Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 14.07.2014, Az.: 10 A 226/13
Beweissicherungs- und Dokumentationstrupp; Bild- und Tonaufzeichnung; Bild- und Tonübertragung; Echtzeitübertragung; Mastkamera; Versammlung; unübersichtliche Versammlung; innere Versammlungsfreiheit; Videobeobachtung
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 14.07.2014
- Aktenzeichen
- 10 A 226/13
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2014, 42526
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- Art 8 Abs 1 GG
- § 12 Abs 2 VersammlG ND
- § 12 Abs 1 VersammlG ND
- § 43 Abs 1 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Sind trotz hoher Wahrscheinlichkeit des friedlichen Verlaufs einer Versammlung Störungen durch Sachbeschädigungen, Gewaltdelikte, Flaschenwürfe u.ä. denkbar, ist das Vorhalten eines mit einer Mastkamera ausgestatteten Fahrzeugs des polizeilichen Beweissicherungs- und Dokumentationstrupps vor Ort legitim.
2. Das Vorhalten einer auch nur teilausgefahrenen Mastkamera, durch die bei den Versammlungsteilnehmern der Eindruck erweckt werden kann, beobachtet oder gefilmt zu werden, ist nur bei Vorliegen einer Gefahr zulässig, bei der Bild- und Tonübertragungen oder Bild- und Tonaufzeichnungen nach § 12 NVersG erlaubt sind.
Tenor:
Es wird festgestellt, dass das Vorhalten einer ausgefahrenen Mastkamera bei der friedlichen Zwischenkundgebung in Bückeburg durch die Beklagte am 21.01.2012 rechtswidrig war.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Vorhaltens einer ausgefahrenen Mastkamera auf einem Einsatzfahrzeug der Polizei bei einer Kundgebung in Bückeburg.
Der Kläger nahm am 21.01.2012 an einer Versammlung zum Thema „Farbe bekennen - Für Demokratie und Vielfalt in Bückeburg“ des breit angelegten Bündnisses Copy & Paste teil, die im Internet auch unter der Überschrift „Same Shit. Different year - kein Rückzugsraum für Nazis“ beworben wurde. Nach dem Einsatzbefehl der Polizeiinspektion Nienburg anlässlich dieser Versammlung war mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem friedlichen und geordneten Verlauf der Demonstration auszugehen und die Begehung von versammlungstypischen Straftaten eher unwahrscheinlich. Allerdings ging die Polizeiinspektion Nienburg auch davon aus, dass neben bürgerlichem Klientel und linksmotivierten jungen Antifaschisten auch bis zu 50 gewaltgeneigte (linke) Szeneangehörige an der Versammlung teilnehmen würden und dass Angehörige der regionalen rechten Szene (Nationale Sozialisten Bückeburg) ggfs. allein durch ihre Anwesenheit provozieren würden. Ausweislich des „Abschlussfernschreibens versammlungsrechtliche Aktion in Bückeburg vom 21.01.2012“ begann die friedlich verlaufene Versammlung mit ca. 500 Teilnehmern gegen 14.25 Uhr und endete gegen 16.13 Uhr.
Mit Schreiben vom 06.09.2012 forderte der Kläger die Beklagte dazu auf festzustellen, dass das Filmen der Zwischenkundgebung bei der Versammlung am 21.01.2012 gegen 15.30 Uhr rechtswidrig gewesen sei und die Bildaufnahmen zu vernichten seien. Auf die Mitteilung der Beklagten, dass bei dem Einsatz am 21.01.2012 keine Bild- und Tonaufnahmen gefertigt worden seien und durch den Beweis- und Dokumentationstrupp lediglich die Einsatzbereitschaft der Mastkamera mittels Montage auf dem Dach des Einsatzfahrzeugs hergestellt worden sei, wies der Kläger mit Schreiben vom 06.11.2012 darauf hin, dass das Vorhalten einsatzbereiter Videokameras wie die Kameraaufzeichnung abschreckende Wirkung auf die Versammlungsteilnehmer habe und dies ebenfalls rechtswidrig sei.
