Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 18.07.2018, Az.: 2 A 392/16
Irak; Sindjar; Yeziden
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 18.07.2018
- Aktenzeichen
- 2 A 392/16
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2018, 74331
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 3 AsylVfG
- § 4 AsylVfG
- § 60 Abs 5 AufenthG
- § 60 Abs. 7 AufenthG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Yeziden aus dem Sindjar-Gebiet haben weder Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, noch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus, noch auf Feststellung, dass in ihrem Fall Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
Tatbestand:
Der Kläger ist irakischer Staatsangehöriger, kurdischer Volks- und yezidischer Religionszugehörigkeit. Er lebte vor seiner Ausreise mit seiner Ehefrau und drei minderjährigen Kindern, den Klägern im heute ebenfalls verhandelten Verfahren 2 A 393/16, in dem Ort Zurafah. Dieser Ort liegt am Fuße des Sindjar Gebirges. Am 4. August 2014 floh der Kläger mit seiner Familie vor dem IS aus seinem Heimatort. Über Syrien und die autonomische Kurdengebiete, wo er mit seiner Familie in Flüchtlingscamps gelebt hatte, reiste der Kläger am 28. Januar 2015 aus seiner Heimat aus. Nach seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland am 10. Februar 2015 stellte er hier am 1. April 2015 einen Asylantrag. Bei der Anhörung zu seinen Asylgründen vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 5. Juli 2015 gab der Kläger im Wesentlichen an, seine gesamte Großfamilie lebe in einem nordirakischen Flüchtlingslager mit dem Namen Kabartu. Er und seine Familie seien vor dem IS geflüchtet, der sie alle töten würde, wenn er ihrer habhaft würde.
Mit Bescheid vom 5. Oktober 2016 lehnte es die Beklagte ab, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Gleichzeitig stellte sie fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes –AufenthG- nicht vorliegen. Sie forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach unanfechtbarem Abschluss seines Asylverfahrens zu verlassen, wobei sie für den Fall der Nichtbefolgung die Abschiebung in den Irak androhte. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot befristet sie auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung.
Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus, dem Kläger könne nicht geglaubt werden, dass er aus der Provinz Ninawa, Kreis Shingal stamme. Die von ihm vorgelegten Personaldokumente stammten aus Semel (Simile) in der Provinz Dohuk der autonomen Region Kurdistans. In dieser Region habe dem Kläger Verfolgung nicht gedroht und drohe ihm nach wie vor nicht.
Hiergegen hat der Kläger am 18. Oktober 2016 Klage erhoben.
Zu deren Begründung trägt er im Wesentlichen vor, er stamme aus Zurafah in der Sindjar-Region. Dass die Personaldokumente seiner Familie in Simile ausgestellt worden seien, läge daran, dass er und seine Frau in diesem Ort geboren worden seien. Eigentlich hätten sie für die Ausstellung der Dokumente von ihrem Wohnort in die zuständige Stadt Mossul gehen müssen. Dies sei ihm als zu riskant erschienen, weshalb er, was möglich sei, an seinen Heimatort gegangen sei, um sich und seiner Familie Personaldokumente ausstellen zu lassen.
Nach wie vor drohe ihm und seiner Familie Verfolgung durch den IS. In der Region Kurdistan sei für ihn eine existenzgesicherte Zukunft nicht möglich.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheides vom 5. Oktober 2016 zu verpflichten,
dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
hilfsweise,
ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen,
weiter hilfsweise,
festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 bzw. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
Die Beklagte beantragt, dem Vorbringen des Klägers in der Sache entgegentretend,
die Klage abzuweisen.
