Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 23.11.2015, Az.: 1 Ausl 46/14
Verhältnismäßigkeit der Auslieferung eines Verfolgten zum Zweck der Strafvollstreckung bei zu vollstreckender Reststrafe von nicht mehr als 10 Tagen; Auslieferung eines Verfolgten zum Zwecke der Vollstreckung einer Reststrafe von nicht mehr als zehn Tagen
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 23.11.2015
- Aktenzeichen
- 1 Ausl 46/14
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2015, 36388
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2015:1123.1AUSL46.14.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Brcko - 07.04.2014 - AZ: 96 O K 041031 12 K
Rechtsgrundlagen
- Art. 2 Abs. 1 EuAlÜbk
- § 3 Abs. 3 S. 2 IRG
- § 73 IRG
- IRG § 3
- IRG § 73
- IRG § 83c
- EuAuslfÜbk Art. 2 Abs. 1
Fundstelle
- StV 2017, 249
Amtlicher Leitsatz
Die Auslieferung eines Verfolgten zum Zweck der Strafvollstreckung kommt aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht in Betracht, wenn die zu vollstreckende Reststrafe nicht mehr als 10 Tage beträgt.
In dem Auslieferungsverfahren
gegen den bosnisch-herzegowinischen Staatsangehörigen
A. S.,
geboren am xxxxxx 1987 in B.,
wohnhaft P.straße, C.,
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft
durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxxxxx, den Richter am Oberlandesgericht
xxxxxx und den Richter am Oberlandesgericht xxxxxx am 23. November 2015
beschlossen:
Tenor:
Die Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Strafvollstreckung wegen der im Urteil des Amtsgerichts Brcko vom 7. April 2014 (Aktenzeichen: 96 O K 041031 12 K) verhängten Freiheitsstrafe wird für unzulässig erkärt.
Gründe
I.
Die bosnisch-herzegowinischen Justizbehörden ersuchen mit Schreiben vom 27. November 2014 um Auslieferung des Verfolgten zum Zweck der Strafvollstreckung. Nachdem der Verfolgte am 14. März 2014 zur Strafverfolgung von Deutschland nach Bosnien-Herzegowina ausgeliefert worden war, verurteilte ihn dort das Amtsgericht Brcko. ausweislich des Ersuchens am 7. April 2014 wegen Handelns mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten (Aktenzeichen: 96 O K 041031 12 K), auf die die Zeit der Auslieferungshaft in Deutschland sowie der Untersuchungshaft in Bosnien-Herzegowina angerechnet wurde. Er transportierte am 2. September 2011 auf der Autobahn C.-B. Bu. in einem Kfz BMW 520 des M. D., amtliches Kennzeichen xxxxxx in einer Plastiktüte 3,613 g Heroin.
Der Verfolgte wurde am 12. November 2014 in C. festgenommen. Der Senat hat am 13. November 2014 gegen den Verfolgten die vorläufige und nach Eingang der dem Ersuchen zugrundeliegenden Entscheidungen der bosnisch-herzegowinischen Behörden am 19. Dezember 2014 die förmliche Auslieferungshaft angeordnet.
Der Senat hat mit Beschluss vom 8. Januar 2015 den Haftbefehl außer Vollzug gesetzt, weil der Verfolgte von der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe aufgrund erlittener Auslieferungs- und Untersuchungshaft vom 30. Januar bis 7. April 2014 bzw. seit dem 12. November 2014 die Verbüßung von ca. nur noch einem Monat zu erwarten hatte. Zudem hatte sich herausgestellt, dass der Verfolgte sich in dieser Sache zusätzlich in Auslieferungshaft vom 30. September bis 14. November 2013 befunden hatte. Laut Verbalnote der Botschaft von Bosnien und Herzegowina vom 28. Juli 2015 hat das Justizministerium von Bosnien und Herzegowina mit Schreiben vom 23. Juli 2015 mitgeteilt, dass nach Art. 59 Abs. 4 des Strafgesetzes der Föderation Bosnien und Herzegowina die Auslieferungszeit auf die verhängte Strafe angerechnet wird. Danach sind gegen den Verfolgten bis zur vollständigen Verbüßung der verhängten Freiheitsstrafe noch acht Tage zu vollstrecken.
Auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft hat der Senat am 28. Oktober 2015 den Haftbefehl aufgehoben. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt nunmehr,
die Auslieferung aus Verhältnismäßigkeitsgründen für unzulässig zu erklären.
II.
Die Auslieferung ist unzulässig.
1. Über die Auslieferung hatte der Senat zu entscheiden. Dem steht nicht entgegen, dass das vormalige Auslieferungsverfahren zur Strafverfolgung beim Oberlandesgericht Oldenburg anhängig gewesen ist. Denn mit der Überstellung des Verfolgten war das Verfahren abgeschlossen und die Zuständigkeit des OLG Oldenburg endete (vgl. Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner-Lagodny, 5. Aufl., Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, § 14 IRG, Rdnr. 4). Mit Ermittlung des Verfolgten im Bezirk des Oberlandesgerichts Celle war dieses nunmehr für das vorliegende Verfahren zuständig.
