Finanzgericht Niedersachsen
Beschl. v. 04.11.2013, Az.: 7 V 118/13
Aussetzung der Vollziehung eines Grunderwerbsteuerbescheides; Verhältnis von Grunderwerb und Schenkungssteuer
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 04.11.2013
- Aktenzeichen
- 7 V 118/13
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2013, 55488
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2013:1104.7V118.13.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 11.08.2014 - AZ: II B 131/13
Rechtsgrundlagen
- § 3 Nr. 2 GrEStG
- § 7 ErbStG
Fundstellen
- DStR 2014, 12
- DStRE 2015, 106-107
- EFG 2014, 955-956
- ErbBstg 2014, 119
- Ubg 2015, 107
- ZEV 2014, 331
Tenor:
Die Vollziehung des Grunderwerbsteuerbescheides vom ... wird ausgesetzt.
Der Antragsgegner hat die Kosten zu tragen.
Die Beschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Streitig ist, ob ein grunderwerbsteuerpflichtiger oder -befreiter Erwerbsvorgang vorliegt.
Mit Vertrag vom ... (Nr. ...der Urkundenrolle für ...des Notars ...) übertrug der Vater der Antragstellerin, ..., dem Bruder der Antragstellerin, ..., im Wege der vorweggenommenen Erbfolge seine Gesellschaftsanteile an der ... GmbH & Co KG und an der Komplementärin dieser KG, der ... GmbH einschließlich des in Ziffer 2 des Vertrages bezeichneten Sonderbetriebsvermögens unter Vorbehalt von Rechten für sich selbst und seine Ehefrau, .... Der Bruder ... verpflichtete sich u.a. zur Zahlung einer Leibrente (§ 3 des Vertrages).
In § 1 Ziffer 4 Satz 2 des Vertrages ist vereinbart: "Anstelle der Zahlung eines Gleichstellungsgeldes soll (der Bruder) ... seinen Anteil an der Immobilie X-Straße in ... auf seine Schwester ... übertragen." Diese Immobilie, ein mit einem Mehrfamilienhaus bebautes Grundstück, hatte der Vater ... mit Vertrag vom ... unter Vorbehalt eines Nießbrauchs je zu ein Halb auf die Antragstellerin und ihren Bruder übertragen.
In § 4 des Vertrages "Gleichstellung von ..." ist nochmals vereinbart: "... (der Bruder) verpflichtet sich gegenüber (seinem Vater) ... und seiner Schwester ..., zum Zwecke der Gleichstellung seiner Schwester ... seinen Hälftemiteigentumsanteil an dem Grundbesitz X-Straße nach Maßgabe der Anlage 3 zu übertragen." In Anlage 3 des Vertrages ist die Übertragung des zuvor dem Bruder ... gehörenden Miteigentumsanteils an dem Grundstück X-Straße in ... auf die Antragstellerin vereinbart. In § 1 Abs. 2 der Anlage heißt es: "Die Veräußerung erfolgt auf Veranlassung (des Vaters) ... zum Zwecke der Gleichstellung seiner beiden Kinder im Hinblick auf die zur heutigen Urkunde vereinbarten Übertragungen auf (den Bruder) .... Die Übertragung erfolgt anstelle der Zahlung eines Ausgleichsgeldes."
In § 6 des Vertrages "Pflichtteilsanrechnungen, gegenständlich beschränkte Pflichtteilsverzichte" trafen der Bruder ... und die Antragstellerin sowie die Mutter ... Vereinbarungen zur Anrechnung auf Pflichtteilsansprüche und verzichteten auf Pflichtteilsrechte in Bezug auf die dem Bruder ... und auf die der Antragstellerin zugewandten Vermögenswerte.
In § 9 des Vertrages gaben die Vertragsbeteiligten den Wert des Hälfte-Miteigentumsanteils am Grundstück X-Straße in ... mit € 200.000 an, wobei der anteilige Wert des übernommenen Nießbrauchs gegenwärtig nach den aktuellen Sterbetafeln € 50.000 betrage. Auf Frage des Finanzamts (FA) teilte der Notar mit, der Jahreswert des Nießbrauchsrechts betrage € 50.000; auf die Frage "in welcher Höhe wäre ein Ausgleichsgeld von (dem Bruder) ... an (die Antragstellerin) ... zu zahlen?" gab er an: € 200.000. Über die Höhe der Werte besteht kein Streit.
Der Vorgang liegt der Schenkungsteuerstelle des FA vor; die schenkungsteuerliche Bearbeitung ist noch nicht abgeschlossen.
