Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 09.07.2014, Az.: 1 A 8170/13
Fristversäumnis; Neuerlass; vorsätzlich; Wiedereinsetzung
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 09.07.2014
- Aktenzeichen
- 1 A 8170/13
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2014, 42524
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 109 VwGO
- § 60 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Wenn eine Behörde den Adressaten eines belastenden Verwaltungsakts dadurch von der Beschreitung des Rechtswegs abhält, dass sie ihm durch Zusage eines späteren Neuerlasses des Bescheides nach dem Scheitern von Einigungsbemühungen die Motivation zur rechtzeitigen Klageerhebung nimmt, ist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand trotz vorsätzlicher Fristversäumnis nicht ausgeschlossen, wenn das Vertrauen auf die behördliche Zusage enttäuscht wird.
Tenor:
Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Frist zur Erhebung der Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 29. November 2012 (Kassenzeichen 60.017992.6) gewährt.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich im vorliegenden Verfahren gegen die Erhebung von Straßenreinigungsgebühren für die Jahre 2010 bis 2012. Weitere anhängige Klageverfahren des Klägers beziehen sich auf die Folgejahre 2013 (1 A 5054/14) und 2014 (1 A 1557/14). Der Kläger repräsentiert als Vorsitzender des E. eine größere Zahl von Landwirten.
Die Klageerhebung gegen zwei Bescheide über die Erhebung von Gebühren für Straßenreinigung nebst Winterdienst vom 29. November 2012 und vom 23. Dezember 2013 ist am 23. Dezember 2013 erfolgt. Der Bescheid vom 29. November 2012 betrifft eine Gebührenerhebung für die Jahre 2010 bis 2012. Die Abrechnung in einer Summe auch für die Vorjahre beruht darauf, dass die Beklagte Straßenreinigungsgebühren erstmals für das Jahr 2010 eingeführt hatte, eine von ihr selbst als tragfähig angesehene Neukalkulation aber erst im Laufe des Jahres 2012 fertiggestellt wurde. Der Bescheid vom 23. Dezember 2013 betrifft die Gebühren für das Jahr 2013. Dieser Bescheid ersetzte den ursprünglichen Gebührenbescheid für das Jahr 2013 vom 11. Januar 2013. Im Zuge des Erlasses des Bescheides vom 23. Dezember 2013 erklärte die Beklagte schriftlich, dass im Falle des Obsiegens in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren das Ergebnis auch auf den bestandskräftigen Abgabenbescheid über die Straßenreinigungsgebühren für die Jahre 2010 bis 2012 übertragen würde. Die angegriffenen Gebührenbescheide beruhen jeweils auf unterschiedlichem Satzungsrecht, da zum 1. Januar 2013 eine neue Gebührensatzung in Kraft getreten ist. Sowohl gegen das sich für die Jahre 2010 bis 2012 Geltung beimessende Satzungsrecht (vom Rat der Beklagten am 20. September 2012 mit Geltung jeweils zum 1. Januar der Jahre 2010, 2011 und 2012 beschlossen und am 10. Oktober 2012 veröffentlicht) als auch gegen die ab 2013 maßgebliche Satzung (vom Rat der Beklagten am 13. Dezember 2012 beschlossen und am 21. Dezember 2012 veröffentlicht) ist bei dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht seit dem 14. Oktober 2013 ein Normenkontrollverfahren anhängig (9 KN 288/13). Antragsteller in dem Normenkontrollverfahren ist der Kläger.