Der Kläger hat am 08.01.2013 zunächst einen isolierten Prozesskostenhilfeantrag gestellt und nach Rücknahme des Antrags mit Schriftsatz vom 21.05.2013 unbedingt Klage erhoben. Ihm sei bei der Versammlung am 21.01.2012 gegen 15.30 Uhr ein weißer Transporter aufgefallen, aus dem heraus eine Kamera auf die friedliche und übersichtliche Versammlung gerichtet worden sei. Das entsprechende Polizeifahrzeug mit der Mastkamera (amtliches Kennzeichen …………) habe an der Einmündung zum Marktplatz mit der Front in Richtung Lange Straße/Schulstraße gestanden. Die Kamera sei auf die Zwischenkundgebung gerichtet gewesen. Mit der Kamera sei die Zwischenkundgebung gefilmt worden. Selbst wenn nicht gefilmt worden sein sollte, sei die Kamera jedenfalls einsatzbereit zum Filmen bereitgehalten worden. Es liege insoweit auch ein schwerwiegender Grundrechtseingriff in sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung und seine Versammlungsfreiheit vor. Zudem bestehe Wiederholungsgefahr, da er beabsichtige, in Bückeburg weiterhin an Kundgebungen gegen „Rechts“ teilzunehmen und befürchten müsse, dass die Beklagte erneut Mastkameras einsetze.
Der Kläger beantragt,
festzustellen, dass das Vorhalten einer ausgefahrenen Mastkamera bei der friedlichen Zwischenkundgebung in Bückeburg durch die Beklagte am 21.01.2012 rechtswidrig war.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Mitführen und Bereithalten von polizeilicher Dokumentationsausrüstung sei notwendig, um die gesetzlichen Aufgaben zu erfüllen. Demgegenüber sei die Inbetriebnahme solche Geräte nur unter strengen gesetzlichen Vorgaben möglich, die vorliegend nicht erfüllt gewesen seien. Daher habe weder eine Übertragung von Bildern noch eine Beobachtung nach dem Kamera-Monitor-Verfahren stattgefunden. Während der Kundgebung sei das Kamerasystem, das auf dem Dachmast montiert und ungefähr in halber Höhe ausgefahren gewesen sei, in Bereitschaft und nach hinten, zum Fahrzeugheck gerichtet gewesen, während die Versammlung neben bzw. vor dem Fahrzeug stattgefunden habe. Allenfalls dann, wenn Versammlungsteilnehmer von der Verwendung eines Weitwinkelobjektivs ausgegangen sein sollten, hätten sie den - unzutreffenden - Eindruck gewinnen können, kurz in den Aufnahmebereich einer laufenden Kamera zu geraten. Zur Herstellung der Einsatzbereitschaft des Beweis- und Dokumentationstrupps sei es unerlässlich gewesen, die Kamera mitzuführen und einsatzbereit auszufahren, um handlungsfähig zu sein, wenn - zum Beispiel durch Übergriffe auf die Kundgebung oder aus der Kundgebung heraus - die gesetzlichen Voraussetzungen für Bildübertragungen oder -aufzeichnungen vorgelegen hätten. Wenn die Kamera sich noch im Wagen befinde, dauere es ungefähr 15 Sekunden, bis der Kamerakopf aus dem Fahrzeug rage und 39 Sekunden, bis er in voller Höhe (4 Meter) ausgefahren sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen; sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat Erfolg.
I. Die Klage ist als Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO zulässig.
Die Videobeobachtung eines Versammlungsteilnehmers bzw. der entsprechende Eindruck eines Versammlungsteilnehmers, der Videobeobachtung zu unterliegen, stellt einen Realakt dar, der Gegenstand einer Feststellungsklage sein kann (so auch VG Münster, Urt. v. 21.08.2009 - 1 K 1403/08 -, juris). Das feststellungsfähige Rechtsverhältnis ergibt sich hier konkret aus der Frage nach der Befugnis der Beklagten, eine (teil-)ausgefahrene Mastkamera einsatzbereit zur Beobachtung der Versammlung vorzuhalten. Darüber hinaus ist zu beachten, dass bei Rechtsverhältnissen, die der Vergangenheit angehören, ein berechtigtes Interesse grundsätzlich nur dann anzuerkennen ist, wenn das Rechtsverhältnis über seine Beendigung hinaus anhaltende Wirkungen in der Gegenwart äußert, insbesondere bei fortdauernder Rechtsbeeinträchtigung und bei Wiederholungsgefahr, bei fortdauernder diskriminierender Wirkung oder bei sich typischerweise kurzfristig erledigenden hoheitlichen Maßnahmen (Kopp/Schenke, VwGO, 18. Auflage, § 43, Rn. 25 m.w.N.). Legt man diesen Maßstab zugrunde, lässt die Behauptung des Klägers, den Eindruck einer Videobeobachtung der Versammlung durch die Mastkamera auf dem Einsatzwagen der Beklagten gehabt zu haben, einen Eingriff in seine Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) zumindest als möglich erscheinen. Das erforderliche Rechtsschutzinteresse des Klägers ist unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr zu bejahen. Der Kläger hat nachvollziehbar dargelegt, dass er auch an weiteren Versammlungen gegen „Rechts“ teilnehmen werde und befürchten müsse, erneut von entsprechenden Maßnahmen der Beklagten betroffen zu sein.
