Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 18.07.2002, Az.: L 6 U 219/00
Aufgabe; außerberufliche Erkrankung; drohende Berufskrankheit; Einstellung; Erkrankungsgefahr; gefährdende Tätigkeit; gesetzliche Unfallversicherung; individuelle Gefahr; konkrete Gefahr; nachträgliche Betrachtung; nicht berufsbedingte Erkrankung; objektive Betrachtung; Schweißer; Schweißertätigkeit; Tätigkeitsaufgabe; Unterlassen; Verschlimmerung; Voraussetzung; wesentlicher Zusammenhang; Übergangsleistung
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 18.07.2002
- Aktenzeichen
- L 6 U 219/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 43759
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG - 07.04.2000 - AZ: S 11 U 162/98
Rechtsgrundlagen
- § 3 Abs 2 S 1 BKV
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 7. April 2000 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Gewährung von Maßnahmen gemäß § 3 Berufskrankheiten-Verordnung (BKV). Streitig ist, ob er seine berufliche Tätigkeit als Hochdruckrohrleitungsschweißer wegen der anerkannten Berufskrankheiten (BKen) Nr. 4103 (Asbestose) oder Nr. 2301 (Lärmschwerhörigkeit) oder aber wegen der BKen Nrn. 4301, 4302 (obstruktive Atemwegserkrankungen) oder Nr. 2108 (bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule (LWS)) der Anlage zur BKV aufgegeben hat.
Der 1941 geborene Kläger hat nach Abschluss einer Maurerlehre (1955 ‑ 1958) zunächst bis 1967 in diesem Beruf gearbeitet. 1968 war er als Tischler und von 1969 bis 1978 als Kraftfahrer in der Holzhandlung seines Bruders tätig und hat sich anschließend zum Schweißer umschulen lassen. Danach war er bis 1980 und erneut ab 10. Mai 1982 als Hochdruckrohrleitungsschweißer bei der Firma B. beschäftigt. Seit 30. April 1992 war der Kläger wegen eines Ischiasrezidivs arbeitsunfähig. Das Arbeitsverhältnis wurde in beiderseitigem Einvernehmen zum 30. November 1993 aufgelöst. Seit dem 28. Oktober 1993 bezog er zunächst Arbeitslosengeld. Auf seinen im August 1992 gestellten Rentenantrag wegen Schulter-, Kreuz- und Hüftbeschwerden, Kreislaufbeschwerden und einer Asbestose (seine Angaben im Rentenantrag) wurde ihm von der LVA aufgrund eines vor dem LSG Niedersachsen am 21. November 1996 geschlossenen Vergleichs Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU) nach einem am 30. April 1992 eingetretenen Leistungsfall ab 8. September 1994 gewährt (Bescheid vom 17. Januar 1997). Inzwischen bezieht der Kläger Altersrente. Seit seinem 21. Lebensjahr raucht der Kläger täglich mindestens 10 bis 15 oder 20 Zigaretten (seine Angaben gegenüber Dr. C., Gutachten vom 31. März 1997, und gegenüber Prof. Dr. D., Gutachten vom 24. Juni 1993).
Im November 1991 wandte er sich an die Beklagte und machte u.a. die Anerkennung eines chronisch allergischen Asthmas als BK geltend. Wegen einer seit 3 bis 4 Jahren bestehenden Atemnot hatte der Kläger am 28. Mai 1991 die Ärztin für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. E. aufgesucht, die eine chronisch rezidivierende obstruktive Bronchitis diagnostizierte, die Ventilationsstörung jedoch nur als leicht bezeichnete (Arztbrief vom 30. Mai 1991). Dort hatte der Kläger angegeben, dass sich seine Atemnot bei Kontakt mit Reizstoffen wie Nikotin oder beruflicher Tätigkeit nicht verstärke. Die Röntgenaufnahmen ergaben einen unauffälligen Befund, einen sicheren Anhalt für eine Asbestose gab es nicht (Arztbrief vom 31. Mai 1991). Die aufgrund der Asbestanamnese seit Juli 1989 erfolgten arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen durch Prof. Dr. D. ergaben ebenfalls keine Hinweise auf eine Asbestose, sondern einen unauffälligen Herz- und Lungenbefund. Die Dyspnoebeschwerden führten die Ärzte mangels lungenfunktioneller Hinweise nicht auf eine pulmonale Genese, sondern vielmehr auf den seit längerem bekannten arteriellen Hypertonus zurück (Berichte vom 25. Juli 1988, L 6 U 118/96; 3 August 1989, 29. Oktober 1990).
Die Beklagte zog die Vorerkrankungsverzeichnisse der BKK vom 19. März 1992, 17. Juli 1997 sowie 12. März 1998 und das für das Arbeitsamt erstattete Gutachten des Dr. F. vom 21. Oktober 1993 bei und veranlasste die Begutachtung durch Prof. Dr. G. (Gutachten vom 24. Juni 1993 mit röntgenologischem Zusatzgutachten des Prof. Dr. H. vom 12. Mai 1993). Die Gutachter diagnostizierten eine chronische Bronchitis und eine leichtgradige bronchiale Hyperreagibilität, die sie auf die vorwiegend nikotininduzierte chronische Bronchitis - der Kläger hatte angegeben, 20 Zigaretten täglich zu rauchen - zurückführten. Röntgenmorphologisch fand sich kein der Asbestose zuzuordnender Befund mit Pleura- oder Lungengerüstveränderungen. Dr. I. empfahl weitere Ermittlungen wegen möglicher Maßnahmen nach § 3 BKV, da Schweißrauche auch bei einer außerberuflich induzierten bronchialen Hyperreagibilität zu Beschwerden führen könnten (Stellungnahme vom 5. August 1993).