Am 21. Dezember 2012 fand anlässlich der für die Jahre 2010 bis 2012 ergangenen Gebührenbescheide zwischen Vertretern der Beklagten - u. a. dem damaligen Ersten Stadtrat und späteren Bürgermeister - und des E. - u. a. dem Kläger - eine Besprechung statt. Erörtert wurden hinsichtlich verschiedener sachlicher Einwände Möglichkeiten der außergerichtlichen Überprüfung, des Neu-erlasses von Gebührenbescheiden und die Durchführung eines Musterverfahrens. Der Landvolkkreisverband hatte zu der Besprechung ein Protokoll gefertigt und der Beklagten noch am selben Tage per E-Mail übermittelt. Die Beklagte stimmte mit E-Mail vom 16. Januar 2013 dem Protokoll zu. Es enthält u. a. folgende Passagen:
"Hinsichtlich der […] im Einzelnen erhobenen Einwände wurde je nach Fallgruppe das Folgende erörtert und seitens der F. zugesichert:
[…]
2. Frontmeter nicht korrekt ermittelt
Auch diesen Einwand würde die F. außergerichtlich noch einmal überprüfen. Im Falle der bislang ergangenen Bescheide erließe sie jedoch keinen neuen Bescheid, wenn das Ergebnis ihrer Überprüfung negativ ausfällt. Jedoch bietet die Stadt an, die in Kürze ergehenden Bescheide für das Jahr 2013 in Bezug auf den Einwand […] außergerichtlich zu überprüfen und ggf. abzuändern oder im Falle eines negativen Ergebnisses einen neuen Bescheid zu erlassen, so dass der Betroffene wiederum fristgemäß Klage erheben kann. Das Ergebnis der außergerichtlichen oder gerichtlichen Überprüfung des Frontmetermaßstabs würde die Stadt auch auf die für die Vergangenheit ergangenen Bescheide hinsichtlich der Jahre 2010 bis 2012 übernehmen.
3. Geschlossene Ortslage / Erhebung für Flächen mit halbseitiger Bebauung am Ortsrand
Hier hat die Stadt angeboten, dass ihr das Landvolk eine Zusammenstellung der aus seiner Sicht vergleichbaren Fälle vorlegt und ein Verfahren vor dem Verwaltungsgericht als Musterverfahren zu benennen, in welchem Klage erhoben wird. Das Ergebnis des Klageverfahrens soll auch für die als übereinstimmend als vergleichbar angesehenen Fälle gelten, ohne dass jeder in der Fallgruppe Betroffenen Klage erheben müsste. Verneint die F. die Vergleichbarkeit, so erlässt sie in den davon betroffenen Fällen einen neuen Bescheid, so dass der Betroffene auf jeden Fall fristgemäß Klage erheben kann."
Kurz vor Ablauf der Klagefrist bezüglich des an den Kläger gerichteten Gebührenbescheides teilte der Landvolkkreisverband der Beklagten mit E-Mail vom 27. Dezember 2012 einige aus dessen Sicht vergleichbare Fälle u. a. hinsichtlich der Problematik der Heranziehung von Ackerflächen in Bereichen einseitiger Bebauung mit, wies auf den nahen Ablauf der Klagefrist hin und erinnerte an die Abrede zur Durchführung eines Musterverfahrens und für den Fall verneinter Vergleichbarkeit an die Zusicherung, neue Bescheide zu erlassen. Zudem wurde eine abschließende Aufstellung vergleichbarer Fälle angekündigt. Es wurde um Mitteilung gebeten, ob Einverständnis mit der Vorgehensweise bestehe. Darauf reagierte die Beklagte zunächst nicht.
Die nach dem Protokoll zur Besprechung vom 21. Dezember 2012 zu erstellende Liste der vergleichbaren (14) Fälle mit gegenüberliegender Bebauung wurde der Beklagten nach Darstellung des G. mit E-Mails vom 4. Juni 2013, vom 24. September 2013, per Post am 14. Oktober 2013 und nochmals per E-Mail vom 12. Dezember 2013 übermittelt. In der E-Mail vom 4. Juni 2013 bat der H. zugleich um Zusage, sich in sämtlichen Fällen dem Ergebnis eines einzigen Klageverfahrens zu unterwerfen, wie es in der Besprechung vom 21. Dezember 2012 vereinbart worden sei. Die Beklagte reagierte unter dem 31. Oktober 2013 mit der Mitteilung, dass aufgrund erheblichen Arbeitsanfalls die Prüfung für die Musterklage noch nicht habe erfolgen können. Es werde aber eine Prüfung und der Abschluss einer Vereinbarung kurzfristig angestrebt. Angesichts des Normenkontrollverfahrens stelle sich aber die Frage, ob nicht zunächst der Ausgang dieses Verfahrens abgewartet werden solle. Mit weiterem Schreiben vom 21. November 2013 teilte die Beklagte dem H. mit, dass es nach den Regelungen der Abgabenordnung leider nicht zulässig sei, einen Bescheid mit der Absicht aufzuheben, ihn in gleicher Höhe neu zu erlassen. Es bestünde stattdessen die Möglichkeit, gegen den Jahresabgabenbescheid für 2014 Klage zu erheben. Es werde um Mitteilung gebeten, wie verfahren werden solle. In der E-Mail vom 12. Dezember 2013 bat dann der H., dem Kläger als ausgewähltem Musterkläger für den Zeitraum 2010 bis 2012 sowie für das Jahr 2013 neue Bescheide zu erteilen.