II. Die Klage ist auch begründet.
Das Vorhalten einer (teil-)ausgefahrenen Mastkamera zur vorbeugenden Gefahrenabwehr bei der Zwischenkundgebung am 21.01.2012 in Bückeburg verletzt den Kläger in seiner Versammlungsfreiheit.
Nach den Vorschriften des Niedersächsischen Versammlungsgesetzes (NVersG) sind Bild- und Tonübertragungen und -aufzeichnungen nur unter strengen Voraussetzungen zulässig. Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 NVersG kann die Polizei Bild- und Tonaufzeichnungen von einer bestimmten Person auf dem Weg zu oder in einer Versammlung unter freiem Himmel offen anfertigen, um eine von dieser Person verursachte erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit abzuweisen. Darüber hinaus kann die Polizei nach § 12 Abs. 2 Satz 1 NVersG eine unübersichtliche Versammlung und ihr Umfeld mittels Bild- und Tonübertragungen offen beobachten, wenn dies zur Abwehr einer von der Versammlung ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist, und nach Satz 2 zur Abwehr erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit offen Bild- und Tonaufzeichnungen von nicht bestimmten teilnehmenden Personen (Übersichtsaufzeichnungen) anfertigen. Unstreitig waren die Voraussetzungen für ein Einschreiten nach § 12 Abs. 1 und Abs. 2 NVersG nicht erfüllt. Weder war ersichtlich, dass von einzelnen Versammlungsteilnehmern eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgegangen ist, noch handelte es sich um eine unübersichtliche Versammlung, von der Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgingen.
Dennoch hält es die Kammer zunächst für legitim, dass die Beklagte ein mit einer Mastkamera ausgestattetes Fahrzeug des Beweis- und Dokumentationstrupps vor Ort vorgehalten hat, um ggfs. zur Abwehr einer von der Versammlung ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung offen Bild- und Tonübertragungen vorzunehmen bzw. zur Abwehr erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit offen Bild- und Tonaufzeichnungen anfertigen zu können. Zwar bestand nach der Gefahrenprognose des Einsatzbefehls für den 21.01.2012 eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen friedlichen und geordneten Verlauf der Demonstration. Gleichwohl waren aufgrund eines vermehrten Auftretens von Personengruppen des linken und rechten Spektrums im Stadtgebiet Bückeburg seit Mitte 2010/Anfang 2011 mit wechselseitigen Sachbeschädigungen und Gewaltdelikten am Einsatztag weitere Störungen durch Übergriffe auf in Aufzugsnähe erkannte rechte Szeneangehörige, verbale Attacken, Einsatz von Pyrotechnik, Flaschenwürfe sowie direkte körperliche Angriffe gegen polizeiliche Einsatzkräfte und begleitende Sachbeschädigungen denkbar. In dieser Situation hätte die Beklagte nicht erst im Bedarfsfall einen Kamerawagen bzw. technische Ausrüstung für Bild- und Tonübertragungen herbeiholen können, sondern durfte diese Ausrüstung vor Ort vorhalten.
Allerdings war es aus Sicht der Kammer nicht erforderlich, dass die Beamten der Beklagten die Mastkamera bereits teilausgefahren vorgehalten haben und dadurch bei den Teilnehmern der Versammlung den Eindruck erweckt haben, dass die Versammlung gefilmt oder beobachtet werde.