Der Kläger ist in mündlicher Verhandlung zu seinen Asylgründen angehört worden. Wegen seiner Aussagen im Einzelnen wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die Verwaltungsvorgänge der Beklagten und die Ausländerakten der Stadt C. Bezug genommen. Diese Unterlagen sind ebenso Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen, wie die Erkenntnismittel, die aus der den Beteiligten mit der Ladung übersandten Liste ersichtlich sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 5. Oktober 2016 ist im Ergebnis rechtmäßig und der Kläger hat den geltend gemachten Anspruch nicht (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Das Gericht legt seiner rechtlichen Beurteilung anders als die Beklagte zugrunde, dass der Kläger und seine Familie aus dem Ort Zurafah am Fuße des Sindjar Gebirges stammen. Der Kläger hat in mündlicher Verhandlung nachvollziehbar darlegen können wann, nämlich im Dezember 2007, und weshalb, nämlich weil die Familie seiner Ehefrau, der Klägerin zu 1.) im Verfahren 2 A 393/16, der Heirat nicht zugestimmt hat, er von seinem früheren Wohnort Khanke bzw. Simile weggezogen ist. Der Kläger konnte auf Nachfrage spontan und ohne zu zögern zutreffend die Orte nennen die in der Umgebung seines Wohnortes gelegen sind. Er tat dies, wovon sich das Gericht durch Einsicht in die Seite https://mapcarta.com überzeugen konnte, unter Angabe der entsprechenden Entfernungen zutreffend.
Gleichwohl stehen dem Kläger die mit der Klage verfolgten Rechte nicht zu.
Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II Seite 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten nach § 3 a AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II Seite 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist.
Dabei muss gemäß § 3 a Abs. 3 AsylG zwischen den Verfolgungsgründen im Sinne von § 3 Abs. 1 und § 3 b AsylG und der Verfolgungshandlung oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen.
Nach § 3 c AsylG kann die Verfolgung ausgehen vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung im Sinne des § 3 d AsylG zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit in diesem Sinne liegt vor, wenn sich die Rückkehr in den Heimatstaat aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen als unzumutbar erweist, weil bei Abwägung aller in Betracht kommenden Umstände die für eine bevorstehende Verfolgung streitenden Tatsachen ein größeres Gewicht besitzen als die dagegen sprechenden Gesichtspunkte. Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 - Qualifikationsrichtlinie - (ABl. L 337/9) ist hierbei die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung und einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bei einer Rückkehr in ihr Heimatland bedroht werden. Die Vermutung nach Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie, dass der Ausländer erneut von einem solchen Schaden bedroht wird, setzt einen inneren Zusammenhang zwischen der Vorschädigung und dem befürchteten künftigen Schaden voraus (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 – 10 C 5/09 -, juris RN 21). Dadurch wird der Antragsteller, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden.
Die Gefahr eigener Verfolgung kann sich nicht nur aus gegen den Ausländer selbst gerichteten, sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen ergeben, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gefahr der Gruppenverfolgung). Eine solche Gefahr kann auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 – 10 C 11/08 -, juris RN 14).
Als vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl- und Flüchtlingsrecht setzt daher grundsätzlich einen nahezu zeitlichen (Kausal-) Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus.
Es obliegt dabei dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es - unter Angabe genauer Einzelheiten - einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder Aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.02.1988 - 9 C 32/87 -; BVerfG, Beschluss vom 29.11.1990 - 2 BvR 1095/90 -, jeweils zitiert nach juris).
Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 e Abs. 1 AsylG nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3 d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
Gemessen hieran geht das Gericht davon aus, dass der Kläger vorverfolgt aus seiner Heimat ausgereist ist. Er und seine Familie sind an dem Tag aus ihrem Heimatort geflohen, als der IS diesen Ort überfallen hat. Ihnen drohte, anknüpfend an ihre Religion als Yeziden, unmittelbar der Tod, mindestens aber menschenrechtswidrige Behandlung durch den IS. Dies kann als allgemein bekannt vorausgesetzt werden. Es gibt indes stichhaltige Gründe für die Annahme, dass eine solche Verfolgung ihm bei einer Rückkehr in den Irak nicht erneut droht.