Am 16. Dezember 2013 teilte der Bürgermeister der Beklagten dem Prozessbevollmächtigten des Klägers telefonisch mit, dass der Bescheid vom 29. November 2012 nicht aufgehoben würde und keine Neubescheidung erfolge. Einen neuen Bescheid erteilte die Beklagte dementsprechend unter dem 23. Dezember 2013 - wie eingangs bereits dargestellt - nur für das Jahr 2013, nicht aber für die Vorjahre. Insoweit beschränkte sich die Beklagte auf eine Zusage der Übertragung des für das Jahr 2013 erzielten Ergebnisses eines Klageverfahrens.
Der Kläger macht zur Begründung seines zeitgleich mit Klageerhebung am 23. Dezember 2013 gestellten Wiedereinsetzungsantrags hinsichtlich des Bescheides vom 29. November 2012 geltend, dass er auf die bei der Besprechung am 21. Dezember 2012 geäußerte Zusicherung der Beklagten vertraut habe, dass im Falle des Scheiterns von außergerichtlichen Einigungsbemühungen der bestandskräftig gewordene Bescheid durch einen neu zu erlassenden rechtsmittelfähigen Bescheid zum Zwecke der Klageerhebung ersetzt würde. Nach dem Schreiben der Beklagten vom 31. Oktober 2013 habe der zuständige Fachdienstleiter der Beklagten telefonisch am 12. November 2013 zugesichert, den Vorgang dem Bürgermeister vorzulegen, der dann entsprechend der Vereinbarungen vom 21. Dezember 2012 die ursprünglichen Bescheide aufheben und neue Bescheide erlassen würde. Das Schreiben vom 21. November 2013 habe den Kläger überrascht; er habe annehmen müssen, dass die ursprüngliche Absprache in Vergessenheit geraten sei, so dass er sich unmittelbar an den Bürgermeister der Beklagten gewandt habe. Dieser habe ihm dann am 16. Dezember 2013 telefonisch mitgeteilt, dass der Bescheid vom 29. November 2012 (doch) nicht durch einen gleichlautenden Bescheid ersetzt werde. Erst ab diesem Zeitpunkt habe die Frist für den Wiedereinsetzungsantrag zu laufen begonnen.
Der Kläger beantragt,
ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Frist zur Erhebung der Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 29. November 2012 (Kassenzeichen 60.017992.6) zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
den Wiedereinsetzungsantrag abzulehnen und die Klage abzuweisen.
Die Beklagte entgegnet, dass der Wiedereinsetzungsantrag selbst bei Annahme einer Verhinderung zur rechtzeitigen Klageerhebung infolge mündlicher Zusagen des Ersten Stadtrates und des zuständigen Fachdienstleiters nicht fristgerecht gestellt worden sei. Die Beklagte habe nämlich in zwei Schreiben vom 25. September 2013 und vom 4. Oktober 2013 auf die Bestandskraft des Bescheides vom 29. November 2012 und auf die Rechtmäßigkeit der Veranlagung hingewiesen. Die letztmalige und auf Anfrage des Klägers erfolgte Mitteilung, dass eine Aufhebung des Bescheides nicht mehr erfolge, sei demgegenüber nicht maßgeblich. Anderenfalls läge es in der Hand des Klägers, durch wiederholte Anfrage bei der Beklagten die Frist des § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO immer wieder erneut in Gang zu setzen. Jedenfalls mit Einreichung des Normenkontrollantrages beim Oberverwaltungsgericht habe aber die Wiedereinsetzungsfrist zu laufen begonnen. Der Kläger habe nämlich erkennen können und müssen, dass es ihm wegen des bestandskräftigen Bescheides für die Jahre 2010 bis 2012 an dem für die Durchführung des Normenkontrollverfahrens notwendigen Rechtsschutzinteresse mangele. Das Schreiben vom 31. Oktober 2013 beziehe sich nicht auf die konkrete Gebührenveranlagung des klägerischen Grundstücks. Der Fachdienstleiter habe im Telefonat vom 12. November 2013 nicht zugesagt, dass der Bürgermeister die Bescheide aufheben werde; es sei nur zugesagt worden, das Ansinnen dem Bürgermeister zur Entscheidung vorzulegen. Schließlich sei auch das Schreiben vom 21. November 2013 sehr wohl aussagekräftig. Abgesehen davon fehle es aufgrund der Zusage der Beklagten vom 23. Dezember 2013 zur Übertragung des Ergebnisses des Rechtsstreits bezüglich des Jahres 2013 auf die Vorjahre an einem Wiedereinsetzungsinteresse. Zudem überziehe der Kläger die von der Beklagten getätigten Zusagen. Es sei nicht vereinbart worden, dass die Beklagte die Voraussetzungen für die Durchführung eines Normenkontrollverfahrens schaffe.