Artikel 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen und ist - als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe, die auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugutekommt - für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 -, juris). Der Schutzbereich von Artikel 8 Abs. 1 GG erfasst als innere Versammlungsfreiheit auch die Entschließungsfreiheit des Einzelnen bezüglich der angstfreien Ausübung seines Grundrechts. Insbesondere die Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit setzt in ihrem Freiheitsgehalt voraus, dass die Versammlungsteilnehmer nicht befürchten müssen, wegen oder anlässlich ihrer Grundrechtswahrnehmung staatlicher Überwachung unterworfen und so möglicherweise Adressaten für sie nachteiliger Maßnahmen zu werden (Dietel/Gintzel/ Kniesel, Versammlungsgesetz, 16. Auflage, § 12a, Rn. 3 m.w.N.).
Vor diesem Hintergrund hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur anlasslosen Bildaufzeichnung nach dem Bayrischen Versammlungsgesetz (Beschl. v. 17.02.2009 - 1 BvR 2492/08 - juris) Folgendes ausgeführt:
„Eine (…) weite Befugnis zur Erstellung von Übersichtsaufzeichnungen führt zu gewichtigen Nachteilen. Sie begründet für Teilnehmer an einer Versammlung das Bewusstsein, dass ihre Teilnahme und die Form ihrer Beiträge unabhängig von einem zu verantwortenden Anlass festgehalten werden können und die so gewonnenen Daten über die konkrete Versammlung hinaus verfügbar bleiben. Dabei handelt es sich überdies um sensible Daten. In Frage stehen Aufzeichnungen, die die gesamte - möglicherweise emotionsbehaftete - Interaktion der Teilnehmer optisch fixieren und geeignet sind, Aufschluss über politische Auffassungen sowie weltanschauliche Haltungen zu geben. Das Bewusstsein, dass die Teilnahme an einer Versammlung in dieser Weise festgehalten wird, kann Einschüchterungswirkungen haben, die zugleich auf die Grundlagen der demokratischen Auseinandersetzung zurückwirken. Denn wer damit rechnet, dass die Teilnahme an einer Versammlung behördlich registriert wird und dass ihm dadurch persönliche Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf die Ausübung seines Grundrechts verzichten.“
Auch Echtzeitübertragungen, die nicht gespeichert werden und damit von flüchtiger Natur sind, kommen nach der Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts mögliche Einschüchterungseffekte zu, wenngleich im geringeren Umfang als bei Bildaufzeichnungen. Wenn einzelne Versammlungsteilnehmer damit rechnen müssen, dass ihre Anwesenheit oder ihr Verhalten bei einer Versammlung registriert wird, könnte sie dies von der Teilnahme abschrecken oder sie zu ungewollten Verhaltensweisen zwingen, um den beobachtenden Polizeibeamten möglicherweise gerecht zu werden. Insofern überschreitet eine solche Videobeobachtung die grundrechtlich relevante Eingriffsschwelle, wenn Bürger aus Sorge vor staatlicher Überwachung von der Teilnahme an der Versammlung absehen könnten und - aus Sicht eines verständigen Versammlungsteilnehmers - zu befürchten ist, die Aufnahme könne beabsichtigt oder versehentlich jederzeit ausgelöst werden und somit eine Individualisierung von Versammlungsteilnehmern - z.B. durch „Heranzoomen“ einzelner Personen - ermöglichen. Daher verletzt auch das Richten einer aufnahmebereiten Kamera auf Demonstrationsteilnehmer nebst Übertragung der Bilder auf einen Monitor Versammlungsteilnehmer in ihrem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit (so auch OVG Münster, Beschl. v. 23.11.2010 - 5 A 2288/09 - juris; VG Berlin, Urt. v. 26.04.2012 - VG 1 K 818.09 -, juris).
Lagen - wie oben dargelegt - die Voraussetzungen für eine Aufzeichnung oder ein Beobachten der Versammlung nach den Vorschriften des Niedersächsischen Versammlungsgesetzes nicht vor, stellt unter Berücksichtigung der angeführten verfassungsrechtlichen Vorgaben auch das bloße Vorhalten einer ausgefahrenen Mastkamera einen unzulässigen Eingriff in die Versammlungsfreiheit des Klägers dar.