Am 3. November 2017 wurden die letzten drei irakischen Städte, die sich noch unter der Kontrolle des IS befanden, von den irakischen Streitkräften zurückerobert und laut der US- geführten Koalition zur Bekämpfung des IS hat dieser nun 95 % jener irakischen Territorien verloren, welche er im Jahr 2014 als Kalifat ausgerufen hatte (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl –BFA-, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Irak, vom 24.08.2017 Stand: 23.11.2017, Seiten 8, 18, 20 und 48 ff.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, vom 12.02.2018, Stand: Dezember 2017 im Folgenden Lagebericht AA, S. 4). Lediglich kleinere Wüstengebiete an der Grenze zu Syrien stehen noch unter Kontrolle des IS (vgl. hierzu das täglich aktualisierte Kartenmaterial unter https://isis.liveuamap.com/, abgerufen am 18.07.2018). In der Heimatprovinz des Klägers Ninawa befinden sich möglicherweise noch einzelne Schläferzellen der Terroristenorganisation, die auch vereinzelt Anschläge verüben; von diesen Teilen des IS geht indes nicht mehr eine politische Verfolgung im Sinne von § 3 a i.V.m. § 3 b AsylG aus. Es mögen einzelne terroristische Attentate stattfinden für die fortbestehende Annahme einer Gruppenverfolgung fehlt es indes an der hierfür erforderlichen Verfolgungsdichte. Auch wäre der irakische Staat mittlerweile im Sinne von § 3 d AsylG willens und in der Lage gegen derartige Übergriffe Schutz zu bieten.
Diese Einschätzung schließt sowohl die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3, wie auch die Zuerkennung des subsidiären Schutzes aus (zum subsidiären Schutz a.A. VG Hannover, Urteil vom 25.04.2018 – 6 A 10814/17 -, juris RN 44 ff.; wie hier, VG Hamburg, Urteil vom 20.02.2018 – 8 A 7173/16 -, juris RN 47 ff.).
Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass dem Kläger bei seiner Rückkehr in den Irak die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG noch Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG droht. Soweit der Kläger sich vor Handlungen des IS fürchtet, gilt das oben zu der Gefahr einer Verfolgung Ausgeführte entsprechend, wobei an die Stelle der Verfolgung bzw. der begründeten Furcht vor Verfolgung die Gefahr eines ernsthaften Schadens bzw. die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens tritt.
Auch eine ernsthafte individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit in-folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG liegt im Fall des Klägers nicht vor.
Dabei ist der Begriff des internationalen wie auch des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts unter Berücksichtigung der Bedeutung dieser Begriffe im humanitären Völkerrecht, insbesondere unter Heranziehung der in Art. 3 der Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht 1949 und des zur Präzisierung erlassenen Zusatzprotokolls II von 1977 auszulegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.6.2008, 10 C 43/07, juris, Rn. 21 f.). Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie u.a. für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie sie typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zu finden sind. Ein solcher innerstaatlicher bewaffneter Konflikt kann überdies landesweit oder regional (z.B. in der Herkunftsregion des Ausländers) bestehen, er muss sich mithin nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken. Besteht ein bewaffneter Konflikt mit der beschriebenen Gefahrendichte nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung allerdings in der Regel nur in Betracht, wenn der Konflikt sich auf die Herkunftsregion des Klägers erstreckt, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.1.2013, 10 C 15/12, juris, Rn. 13; Urt. v. 14.7.2009, 10 C 9/08, juris, Rn. 17). Auch der Europäische Gerichtshof spricht in seiner Entscheidung vom 17. Februar 2009 davon, dass der "tatsächliche Zielort" des Ausländers bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat zu berücksichtigen sei (C-465/07, juris, Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es nur ausnahmsweise ankommen. Bei einem regional begrenzten Konflikt außerhalb seiner Herkunftsregion muss der Ausländer stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.7.2009, a.a.O.). Der innerstaatliche bewaffnete Konflikt begründet ein Abschiebungsverbot nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG aber nur dann, wenn der Schutzsuchende von ihm ernsthaft individuell bedroht ist und keine innerstaatliche Schutzalternative besteht. Das Vorliegen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der Person setzt nicht voraus, dass diese Person beweist, dass sie aufgrund von ihrer persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist (vgl. EuGH, Urt. v. 17.2.2009, C-465/07, juris, Rn. 43). Eine solche Bedrohung kann vielmehr auch dann ausnahmsweise als gegeben angesehen werden, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt nach der Beurteilung der zuständigen nationalen Behörden ein so hohes Niveau erreicht hat, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei Rückkehr in das betroffene Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch die Anwesenheit im Gebiet des Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr läuft, einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt zu sein. Dabei hebt der Europäische Gerichtshof hervor, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit ein Anspruch auf subsidiären Schutz besteht, umso geringer ist, je mehr der Betroffene belegen kann, dass er aufgrund seiner persönlichen Situation innewohnender Umstände spezifisch betroffen ist. Hieraus folgt, dass in jedem Fall Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt in dem betreffenden Gebiet getroffen werden müssen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich; liegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, 10 C 4/09, juris, Rn. 33). Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen – z.B. als Arzt oder Journalist – gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte – etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit – ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Erforderlich ist vielmehr eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Dabei können für die Bemessung der Gefahrendichte die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, 10 C 4/09, juris, Rn. 33). Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass jedenfalls ein Risiko von 1:800 bzw. 0,125 v.H., in dem betreffenden Gebiet im Laufe eines Jahres verletzt oder getötet zu werden, so weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt ist, dass selbst eine wertende Gesamtbetrachtung eine individuelle Bedrohung nicht mehr zu begründen vermag (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.11.2011, 10 C 13/10, juris, Rn. 22 f.).
