Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 26.01.2007, Az.: 13 A 2337/06

Ausbildungsförderung über die Förderungshöchstdauer hinaus; Kinderbetreuung; Pflege und Erziehung eines Kindes

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
26.01.2007
Aktenzeichen
13 A 2337/06
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 71811
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Eine zwischen beiden Elternteilen hälftig aufgeteilte, regelmäßige Kinderbetreuung durch einen Auszubildenden kann nach Sinn und Zweck von § 15 Abs. 3 Nr. 5 BAföG dazu führen, dass Ausbildungsförderung über die Förderungshöchstdauer hinaus zu leisten ist.

Tenor:

Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger für die Zeit vom 1. März 2006 bis zum 31. Mai 2006 Ausbildungsförderung in Höhe von monatlich 570,00 Euro zu gewähren. Der Bescheid des ... vom 27. März 2006 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt der Kläger zu 1/4, die Beklagte zu 3/4. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

1

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Ausbildungsförderung über die Förderungshöchstdauer hinaus. Der am ... 19.. geborene Kläger ist ukrainischer Staatsangehöriger und lebt seit dem 30. Mai 2000 als anerkannter Kontingentflüchtling in Deutschland. Er ist seit dem ... 19.. mit einer ebenfalls in Deutschland lebenden ukrainischen Staatsangehörigen verheiratet. Am ... 20... wurde ihre gemeinsame Tochter ... geboren.

2

Vom ... 19.. bis zum ... 19.. studierte der Kläger an der Ukrainischen Staatlichen Technischen Universität für Seereederei das Studienfach Management. Seit dem Sommersemester 2002 studiert er Internationales Transportmanagement - Fachbereich Seefahrt - an der Fachhochschule ... . Das ... gewährte dem Kläger im Auftrag der Beklagten zunächst von März 2002 bis Januar 2004 Ausbildungsförderung.

3

Am 5. Februar 2004 legte der Kläger dem ... einen positiven Leistungsnachweis seiner Ausbildungsstätte im Sinne von § 48 BAföG vom 27. Januar 2004 vor. Darin heißt es:

4

„Es wird bestätigt, dass der Auszubildende die bei geordnetem Verlauf seiner Ausbildung bis zum Ende des 4. Fachsemesters üblichen Leistungen am 31. Januar 2004 erbracht hat. Der Beurteilung liegen folgende Leistungsnachweise zugrunde: Das VD ist bis auf eine FP vollständig. Leistungen aus dem Hauptdiplom wurden vorgezogen. Herr ... studiert im Zeitplan unserer Studienordnung.“

5

Von Februar 2004 bis Ende Juni 2004 studierte der Kläger in Neuseeland und bezog Auslandsförderung. Während dieser Zeit wohnten seine Ehefrau und seine Tochter bei den Eltern seiner Ehefrau in ... . Ende Juni 2004 kehrte der Kläger nach Deutschland zurück. Nach seiner Rückkehr lebten seine Ehefrau und seine Tochter zunächst weiter bei den Eltern seiner Ehefrau. Zum 1. September 2004 bezogen der Kläger, seine Ehefrau und ihre Tochter eine Mietwohnung in ... . Im Wintersemester 2004/05 absolvierte der Kläger ein Praxissemester in ..., im Rahmen dessen er werktäglich morgens von ... zum Praktikumsbetrieb in ... fuhr und am frühen Abend heimkehrte. Seine Ehefrau nahm im Wintersemester 2004/05 ebenfalls ein Studium auf. Im Sommersemester 2005 absolvierte der Kläger ein Theoriesemester an der Fachhochschule ... . Am Ende des Sommersemester 2005 bestand der Kläger die Prüfung „2020-Controlling“ nicht, die Zulassungsvoraussetzung für die Diplomprüfung war. Im Wintersemester 2005/06 wiederholte er die Prüfung erfolgreich. Im Sommersemester 2006 absolvierte er ein zweites Praxissemester, fertigte parallel seine Diplomarbeit an und schloss sein Studium am 4. Juli 2006 ab.

6

In der Zeit von Juli 2004 bis Februar 2006 (Ende des achten Fachsemesters) bezog der Kläger fortlaufend von der Beklagten Ausbildungsförderung. Am 6. Januar 2006 beantragte er beim ... die Bewilligung von Ausbildungsförderung ab März 2006 über die Förderungshöchstdauer hinaus. Zur Begründung teilte er mit, dass sich sein Studium aufgrund der Betreuung seiner Tochter voraussichtlich um ein Semester verlängern werde. Die Elternpflichten seien hälftig zwischen ihm und seiner Ehefrau aufgeteilt. Aufgrund der Pflege- und Erziehungsleistungen für seine Tochter habe ihm die Zeit gefehlt, sich auf die Prüfung „2020-Controlling“ in ausreichendem Maße vorzubereiten.