Mit Bescheid vom ... setzte das FA die Grunderwerbsteuer unter Zugrundelegung einer Bemessungsgrundlage von € ...- Forderungsverzicht € 200.000, (halber) Jahreswert des Nießbrauchs 25.000 x Vervielfältiger = € ..., zusammen € ...- mit € ... fest.
Im Einspruchsverfahren hiergegen und im Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung macht die Antragstellerin geltend, der Vorgang sei grunderwerbsteuerfrei nach § 3 Nr. 2 Satz 1 Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) aufgrund der Zuwendung ihrer Eltern an sie. Ihr Bruder ... habe eine Auflage seines Vaters / seiner Eltern vollzogen. Der schenkungssteuerpflichtige Vorgang als materielle Voraussetzung für die Befreiung von der Grunderwerbsteuer nach § 3 Nr. 2 GrEStG finde ausschließlich zwischen (dem Vater) ... und der Antragstellerin statt. Der Besteuerung sei das Verhältnis zum Schenker, der die Auflage angeordnet habe, zugrunde zu legen. Auch der vorbehaltene Nießbrauch führe nicht zur Entgeltlichkeit der Übertragung, denn auch eine Schenkung unter Nießbrauchsvorbehalt sei eine reine, uneingeschränkte Schenkung im Sinne des § 516 BGB. § 3 Nr. 2 GrEStG sei eine rein sachliche, nicht personenbezogene Befreiungsvorschrift.
Hilfsweise sei der Vorgang grunderwerbsteuerfrei nach § 3 Nr. 6 GrEStG. Aus schenkungsteuerlicher Sicht finde ein unmittelbarer Erwerb von den Eltern statt. Aus grunderwerbsteuerlicher Sicht lehne das FA dieses ab. Diese widerstreitende grunderwerbsteuerliche Würdigung eines einheitlichen Lebensvorganges sei zumindest klärungsbedürftig. Das Finanzgericht (FG) Münster habe in einem vergleichbaren Fall die Revision zugelassen, weil es "klärungsbedürftig und damit grundsätzlich bedeutsam (sei), ob die Übertragung eines Grundstücks zwischen Geschwistern mit dem Ziel der Herstellung gleichwertiger Verhältnisse im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge durch interpolierende Auslegung des § 3 Nr. 6 GrEStG steuerbefreit ist..." (FG Münster, Urteil vom 28.05.2008, 8 K 1597/06 GrE, EFG 2008, 1998). Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei die doppelte Belastung der (mittelbaren) Grundstücksübertragung mit Schenkungsteuer und Grunderwerbsteuer zu vermeiden. § 3 Nr. 2 GrEStG solle - als sachliche Befreiungsvorschrift - verhindern, dass ein Vorgang sowohl der Schenkungsteuer als auch der Grunderwerbsteuer unterliege.
Zumindest bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides, sodass die Aussetzung der Vollziehung als vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren sei. Zudem liege eine klärungsbedürftige Frage von grundsätzlicher Bedeutung vor, weswegen im Fall des Unterliegens die Beschwerde zugelassen werden sollte.
Das FA ist der Auffassung, die Antragstellerin habe unter Verwendung ihres Ausgleichsanspruchs und Übernahme der Belastungen als grunderwerbsteuerliche Gegenleistung die ihrem Bruder gehörende Grundstückshälfte erworben. § 3 Nr. 2 GrEStG sei eine personenbezogene Steuerbefreiungsvorschrift. Im Verhältnis der Antragstellerin zu ihrem Bruder liege keine Schenkung vor.
Das Einspruchsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Den im Einspruchsverfahren gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung hat das FA mit Bescheid vom ... abgelehnt. Mit ihrem nachfolgenden gerichtlichen Antrag verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren auf Aussetzung der Vollziehung weiter.
Wegen des weiteren Sachverhaltes und Vorbringens wird auf den Inhalt der Steuerakte und der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist begründet.
Die Aussetzung der Vollziehung soll gemäß § 69 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 zweiter Halbsatz Finanzgerichtsordnung (FGO) erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatsachen bewirken (vgl. Beschlüsse des BFH vom 10. Februar 1984 III B 40/83, BStBl II 1984, 454 und vom 30. Dezember 1996 I B 61/96, BStBl II 1997, 466). Solche Umstände liegen im Streitfall vor.
Nach § 3 Nr. 2 GrEStG sind Schenkungen unter Lebenden im Sinne des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) von der Besteuerung ausgenommen. Schenkungen unter einer Auflage unterliegen der Besteuerung jedoch hinsichtlich des Werts solcher Auflagen, die bei der Schenkungsteuer abziehbar sind.