Für den Sindjar-Distrikt ist ein solcher internationaler oder innerstaatlicher Konflikt nicht anzunehmen. Dies folgt bereits daraus, dass der IS durch die irakischen Streitkräfte – wie dargelegt – landesweit fast vollständig zurückgedrängt wurde. Soweit der IS noch Selbstmordattentate und andere Anschläge verübt hat, bei denen Zivilpersonen verletzt oder getötet wurden (vgl. BFA, a.a.O. Stand: 23.11.2017, S. 57 f.) und soweit die Sicherheitslage in den vom IS zurückeroberten Gebieten noch prekär ist, da diese durch so genannte IEDs (improvisierte Sprengsätze) und Minen sowie durch Konflikte zwischen Milizen geprägt sind (vgl. BFA, a.a.O., S. 56), handelt es sich dabei um Einzelfälle, die jedenfalls kein solches Ausmaß erreichen, dass die Lage als innerstaatlicher Konflikt zu qualifizieren wäre. Dem steht auch nicht entgegen, dass es darüber hinaus im Distrikt Sindjar gezielte Luftangriffe der türkischen Luftwaffe gegeben hat, die gegen Stellungen der als Terrororganisation eingestuften kurdischen Arbeiterpartei PKK gerichtet waren, wobei auch ein Ausbildungslager der jesidischen YBS-Milizen zerstört worden sein soll (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Lage der JesidInnen, 2.2.2017). Denn zum einen handelt es sich dabei um einen Konflikt, der nur zwischen den türkischen Sicherheitskräften einerseits und der PKK sowie der ihnen nahestehenden YBS-Milizen andererseits besteht, wenngleich es dabei zu Todesopfern – mindestens auch einem zivilen – gekommen sein soll (vgl. ebda.). Denn auch insofern ist die Schwelle im Hinblick auf Intensität und Dauerhaftigkeit des Konflikts nicht ausreichend, um einen internationalen oder innerstaatlichen Konflikt in der Provinz Ninawa annehmen zu können.
Dem Kläger droht darüber hinaus auch keine staatliche oder nichtstaatliche Verfolgung deshalb, weil er gehindert würde, an seinen Heimatort zurückzukehren. In einer solchen Verfolgung läge eine neue Verfolgung, die nicht in einem inneren Zusammenhang mit der vom IS ausgehenden stünde. Nach der o.a. Rechtsprechung gilt infolgedessen nicht die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie für den Kläger. Es müsste daher eine solche Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Dies ist nicht der Fall.
Nach den dem Gericht zur Verfügung stehenden Auskunftsquellen gibt es zwar teilweise willkürliche Maßnahmen, um die Rückkehr von Flüchtlingen in die ehemals vom IS beherrschten Gebiete zu verhindern. Es handelt sich nach den Auskunftsquellen jedoch nicht um flächendeckende, und damit jeden treffen könnende, Maßnahmen, bei denen zu den nicht deutlich wird, ob sie an ein asylerhebliches Merkmal, wie die Religion, anknüpfen. Vielmehr können dahinter, wie einige Auskunftsquellen belegen, auch reine Sicherheitsbedenken stehen.