7

Mit Bescheid vom 27. März 2006, zur Post aufgegeben am gleichen Tag, lehnte das ... den Antrag des Klägers ab. Zur Begründung führte es an: Bis zum Ende des 4. Fachsemesters habe sich das Studium des Klägers nach dem positiven Leistungsnachweis seiner Ausbildungsstätte nicht verzögert. Während des 5. Fachsemesters sei es bis Juli 2004 ebenfalls nicht zu einer Verzögerung des Studiums aufgrund der Kinderbetreuung gekommen, da sich der Kläger bis Ende Juni 2004 ohne seine Tochter in Neuseeland aufgehalten habe. Auch nach seiner Rückkehr habe sich das Studium nicht aufgrund der Kinderbetreuung verzögert. Der Kläger sei nicht nur im Sommersemester 2005 durch die Prüfung „2020-Controlling“, sondern bereits im Wintersemester 2003/04 durch die Prüfung „2010-Kostenrechnung“ gefallen. Mit nur einem Fehlschein hätte er nicht erst im Sommersemester 2006, sondern bereits im Wintersemester 2005/06 den Antrag auf Zulassung zur Diplomarbeit stellen und die fehlende Prüfung parallel nachholen können. Das Studium des Klägers habe sich deshalb nicht durch die Kinderbetreuung verzögert, sondern weil der Kläger die Prüfung „2020-Controlling“ nicht bestanden habe.

8

Mit Bescheid vom 28. März 2006 bewilligte das ... dem Kläger für die Zeit von März 3006 bis Juli 2006 Studienabschlusshilfe in Form eines verzinsten Bankdarlehens in Höhe von monatlich 576,00 €.

9

Der Kläger hat mit einem am 2. Mai 2006 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Klage erhoben. Er macht geltend: Er habe aufgrund der hälftigen Betreuung seiner Tochter die Prüfung „2020-Controlling“ nicht bestanden. Die Pflege und Erziehung habe ihm einen erheblichen Zeitaufwand abverlangt. Gerade in der Vorbereitungsphase auf die Prüfung habe seine sehr lebhafte Tochter einer erhöhten Betreuung und Pflege bedurft. Sie habe die Nächte nicht durchgeschlafen, sondern durch lautes Schreien auf sich aufmerksam gemacht. Hätte er sich nicht um seine Tochter kümmern müssen, hätte er mehr Zeit in die Prüfungsvorbereitung investieren können. Die Anmeldung zur Diplomprüfung im Wintersemester 2005/06 sei nicht nur wegen des Nichtbestehens der Prüfungen „Kostenrechnung“ und „Controlling“ nicht möglich gewesen, sondern auch deshalb, weil er aufgrund der Betreuung seiner Tochter erst eines der beiden vorgeschriebenen Praxissemester absolviert gehabt habe. Hätte er sich nicht um seine Tochter kümmern müssen, hätte er sich auch während des Praxissemesters in ... in den Abendstunden auf die Prüfung „2020-Controlling“ angemessen vorbereiten können.

10

Der Kläger beantragt,

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den Bescheid des ... vom 27. März 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm für die Zeit vom 1. März 2006 bis zum 4. Juli 2006 Ausbildungsförderung in Höhe von monatlich 570,00 Euro zu gewähren.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie bringt vor: Die Klage sei unzulässig, da sie verfristet sei. Nicht die Kinderbetreuung, sondern das Nichtbestehen eines vor der Diplomarbeit zu absolvierenden Scheins sei ursächlich für die Verlängerung des Studiums gewesen. Ende des Sommersemesters 2005 hätten dem Kläger die Scheine „Kostenrechnung“ und „Controlling“ gefehlt. Mit nur einem Fehlschein hätte er sich bereits im Wintersemester 2005/06 zum Diplom anmelden können und den fehlenden Schein neben der Anfertigung der Diplomarbeit nachholen können. Auch hätte der Kläger die bereits im Wintersemester 2003/04 nicht bestandene Prüfung „2010-Kostenrechnung“ schon früher wiederholen können. Da das Misslingen von Leistungsnachweisen vor der Diplomprüfung nicht als Verzögerungsgrund anerkannt werde, könne dies nicht über den Umweg erfolgen, dass das Nichtbestehen auf die Kinderbetreuung zurückzuführen sei. Es müsse davon ausgegangen werden, dass sich derjenige, der sich zu einer Prüfung anmelde, in der Lage fühle, die Prüfung zu bestehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erlösche der Förderanspruch grundsätzlich mit Ablauf der Förderungshöchstdauer und könne nur ausnahmsweise verlängert werden. Unklarheiten gingen zu Lasten des Auszubildenden, wenn sie wie beim Nichtbestehen einer Prüfung in dessen Verantwortungssphäre fielen. Der Kläger könne Studienabschlusshilfe in Anspruch nehmen.

