Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 26.11.2015, Az.: 1 Ws 533/15 (StrVollz)

Herabsetzung des Überbrückungsgeldsolls bei Entnahmen aus dem Überbrückungsgeld

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
26.11.2015
Aktenzeichen
1 Ws 533/15 (StrVollz)
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 35524
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2015:1126.1WS533.15STRVOLLZ.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Oldenburg - 10.09.2015 - AZ: 50 StVK 151/15

Amtlicher Leitsatz

1. Die Möglichkeit der Entnahme von Beträgen aus dem angesparten Überbrückungsgeld kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht.

2. Die Herabsetzung des Überbrückungsgeldsolls allein aufgrund der Entnahme von Beträgen aus dem Überbrückungsgeld ist jedenfalls dann, wenn die Entlassung aus dem Strafvollzug noch nicht ansteht, mit der gesetzlichen Intention des Überbrückungsgeldes nicht zu vereinbaren.

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben, soweit das für den Verurteilten für das Jahr 2015 festgesetzte Überbrückungsgeld durch die Entnahme von 295,50 € herabgesetzt worden ist.

Die Entscheidung der Antragsgegnerin vom 6. April 2015, das Überbrückungsgeld um den Betrag von 295,50 € herabzusetzen, wird aufgehoben.

Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird verworfen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller. Die gerichtliche Gebühr wird jedoch um 90 % ermäßigt. Im selben Umfang trägt die Landeskasse die notwendigen Auslagen des Betroffenen.

Der Streitwert wird für beide Instanzen auf 329,80 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller verbüßt bei der Antragsgegnerin eine Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren. Die vorzeitige Entlassung des Antragstellers zum Zweidrittelzeitpunkt am 25. September 2015 ist rechtskräftig abgelehnt worden. Voraussichtlicher Strafendzeitpunkt ist der 25. Januar 2020. Gegen den Antragsteller existieren Forderungen in Höhe von über 30.000 €. Der Antragsteller hat im August 2014 die Arbeit niedergelegt und seither nicht wieder aufgenommen, damit er seinen finanziellen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen muss.

Nachdem das Überbrückungsgeld Anfang 2015 zunächst auf 1.596 € festgesetzt worden ist, wurde dem Antragsteller die Entnahme eines Betrages von 34,30 € aus dem bis dahin angesparten Überbrückungsgeld für die Neubeschaffung eines Bundespersonalausweises erlaubt. Daraufhin wurde das Überbrückungsgeldsoll um den Betrag von 34,30 € herabgesetzt. Sein hiergegen gerichteter Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist vom Landgericht Oldenburg am 18. Mai 2015 als unbegründet zurückgewiesen worden (Az.: 50 StVK 60+63/15).

Unter dem 6. April 2015 gab die Antragsgegnerin auf Antrag des Antragstellers weitere 295,50 € aus dem angesparten Überbrückungsgeld für die Beschaffung einer Sehhilfe frei und setzte das Überbrückungsgeld erneut entsprechend herab.

Am 22. Juni 2015 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin, sein Überbrückungsgeldsoll wieder auf 1.596 € festzusetzen. Dies lehnte die Antragsgegnerin am 24. Juni 2015 ab. Seinen hiergegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat die Kammer mit dem angefochtenen Beschluss als unbegründet zurückgewiesen, da die Entscheidung der Antragsgegnerin ermessensfehlerfrei erfolgt sei. Sowohl die Beschaffung eines Personalausweises als auch die Beschaffung einer Sehhilfe dienten der Eingliederung des Antragstellers. Der hierfür notwendige Betrag würde im Rahmen seiner Entlassung sowieso anfallen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Rechtsbeschwerde des Antragstellers, der die Verletzung materiellen Rechts rügt.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat im überwiegenden Teil auch Erfolg, im Übrigen ist sie unbegründet.

1. Der Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde steht insbesondere die Regelung des § 116 Abs. 1 StVollzG nicht entgegen. Denn es gilt, den im Folgenden dargestellten Rechtsfehler zukünftig zu vermeiden.

2. Soweit das Überbrückungsgeld um den Betrag, der zur Beschaffung der Sehhilfe entnommen worden ist, gekürzt worden ist, ist die Rechtsbeschwerde begründet.

