Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 25.02.2014, Az.: 1 A 267/12

Bewohner frei; Fußgängerzone; Kraftfahrzeugverkehr; Parken; Verkehr; Verkehrsbeschränkung

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
25.02.2014
Aktenzeichen
1 A 267/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2014, 42699
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Mit dem Zusatzschild Bewohner frei zu dem Verkehrszeichen 242.1 der Anlage 2 zur StVO Beginn einer Fußgängerzone werden die Bewohner der Fußgängerzone uneingeschränkt von den Verkehrsänderungen für den Kraftfahrzeugverkehr in einer Fußgängerzone befreit.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen einen Gebührenbescheid der Beklagten.

Sie ist Halterin des Fahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen XXX-XX XXX. Das Fahrzeug wird überwiegend von ihrem Sohn F. C. genutzt, der sie auch im vorliegenden Verfahren vertritt. Bereits 2011 stellte die Beklagte fest, dass das Fahrzeug regelmäßig in der Fußgängerzone von E. in den Straßen K. /L. geparkt wurde, wo die Klägerin auch wohnt (D.). Der Beginn der Fußgängerzone ist mit dem Verkehrszeichen 242.1 der Anlage 2 zur Straßenverkehrsordnung  - Beginn einer Fußgängerzone - und einem Zusatzschild mit der Aufschrift “Radfahrer frei, Bewohner frei, Lieferverkehr frei“ beschildert. Die Klägerin verfügt für ihr Fahrzeug weder über eine Ausnahmegenehmigung zum Parken in der Fußgängerzone nach der Straßenverkehrsordnung noch über eine straßenrechtliche Sondernutzungserlaubnis, die ihr das Parken dort gestatten würde. Mit Schreiben vom 23.11.2011 forderte die Beklagte den Sohn der Klägerin zum wiederholten Mal vergeblich auf, für das Fahrzeug eine Ausnahmegenehmigung vom Parkverbot in der Fußgängerzone vorzulegen. Mit Schreiben vom 20.03.2012 wies sie die Klägerin darauf hin, dass ihr Fahrzeug seit längerer Zeit in der Straße K. im Fußgängerbereich von E. geparkt sei. Eine hierfür notwendige Ausnahmegenehmigung zum Parken im Fußgängerbereich sei bis heute nicht vorgelegt worden. Aufgrund des unberechtigten Parkens liege nicht nur ein Verstoß gegen das Straßenverkehrsrecht vor, sondern auch eine gebührenpflichtige Sondernutzung nach §§ 18 Abs. 1, 21 Niedersächsisches Straßengesetz. Da die Klägerin über keine Sondernutzungserlaubnis verfüge, werde sie aufgefordert, ihr Fahrzeug unverzüglich aus dem Fußgängerbereich K. zu entfernen. Mit Bescheid vom 12.10.2012 setzte die Beklagte gegenüber der Klägerin für 46 Tage, an denen ihr Fahrzeug unerlaubt im Fußgängerbereich K. abgestellt gewesen sei, eine Sondernutzungsgebühr von insgesamt 368,00 Euro (8 Euro pro Tag) fest.

Hiergegen hat die Klägerin am 06.11.2012 Klage erhoben.

Sie ist der Ansicht, das Parken in der Fußgängerzone sei ihr als Anwohnerin nach der Straßenverkehrsordnung gestattet. Das Verkehrszeichen 242.1 verbiete anderen Verkehrsteilnehmern als Fußgängern nur dann die Benutzung der Fußgängerzone, wenn durch Zusatzzeichen nicht etwas anderes geregelt sei. Im vorliegenden Fall regle das Zusatzzeichen Radfahrer, Lieferverkehr und Bewohner frei, dass Bewohner der Fußgängerzone diese befahren und dort parken dürften. Da das Parken nach der Straßenverkehrsordnung zulässig sei, dürfe keine Sondernutzungsgebühr erhoben werden.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 12.10.2012 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Entgegen der Ansicht der Klägerin gestatte das Zusatzschild „Bewohner frei“ am Beginn des streitbefangenen Fußgängerbereichs den Bewohnern dieser Zone nicht das unbegrenzte Parken dort, sondern lediglich einen gesteigerten Anliegergebrauch. Dieser erstrecke sich auf die notwendige Verbindung des Grundstücks mit dem öffentlichen Straßennetz und umfasse das Befahren und Halten, aber nicht das dauerhafte Parken. Rechtsgrundlage für die festgesetzte Gebühr sei die Sondernutzungsgebührensatzung der Beklagten vom 15.03.1994 in der aktuellen Fassung. Nach § 5 Absatz 1 2. Halbsatz der Satzung entstehe die Gebührenschuld für die ausgeübte Sondernutzung vor Erlaubniserteilung mit deren Beginn.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und den vom Gericht beigezogenen Verwaltungsvorgang Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat Erfolg.