So heißt es im aktuellen Lagebericht AA, auch nach der Befreiung der Gebiete vom IS werde die Rückkehr durch fehlenden Wiederaufbau, unzureichende Sicherheitslage, unklare Sicherheitsverantwortlichkeit und die Anwesenheit schiitischer Milizen erschwert. Nach dem UNHCR Positionspapier zur Rückkehr in den Irak vom 14. November 2016 gibt es auch nach der Rückgewinnung der Provinz Ninawa vom IS vielfache Zuzugsbeschränkungen. Genannt wird hierbei die Pflicht, einen Bürgen zu benennen. Allerdings bezieht sich die Auskunftslage im Wesentlichen auf Sunniten und Turkmenen. Nach dem Menschenrechtsrepot von amnesty international für das Jahr 2017 hätten 10.000 von Binnenvertriebene nach langwierigen Sicherheitsüberprüfungen in ihre Heimat zurückkehren können. Dies sei jedoch Zehntausenden von Sunniten, die aus den Provinzen Babil, Diyala und Salah al Din stammten unmöglich gemacht. Auch das BFA berichtet in seinen Länderinformationsblatt der Staatendokunentation Irak vom 24.08.2017 davon, dass die Bewegungsfreiheit vertriebener Sunniten und Turkmenen willkürlich eingeschränkt werde (vgl. Seite 150). Hintergrund sei indes die Sorge vor yezidischen Racheakten an diesem Personenkreis. Ferner heißt es dort, dass an manchen Orten die PMF-Kräfte keine Einwohner zurückließen. Hier könnten Stammeskonflikte und Rachefeldzüge eine Rolle spielen.
In dem Report 2018 des USCIRF vom 28.04.2018 heißt es, die yezidischen Gruppenverbände hätten zusammen mit dem PMF-Kräften die Kontrolle in Sindjar-Gebiet übernommen. Lediglich Sunniten werde die Rückkehr in diese befreiten Gebiete verweigert.
Ähnlich berichtet USDOS vom 29.05.2018, dass es Zugangsbeschränkungen für Yeziden und Christen dadurch gebe, dass sie bei Reisen von Dohuk in die Provinz Sindjar Erlaubnispapiere benötigten. Es sei indes schwierig, die Anknüpfung dieser Maßnahmen an die religiöse Identität der Betroffenen nachzuweisen. Seit dem 16. Oktober 2017 sei der Zugang zum Sindjar-Gebiet auch vom Zentralirak aus möglich. Insgesamt verzeichnet die Provinz Ninawa nach IOM vom 31. Januar 2018 und 26.06.2018 mit 1,4 Mio. die zweitgrößte Zahl von Rückkehrern. Schließlich meldet der UN-Security Council unter dem 17. April 2018, dass viele Flüchtlingscamps verkleinert oder ganz aufgegeben worden seien. Rückkehrkomitees sollten freiwillige, sichere und würdevolle Rückkehr der Vertriebenen in ihre Heimatorte sicherstellen. Danach gebe es Berichte über die Verhinderung von Rückkehr in der Provinz Anbar.
Dieses – zudem uneinheitliche – Erkenntnisbild lässt nicht den Schluss zu, dass dem Kläger im Falle seiner Rückkehr nunmehr durch staatliche Stellen oder verfolgungsmächtige Dritte eine Verfolgung anknüpfend an seine yezidische Religionszugehörigkeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit dadurch droht, dass er nicht an seinen Heimatort zurückkehren darf.
Schließlich vermag sich der Kläger nicht auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu berufen.