Die Kammer hat mit Zwischengerichtsbescheid vom 3. April 2014 die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Die Beklagte hat am 29. April 2014 mündliche Verhandlung beantragt.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Dem Kläger ist durch Zwischenurteil antragsgemäß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
1. Über die zwischen den Beteiligten streitige Zulässigkeitsvoraussetzung der Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist kann nach § 109 VwGO durch Zwischenurteil vorab entschieden werden (vgl. Sodan/Ziekow, VwGO. 3. Aufl., § 109 Rn. 4-6 m. w. N.; demgegenüber Zwischenentscheidung nach § 173 Satz 1 i. V. m. § 303 ZPO befürwortend: Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl., § 109 Rn. 9; grundsätzlich keine Entscheidung durch Beschluss: VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 01.06.1990 - 7 S 851/90 -, juris Rn. 2 m. w. N.). Die Kammer hält eine solche Vorabentscheidung in Anbetracht des bei dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht anhängigen Normenkontrollantrags gegen die satzungsrechtlichen Grundlagen des angegriffenen Gebührenbescheides vom 29. November 2012 auch für zweckmäßig. Die Zulässigkeit dieses Normenkontrollantrags hat das Oberverwaltungsgericht offenbar im Hinblick auf die Bestandskraft des Bescheides in Frage gestellt, so dass eine sachliche Prüfung im Normenkontrollverfahren von der beantragten Wiedereinsetzung abhängen könnte. Das Ergebnis eines (zulässigen) Normenkontrollverfahrens hätte wiederum möglicherweise maßgebliche Konsequenzen für das vorliegende (und eine Vielzahl weiterer) Klageverfahren gegen einzelne Gebührenbescheide.
2. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen vor. Nach § 60 Abs. 1 VwGO ist demjenigen auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Der Antrag nach § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen.
a) Entgegen der Auffassung der Beklagten fehlt es nicht deshalb an einem Wiedereinsetzungsinteresse, weil sie die Übertragung des Ergebnisses des Klageverfahrens bezüglich des Bescheides für 2013 auf die Vorjahre 2010 bis 2012 zugesagt hatte. Die Beklagte berücksichtigt bei ihrer Argumentation nicht, dass sich bezüglich der Jahre 2010 bis 2012 schon deshalb andere Rechtsfragen stellen können, weil die Beitragserhebungen für 2010 bis 2012 einerseits und 2013 andererseits auf unterschiedlichen satzungsrechtlichen Bestimmungen beruhen. Für den Kläger hat daher eine Übertragung des Ergebnisses des Klageverfahrens für 2013 auf die Vorjahre 2010 bis 2012 möglicherweise nicht den gleichen Nutzen, wie eine eigenständige Entscheidung im Klageverfahren gegen den Bescheid vom 29. November 2012.