Der Bescheid der Beklagten vom 12.10.2012 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten; er ist deshalb aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Beklagte stützt die angefochtene Gebührenfestsetzung auf §§ 21, 18 Abs. 1 Satz 1 Niedersächsisches Straßengesetz – NStrG – und ihre Sondernutzungsgebührensatzung in der maßgeblichen Fassung. Nach § 18 Abs.1 Satz 1 NStrG ist die Benutzung der Straße über den Gemeingebrauch hinaus Sondernutzung. Nach § 21 Satz 1 NStrG können für Sondernutzungen Sondernutzungsgebühren erhoben werden. Nach Satz 4 können die Landkreise und Gemeinden die Gebühren durch Satzung regeln, soweit ihnen die Sondernutzungsgebühren zustehen. Die Beklagte darf demnach nur dann Sondernutzungsgebühren von der Klägerin erheben, wenn das Parken von Bewohnern der Straßen K. /L. in diesen Straßen nicht zum Gemeingebrauch zählt, sondern Sondernutzung ist. Dies ist nicht der Fall.

§ 14 Abs. 1 NStrG definiert den Gemeingebrauch an einer Straße. Nach Satz 1 umfasst der Gemeingebrauch den Gebrauch der Straße für jedermann im Rahmen der Widmung und der Verkehrsvorschriften zum Verkehr. Nach Satz 3 liegt kein Gemeingebrauch vor, wenn jemand die Straße nicht vorwiegend zum Verkehr, sondern zu anderen Zwecken benutzt. Unter Verkehr im engeren Sinne ist jede Straßenbenutzung in der Absicht der Ortsveränderung durch Gehen, Fahren oder Reiten zu verstehen, wobei das Gesetz den ruhenden Verkehr einschließt (Wendrich, Niedersächsisches Straßengesetz, 4. Auflage, § 14 Rn. 2). Die Straßen K. /L., in denen das Fahrzeug der Klägerin regelmäßig geparkt ist, sind von der Beklagten als Fußgängerzone gewidmet, sodass – wie durch das Verkehrszeichen 242.1 geregelt – anderer als Fußgängerverkehr die Fußgängerzone nicht benutzen darf, es sei denn, die Benutzung der Fußgängerzone ist für eine andere Verkehrsart durch Zusatzzeichen erlaubt (s. Erläuterung zu Zeichen 242.1, lfd. Nr. 21 der Anlage 2 zur StVO). Letzteres ist hier der Fall. Die Beklagte hat im Rahmen ihrer Widmung die Bewohner der Fußgängerzone von den Verkehrsbeschränkungen in einer Fußgängerzone befreit, was durch das Zusatzschild (§ 39 Abs. 3 StVO) „Bewohner frei“ straßenverkehrsrechtlich dementsprechend geregelt ist. Soweit die Beklagte die Bewohner der Fußgängerzone lediglich vom Verbot des fließenden und nicht auch vom Verbot des ruhenden Kraftfahrzeugverkehrs in einer Fußgängerzone befreien wollte, kommt dies in der Formulierung „Bewohner frei“ nicht zum Ausdruck, denn nach deren Wortlaut gilt die Befreiung uneingeschränkt.  Demzufolge umfasst der Gemeingebrauch an den Straßen K. /L. für die Bewohner dieser Straßen nicht nur den unbeschränkten Fußgänger-, sondern auch den unbeschränkten Kraftfahrzeugverkehr. Da der Kraftfahrzeugverkehr den ruhenden Verkehr einschließt, dürfen die Bewohner der Straßen K. /L. auch dort parken. Es handelt sich deshalb um keine Sondernutzung im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 1 NStrG, wenn die Klägerin ihr Fahrzeug in der Fußgängerzone parkt. Die Beklagte durfte deshalb auch keine Sondernutzungsgebühren von der Klägerin  erheben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.