Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 03.04.2024, Az.: 9 K 117/21

Berücksichtigen der Aufwendungen eines Steuerpflichtigen für Fahrten zwischen der Familienwohnung und der ersten Tätigkeitsstätte als Werbungskosten

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
03.04.2024
Aktenzeichen
9 K 117/21
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 20380
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE::2024:0403.9K117.21.00

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Eine Straßenverbindung ist dann als verkehrsgünstiger als die kürzeste Verbindung zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte anzusehen, wenn der Arbeitnehmer eine andere längere Straßenverbindung nutzt und die Arbeitsstätte auf diese Weise trotz gelegentlicher Verkehrsstörungen in der Regel schneller und pünktlicher erreicht. Offensichtlich verkehrsgünstiger ist die vom Arbeitnehmer gewählte Straßenverbindung dann, wenn ihre Vorteilhaftigkeit so auf der Hand liegt, dass sich auch ein unvoreingenommener, verständiger Verkehrsteilnehmer unter den gegebenen Verkehrsverhältnissen für die Benutzung der Strecke entschieden hätte. Dass bei extremen Stauverhältnissen die Umwegstrecke auch mal verkehrsgünstiger und schneller sein kann, reicht insoweit nicht aus.

  2. 2.

    Die Indizwirkung der nicht feststellbaren regelmäßigen Fahrzeitverkürzung der längeren Strecke bzw. die im Regelfall sogar erhebliche Fahrzeitverkürzung der kürzeren Strecke bei normaler üblicher Verkehrslage überlagert im Rahmen der Gesamtbewertung mögliche Beeinträchtigungen durch Ampelschaltungen oder Innenstadtfahrten.

  3. 3.

    Krankheitsgründe können grds. gegen die Zumutbarkeit der Benutzung der kürzeren Fahrtstrecke sprechen (vgl. FG Hamburg, Urteil vom 24. März 2003 II 61/02, juris: amtsärztlich attestierte Höhenangst). Die im Streitfall nicht weiter belegte erhöhte Unfallgefahr auf der kürzeren Fahrtstrecke sowie eine dargelegte Erforderlichkeit von planbaren Pausen wegen Rückenleidens bzw. Schwerbehinderung steht einer Unzumutbarkeit der Benutzung der kürzeren Fahrtstrecke jedenfalls dann nicht entgegen, wenn der Kläger - wie im Streitfall in der mündlichen Verhandlung dargelegt - infolge eines Standortwechsels des Arbeitgebers in einem späteren Veranlagungszeitraum einen Großteil der streitbefangenen kürzeren Fahrtstrecke später tatsächlich nutzt.

Tatbestand

Streitig waren zunächst ausweislich der Klageschrift die Höhe der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aus den Objekten O und S-Str., I, die Kind bedingten Steuervergünstigungen für die 2017 geborene Tochter ... sowie die Höhe der als Werbungskosten zu berücksichtigenden Aufwendungen des Klägers für Fahrten zwischen der Familienwohnung und der ersten Tätigkeitsstätte.

Nachdem die Kläger im Klageverfahren die Anlagen Kind und V sowie diverse Unterlagen nachgereicht haben, hat der Beklagte für die Streitjahre am 23. September 2022 geänderte Einkommensteuerbescheide 2018 und 2019 erlassen.

Ausweislich des nachfolgenden Schriftverkehrs zwischen den Beteiligten und des Klageantrags der Kläger ist nunmehr nur noch die Höhe der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aus dem Objekt S-Str., I, sowie die Höhe der als Werbungskosten zu berücksichtigenden Aufwendungen des Klägers für Fahrten zwischen der Familienwohnung und der ersten Tätigkeitsstätte streitig.

Mit Schriftsatz vom 22. November 2023 hat der Beklagte mitgeteilt, dass die Einkünfte aus der Vermietung des Objekts S-Str., I, wie von der Klägern begehrt mit ./. 3.098 € für 2018 sowie 3.829 € für 2019 angesetzt werden können.

