten Anstriche nicht vorhanden sind, so sind diese Beanstandungen durch das Ergänzungsgutachten des Sachverständigen als erledigt anzusehen, weil die Beklagten dagegen konkrete Einwände nicht mehr erhoben haben und Fehler des Sachverständigen-Gutachtens auch nicht erkennbar sind.

20

3.

Das Verschweigen der Wassereinbrüche im Keller durch die Beklagten war auch arglistig.

21

Nach ständiger Rechtsprechung (BGH NJW 1979, 655; NJW 1979, 2243, NJW 1980, 2460) ist es grundsätzlich Sache jeder Partei, ihre eigenen Interessen wahrzunehmen. Deshalb besteht keine allgemeine Pflicht, sämtliche Umstände zu offenbaren, die für die Entschließung des anderen Teils von Bedeutung sein können. Unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) muß jedoch auch ohne ausdrückliche Frage eine Aufklärungspflicht hinsichtlich solcher Umstände bejaht werden, die den Vertragszweck vereiteln oder erheblich gefährden können und die daher für den anderen Teil von ausschlaggebender Bedeutung sind.

22

Diese Voraussetzungen liegen, was keiner weiteren Erörterung bedarf, hinsichtlich von Wassereinbrüchen im Keller vor, weil derartige Durchfeuchtungen zu ganz erheblichen Instandsetzungskosten führen können und bisweilen, wie dem Senat aus zahlreichen Prozessen bekannt ist, eine Abdichtung gegen Wasser nachträglich überhaupt nicht mehr uneingeschränkt möglich ist.

23

Nach der ständigen Rechtsprechung (BGH NJW 1980, 2461) gibt es auch eine arglistige Täuschung durch eine Behauptung ins Blaue. Arglistig handelt danach grundsätzlich zwar nicht, wer gutgläubig unrichtige Angaben, macht, mag auch der gute Glaube selbst auf Leichtfertigkeit beruhen. Zur Arglist ist aber nicht unbedingt das Wissen erforderlich, daß die angegebene Tatsache nicht der Wahrheit entspricht, arglistig handelt vielmehr auch derjenige, der tatsächliche Behauptungen ohne jede sachliche Grundlage abgibt, wobei die Arglist gerade darin liegt, daß dem Erklärenden, was ihm auch bewußt war, jegliche zur sachgemäßen Beantwortung erforderliche Kenntnis fehlt und er gleichwohl diesen Umstand, d.h. die fehlende Sachkenntnis, dem anderen Teil verschweigt.

24

Die dargelegten Grundsätze gelten selbstverständlich nicht nur bei der ausdrücklichen Versicherung eines bestimmten Zustandes ohne eigene Sachkenntnis (positives Tun), sondern entsprechend dann, wenn eine Partei einen möglicherweise wesentlichen Mangel verschweigt, weil sie ihn für harmlos hält, obwohl ihr für dieses Urteil jegliche Sachkenntnis fehlt.

25

So aber liegen die Voraussetzungen, wie das Landgericht bereits zutreffend ausgeführt hat, hier:

26

Die Beklagten waren nach ihrem eigenen Vortrag keine Baufachleute und verfügten dementsprechend über keinerlei Sachkenntnis. Unter Berücksichtigung der Erfordernisse eines redlichen Geschäftsverkehrs hätten die Beklagten der Klägerin deshalb erklären müssen, es habe in der Vergangenheit Wassereinbrüche im Keller gegeben, die jedoch nach ihrer - der Beklagten - subjektiven Einschätzung allein auf die noch nicht fertiggestellte Ableitung des Regenwassers in Sickerschächte zurückzuführen seien. Nur bei einer derartigen Aufklärung wäre die Klägerin in der Lage gewesen, das mit dem Hauskauf verbundene Risiko zu überblicken, einen nicht gegen Wasser abgedichteten Keller zu erhalten. Durch ihr Schweigen haben die. Beklagten der Klägerin die Möglichkeit genommen, sich ein eigenes Urteil über die möglichen Ursachen der Wassereinbrüche zu bilden. Die Beklagten haben deshalb nicht nur leichtfertig gehandelt, sondern sich vorsätzlich dem auf der Hand liegenden Einwand verschlossen, daß ihre Einschätzung der Gründe für die Wassereinbrüche wegen der ihnen fehlenden Fachkenntnisse auch unzutreffend sein könnte. Wenn sich beispielsweise der Verkäufer eines Gebrauchtwagens, dessen Motor von Zeit zu Zeit "stottert", sich ohne Sachkenntnis und Rückfrage bei einer Werkstatt auf den Standpunkt stellt, dies liege nur an einer verstopften Düse, die für 20 DM zu ersetzen sei, und deshalb brauche er den Käufer nicht aufzuklären, so kann kein ernsthafter Zweifel daran bestehen, daß Arglist zu bejahen ist, wenn sich nachträglich herausstellt, daß der Motor insgesamt nicht mehr brauchbar ist. Wollte man anders entscheiden, so würde man denjenigen zu Unrecht privilegieren, der ... sich ohne sachliche Grundlage auf einen ihm günstigen Standpunkt stellt und sich vorsätzlich der Erkenntnis verschließt, daß der zu verkaufende Gegenstand auch mit weitaus schwereren Fehlern als denjenigen behaftet sein könnte, die er selbst - ohne Sachkenntnis und Prüfung - für möglich hält.