b) Der Kläger war nach Auffassung der Kammer ohne Verschulden verhindert, die Klagefrist des § 74 Abs. 1 VwGO einzuhalten; der Wiedereinsetzungsantrag wurde auch rechtzeitig gestellt. Im Einzelnen:
aa) Dass sich der Kläger auf eine mündliche Zusage des seinerzeitigen Ersten Stadtrats und jetzigen Bürgermeisters der Beklagten zu einem Neuerlass des Bescheides vom 29. November 2012 verlassen hat, hat eine unverschuldete Fristversäumnis zur Folge. Die offenbar im Rahmen des "Beschwerdemanagements" von der Verwaltungsspitze erteilte Zusage erfolgte ersichtlich sowohl im Interesse des Klägers als auch der Beklagten selbst, da am 21. Dezember 2012 zunächst weitere Verhandlungen vereinbart wurden und zugleich mehrere Klagen auch anderer Landwirte abgewendet werden konnten. Dem Kläger war damit zwar eine fristgerechte Klageerhebung nicht etwa aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen schlechterdings unmöglich; vielmehr hat er die Klagefrist aus einer subjektiven Motivlage heraus bewusst verstreichen lassen. Eine Wiedereinsetzung ist aber auch bei subjektiven Gründen für eine Fristversäumung nicht etwa ausgeschlossen (vgl. Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 60 Rn. 37). Dazu ist nach Auffassung der Kammer auch die Situation zu rechnen, in der eine Behörde den Adressaten eines belastenden Verwaltungsakts dadurch von der Beschreitung des Rechtswegs "abhält", dass sie ihm jegliche Motivation zur Klageerhebung innerhalb der Klagefrist nimmt. So liegt der Fall hier, so dass ein unverschuldetes Hindernis i. S. d. § 60 Abs. 1 VwGO anzunehmen ist. Der Kläger hatte infolge des Verhaltens der Beklagten nicht nur keine Rechtsnachteile bei einem (bewussten) Verstreichenlassen der Klagefrist befürchtet; er hätte sich vielmehr in Anbetracht der mit der Beklagten getroffenen Abrede über weitere Verhandlungen dieser gegenüber auch nicht redlich verhalten, wenn er gleichwohl innerhalb der Frist des § 74 Abs. 1 VwGO Klage erhoben hätte. Der Kläger durfte darauf vertrauen, dass sich die Beklagte im Falle des Scheiterns der vereinbarten Einigungsbemühungen ihrerseits an die Abrede halten würde - wie sie es bezüglich des Bescheides für das Jahr 2013 auch getan hat. Auf die Frage, ob es abgabenrechtlich zulässig ist, einen bereits erlassenen Abgabenbescheid zur Eröffnung der Klagemöglichkeit durch einen neuen Bescheid zu ersetzen, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Für ein unverschuldetes Hindernis zur rechtzeitigen Klageerhebung reicht es vielmehr aus, dass die Beteiligten eine solche Gestaltungsmöglichkeit offenbar übereinstimmend für gegeben hielten. Dass es an einer formwirksamen schriftlichen Zusicherung (§ 38 VwVfG) über einen Neuerlass der Bescheide fehlt, ist ebenfalls unerheblich. Der Kläger nimmt die Beklagte nicht - basierend auf einer Zusage - auf Neubescheidung zur Eröffnung der Klagemöglichkeit in Anspruch, sondern begehrt lediglich eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Im Zusammenhang mit der Wiedereinsetzung kommt es nur darauf an, ob der Kläger zunächst unverschuldet an einer rechtzeitigen Klageerhebung gehindert war.