15

Für Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Über die Klage konnte im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).

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Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Die am 2. Mai 2006 erhobene Klage ist nicht wegen Verfristung unzulässig. Gemäß § 74 Abs. 1, Abs. 2 VwGO ist eine Verpflichtungsklage innerhalb eines Monats ab Bekanntgabe der Ablehnung des Antrags auf Vornahme des Verwaltungsaktes zu erheben. Dies ist hier geschehen. Der Ablehnungsbescheid vom 27. März 2006 wurde ausweislich des Absendevermerks am 27. März 2006 mit einfachem Schreiben zur Post aufgegeben und gilt damit gemäß § 37 Abs. 2 SGB X am dritten Tage nach Aufgabe zur Post (30. März 2006) als bekannt gegeben. Nach § 57 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO i.V.m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB begann die Klagefrist am 31. März 2006 und endete grundsätzlich am 30. April 2006. Da der 30. April 2006 ein Sonntag war, endete die Frist gemäß § 222 Abs. 2 ZPO am nächsten Werktag, nämlich Dienstag, dem 2. Mai 2006.

18

Die Klage ist nur im zuerkannten Umfang begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 5 BAföG einen Anspruch auf Ausbildungsförderung über die Förderungshöchstdauer hinaus für die Zeit vom 1. März 2006 bis zum 31. Mai 2006, nicht hingegen für die Zeit vom 1. Juni 2006 bis zum 4. Juli 2006.

19

Ausbildungsförderung wird nach § 15 Abs. 1 BAföG vom Beginn des Monats an geleistet, in welchem die Ausbildung aufgenommen wird, frühestens jedoch vom Beginn des Antragsmonats an. Sie wird gemäß § 15 Abs. 2 BAföG für die Dauer der Ausbildung - einschließlich der unterrichts- und vorlesungsfreien Zeit - geleistet, bei Studiengängen jedoch grundsätzlich nur bis zum Ende der Förderungshöchstdauer im Sinne von § 15 a BAföG. Über die Förderungshöchstdauer hinaus wird nach § 15 Abs. 3 Nr. 5 BAföG für eine angemessene Zeit Ausbildungsförderung geleistet, wenn sie infolge der Pflege und Erziehung eines Kindes im Alter von bis zu zehn Jahren überschritten worden ist. Die hauptsächlich familienpolitische Zielsetzung dieser Vorschrift besteht darin, dem Auszubildenden, der ihre tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt, mit den Mitteln des Ausbildungsförderungsrechts einen Anreiz zu geben, eine begonnene Ausbildung nicht mit Rücksicht auf die Kinderbetreuung abzubrechen bzw. von der Aufnahme einer gewünschten, förderungsfähigen Ausbildung aus solchen Gründen abzusehen (BVerwG, Urteil vom 6. April 2000 - 5 C 24/99 -, BVerwGE 111, 101). Hierzu schreibt § 15 Abs. 3 Nr. 5 BAföG die Verlängerung der Förderungsdauer, § 17 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BAföG die Förderung durch Vollzuschuss vor.