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der EMRK unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 11.11.1997, 9 C 13/96, BVerwGE 105, 322) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen („zielstaatsbezogene" Abschiebungshindernisse). Der Verweis auf Abschiebungsverbote, die sich aus der Anwendung der EMRK ergeben, umfasst auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem Ausländer unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht. Bei § 60 Abs. 5 AufenthG sind alle Verbürgungen der EMRK in den Blick zu nehmen, aus denen sich ein Abschiebungsverbot ergeben kann. Soweit § 60 Abs. 5 AufenthG die völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland wiederholt, bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen die Gefahr der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung zu berücksichtigen (Art. 3 EMRK), ist der sachliche Regelungsbereich weitgehend identisch mit dem des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG und geht über diesen, soweit Art. 3 EMRK in Rede steht, jedenfalls nicht hinaus. Denn § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG knüpft – wie dargelegt – an Art. 15 Buchst. b) Richtlinie 2011/95/EG an, der seinerseits die Verantwortung des Abschiebestaats nach Art. 3 EMRK übernimmt. In Fällen, in denen – wie hier – gleichzeitig über die Gewährung subsidiären Schutzes und nationalen Abschiebungsschutzes zu entscheiden ist, scheidet daher bei Verneinung der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG regelmäßig aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK aus, so dass in der Sache divergierende Bewertungen kaum denkbar sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.1.2013,10 C 15/12, juris, Rn. 36). Nur ausnahmsweise können zwingende (vgl. EGMR, Urt. v. 27.5.2008, Nr. 26565/05, NVwZ 2008, 1334 [EGMR 27.05.2008 - EGMR (Große Kammer) Nr. 26565/05], Rn. 42). Zwar hat der EGMR eine Verletzung von Art. 3 EMRK durch das Königreich Belgien als abschiebenden Staat angenommen, weil der betroffene Asylantragsteller mit seiner Überstellung an Griechenland als Signaturstaat der EMRK einer Situation äußerster materieller Armut ausgeliefert worden sei, was den belgischen Behörden bewusst gewesen sei (EGMR, Urt. v. 21.1.2011, Nr. 30696/06, NVwZ 2011, 413, Rn. 263 f., 366 f.). Jedoch erstreckt diese Entscheidung den Schutzbereich des Art. 3 EMRK ausdrücklich nicht allgemein auf soziale Leistungsrechte; der EGMR betont vielmehr die Fortgeltung seiner insoweit sehr zurückhaltenden Rechtsprechung (Rn. 249 m.w.N.) und begründet seine Entscheidung mit dem Schutz der Menschenwürde von Personen, die – in einem ihnen völlig fremden Umfeld – vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig sind und behördlicher Gleichgültigkeit gegenüberstehen, obwohl sie sich in ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befinden (Rn. 253). Als eine hiernach in Betracht zu ziehende Personengruppe führt der EGMR die Gruppe der Asylsuchenden an, die er als besonders verletzlich und schutzbedürftig qualifiziert (Rn. 251, 259). Dass damit keine generelle Erstreckung des Schutzes nach Art. 3 EMRK auf zu gewährleistende Standards im Herkunftsland des Betroffenen einhergeht, ergibt sich auch aus nachfolgenden Urteilen des EGMR. In seinem Urteil vom 28. Juni 2011 (Nr. 8319/07, NVwZ 2012, 681) stellt der EGMR nochmals klar, dass in Abschiebungsfällen nur zu prüfen ist, ob unter Berücksichtigung aller Umstände ernstliche Gründe für die Annahme nachgewiesen worden sind, dass der Betroffene im Fall seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr liefe, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Wenn eine solche Gefahr nachgewiesen ist, verletzt die Abschiebung des Ausländers notwendig Art. 3 EMRK, einerlei, ob sich die Gefahr aus einer allgemeinen Situation der Gewalt ergibt, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beiden (Rn. 218). Zugleich weist der EGMR darauf hin, dass die sozio-ökonomischen und humanitären Verhältnisse im Bestimmungsland hingegen nicht notwendig für die Frage bedeutend und erst recht nicht dafür entscheidend sind, ob der Betroffene in diesem Gebiet wirklich der Gefahr einer Misshandlung unter Verstoß gegen Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Denn die Konvention zielt hauptsächlich darauf ab, bürgerliche und politische Rechte zu schützen. Die grundlegende Bedeutung von Art. 3 EMRK macht nach Auffassung des EGMR aber eine gewisse Flexibilität erforderlich, um in sehr ungewöhnlichen Fällen eine Abschiebung zu verhindern. In ganz außergewöhnlichen Fällen können daher auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung "zwingend" sind (Rn. 278). Nur soweit die schlechten humanitären Bedingungen nicht nur oder überwiegend auf Armut oder fehlende staatliche Mittel beim Umgang mit Naturereignissen zurückzuführen sind, sondern überwiegend auf direkte und indirekte Aktionen der Konfliktparteien zurückgehen, hält der EGMR das im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland (Urt. v. 21.1.2011, Nr. 30696/06, NVwZ 2011, 413) entwickelte Kriterium für besser geeignet, nach dem die Fähigkeit des Ausländers berücksichtigt werden muss, seine elementaren Bedürfnisse zu befriedigen, wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, weiter seine Verletzlichkeit für Misshandlungen und seine Aussicht auf eine Verbesserung der Lage in angemessener Zeit (Rn. 282 f.; zum Vorstehenden BVerwG, Urt. v. 31.1.2013, 10 C 15/12, juris, Rn. 23 ff.).