Hinsichtlich der danach nur noch streitigen Aufwendungen für die Fahrten zwischen dem Familienwohnsitz (nunmehr unstreitig: H-Str., W) und der ersten Tätigkeitsstätte (K-Str., B) stellt sich der Sachverhalt wie folgt dar:

Der Kläger nutzt - wie nunmehr zwischen den Beteiligten unstreitig - tatsächlich die längere Strecke über die A 7 und A 391 (lt. Google Maps: 102 km) anstatt der kürzeren Strecke über die A2 (74,8 km).

In den Einkommensteuererklärungen 2018 und 2019 gaben die Kläger diesbezüglich eine Streckenlänge von 105 km an. Der Beklagte berücksichtigte dagegen lediglich eine einfache Entfernung von 84 km, da die längere Strecke nicht offensichtlich verkehrsgünstiger sei. Aus der KM-Differenz ergeben sich die in den beiden Streitjahren streitigen Aufwendungen in Höhe von 1.391,50 €.

Das gegen die entsprechenden Einkommensteuerbescheid 2018 und 2019 gerichtete Einspruchsverfahren hatte keinen Erfolg.

Mit der vorliegenden Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren auf Berücksichtigung der höheren Fahrtaufwendungen weiter. Zur Begründung tragen sie im Wesentlichen Folgendes vor:

Die Strecke über die A 7/A 39 sei offensichtlich verkehrsgünstiger: Die Route des Klägers über die A 7 und A 39 führe nach Verlassen der Autobahn so dicht an seine Tätigkeitsstätte, dass er zum Erreichen der Tätigkeitsstrecke bzw. des Parkplatzes nur zwei Ampeln passieren müsse. Die Route über die A 2 und die A 391 hingegen führe durch das Stadtgebiet von Braunschweig mit über 17 Ampeln einschließlich Straßenbahnvorrang und Straßenbahnkreuzungen. Staubedingt ergäbe sich während der Berufszeiten auf der Strecke über die A 2/A 391 häufig ein erheblicher Zeitverlust. Die kürzere Strecke sei zudem auch unfall- und baustellenträchtiger. Es hätten sich auf dieser Strecke in den Jahren 2014 bis 2019 zahlreiche Dauerbaustellen wegen Fahrbahnarbeiten gebildet.

Die Kläger verweisen überdies auf das Urteil des FG Hamburg vom 24. März 2003 (II 61/02). Danach seien die Mehrkosten, die durch einen Umweg bei der Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte verursacht würden Werbungskosten, auch wenn der Umweg durch Krankheit verursacht werde. Aufgrund der Schwerbehinderung des Klägers (Rücken-OP) sei ihm längeres Sitzen wie z. B. beim Autofahren nicht möglich. Die vom Kläger befahrene längere Route erlaube es ihm, seine nach spätestens einer halben Stunde Fahrzeit einzulegende Pause zur Entlastung seines Rückens durch Verlassen des Fahrzeugs planbar und zuverlässig durchzuführen. Bei der kürzeren Fahrstrecke über die A 2 sei dies nicht möglich. Die häufige Unfall- und Stausituation auf der A 2 würde den Kläger zum Verbleib im Fahrzeug zwingen. Hinzu komme, dass der Kläger aufgrund eines folgenschweren Verkehrsunfalles an einer chronifizierten posttraumatischen Belastungsstörung nach Extrembelastung leide. Der Kläger befahre zur Vermeidung des Anblicks der auf der kürzeren Strecke häufig auftretenden Unfälle regelmäßig die für ihn weniger belastende längere Route. Das Autofahren stelle für den Kläger eine ausgesprochen belastende Situation dar. Auf der vom Kläger regelmäßig befahrenen Route könne der Kläger planmäßig und zuverlässig die für ihn erforderliche Pause einrichten. Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird insbesondere auf das Schreiben der Kläger vom 31. Januar 2024 Bezug genommen.