20

Die Voraussetzungen von § 15 Abs. 3 Nr. 5 BAföG sind erfüllt. Die Förderungshöchstdauer des im Sommersemester 2002 aufgenommenen Fachhochschulstudiums endete nach acht Semestern mit Ablauf des Wintersemesters 2005/06, d.h. mit Ablauf des Monats Februar 2006. Die Förderungshöchstdauer, einschließlich Prüfungs- und praktischer Studienzeiten, beträgt bei Fachhochschulstudiengängen mit Praxiszeiten gemäß § 15 a Abs. 1 Nr. 2 b) BAföG acht Semester. Mitgezählt werden auch vorgeschriebene Praxissemester (Ramsauer/Stallbaum/Sternal, BAföG, 4. Aufl. 2005, § 15 a Rz 2). Im Ausland verbrachte Ausbildungszeiten werden mitgezählt, wenn sie förderungsrechtlich als Ausbildung zu berücksichtigen sind und die im Ausland betriebene Ausbildung im Inland in derselben Fachrichtung fortgesetzt wird (BVerwG, Urteil vom 4. Dezember 1997 - 5 C 3/96 -, FamRZ 1998, 991). Da die vom Kläger absolvierten Auslands- und Praxissemester nach der vorgelegten Bescheinigung der Ausbildungsstätte des Klägers vom 17. Mai 2005 im Rahmen des Studiengangs Internationales Transportmanagement, Fachbereich Seefahrt Fachhochschulstudiums zwingend vorgeschrieben sind, waren sie in die Berechnung einzubeziehen. Das vom Kläger in der Zeit vom 29. August 1994 bis zum 15. Juni 1996 in der Ukraine begonnene Management-Studium ist hingegen auf die Förderungshöchstdauer nicht anzurechnen, da die Zeiten nicht im Sinne von § 15 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BAföG für die zu fördernde Ausbildung anerkannt wurden.

21

Das Gericht ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die Förderungshöchstdauer infolge der Pflege- und Erziehungsleistungen des Klägers für seine am ... 20.. geborene Tochter überschritten worden ist und der Kläger aufgrund der erbrachten hälftigen Kinderbetreuung sein Studium nicht bereits mit Ablauf des Monats Februar 2006, sondern erst am 4. Juli 2006 beenden konnte. Zugleich hat die Beweisaufnahme ergeben, dass eine Verzögerung des Studiums aufgrund der Kinderbetreuung erst ab Beginn des Sommersemesters 2005 eingetreten ist.

22

Bis zum Ende des Wintersemesters 2003/04 hat sich das Studium des Klägers nach dem vorgelegten positiven Leistungsnachweis im Sinne von § 48 BAföG nicht verzögert. Laut Leistungsnachweis hatte der Kläger die bei geordnetem Verlauf seiner Ausbildung bis zum Ende des 4. Fachsemesters üblichen Leistungen am 31. Januar 2004 erbracht. Daran ändert nichts, dass der Kläger die Prüfung „2010-Kostenrechnung“ im Wintersemester 2003/04 nicht bestanden hatte. Denn ausweislich des positiven Leistungsnachweises wurden dafür Leistungen aus dem Hauptdiplom vorgezogen. Ein Auszubildender, dem termingerecht bescheinigt worden ist, innerhalb der ersten vier Fachsemester ein ordnungsgemäßes Studium absolviert zu haben, kann sich im Hinblick auf eine spätere Überschreitung der Förderungshöchstdauer nicht erfolgreich auf Umstände aus den ersten vier Fachsemestern berufen. Für die Zeit, die zusätzlich nach dem Ablauf der Förderungshöchstdauer gefördert werden kann, sind allein diejenigen Umstände berücksichtigungsfähig, die zwischen dem Ende des vierten Fachsemesters und dem Ende der Förderungshöchstdauer liegen (VG Frankfurt, Urteil vom 12. Juli 2002 - 10 G 2340/01 -, juris).

23

Da sich der Kläger bereits seit Beginn des fünften Fachsemesters bis Ende Juni 2004 ohne seine Tochter in Neuseeland aufgehalten hat, ist auch bis zur Rückkehr des Klägers aus Neuseeland keine Verzögerung seines Studiums aufgrund seiner Kinderbetreuungsleistungen eingetreten.

24

Für die Zeit zwischen der Rückkehr des Klägers aus Neuseeland Ende Juni 2004 und dem Beginn des Praxissemesters in ... im September 2004 hat der Kläger nicht zur Überzeugung des Gerichts darlegen und beweisen können, dass sich sein Studium aufgrund seiner Kinderbetreuungsleistungen verzögert hat. Der Kläger und seine Ehefrau haben übereinstimmend erklärt, dass der Kläger während dieser Zeitspanne - der Sommerferienzeit - keine universitären Veranstaltungen gehabt hat. Vielmehr hat der Kläger nach den glaubhaften Bekundungen seiner Ehefrau während dieser Zeit Bewerbungen um einen Praktikumsplatz für das im September 2004 begonnene Praxissemester geschrieben und hat einen solchen Praktikumplatz auch erhalten.