2. Die allgemeinen Voraussetzungen für die Auslieferung des Verfolgten liegen vor.
a. Das schriftliche Auslieferungsersuchen der bosnisch-herzegowinischen Behörden ist auf dem diplomatischen Weg übermittelt worden und liegt dem Senat im Original und in deutscher Übersetzung vor. Die Unterlagen enthalten alle gemäß Art. 12 Abs. 2 EuAlÜbk erforderlichen Angaben.
b. Die Auslieferungsfähigkeit der dem Verfolgten zur Last gelegten Straftat i. S. von Art. 2 Abs. 1 EuAlÜbk ist gegeben. Das dem Verfolgten vorgeworfene Verhalten ist sowohl nach dem Recht des ersuchenden Staates (Art. 232 des Strafgesetzbuchs des Brcko-Distrikts Bosnien und Herzegowina) als auch nach deutschem Recht strafbar (§ 29 BtMG). Zudem wird die Auslieferung zum Zweck der Strafvollstreckung wegen eines Urteils ersucht, dessen Maß mindestens vier Monate beträgt (Art. 2 Abs. 1 Satz 2 EuAlÜbk). Maßgeblich ist dabei nicht die Länge der noch zu erwartenden Vollstreckung (vgl. Grützner/Pötz/Kreß-Böse, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., § 81 IRG Rdnr. 3).
c. Sonstige Gründe, die der Zulässigkeit der Auslieferung nach Art. 2 bis 11 EuAlÜbk entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich. Vollstreckungsverjährung ist nicht eingetreten. Der Verfolgte ist auch nicht deutscher Staatsangehöriger.
3. Die Auslieferung des Verfolgten widerspricht aber wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung i. S. von § 73 IRG.
a. Gemäß § 3 Abs. 3 Satz 2 IRG ist eine Auslieferung zur Vollstreckung von Bagatellreststrafen von weniger als vier Monaten Freiheitsentzug unzulässig. Hierdurch soll nach dem Willen des Gesetzgebers vermieden werden, dass Auslieferungsverfahren eingeleitet würden, die außer Verhältnis zur Dauer der noch zu vollstreckenden Sanktionen stünden. Insbesondere gelte es zu verhindern, dass der Verfolgte für die Dauer des Auslieferungsverfahrens in Auslieferungshaft genommen wird, deren Dauer an die Dauer der noch zu vollstreckenden Sanktion heranreicht (vgl. BT-Drucks. 9/1338, S. 37). Auch wenn die Vorschrift aufgrund des Vorrangs des EuAlÜbk gemäß § 1 Abs. 3 IRG vorliegend keine Anwendung finden kann, ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass aus Gründen der Verhältnismäßigkeit das Vorliegen eines nur noch im Bagatellbereich liegenden Strafrestes die Prüfung veranlasst, ob die Rechtshilfe wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung i. S. von § 73 IRG widerspricht (vgl. KG, Beschluss vom 24. September 2012, 151 Ausl A 113/12, ; OLG Dresden, Beschluss vom 13. Juli 2015, OLG Ausl 98/15, ).
b. Um einerseits die Grenzen zwischen Art. 2 Abs. 1 EuAlÜbk und § 3 Abs. 3 Satz 2 IRG nicht zu verwischen, andererseits aber der mit einer besonderen Belastung verbundenen Auslieferung eines Verfolgten aus Verhältnismäßigkeitsgrundsätzen gerecht zu werden, hält der Senat die Auslieferung von Bagatellstrafresten allgemein für unzulässig, wenn diese die Dauer von zehn Tagen nicht übersteigt. Zwar sieht das EuAlÜbk keine Fristen vor, innerhalb derer nach Bewilligung der Auslieferung diese zu vollziehen ist. Es erscheint allerdings gerechtfertigt, die sich aus den Grundsätzen des EuAlÜbk entstandene Regelung für den Auslieferungsverkehr zwischen den EU-Staaten nach Art. 23 Abs. 2 Rb-EuHb und § 83 c Abs. 3 Satz 2 IRG heranzuziehen, wonach die Auslieferung vom Zeitpunkt der Bewilligung innerhalb von zehn Tagen zu vollziehen ist. Es bestünde sonst nämlich die Gefahr, dass eine verfolgte Person zur Durchführung der Auslieferung wieder in Gewahrsam genommen werden müsste, der Zeitraum der Ingewahrsamnahme sodann aufgrund der organisatorisch erforderlichen Vorbereitungen den der noch zu vollstreckenden Strafe erschöpfend abdeckt und eine Auslieferung wegen eines dann nicht mehr bestehenden Strafrestes letztlich doch unterbleiben müsste.