Im Klageverfahren haben die Kläger zudem 3 Sreenshots über die Fahrstrecke zur ersten Tätigkeitsstätte lt. Google Maps vorgelegt. Aus dem ersten Screenshot ergibt sich, dass die Fahrtstrecke über die A 2 und A 397 trotz einer 24 - minütigen durch Stau bedingten Verzögerung mit 1 Stunde und 5 Minuten dennoch die schnellste Route hin zu seiner Tätigkeitsstätte bleibt. Der zweite Screenshot gelangt mit 1 Stunde und 7 Minuten zu demselben Ergebnis, wonach diese Route trotz 24 - minütigem Stau ebenfalls die Schnellste ist. Lediglich aus dem dritten Screenshot ist ersichtlich, dass die Fahrt über die A 2 und die A 391 aufgrund eines 29-minütigen Staus 1 Stunde und 20 Minuten dauert, die über die A 7 und die A 39 jedoch nur 1 Stunde und 7 Minuten.

Die Kläger beantragen,

den Einkommensteuerbescheid 2018 vom 10. März 2020, in Gestalt des Einspruchsbescheids vom 13. April 2021, zuletzt geändert durch Bescheid vom 23 September 2022, dergestalt zu ändern, dass weitere Aufwendungen des Klägers für Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte in Höhe von 1.391,50 € und Einkünfte aus der Vermietung und Verpachtung des Objekts S-Str., I, in Höhe von ./. 3.098 € berücksichtigt werden,

den Einkommensteuerbescheid 2019 vom 19. Januar 2021, in Gestalt des Einspruchsbescheids vom 13. April 2021, zuletzt geändert durch Bescheid vom 23. September 2022 dergestalt zu ändern, dass weitere Aufwendungen des Klägers für Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte in Höhe von 1.391,50 € und Einkünfte aus der Vermietung und Verpachtung des Objekts Str., I, in Höhe von 3.829 € berücksichtigt werden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte verbleibt bei seiner Auffassung, dass die vom Kläger benutzte längere Fahrstrecke nicht die offensichtlich verkehrsgünstigere ist.

Anzumerken sei, dass aus den vorgelegten Screenshots lt. Google Maps nicht zu ersehen sei, zu welchem Zeitpunkt der Kläger die Abfragen jeweils gestartet habe und demzufolge auch nicht, zu welchem Zeitpunkt (Berufsverkehr/ Feierabendverkehr) jeweils der betreffende Stau auf der A2 eingetreten sei. Auszuschließen sei ebenfalls nicht, dass in den Streitjahren entsprechende Staus auch auf der A 7/A 39 eingetreten gewesen sein könnten, zumal bei entsprechendem Verkehrsaufkommen, vorhandenen Baustellen etc. auf Autobahnen im Allgemeinen immer mit Staus zu rechnen sei. Aus dem Vortrag der Kläger sei weiterhin nicht zu schlussfolgern, dass die vom Kläger gewählte Route verkehrsgünstiger sei. Denn ihre Vorteilhaftigkeit liege nicht so auf der Hand, dass sich ein voreingenommener Verkehrsteilnehmer unter den gegebenen Verkehrsverhältnissen für die Benutzung dieser Route entschieden hätte.

In der mündlichen Verhandlung haben die Kläger mitgeteilt, dass 2022 die Tätigkeitsstelle des Klägers räumlich in Richtung Flughafen B verlegt worden sei. Seit dem Umzug nehme der Kläger "selbstverständlich die Strecke über die A 2 und quäle sich durch den Verkehr".

Entscheidungsgründe

1. Die Klage hat (nur) in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

Die Änderung der Einkünfte aus der Vermietung und Verpachtung des Objekts S, I, in dem von den Klägern begehrten Umfang ist zwischen den Beteiligten unstreitig.

Im Übrigen sind die Einkommensteuerbescheide 2018 und 2019, jeweils in Gestalt der Einspruchsbescheide vom 13. April 2021, zuletzt geändert durch Bescheide vom 23. September 2022, rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -FGO-).

Zu Recht hat der Beklagte die Aufwendungen des Klägers für die Fahrten zwischen dem Familienwohnsitz in W, H-Str., und der ersten Tätigkeitsstätte (K-Str., B) nur auf Grundlage einer einfachen Entfernung von 84 km zum Werbungskostenabzug zugelassen, da die längere, vom Kläger tatsächlich benutzte Strecke nicht die offensichtlich verkehrsgünstigere Fahrstrecke ist.