Ausschlaggebend für diese Bewertung ist die Tatsache, dass für die Versammlungsteilnehmer nicht erkennbar war, dass mit der halb ausgefahrenen Mastkamera keine Bildaufzeichnungen bzw. Bildübertragungen erfolgt sind. Wie sich aus den von der Beklagten zur Akte gereichten Lichtbildaufnahmen des verwendeten Mastkameratyps ergibt, handelt es sich um eine Konstruktion, bei der aufgrund der geringen Größe des Kamerakopfes und der farblich einheitlichen Gestaltung von Kamera und Aufsatz bereits bei einer relativ geringen Entfernung von einigen Metern vom Einsatzfahrzeug nicht mehr deutlich feststellbar ist, in welche Richtung die Kamera gerichtet und in welchem Winkel eine Aufzeichnung oder Übertragung möglich ist. Auch wenn die Kamera nach unten abgewendet wird, ist dies bereits aus geringer Entfernung nicht eindeutig erkennbar und als Kameraausrichtung zum potenziell Betroffenen hin oder von ihm weg nicht deutlich sichtbar. War für die Versammlungsteilnehmer - wie vorliegend für den Kläger - damit nicht ersichtlich, ob die (teil-)ausgefahrene Kamera in Betrieb genommen war oder nicht, konnten sie sich unabhängig vom tatsächlichen Einsatz der Kamera beobachtet und gefilmt fühlen und insofern von der Ausübung ihrer Versammlungsfreiheit abgehalten werden, weil sie nicht übersehen konnten, ob ihnen daraus Risiken entstehen. Eine solche Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit ist aus Sicht der Kammer jedenfalls dann nicht hinzunehmen, wenn nicht mit schnell auszuführenden Rechtsverletzungen (z.B. Tätlichkeiten, Zerstörungen) unmittelbar im Demonstrationszug oder an dessen Rändern konkret gerechnet werden muss und insoweit zumindest die Voraussetzungen für Bild- und Tonübertragungen nach § 12 Abs. 2 NVersG vorliegen. Eine dementsprechende Gefahrenlage hat die Beklagte jedoch selbst nicht behauptet und ist auch aus dem Einsatzablaufprotokoll der Beklagten nicht ersichtlich.
Dass es damit für die Beklagte zu Verzögerungen beim Einsatz von Kameras zur vorbeugenden Gefahrenabwehr kommen kann, wenn Kameras zukünftig nur versenkt vorgehalten werden dürfen, ist im Lichte der Bedeutung der Versammlungsfreiheit hinzunehmen. Nach Angaben der Beklagten kann die Einsatzbereitschaft der Kamera durch vollständiges Ausfahren bis zur Höhe von 4 Metern bereits innerhalb von 39 Sekunden hergestellt werden kann; ein Ausfahren in geringere Höhe wäre noch schneller zu bewerkstelligen. Insofern ist die Einsatzbereitschaft der Kamera innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums hergestellt, so dass die Beamten der Beklagten im Fall erster Erkenntnisse des Entstehens einer Gefahrenlage im Sinne von § 12 Abs. 1 bzw. Abs. 2 NVersG noch ausreichend handlungsfähig wären. Berücksichtigt man darüber hinaus, dass die Kamera ohnehin allein in ihrer Funktion zur vorbeugenden Gefahrenabwehr (und nicht zu Strafverfolgungszwecken) eingesetzt werden kann, ist nicht ersichtlich, dass die geringe zeitliche Verzögerung eine unangemessene Beeinträchtigung der Polizeiarbeit bedeutet.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
IV. Die Berufung war nach § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO zuzulassen, weil dem Verfahren eine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zukommt. Soweit ersichtlich, gibt es bislang höchstrichterliche Rechtsprechung zur Frage der Zulässigkeit einer anlasslosen Übersichtsaufzeichnung von Versammlungen (BVerfG, Beschl. v. 17.02.2009 - 1 BvR 2492/08 - juris) sowie obergerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Beobachtung und Übertragung von Bildern in Echtzeit im sog. Kamera-Monitor-Prinzip (OVG NRW, Beschl. v. 23.11.2010 - 5 A 2288/09 - juris). Ob und unter welchen Voraussetzungen die Polizei bei einer Versammlung eine (teil-)ausgefahrene Kamera einsatzbereit vorhalten und damit bei Versammlungsteilnehmern die Eindruck erwecken darf, dass eine Videobeobachtung oder -aufzeichnung bereits stattfindet, ohne dass die Voraussetzungen für eine Bildübertragung oder Bildaufzeichnung nach § 12 Abs. 1 und Abs. 2 NVersG vorliegen, ist hingegen in Hinblick auf das Niedersächsische Versammlungsgesetz obergerichtlich noch nicht entschieden.