Die vorliegende Situation ist mit einer solchen vergleichbar, in der behördlicherseits die Klagefrist verlängert worden ist. Zwar ist es richtig, dass Klagefristen nicht zur Disposition der Behörde oder des Bürgers stehen und deshalb eine von der Behörde nach einer dem Bescheid zunächst beigefügten ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung zu einem späteren Zeitpunkt gesondert ausgesprochene Klagefristverlängerung nicht geeignet ist, die gesetzliche Frist wirksam zu verlängern (vgl. VG Göttingen, Beschl. v. 10.06.2013 - 2 A 587/13 -, juris Rn. 4 - 7). Damit ist aber nicht auch eine Wiedereinsetzung ausgeschlossen. Vielmehr kommt auch im Falle des Vertrauens des Bürgers auf eine an sich rechtlich nicht mögliche Verlängerung der Rechtsbehelfsfrist durch ein Gericht oder eine Behörde eine Wiedereinsetzung in Betracht (vgl. Kopp/Schenke: VwGO, 18. Aufl., § 60 Rn. 12 Fn. 44). Die Beschränkung der Wiedereinsetzungsmöglichkeit auf Fälle, in denen durch ein Fehlverhalten der Stelle, der gegenüber die Frist einzuhalten ist, der Irrtum über den Lauf der Rechtsbehelfsfrist bestärkt wird (so etwa: VG Göttingen, a. a. O., juris Rn. 8 m. w. N.), hält die Kammer nicht für überzeugend. Aus Sicht des Bürgers ist es gleichgültig, ob sein Vertrauen auf eine mögliche Klageerhebung nach Ablauf der "regulären" Klagefrist durch ein gerichtliches oder ein behördliches Verhalten begründet wird. Diese Differenzierung ist nach Einschätzung der Kammer letztlich auf die (unzutreffende) Annahme zurückzuführen, dass zwar sehr wohl ein Gericht, nicht aber eine Behörde Einfluss auf den Lauf einer gesetzlichen und nicht verlängerbaren Frist bzw. auf die Folgen einer Fristversäumnis nehmen kann. Dem Gericht ist aber eine Disposition über die Klagefrist des § 74 Abs. 1 VwGO in gleicher Weise unmöglich, wie einer Behörde (vgl. § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 224 Abs. 2 ZPO). Bei einer Wiedereinsetzung geht es indessen gerade nicht um eine Disposition über die Klagefrist, sondern um ein unverschuldetes Hindernis, diese Frist einzuhalten. Warum nicht auch ein behördliches Verhalten gegenüber dem Bürger ein solches unverschuldetes Hindernis zur Folge haben können soll, erschließt sich der Kammer nicht. Ob das entsprechende Verhalten der Behörde in einer Verlängerung der Klagefrist oder in der Zusage des Neuerlasses des Bescheides zur Wiedereröffnung der Klagemöglichkeit besteht, ist aus Sicht der Kammer ähnlich zu bewerten. Bei einer Verlängerung der Klagefrist dürfte indessen ein Verschulden eher anzunehmen sein als bei der Zusage des Neuerlasses eines Bescheides: Dass eine Behörde eine gesetzliche Klagefrist nicht wirksam verlängern kann, dürfte - etwa für einen anwaltlich vertretenen Rechtsschutzsuchenden - relativ leicht als Irrtum zu erkennen sein. Bei einem zugesagten Neuerlass des Bescheides ist demgegenüber keineswegs erkennbar, dass es trotz dieses behördlichen Verhaltens im Ergebnis bei der ursprünglichen Klagefrist bleiben wird.
Für die von der Kammer vertretene Sichtweise spricht im Übrigen folgende Erwägung, die sich gerade auch anhand der vorliegenden Konstellation nachvollziehen lässt: Es wäre wenig einleuchtend, der Behörde einerseits die Möglichkeit zuzugestehen, durch (schlichten) Neuerlass eines Bescheides ohne aus ihrer Sicht gegebenen materiell-rechtlichen Änderungsbedarf den Zugang zum Gericht neu zu eröffnen, zugleich aber im Falle der Nichteinhaltung einer entsprechenden Zusage dem in seinem Vertrauen enttäuschten Bürger eine Wiedereinsetzungsmöglichkeit schon im Ansatz zu verwehren. Würde man eine Wiedereinsetzungsmöglichkeit verneinen, müsste man konsequenterweise auch die Klagemöglichkeit gegen einen ersetzenden Bescheid mit dem Argument ablehnen, dass der Ursprungsbescheid schon in Bestandskraft erwachsen sei. Letzteres dürfte indes nicht ernstlich vertreten werden können, da der Adressat sich schließlich einer neuen (belastenden) Regelung ausgesetzt sieht. Die mithin wohl anzuerkennende "Steuerungsmöglichkeit" der Behörde hinsichtlich der (Wieder-)Eröffnung des Rechtswegs erfordert deshalb nach Auffassung der Kammer eine Wiedereinsetzungsmöglichkeit in Fällen, in denen die Behörde eine zugesagte "Steuerung" letztlich unterlässt. Aus diesen Gründen gehört die vorliegende Fallkonstellation auch gerade nicht zu den typischen Fällen, in denen wegen einer "vorsätzlichen Fristversäumung" eine Wiedereinsetzung ausgeschlossen ist (vgl. zur "vorsätzlichen Fristversäumung" bei Irrtum über die Erfolgsaussichten: Nds. OVG, Beschl. v. 20.11.2007 - 2 LA 626/07 -, juris; Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 60 Rn. 42).
bb) Das mithin zu bejahende unverschuldete Hindernis für eine fristgemäße Klageerhebung ist nach Auffassung der Kammer (frühestens) am 16. Dezember 2013 entfallen. Erst zu diesem Zeitpunkt konnte der Kläger hinreichend klar erkennen, dass sein Vertrauen auf den von der Leitungsebene der Beklagten zugesagten Neuerlass des Bescheides letztlich enttäuscht werden würde.