Die Entfernungspauschale für die Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit des Klägers ist daher nicht zu erhöhen.

a. Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der in den Streitjahren geltenden Fassung können Aufwendungen des Arbeitnehmers für Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit abgezogen werden. Zur Abgeltung dieser Aufwendungen ist nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die erste Tätigkeitsstätte aufsucht, eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte von 0,30 € anzusetzen.

Für die Bestimmung der Entfernung ist die kürzeste Straßenverbindung zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte maßgebend; eine andere als die kürzeste Straßenverbindung kann zugrunde gelegt werden, wenn diese offensichtlich verkehrsgünstiger ist und vom Arbeitnehmer regelmäßig für Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte benutzt wird (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 4 EStG).

Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH -, der sich die Finanzverwaltung angeschlossen hat, ist eine Straßenverbindung dann als verkehrsgünstiger als die kürzeste Verbindung zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte anzusehen, wenn der Arbeitnehmer eine andere - längere - Straßenverbindung nutzt und die Arbeitsstätte auf diese Weise trotz gelegentlicher Verkehrsstörungen in der Regel schneller und pünktlicher erreicht. "Offensichtlich" verkehrsgünstiger ist die vom Arbeitnehmer gewählte Straßenverbindung dann, wenn ihre Vorteilhaftigkeit so auf der Hand liegt, dass sich auch ein unvoreingenommener, verständiger Verkehrsteilnehmer unter den gegebenen Verkehrsverhältnissen für die Benutzung der Strecke entschieden hätte. Zu vergleichen sind die kürzeste und die vom Arbeitnehmer regelmäßig für Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte benutzte längere Straßenverbindung. Weitere mögliche, tatsächlich aber nicht benutzte Fahrtstrecken zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bleiben dagegen unberücksichtigt (BFH, Urteil vom 16. November 2011 VI R 46/10, Bundessteuerblatt - BStBl - II 2012, 470, II. 2. a), b) der Gründe m. w. N.).

Konkrete zeitliche Vorgaben, die erfüllt sein müssen, um eine Straßenverbindung als "offensichtlich verkehrsgünstiger" als die kürzeste Fahrtroute anzusehen, gibt die höchstrichterliche Rechtsprechung nicht vor. Ist allenfalls eine geringfügige Verkürzung von unter 10 % der für die kürzeste Verbindung benötigten Fahrzeit zu erwarten, so spricht zwar viel dafür, dass diese minimale Zeitersparnis allein für einen verständigen Verkehrsteilnehmer keinen ausschlaggebenden Anreiz darstellen dürfte, eine von der kürzesten Verbindung abweichende Route zu wählen. Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass das Merkmal der Verkehrsgünstigkeit auch andere Umstände als eine Zeitersparnis beinhaltet. So kann eine Straßenverbindung auch dann "offensichtlich verkehrsgünstiger" sein als die kürzeste Verbindung, wenn sich dies aus Umständen wie Streckenführung, Schaltung von Ampeln o. Ä. ergibt. Deshalb kann eine "offensichtlich verkehrsgünstigere" Straßenverbindung auch vorliegen, wenn nur eine relativ geringe oder gar keine Zeitersparnis zu erwarten ist, sich die Strecke jedoch aufgrund anderer Umstände als verkehrsgünstiger erweist als die kürzeste Verbindung (BFH, Urteil vom 16. November 2011 VI R 19/11, BStBl II 2012, 520, 2. c) der Gründe m. w. N.). Maßgeblich ist lediglich die Vorteilhaftigkeit einer Strecke mit Blick auf den Ablauf des Straßenverkehrs (BFH, Urteil vom 12. Dezember 2013 VI R 49/13, juris).