25

Das Gericht ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme auch davon überzeugt, dass sich das Studium des Klägers während des sich ab September 2004 anschließenden Praxissemesters, das bis Ende Februar 2005 angedauert hat, nicht aufgrund seiner anteiligen Kinderbetreuung verzögert hat. Das Praxissemester hat der Kläger erfolgreich absolviert. Das zusätzliche Absolvieren von Prüfungen im Praxissemester war aufgrund der werktäglich vollen Arbeitszeiten nach eigenen Angaben des Klägers nicht vorgeschrieben, so dass eine Verzögerung des regulären Studienverlaufs nicht angenommen werden kann.

26

Die Beweisaufnahme hat jedoch ergeben, dass sich das Studium des Klägers nach der Beendigung seines Praxissemesters, d.h. ab 1. März 2005, bis zum Ablauf der Förderungshöchstdauer (Ende Februar 2006) aufgrund seiner Pflege- und Erziehungsleistungen für die seinerzeit ein- bzw. zweijährige Tochter verzögert hat. Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Kläger jedenfalls auch wegen der anteiligen Kinderbetreuung am Ende des Sommersemesters 2005 die Prüfung „2020-Controlling“ nicht bestanden hat. Der Kläger und seine Ehefrau, die zum Wintersemester 2004/05 ebenfalls ein Studium aufgenommen hatte, haben übereinstimmend ausgesagt, dass die Kinderbetreuung zwischen ihnen hälftig aufgeteilt gewesen ist. Die Ehefrau des Klägers hat glaubhaft bekundet, dass sich die Betreuungsleistungen des Klägers insbesondere während der Zeit, während derer sie selbst studierte, sogar noch intensiviert haben. Die Kinderbetreuung seitens des Klägers wurde sowohl von ihm selbst als auch von seiner Ehefrau als Grund für das Nichtbestehen der Prüfung „2020-Controlling“ und der damit verbundenen Verzögerung des Studiums angegeben. Die Aussagen sind glaubhaft. Der Kläger und seine Ehefrau haben unabhängig voneinander nachvollziehbar beschrieben, dass ihre Tochter die Nächte nicht durchgeschlafen hat, sehr lebhaft und unruhig gewesen ist und dass sich der Kläger aufgrund der hälftigen Kinderbetreuung nicht in ausreichendem Maße auf die Prüfung „2020-Controlling“ vorbereiten konnte. Es liegen auch keine Anhaltspunkte für einen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten, der etwa dann anzunehmen wäre, wenn eines der Elternteile sich zwar immatrikuliert, jedoch tatsächlich ein Studium nicht aufnimmt, vor. Die Argumentation der Beklagten, das Studium des Klägers habe sich nicht durch die Kinderbetreuung verzögert, sondern weil der Kläger die Prüfung „2020-Controlling“ nicht bestanden habe, greift zu kurz. Der Kläger hat nach Überzeugung des Gerichts die Prüfung „2020-Controlling“ gerade deshalb nicht bestanden, weil er seine Tochter hälftig betreut hat.

27

Durch die Betreuung der Tochter ... in der Kinderkrippe ab September 2005 hat sich an den Pflege- und Erziehungsbeiträgen des Klägers nichts Wesentliches geändert. Denn ... wurde lediglich bis 13.30 Uhr in der Kinderkrippe betreut, während der Kläger immer erst nachmittags von der Fachhochschule heimkehrte und sich dann in vollem Umfang seinem Kind gewidmet hat. Jedenfalls eine - wie hier - zwischen beiden Elternteilen hälftig aufgeteilte, regelmäßige Kinderbetreuung durch einen Auszubildenden kann nach Sinn und Zweck von § 15 Abs. 3 Nr. 5 BAföG dazu führen, dass Ausbildungsförderung über die Förderhöchstdauer hinaus zu leisten ist. Auch wenn der Auszubildende bei der Kinderbetreuung in wesentlichem Umfang Unterstützung durch den anderen Elternteil, Verwandte oder sonstige Personen oder Einrichtungen erfahren hat, schließt dies die Zubilligung einer verlängerten Förderungsdauer nicht aus (Ramsauer/Stallbaum/Sternal, a.a.O., § 15 Rz 31). Denn auch unter diesen Umständen kann insbesondere bei Auszubildenden mit kleinen Kindern nicht von vornherein unterstellt werden, dass sie sich ohne nennenswerten Zeitverlust ihrer Ausbildung haben widmen können. Studieren beide Elternteile, so können die Verlängerungszeiten je nach interner Aufgabenverteilung auf beide Elternteile verteilt werden (Ramsauer/Stallbaum/Sternal, a.a.O., § 15 Rz 31; so auch Tz 15.3.10 BAföGVwV). Dies gilt nicht nur, wenn sich die Elternteile in zeitlich aufeinander folgenden Zeiträumen mit der Betreuung des Kindes abgewechselt haben, sondern auch, wenn sie - wie hier - glaubhaft machen, dass sie sich die Aufgaben in demselben Zeitraum geteilt haben (Ramsauer/Stallbaum/Sternal, a.a.O., § 15 Rz 31).