Das Hindernis für die Klageerhebung ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht etwa bereits infolge ihrer Schreiben vom 25. September 2013 und vom 4. Oktober 2013 weggefallen, in denen auf die aus Sicht der Beklagten gegebene Rechtmäßigkeit der Veranlagung nach erneuter Überprüfung hingewiesen wurde, wobei das Schreiben vom 25. September 2013 zudem den Satz enthält: "Beide Bescheide sind bestandskräftig". Diese Schreiben enthalten nach ihrem für den Kläger erkennbaren Erklärungsgehalt indessen lediglich eine Positionierung der Beklagten im Rahmen der vereinbarten Verhandlungen; der Kläger konnte diesen Schreiben keineswegs entnehmen, dass sich die Beklagte nicht mehr an die Abrede würde halten wollen und einen Neuerlass des Bescheides vom 29. November 2012 verweigern würde. In den genannten Schreiben wurde eine entsprechende Aussage nicht getroffen; es wurde lediglich das Ergebnis der Überprüfung der bestandskräftigen Bescheide vom 29. November 2012 und 11. Januar 2013 mitgeteilt. Dass die Bescheide bestandskräftig geworden waren, war zu diesem Zeitpunkt keine neue Information, sondern allen Beteiligten längst klar. Das Vertrauen des Klägers auf einen Neuerlass zur Eröffnung der Klagemöglichkeit nach Scheitern der Verhandlungen konnte durch die bloße Mitteilung dessen, was ohnehin allen bewusst war, noch nicht erschüttert werden.
Entsprechendes gilt auch hinsichtlich der (im Verwaltungsvorgang nicht enthaltenen) Schreiben der Beklagten vom 31. Oktober und 21. November 2013. Eine abschließende Positionierung der Beklagten dahingehend, dass sie sich nicht an die Abrede halten würde, war auch diesen Schreiben nicht zu entnehmen. Das Schreiben vom 31. Oktober 2013 lässt vielmehr das Bestreben der Stadt erkennen, sich an die Vereinbarung vom 21. Dezember 2012 halten zu wollen, indem eine Vereinbarung zu einer Musterklage getroffen wird. Auch das am 12. November 2013 geführte Telefonat, in dem unstreitig zugesagt wurde, dass dem Bürgermeister der Vorgang vorgelegt werde, konnte für den Kläger keineswegs erkennen lassen, dass es nicht zu einem Neuerlass des streitgegenständlichen Bescheides kommen würde. Die Kammer teilt die Auffassung des Klägers, dass das Schreiben vom 21. November 2013, mit dem auf die Unzulässigkeit eines Neuerlasses und die Möglichkeit einer Klage gegen den Bescheid für 2014 verwiesen wurde, vor diesem Hintergrund eher überraschend erscheinen musste. Da sich die Beklagte letztlich aber in dem Schreiben erkundigte, "ob so verfahren werden soll", konnte auch hier der Kläger nicht erkennen, dass endgültig von der früheren Zusicherung abgerückt werden sollte. Das unverschuldete Hindernis ist i. S. d. § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO vielmehr erst entfallen, nachdem der Kläger endgültig erfahren hatte, dass ein Neuerlass nicht vorgenommen würde. Dies war frühestens infolge des Telefonats mit dem Bürgermeister der Beklagten vom 16. Dezember 2013 der Fall. Das Ergebnis dieses Gesprächs wurde dann offensichtlich auch verwaltungsmäßig umgesetzt, nämlich dadurch, dass unter dem 23. Dezember 2013 zwar der Bescheid für 2013 durch einen neuen Bescheid ersetzt wurde, nicht aber der Bescheid für die Jahre 2010 bis 2012. Aufgrund der frühestens seit dem 16. Dezember 2013 laufenden Frist des § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist der zeitgleich mit Klageerhebung gestellte Wiedereinsetzungsantrag rechtzeitig erfolgt.