Die Beurteilung, ob eine Umwegstrecke verkehrsgünstiger ist, soll nach dem Willen des Gesetzgebers unter Berücksichtigung der im BFH-Urteil vom 10. Oktober 1975 (VI R 33/74, BStBl II 1975, 852) aufgestellten Grundsätze vorgenommen werden (BT-Drs. 14/7341, S. 10). Danach ist darauf abzustellen, welche Straßenverbindung im Rahmen des Zumutbaren für den Arbeitnehmer benutzbar ist (Bergkemper, jurisPR-SteuerR 12/2012 Anm. 3). Eine Straßenverbindung ist dann verkehrsgünstiger i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 4 EStG, wenn damit die erste Tätigkeitsstätte trotz gelegentlicher Verkehrsstörungen i.d.R. schneller und pünktlicher erreicht wird (BFH, Urteil vom 10. April 2007 VI B 143/06, BFH/NV 2007, 1309 [BFH 10.04.2007 - VI B 134/06]; so auch Schneider, BFH/PR 2012, 109, 110; Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, Kommentar zum EStG/KStG, § 9 Anm. 459).

b. Unter Berücksichtigung der vorstehenden Rechtsgrundsätze, denen das Gericht folgt, kommt eine Erhöhung der als Werbungskosten zu berücksichtigenden Entfernungspauschale nicht in Betracht.

Das Gericht konnte schon nicht feststellen, dass die vom Kläger benutzte längere Strecke über die A 7 / A 39 verkehrsgünstiger ist als die kürzeste Strecke über die A2 / A 391. Entgegen der Darstellung der Kläger ist diese Strecke über die A 2 /A 391 nach der Google Maps Recherche des Gerichts bei üblicher Verkehrslage nicht nur um 27,5 km kürzer, sondern auch um 11 Minuten schneller. Aus den von den Klägern mit der Klagebegründung vorgelegten Google-Maps-Sreenshots ergibt sich dies ebenfalls, denn selbst bei Berücksichtigung von Staus allein auf der A 2/A 391 mit erheblichen Zeitverzögerungen über 24 Minuten ist danach - worauf der Beklagte zu Recht hinweist - diese Strecke immer noch schneller. Eine Fahrzeitersparnis ist trotz Staus nur auf der A 2 danach in der Regel nicht zu erreichen.

Dass bei extremen Stauverhältnissen die Umwegstrecke auch mal verkehrsgünstiger und schneller sein kann, stellt das Gericht nicht in Abrede (so der dritte von den Klägern vorgelegte Screenshot). Entscheidend ist jedoch, ob die erste Tätigkeitsstätte trotz gelegentlicher Verkehrsstörungen i.d.R. schneller und pünktlicher erreicht wird durch Benutzung der Umwegstrecke. Eine diesbezügliche Überzeugung konnte sich das Gericht nicht bilden.

Jedenfalls ist die längere Strecke auch nicht "offensichtlich" verkehrsgünstiger, denn für jeden unvoreingenommenen objektiven dritten Verkehrsteilnehmer liegt nicht auf der Hand, dass die 27,5 km längere Strecke in der Regel diejenige ist, mit der er seine Tätigkeitsstätte schneller und pünktlicher erreicht. Dazu kommt, dass die A 7 gerichtsbekannt auch nicht dauerhaft ohne jegliche Staugefahr ist, sodass sich die ohnehin regelmäßig schon längere Fahrtzeit auch noch erheblich erhöhen könnte. Dass die Strecke über die A 2 in den Streitjahren gegenüber der tatsächlich benutzten Strecke erheblich stau- und baustellenbelasteter war, haben die Kläger nur behauptet und nicht nachvollziehbar belegt.

Allein die höhere Zahl der Ampeln und die erforderliche Fahrt durch die Innenstadt von B. bei Benutzung der kürzeren Strecke kommen daher bei der vorstehenden Sachlage im Rahmen der Würdigung aller Umstände des Einzelfalls keine entscheidende Bedeutung zu. Die Indizwirkung der nicht feststellbaren regelmäßigen Fahrzeitverkürzung der längeren Strecke bzw. die im Regelfall sogar erhebliche Fahrzeitverkürzung der kürzeren Strecke bei normaler üblicher Verkehrslage überlagert im Rahmen der Gesamtbewertung mögliche Beeinträchtigungen durch Ampelschaltungen oder Innenstadtfahrten.