Durch § 3 Nr. 2 GrEStG soll neben der Belastung des Erwerbs mit Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer eine zusätzliche Belastung mit Grunderwerbsteuer vermieden werden (vgl. Franz in Pahlke / Franz, Kommentar zum GrEStG, 4. Aufl. 2010, Rdz. 33 zu § 3 GrEStG, Meßbacher-Hönsch in Boruttau, Kommentar GrEStG, 17. Aufl. 2011, Rdz. 98 zu § 3 GrEStG). Es handelt sich in § 3 Nr. 2 GrEStG um eine dynamische Verweisung. Die Frage, ob ein Vorgang der Erbschaft- oder Schenkungsteuer und damit nicht der Grunderwerbsteuer unterliegt, richtet sich ausschließlich nach dem ErbStG (Meßbacher-Hönsch, a.a.O.). Es kommt deshalb im Streitfall darauf an, wie der Sachverhalt schenkungsteuerlich zu beurteilen ist. Die schenkungsteuerliche Beurteilung durch das FA (ggf. mit anschließendem Rechtsbehelfsverfahren) ist noch nicht abgeschlossen. Bei summarischer Prüfung handelt es sich um eine komplexe Rechtsfrage, die zur Unsicherheit auch der grunderwerbsteuerlichen Beurteilung führt.
Es ist denkbar, dass aus schenkungsteuerlicher Sicht entweder die Antragstellerin von ihrem Vater einen Ausgleichsanspruch geschenkt erhalten hat (den sie sodann als Gegenleistung für einen grunderwerbsteuerpflichtigen Erwerb verwendet hat), oder dass Gegenstand der Zuwendung - an die Antragstellerin - aufgrund der einheitlich getroffenen Vereinbarungen zur vorweggenommenen Erbfolge die Grundstückshälfte ihres Bruders ist. Im letztgenannten Fall unterläge nicht ein Ausgleichsanspruch, sondern die Grundstücksübertragung auf die Antragstellerin der Schenkungsteuer; der Vorgang wäre dann grunderwerbsteuerfrei nach § 3 Nr. 2 GrEStG. Für die letztgenannte Auffassung spricht, dass die Vertragsbeteiligten im Vertrag vom ... nicht zunächst die Zahlung eines Ausgleichsgeldes und anschließend unter betragsmäßiger Verrechnung mit dem Ausgleichsanspruch (unter Berücksichtigung der übernommenen Belastungen) den Erwerb der Grundstückshälfte durch die Antragstellerin, sondern unmittelbar vereinbart haben, dass der Bruder ... seine ihm gehörende Grundstückshälfte "zum Zwecke der Gleichstellung" auf die Antragstellerin überträgt.
Aus Sicht des Bruders handelt es sich um eine Auflage aus der ihm gegenüber erfolgten Schenkung. Hat die Antragstellerin die Grundstückshälfte infolge der Vollziehung einer von dem Schenker angeordneten Auflage ohne entsprechende Gegenleistung erlangt, gilt dies als Schenkung unter Lebenden nach § 7 Nr. 2 ErbStG (mit der Folge, dass Grunderwerbsteuerfreiheit besteht nach § 3 Nr. 2 GrEStG). Des Weiteren ist in die schenkungsteuerliche Beurteilung einzubeziehen, dass die Antragstellerin die Grundstückshälfte auch als Abfindung für ihr Einverständnis zur Anrechnung auf und ihren Verzicht auf Pflichtteilsansprüche erhalten hat.
Ist Gegenstand der Zuwendung an die Antragstellerin aus schenkungsteuerlicher Sicht die ideelle Grundstückshälfte, ist bei der Schenkungsteuer der Antragstellerin weiter zu klären, inwieweit der Wert des von ihr übernommenen Nießbrauchsrechts als Auflage abziehbar und insoweit nach § 3 Nr. 2 Satz 2 GrEStG nicht von der grunderwerbsteuerlichen Besteuerung ausgenommen ist. Ist Gegenstand der Zuwendung ein Ausgleichsanspruch, ist weiter zu klären, inwieweit bei dessen Bemessung bzw. bei der Bemessung des Werts der im Gegenzug übertragenen Grundstückshälfte nicht nur der (hälftige) Jahreswert des übernommenen Nießbrauchsrechts, sondern dessen vervielfachter hälftiger Wert (laut Grunderwerbsteuerbescheid € ...) in die Bemessung einzubeziehen bzw. als Auflage abziehbar ist. Auch dies ist bei summarischer Prüfung ungewiss.
Die Vollziehung ist deshalb auszusetzen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 FGO.
Das Gericht lässt die Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung zu.