Dass demgegenüber die Wiedereinsetzungsfrist schon mit der Einreichung des Normenkontrollantrags durch den Kläger zu laufen begonnen haben soll - wie die Beklagte erstmals nach Ergehen des Gerichtsbescheides geltend macht -, hält die Kammer nicht für überzeugend. Der Kläger hat lediglich - kurz vor Ablauf der Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO - um effektiven Rechtsschutz auch unmittelbar gegen das maßgebliche Satzungsrecht nachgesucht. Dass die Beklagte sich deshalb nach Art eines "Wegfalls der Geschäftsgrundlage" nicht mehr an die Vereinbarungen vom 21. Dezember 2012 würde halten wollen, fällt nicht in seine (Verschuldens-)Sphäre und war zudem - gerade auch in Anbetracht des Schreibens vom 31. Oktober 2013 - weder sogleich noch zu einem späteren Zeitpunkt vor dem 16. Dezember 2013 klar erkennbar. Bis zu diesem Zeitpunkt, zu dem sich die Leitungsebene der Beklagten abschließend positioniert hatte, war das zu erwartende Verhalten der Beklagten im Hinblick auf den zugesagten Neuerlass aus Sicht des Klägers jedenfalls noch "in der Schwebe". Durch die Stellung des Normenkontrollantrags hat der Kläger auch nicht etwa selbst einen Umstand herbeigeführt, der ein unverschuldetes Hindernis bereits zu diesem Zeitpunkt hätte entfallen lassen. Die Stellung des Normenkontrollantrags durch den Kläger hat nichts mit dem Verhalten der Beklagten zu tun, aus dem das anzuerkennende unverschuldete Hindernis zur rechtzeitigen Klageerhebung rechtlich abzuleiten ist - nämlich gerade aus den erteilten Zusagen. Diese sind auch nicht etwa durch die Antragstellung beim Oberverwaltungsgericht gleichsam automatisch obsolet geworden. Abgesehen davon hält die Kammer die der Argumentation der Beklagten zugrunde liegende Annahme, bei einem bestandskräftig gewordenen Abgabenbescheid entfalle stets das Rechtsschutzbedürfnis für einen Normenkontrollantrag gegen das dem Bescheid zugrunde liegende Satzungsrecht, nicht für zwingend. Zwar stellt wohl die Unwirksamkeitserklärung einer Rechtsnorm durch ein Oberverwaltungsgericht keinen Wiederaufgreifensgrund nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG dar (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs: VwVfG, 8. Aufl., § 51 Rn. 100; Kopp/Ramsauer: VwVfG, 10. Aufl., § 51 Rn. 30 m. w. N.). Eine Unwirksamkeitserklärung der angegriffenen Rechtsnorm könnte die Rechtsstellung des Antragstellers aber gegebenenfalls dadurch verbessern, dass sich die Beklagte möglicherweise nach Abschluss des Normenkontrollverfahrens zu einer nachträglichen Korrektur auch bestandskräftig gewordener Bescheide entschließen könnte. Jedenfalls hält es die Kammer für verfehlt, hier den Wegfall des unverschuldeten Hindernisses i. S. d. § 60 VwGO an den Zeitpunkt der Antragstellung im Normenkontrollverfahren anzuknüpfen und ihn damit zugleich von dem eigentlich maßgeblichen Verhalten der Beklagten "abzukoppeln".
Die Kammer kann sich letztlich nicht gänzlich des Eindrucks erwehren, dass die nur teilweise erfolgte Einhaltung der Zusagen aus der Besprechung vom 21. Dezember 2012 eine Art "Retourkutsche" darstellen sollte, weil der Kläger sich zur Durchführung eines Normenkontrollverfahrens entschlossen hatte, womit die Beklagte wohl nicht gerechnet hatte. Es ist jedoch nach Auffassung der Kammer schon im Ansatz verfehlt, aus einer solchen berechtigten Interessenwahrnehmung negative Schlüsse zu ziehen. Es kann daher nicht die Rede davon sein, dass der Kläger nunmehr hinsichtlich der von der Beklagten gemachten Zusagen "überziehe".