28

Zwar wird von Teilen der Rechtsprechung eine ausschließliche oder zumindest überwiegende Betreuung durch denjenigen Auszubildenden verlangt, der über die Förderungshöchstdauer hinaus Leistungen der Ausbildungsförderung beansprucht (OVG NRW, Urteil vom 26. Juni 1992 - 16 B 2398/92 -, FamRZ 1993, 370; VG Augsburg, Beschluss vom 20. April 2004 - Au 9 E 04.622 -, juris; VG Frankfurt, Urteil vom 12. Juli 2002, a.a.O.; Rothe/Blanke, BAföG, Komm., § 15 Rz 28.1). Diese Ansicht überzeugt jedoch nicht. Der Gesetzgeber hat - wie die Begründung zu Nr. 9 b (§ 15 Abs. 3 Nr. 5 BAföG) des Ausbildungsförderungsreformgesetzes vom 24. November 2000 zeigt (BT-Drucks. 14/4731 S. 34) - nicht nur die überwiegende Pflege und Erziehung eines Kindes als Grund dafür angesehen, dass die Förderungshöchstdauer überschritten wird und ist davon ausgegangen, dass es unter Umständen auch zeitgleich bei beiden Elternteilen durch die Kinderbetreuung zu einer Verzögerung des Studiums kommen kann. Dort heißt es:

29

„Die Vorschrift wird dahin gehend geändert, dass die Pflege und Erziehung eines Kindes nicht nur bis zur Vollendung seines fünften, sondern bis zur Vollendung seines zehnten Lebensjahres zu einer Verlängerung der Ausbildungsförderung führen kann. Damit wird einer vielfachen Forderung u.a. der Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen gefolgt und der Tatsache Rechnung getragen, dass Kinder zwischen dem sechsten und zehnten Lebensjahr zwar einen abnehmenden aber immer noch so hohen Betreuungsbedarf haben, dass es zu einer Studienverzögerung der Mutter und/oder des Vaters kommen kann (Hervorhebung durch das Gericht).“

30

§ 15 Abs. 3 Nr. 5 BAföG ermöglicht eine „angemessene“ Verlängerung der Ausbildungsförderung. Angemessen ist im vorliegenden Fall eine Verlängerung der Förderungsdauer um drei Monate, d.h. für die Zeit vom 1. März 2006 bis zum 31. Mai 2006. Als angemessene Verlängerungszeit für die Kindererziehung ist nach der Begründung zu § 15 Abs. 3 Nr. 5 BAföG i.d.F. des Ausbildungsförderungsreformgesetzes (s.o.) bis zur Vollendung des fünften Lebensjahr des Kindes ein Semester pro Lebensjahr anzusehen (BT-Drucks. 14/4731 S. 34). Da hier eine Verzögerung des Studiums durch die Kinderbetreuung während eines Zeitraums von einem Jahr (1. März 2005 bis Ende Februar 2006) beginnend ab einem Zeitpunkt nach Geburt des Kindes vorliegt, erscheint es sachgerecht, grundsätzlich ein Semester (sechs Monate) als angemessene Verlängerungszeit zu erachten. Weil die Betreuung des Kindes allerdings nur zur Hälfte durch den Kläger geleistet worden ist, ist dieser Verlängerungszeitraum zu halbieren.

31

Der monatliche Bedarf des Klägers beträgt nach der keine Fehler erkennen lassenden Berechnung des Studentenwerks ... im Rahmen der Studienabschlusshilfe in der Zeit vom 1. März 2006 bis zum 31. Mai 2006 monatlich 576,32 €, ohne dass hierauf Einkommen oder Vermögen des Klägers bzw. Einkommen seiner Eltern oder seiner Ehefrau anzurechnen sind. Dem Kläger war daher gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO Ausbildungsförderung in der beantragten Höhe (monatlich § 570,00 €) zu gewähren.