Nach Maßgabe dieser – strengen – Anforderungen besteht kein Abschiebungsverbot aufgrund der humanitären Bedingungen im Irak.
Nach der Erkenntnislage des Gerichts besteht im gesamten Irak eine angespannte humanitäre Situation. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes zur Lage im gesamten Land kann der irakische Staat die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten. Irak besitzt kaum eigene Industrie. Hauptarbeitgeber ist der Staat. Über 4 Mio. der 36 Mio. Iraker erhalten reguläre Gehälter von der Regierung, die 2015 und 2016 aufgrund der schlechten Haushaltslage teilweise erst mit mehrmonatiger Verspätung gezahlt worden sind. Etwa ein Zehntel der Bevölkerung ist in der Landwirtschaft tätig. Rund 90 v.H. der Staatseinnahmen stammen aus dem Ölsektor. Die über Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig. Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten zumindest außerhalb der Region Kurdistan-Irak schwierig. Die Lebensbedingungen von 57 v.H. der städtischen Bevölkerung gleichen denen von Slums. Es gibt Lebensmittelgutscheine für Bedürftige. Schon im Juni 2013 sind vier Millionen Iraker unterernährt gewesen. Etwa ein Drittel der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. In den vom IS befreiten Gebieten muss eine Grundversorgung nach Räumung der Kampfmittel erst wieder hergestellt werden. Einige Städte sind weitgehend zerstört (vgl. Lagebericht AA 2017, S. 22).
Indes lassen die jüngsten Entwicklungen die Lage spezielle für das Sindjar-Gebiet in einem besseren Licht erscheinen, so dass von einer Verletzung des Art. 3 EMRK für den Kläger nicht ausgegangen werden kann. Der UN Security Council berichtet unter dem 17.04.2018 davon, dass in Zusammenarbeit mit Regierungsstellen und Nichtregierungsorganisationen Rückkehrkomitees eingerichtet worden seien, damit die Rückkehr in die befreiten Gebiete freiwillig, sicher und würdevoll erfolgen könne (S. 11). Dabei gebe es fünf strategische Vorrangregionen; eine davon sei der westliche Teil von Ninawa, also die Sindjar-Region. Das Auswärtige Amt stellt in seinem aktuellen Lagebericht fest, dass nach und nach ein Großteil der Binnenvertriebenen in die vom IS befreiten Gebiete zurückkehre, bis Oktober 2017 2,33 Mio. Gründe für eine Nichtrückkehr seien überwiegend mangelnde Sicherheit, Kontaminierung durch Sprengfallen, Bedrohung durch staatliche und nichtstaatliche Akteure, sowie innergesellschaftliche Spannungen. Nicht als Ursache benannt wird indes eine existenzgefährdende wirtschaftliche Lebenssituation.
