Verwaltungsgericht Göttingen
v. 23.06.2009, Az.: 4 A 178/08
Berufsfachschule; Berufsgrundbildungsjahr; Realschulabschluss; Schülerbeförderung; Übergangsregelung
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 23.06.2009
- Aktenzeichen
- 4 A 178/08
- Entscheidungsform
- Gerichtsbescheid
- Referenz
- WKRS 2009, 44110
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGGOETT:2009:0623.4A178.08.0A
Rechtsgrundlagen
Amtlicher Leitsatz
Ab dem 1.8.2008 können Schüler mit Realschulabschluss, die eine Berufsfachschule besuchen, nicht mehr die Schülerbeförderung bzw. die Erstattung von Schulwegkosten beanspruchen (§ 114 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 NSchG i.d.F. des Änderungsgesetzes vom 2.7.2008 - Nds. GVBl.S. 246). Für eine analoge Anwendung der Übergangsregelung des § 193 Abs. 2 NSchG auf § 114 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 NSchG für das Schuljahr 2008/2009 fehlt es an einer Regelungslücke.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Erstattung von Schülerbeförderungskosten.
Die Tochter der Klägerin besuchte im Schuljahr 2008/2009 die Berufsfachschule N. an den Berufsbildenden Schulen II des Beklagten. Die Schülerin ist im Besitz eines Sekundarabschlusses I - Realschulabschluss -, der jedoch nicht Zugangsvoraussetzung für die besuchte Berufsfachschule war.
Am 9.10.2008 beantragte die Klägerin für die Monate August und September 2008 die Erstattung von Fahrtkosten von ihrem Wohnort in D. zur Schule. Mit Bescheid vom 24.10.2008 lehnte der Beklagte die Erstattung ab, weil die Tochter der Klägerin einen Realschulabschluss erworben habe und damit seit der Neuregelung des Schülerbeförderungsrechts von der Erstattung ausgenommen sei.
Am 18.11.2008 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie ist der Ansicht, dass zu ihren Gunsten - wie für Schüler des Berufsgrundbildungsjahres - die Übergangsregelung anzuwenden sei.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Bescheid des Beklagten vom 24.10.2008 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die ihr für den Schulbesuch ihrer Tochter O. entstandenen Fahrtkosten für die Monate August und September 2008 zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält eine für die analoge Anwendung der Übergangsregelung erforderliche Regelungslücke für nicht gegeben.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid einverstanden erklärt.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Fahrtkostenerstattung.
Gemäß § 114 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 NSchG i.d.F. des Gesetzes vom 2.7.2008 (Nds. GVBl.S. 246) haben die Landkreise und kreisfreien Städte als Träger der Schülerbeförderung die in ihrem Gebiet wohnenden Schülerinnen und Schüler der ersten Klasse von Berufsfachschulen, soweit die Schülerinnen und Schüler diese ohne Sekundarabschluss I - Realschulabschluss - besuchen, unter zumutbaren Bedingungen zur Schule zu befördern oder ihnen oder ihren Erziehungsberechtigten die notwendigen Aufwendungen für den Schulweg zu erstatten. Die Tochter der Klägerin besuchte in dem hier streitgegenständlichen Zeitraum die Berufsfachschule mit Realschulabschluss, so dass nach dem Wortlaut des Gesetzes kein Anspruch auf Fahrtkostenerstattung bestand. Der Gesetzgeber stellt seit dem 1.8.2008 auf die persönliche Qualifikation des Schülers der Berufsfachschule ab und nicht - wie die bis zum 31.7.2008 geltenden Schülerbeförderungsvorschriften - auf die Zugangsvoraussetzungen der Berufsfachschule. Eine Übergangsregelung besteht nicht.