27

Entgegen der Auffassung der Beklagten ergibt sich im vorliegenden Fall nicht deshalb etwas anderes, weil das Haus noch nicht fertiggestellt war und die Beklagten nach ihrem Vortrag glaubten, das im Boden versickernde Regenwasser vom Dach sei die Ursache der Überschwemmungen. Auch dieses Urteil war, wie die Beklagten wußten, eine bloße und nicht von Sachkenntnis getragene Vermutung, die zutreffend, aber eben auch ebensogut unrichtig sein konnte, und gerade deshalb hätten die Beklagten über die Wassereinbrüche und ihre Einschätzung der Situation informieren müssen. Es kommt hinzu, daß nach den Feststellungen des Sachverständigen neben der fehlenden Abdichtung der Bodenfeuchtigkeit auch eine Überflutung durch Grundwasser wegen der nicht ausreichenden Höhe des Kellers bestand. Es kann deshalb nach menschlichem Ermessen gar nicht so gewesen sein, daß die Überflutungen des Kellers lediglich bei starken Regenfällen auftraten, es muß auch sonstige, z.B. in Tauperidoden, Einbrüche gegeben haben, die die Beklagten zusätzlich hätten mißtrauisch machen müssen.

28

4.

Der Senat sieht keine Veranlassung, die Revision zuzulassen, weil seine Entscheidung entgegen der Auffassung der Beklagten, nicht von der zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (NJW 1980, 2461) abweicht und das Urteil auch nicht die Grenzen zwischen Leichtfertigkeit und Vorsatz verwischt. Der Senat wendet lediglich die vom Bundesgerichtshof umschriebenen und seiner ständigen Rechtsprechung im übrigen auch zugrundeliegenden Leitlinien über die arglistige Täuschung durch eine Behauptung ins Blaue durch positives Tun auf das Verschweigen eines Mangels und damit auf die arglistige Täuschung durch Unterlassen an.

29

5.

Was die Höhe des Anspruchs anbetrifft, so ist im Hinblick auf die Berufungserwiderung und die ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen nicht mehr davon auszugehen, daß die Beklagten geltend machen vollen, die Herstellung der drei Sickerschächte, die Sache der Klägerin war, sei in dem vom Sachverständigen geschätzten Betrag zur Herstellung einer ordnungsgemäßen Abdichtung des Kellers enthalten.

30

6.

Das Landgericht hat eine abgewogene Beweiswürdigung zu der Frage vorgenommen, ob durch die Aussagen der verschiedenen Zeugen bewiesen sei, daß die Klägerin die Feuchtigkeit im Keller erkannt hat. Das Landgericht hat eine derartige Feststellung nicht treffen können. Soweit die Berufung dieses Ergebnis angreift, versucht, sie lediglich, ihre eigene Beweiswürdigung anstelle derjenigen des Landgerichts zu setzen. Solange die Berufung aber keine Fehler des Landgerichts aufzeigt und insbesondere keine wesentliche Argumente vorträgt, die darauf schließen lassen, dem Landgericht könnten erhebliche Indizien für die Richtigkeit des Vortrages einer Partei entgangen sein, besteht keine Veranlassung, die. Beweisaufnahme erster Instanz, anders zu würdigen oder zu widerholen.

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Da bei arglistiger Täuschung eine Haftung lediglich ausgeschlossen ist, sofern der Getäuschte den Mangel positiv kannte (§ 460 BGB), haften die Beklagten, weil der Verkäufer die Beweislast für die Kenntnis des Käufers trägt (RGZ 102, 394 und Palandt-Putzo, Rdn. 1 f zu § 460 BGB).

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Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97, 546, 708 Nr. 10 und 713 ZPO.

Streitwertbeschluss:

Die Beschwer der Beklagten beträgt 37.320 DM.