Auch wenn man zugunsten des Klägers davon ausgeht, dass die dargestellten humanitären Bedingungen im Irak überwiegend auf direkte und indirekte Aktionen von Konfliktparteien zurückgehen, so dass es maßgeblich darauf ankommt, ob der Kläger im Fall seiner Rückkehr in der Lage wäre, seine elementaren Bedürfnisse – wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft – zu befriedigen, ist ein Abschiebungsverbot nicht festzustellen. Dass er nicht mehr über sein Haus in Zurafah verfügt, hat er nicht vorgetragen, so dass davon auszugehen ist, dass er eine Unterkunft hat. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ist das Gericht ferner nicht zu der Überzeugung gelangt, dass es dem Kläger trotz der angespannten wirtschaftlichen Lage nicht möglich wäre, seinen Lebensunterhalt in der Sindjar-Region zumindest so weit zu sichern, dass er einen unmenschlichen oder erniedrigenden Zustand vermeiden könnte. Es ist nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Kläger außerstande wäre, das Existenzminimum dort selbst zu sichern. Der Kläger wäre – auch ohne verwandtschaftliche Unterstützung – darauf zu verweisen, sein Existenzminimum durch eigene Arbeit zu sichern. Es ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger nicht einmal Zugang zu Gelegenheitsarbeiten hätte, die ihm zumindest ein bescheidenes, aber insoweit ausreichendes Einkommen einbringen würden. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Kläger 33 Jahre alt und damit im arbeitsfähigen Alter ist. Derzeitig bestehende körperliche Einschränkungen hat er nicht geltend gemacht, solche sind auch sonst nicht erkennbar. Ferner ist er kurdischer Volkszugehörigkeit und spricht Kurdisch und Arabisch, so dass weder ethnische noch sprachliche Hindernisse naheliegen. Nach seinen Angaben hat er zudem bereits mehrere Jahre in Mossul und Bagdad gearbeitet und dürfte daher über einen gewissen Überblick über den dortigen Arbeitsmarkt oder Anlaufstellen für die Arbeitssuche verfügen. Es ist weiter zu berücksichtigen, dass jedenfalls die berichteten Arbeitslosenquoten für Männer – selbst unter Berücksichtigung einer Abweichung von der tatsächlichen Arbeitslosenquote – im internationalen Vergleich nicht als außergewöhnlich hoch zu bewerten sind.
Unabhängig hiervon ergibt sich aus den Erkenntnismitteln kein Anhaltspunkt dafür, dass die Grundbedürfnisse des Klägers – etwa wegen einer völlig unzureichenden Versorgungs- und Angebotslage – ungeachtet seiner voraussichtlich verfügbaren Erwerbsmöglichkeiten nicht zu befriedigen wären. Insoweit ist auf die o.a. internationale Unterstützung der Region zu verweisen.
Schließlich liegt auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vor.
Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (§ 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG). Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird.
Der bei der Bestimmung einer erheblichen konkreten Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG anzulegende Prognosemaßstab entspricht dem allgemeinen asylrechtlichen Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit; beachtlich ist die Wahrscheinlichkeit, wenn die für die Annahme einer Gefahr sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen als die dagegen sprechenden Tatsachen, eine theoretische Möglichkeit reicht hierzu nicht aus.
Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen drohte dem Kläger im Falle der Abschiebung hinsichtlich der genannten Rechtsgüter in seinem Heimatland nicht. Diesbezüglich ist nichts vorgetragen worden. Auch anderweitige Anhaltspunkte bestehen nicht.
Ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ergibt sich letztlich auch nicht aus der humanitären Lage oder aus der allgemeinen Sicherheitslage im Irak. Insoweit handelt es sich um allgemeine Gefahren im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG, welche grundsätzlich nur bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen sind. Zwar kann ein Ausländer im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, ausnahmsweise Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Auch insoweit sind die Verhältnisse im ganzen Land in den Blick zu nehmen und – wie bei § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG und § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK – zunächst die Verhältnisse am Zielort der Abschiebung zu prüfen (vgl. zum Vorstehenden BVerwG, Urt. v. 31.1.2013, 10 C 15/12, juris, Rn. 38).
Nach diesen Maßstäben wäre der Kläger im Fall einer Rückkehr in sein Herkunftsland nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt. Insoweit gilt das oben zu § 60 Abs. 5 AufenthG Ausgeführte entsprechend.
Die in dem angegriffenen Bescheid des Bundesamtes ergangene Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG und ist aus rechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Die Ausreisefrist von 30 Tagen entspricht der gesetzlichen Regelung in § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG.
Schließlich begegnet auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG keinen rechtlichen Bedenken. Die Ermessenserwägungen des Bundesamts sind im Rahmen der auf den Maßstab des § 114 Satz 1 VwGO beschränkten gerichtlichen Überprüfung nicht zu beanstanden, zumal der Kläger diesbezüglich keine Einwendungen vorgebracht und insbesondere keine fehlerhafte Ermessensausübung gerügt hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.