a. Anlehnend an § 2 RBSFV 2015 ist das Überbrückungsgeldsoll für das Jahr 2015 zunächst ermessensfehlerfrei auf 1.596 € festgesetzt worden. Soweit sodann dem Antragsteller gestattet worden ist, das Guthaben auf dem Überbrückungsgeldkonto für die Beschaffung einer Sehhilfe zu verwenden, kann dahinstehen, ob für diese Entnahme die Voraussetzungen des § 47 Abs. 4 NJVollzG vorgelegen haben. Dies könnte rechtlichen Bedenken unterliegen, weil nicht erkennbar ist, dass die Sehhilfe der Eingliederung des Antragstellers dienen soll. § 47 Abs. 4 NJVollzG weicht von § 51 Abs. 3 StVollzG nur in redaktioneller Weise ab, entspricht aber diesem inhaltlich, so dass zur Auslegung auf die hierzu ergangenen Gesetzesmaterialien und Entscheidungen der Rechtsprechung zurückgegriffen werden kann. Danach ist die Norm als Ausnahmevorschrift und im Hinblick auf den Gesetzeszweck eng auszulegen (vgl. OLG Karlsruhe, ZfStrVo 1988, 371; OLG Frankfurt am Main, ZfStrVo 1979, 187; Arloth, StVollzG, 3. Aufl., § 51 Rn. 10). Insbesondere ist davon nur Gebrauch zu machen, wenn bestimmte Anschaffungen oder Ausgaben, die bei der Entlassung notwendig werden, aus Gründen der Eingliederung nicht aufgeschoben werden sollten (BT-Drs. 7/918, 71). Eine Sehhilfe für einen Strafgefangenen, der voraussichtlich noch mehrere Jahre im Strafvollzug verbringen wird, ist hierunter nur schwerlich zu fassen. Die Gefahr, dass die Sehhilfe beim Entlassungszeitpunkt nicht mehr zur Verfügung steht, weil sie beschädigt, verloren oder in der jetzigen Form undienlich sein könnte, liegt auf der Hand. Zudem wäre bei dieser Entscheidung auch zu berücksichtigen gewesen, ob dem Antragsteller trotz Entnahme des Betrages im Fall seiner Entlassung ein Überbrückungsgeld in angemessener Höhe zur Verfügung stehen würde. Hieran bestehen Bedenken, nachdem der Antragsteller aufgrund seiner Weigerung, seiner Arbeitspflicht nachzukommen, auf Einnahmen, aus denen sein Überbrückungsgeld angespart werden könnte, nicht vertrauen kann. Letztlich kann dies aber vorliegend dahinstehen, weil die Entnahme des Betrages nicht vom Antragsteller angefochten worden ist und nicht den Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens betrifft.

Die Entscheidung der Antragsgegnerin aber, dass allein aufgrund der Entnahme eines Betrages aus dem bis dahin angesparten Überbrückungsgeld sich das festzusetzende Überbrückungsgeldsoll um diesen Betrag verringert, ist jedoch entgegen der Auffassung der Kammer rechtswidrig.

Das Überbrückungsgeld dient in der Zeit nach der Entlassung eines Gefangenen dazu, diesem die wirtschaftliche Existenzgrundlage zu sichern, was seine Rückfallgefährdung verringert und die Chancen einer sozialen Reintegration in der schwierigen Phase unmittelbar nach der Strafentlassung erhöht (vgl. Laubenthal/Nestler/Neubacher/Ferrel-Nestler Abschnitt F, Rdnr. 173). Daneben bezweckt § 47 NJVollzG eine Entlastung der Sozialhilfeträger, die dann nicht für den Lebensunterhalt des Gefangenen aufkommen müssen (vgl. BVerG NJW 1991, 189 [BVerwG 21.06.1990 - BVerwG 5 C 64.86]). Um dies zu gewährleisten, sieht § 50 Abs. 2 und 3 die Unpfändbarkeit des Überbrückungsgeldes vor, soweit nicht vorrangige Unterhaltsansprüche damit bedient werden können. Würde die Entnahmemöglichkeit des § 47 Abs. 4 NJVollzG zugleich zu einer Senkung des Überbrückungsgeldsolls führen, bestünde die Gefahr, dass der Sinn des Überbrückungsgeldes bei Entlassung des Gefangenen nicht zu erreichen wäre. Insbesondere auch angesichts der noch zu erwartenden Strafvollzugszeit besteht die begründete Befürchtung, dass etwa bei weiteren Entnahmen aus dem Überbrückungsgeld der Antragsteller schließlich aus der Haft entlassen werden könnte, ohne dass ihm ein Betrag zur Verfügung stehen wird, der den notwendigen Lebensunterhalt in den ersten vier Wochen nach der Entlassung sichern kann. Die Entnahme darf daher grundsätzlich keine Auswirkungen auf die Höhe des Überbrückungsgeldsolls haben. Etwas anderes kann nur gelten, wenn die Entnahme in zeitlichem Zusammenhang mit einer - hier nicht gegebenen - alsbald erfolgenden Entlassung des Strafgefangenen erfolgt. Dass mit der Festsetzung des Regelsatzes eine Gläubigerbenachteiligung verbunden sein kann, steht dem nicht entgegen. Nach dem gesetzgeberischen Willen geht das Überbrückungsgeld den berechtigten Ansprüchen von Gläubigern vor.

3. Mit der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses im ausgesprochenen Umfang war auch die Entscheidung der Antragsgegnerin vom 6. April 2015 aufzuheben, da gemäß § 119 Abs. 4 Satz 2 StVollzG Spruchreife gegeben war.

4. Dieselben Ausführungen gelten im Prinzip auch für die Herabsetzung des Überbrückungsgeldes aufgrund der Entnahme von 34,30 € für die Neubeschaffung eines Personalausweises. Insoweit stand einer erfolgreichen Rechtsbeschwerde des Antragstellers aber entgegen, dass dieser die Herabsetzung des Überbrückungsgeldes um 34,30 € bereits erfolglos angefochten hatte und der die Herabsetzung bestätigende Beschluss der Strafvollstreckungskammer rechtskräftig geworden ist. Der Senat weist allerdings darauf hin, dass bei der Neufestsetzung des Überbrückungsgeldes für das Jahr 2016 eine Bindungswirkung insoweit nicht eingetreten ist und die Antragsgegnerin gehalten sein wird, das Überbrückungsgeld unter Berücksichtigung der Senatsauffassung neu festzusetzen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 4 StVollzG i. V. m. § 473 Abs. 4 StPO.

IV.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 1 Abs. 1 Nr. 8, 52, 60, 63, 65 GKG.