Für die analoge Anwendung der Übergangsregelung des § 193 Abs. 2 des Änderungsgesetzes vom 2.7.2008 besteht kein Raum. Dieser regelt, dass für das Schuljahr 2008/2009 die Vorschriften über schulische Berufsgrundbildungsjahre und über die Anrechnung der Berufsfachschule auf die Berufsausbildung in der bis zum 31.7.2008 geltenden Fassung weiter anzuwenden sind. In Bezug auf Schüler und Schülerinnen, die im Schuljahr 2008/2009 das Berufsgrundbildungsjahr besuchen, wird die Ansicht vertreten, dass die Übergangsregelung zum Berufsgrundbildungsjahr analog auf die Fortgeltung des § 114 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 NSchG anzuwenden sei. Denn ursprünglich war im Gesetzentwurf zum Änderungsgesetz geplant, die Änderung zu § 114 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 u. 4 NSchG erst zum 1.1.2009 in Kraft treten zu lassen (LT-Drs. 16/126 S. 5). Diese Regelung sollte sodann auf Vorschlag des Kultusausschusses durch § 193 Abs. 2 NSchG entbehrlich werden (Schriftlicher Bericht zu Nr. 20 der Beschlussempfehlung des Kultusausschusses, LT-Drs. 16/306 S. 10). Dabei war offenbar übersehen worden, dass § 193 Abs. 2 NSchG den § 114 NSchG nicht erwähnt (vgl. zum Ganzen: Littmann, in: Brockmann/Littmann/Schippmann, NSchG, Stand: März 2009, § 114 Anm. 2.1.5).
Ob diese Ansicht zutrifft, kann dahinstehen. Denn für eine analoge Anwendung des § 193 Abs. 2 NSchG auch auf Schüler und Schülerinnen mit Realschulabschluss, die Berufsfachschulen besuchen, besteht kein Anlass. Eine für die analoge Anwendung erforderliche Regelungslücke ist nicht ersichtlich. Der Beschlussempfehlung des Kultusausschusses ist lediglich zu entnehmen, dass eine Übergangsregelung in Bezug auf das Auslaufen des Berufsgrundbildungsjahres und die Anrechung der Berufsfachschule auf betriebliche Ausbildungen für erforderlich gehalten wurde. Hinsichtlich der Schülerbeförderung von Berufsfachschülern heißt es im Gesetzentwurf dagegen: "Damit sind wie bisher Schüler mit Realschulabschluss von der Erstattung der notwendigen Aufwendungen für den Schulweg ausgeschlossen." Dass die Begründung des Gesetzentwurfes hier möglicherweise auf einem Irrtum beruht, weil bisher nicht generell Realschulabsolventen von der Schülerbeförderung ausgenommen waren, sondern nur diejenigen Schüler, die eine Berufsfachschule mit der Zugangsvoraussetzung "Realschulabschluss" besuchten, vermag die analoge Anwendung nicht zu rechtfertigen. Denn den Gesetzesmaterialien ist der eindeutige Wille zu entnehmen, dass - jedenfalls mit der Gesetzesänderung - Berufsfachschüler mit Realschulabschluss nicht mehr von der Schülerbeförderungsregelung profitieren sollen.
Der Gesetzgeber war auch nicht zur Schaffung einer Übergangsregelung oder zur Aufrechterhaltung der bisherigen Regelung verpflichtet. Weder aus Art. 3 GG noch aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) können im Schulgesetz nicht vorgesehene Beförderungsoder Kostenerstattungsansprüche hergeleitet werden ( BVerwG, Beschluss vom 20.10.1990 - 7 B 128/90 -, NVwZ-RR 1991, 197; Littmann, a.a.O., Anm. 2.1. m.w.N.). Die Aufwendungen für den Transport zur Schule sind grundsätzlich von den Erziehungsberechtigten zu tragen. Erst mit Beginn der Zusammenlegung und Zentralisierung von Schulen beteiligte sich der Staat an den Kosten der Schülerbeförderung. Sinn der Kostenbeteiligung war es, Kindern, die bislang eine Volksschule in Wohnortnähe besuchen konnten, weiterhin die Erfüllung ihrer Volksschulpflicht ohne Mehrkosten zu ermöglichen. Dagegen wurde der mit dem Besuch weiterführender Schulen verbundene größere Zeit- und Kostenaufwand für zumutbar gehalten (vgl. zur Entwicklung des Anspruchs auf Schülerbeförderung: Littmann, a.a.O., Anm. 1). Dem entsprechend beschränkt sich bis heute die Verpflichtung zum Schülertransport grundsätzlich auf den Erwerb einer schulischen Grundbildung. Die Schülerbeförderung zu berufsbildenden Schulen durfte der Gesetzgeber ohne Verstoß gegen den Gleichheitssatz auf Schüler ohne oder mit Hauptschulabschluss beschränken. Der Gesetzgeber hat dabei berücksichtigt, dass weniger qualifizierte Schüler in stärkerem Maße auf Förderung angewiesen sind, um in den Arbeitsmarkt integriert werden zu können, und hat hierfür finanzielle Erleichterungen bzw. Anreize geschaffen.
Da die Klägerin unterliegt, hat sie gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.