Gleiches gilt aus Sicht des Gerichts hinsichtlich der von den Klägern aufgeworfenen Frage nach der Zumutbarkeit der Benutzung der kürzeren Strecke auf der aufgrund der geschilderten Krankheitssituation des Klägers (chronifizierte posttraumatische Belastungsstörung nach Extrembelastung infolge eines Verkehrsunfalls; Schwerbehinderung nach Rücken-OP/ Rückenschmerzen mit der Erforderlichkeit von Pausen). Das Gericht nimmt zur Kenntnis, dass das FG Hamburg (Urteil vom 24. März 2003 II 61/02, juris) eine amtsärztlich attestierte Höhenangst hat ausreichen lassen, um die Benutzung einer kürzeren Strecke, die über eine Brücke führt, als nicht zumutbar anzusehen. Abgesehen davon, dass im dortigen Streitfall durch die Benutzung der Umwegstrecke eine regelmäßige Fahrtzeitverkürzung festgestellt werden konnte, hat der Kläger im vorliegenden Streitfall jedenfalls nicht zur Überzeugung des Gerichts dargelegt, dass eine Benutzung der Fahrtstrecke über die A 2 allein wegen einer vom ihm nur behaupteten erhöhten Unfallgefährlichkeit unzumutbar ist. Abgesehen davon, dass der Kläger für die erhöhte Unfallgefährlichkeit (etwa gegenüber der A 7) keine nachvollziehbaren Belege vorgelegt hat, erscheint die Argumentation auch nicht überzeugend. Denn der Kläger selbst hat in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass er nach dem Umzug seiner Tätigkeitsstätte in Richtung Flughafen B im Jahr 2022 nunmehr "selbstverständlich" die - wenn auch dann kürzere - Strecke über die A 2 nutzt. Dies spricht deutlich dafür, dass eine Zumutbarkeit - anders als im Fall des FG Hamburg - vorliegend ohne Weiteres bejaht werden kann. Auch hinsichtlich der Erforderlichkeit von planbaren Pausen wegen des Rückenleidens bzw. seiner Schwerbehinderung steht eine Unzumutbarkeit der Benutzung der kürzeren Fahrtstrecke nicht zur Überzeugung des Gerichts fest. Dieses Argument spricht eher dafür, die im Regelfall schnellere Strecke zu benutzen, damit die Zeit im Auto möglichst kurzgehalten wird. Dass sich bei Benutzung der längeren Strecke eine regelmäßige Fahrtzeitverkürzung ergibt, konnte das Gericht - wie dargelegt - jedoch genauso wenig nicht feststellen wie eine erheblich höhere Stau- und Baustellenbelastung der kürzeren Strecke in den Streitjahren.

Nach alledem konnte die Klage in diesem Punkt keinen Erfolg haben.

2. Das beklagte Finanzamt wird die Einkommensteuern für 2018 und 2019 aufgrund der vorstehenden Ausführungen neu berechnen, das Ergebnis der Neuberechnung den Klägern unverzüglich formlos mitteilen und nach Rechtskraft der Entscheidung die Einkommensteuerbescheide 2018 und 2019 mit dem geänderten Inhalt neu bekanntgeben (§ 100 Abs. 2 Sätze 2 und 3 FGO).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 136, 137 Satz 1 FGO. Eine verhältnismäßige Verteilung der Kosten kam im Streitfall nicht in Betracht, da die Kläger die Unterlagen für die Änderungen zu ihren Gunsten in den zuvor ergangenen Änderungsbescheiden und im vorliegenden Urteil erst im Klageverfahren vorgelegt haben. Das beklagte Finanzamt hatte bereits im Vorfeld der mündlichen Verhandlung schriftsätzlich mitgeteilt, dass die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung des Objekts S-Str, I, wie von den Klägern in der mündlichen Verhandlung beantragt, berücksichtigt werden. Daher brauchte das Gericht hierüber nicht mehr streitig entscheiden.