Die Ermittlungen des TAD ergaben, dass bei Reparatur- und Revisionsarbeiten in Kraftwerken eine Asbesteinwirkung aus benachbarten Gewerken nicht auszuschließen sei. Von Seiten der Firma selbst würden seit 1981 keine asbesthaltigen Materialien mehr eingesetzt. Weiterhin sei eine Einwirkung durch Schweißrauche, Stäube (Chrom, Chromate, Nickel und Eisen) sowie Gase gegeben gewesen. Der Dipl.-Ing. J. bejahte die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BKen Nrn. 4301 und 4302 (Stellungnahmen vom 18. Dezember 1992 und 16. März 1994).
Mit Bescheid vom 7. September 1993 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK Nr. 4103 ab, da bei dem Kläger keine asbestotischen Lungenveränderungen bestünden. Das Widerspruchsverfahren blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14. Januar 1994).
Auch im Rahmen einer weiteren computertomographischen Untersuchung vom 16. Juli 1996 fanden sich keine Anzeichen einer Asbestose (fachradiologisches Gutachten des Prof. Dr. K. vom 28. Oktober 1996), weshalb die Beklagte mit Bescheid vom 13. November 1996 die Anerkennung einer Asbestose erneut ablehnte.
Auf die BK-Anzeige der Arbeitgeberin vom 27. März 1992 wegen des Verdachts einer Lärmschwerhörigkeit stellte die Beklagte mit Bescheid vom 15. Dezember 1992 eine beginnende Lärmschwerhörigkeit beidseits als Folge der BK Nr. 2301 der Anlage zur BKV fest. Eine spätere Klage auf Zahlung von Verletztenrente wurde wegen fehlender Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in rentenberechtigendem Grade - bei dem Kläger bestand eine annähernde Normalhörigkeit im Zeitpunkt des letzten Tages der Beschäftigung (30. März 1992) - mit Urteil des LSG Niedersachsen vom 29. September 1997 abgewiesen (L 6 U 448/96).
Im Rahmen der Ermittlungen hinsichtlich der BKen Nrn. 4301 und 4302 teilte Prof. Dr. D. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 1. September 1994 mit, dass Hinweise für asthmaähnliche Zustände nicht bestünden. Zudem zögen die bei der beruflichen Tätigkeit aufgetretenen Schweißrauche keine allergische Asthmareaktion nach sich. Allerdings sei eine wesentliche Verschlimmerung der nicht berufsbedingten Bronchitis des Klägers bei fortgesetzter Schweißrauchexposition wahrscheinlich, so dass § 3 BKV zur Anwendung gelangen sollte. Daraufhin lehnte die Beklagte die Anerkennung der BKen Nrn. 4301 und 4302 ab (Bescheid vom 7. März 1995, Widerspruchsbescheid vom 12. Juli 1995). Im Berufungsverfahren ist zunächst das für die LVA L. erstattete Gutachten der Internistin Dr. M. vom 26. Februar 1993 beigezogen worden (Beiakte). Der auf Antrag des Klägers mit der Erstattung eines Gutachtens (vom 31. März 1997) beauftragte Dr. C. fand kleine, asbestassoziierte Pleuraverdickungen mit einer beginnenden Verminderung der Lungendehnbarkeit ohne Nachweis einer restriktiven Ventilationsstörung. Die Untersuchungen ergaben einen lungenfunktionellen Normalbefund ohne Nachweis einer manifesten obstruktiven Ventilationsstörung, eine unspezifische bronchiale Hyperreagibilität wurde ausgeschlossen. Der Sachverständige nahm aufgrund der Angaben des Klägers - Auftreten der Atembeschwerden während der beruflichen Tätigkeit und lungenfunktionelle Einschränkungen bis 12 Monate nach Einstellung der Tätigkeit (festgestellt durch Dr. E.) sowie jetziger Normalbefund nach Aufgabe des Berufes trotz fortgesetztem Nikotinkonsum - eine BK Nr. 4302 dem Grunde nach an. Eine MdE habe aber nicht bestanden und bestehe auch jetzt nicht. Die im Zeitraum von 1991 bis 1993 festgestellten leichtgradigen lungenfunktionellen Einschränkungen seien durch die berufliche Tätigkeit als Schweißer wesentlich mitverursacht. Zudem bestehe der Verdacht auf das Vorliegen einer BK Nr. 4103, allerdings zur Zeit ebenfalls ohne MdE. Die aktuellen Belastungsbeschwerden des Klägers seien aber - in Übereinstimmung mit Prof. Dr. D. - auf die Belastungshypertonie zurückzuführen.
Die Beklagte hielt daran fest, dass die Bronchialerkrankung des Klägers anlagebedingt und insbesondere durch Tabak induziert sei.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 19. Juni 1997 erklärte sich die Beklagte bereit, dem Kläger "über die Frage der Berufshilfe und der Übergangsleistungen nach § 3 BKV .. einen Bescheid zu erteilen". Der Kläger erklärte sich nach wie vor zu einer Umschulung bereit und nahm die Berufung zurück.
Mit Bescheid vom 22. Juli 1997 erkannte die Beklagte bei dem Kläger eine BK Nr. 4103 (Asbestose) an und stellte als deren Folgen fest: Allenfalls geringgradige röntgenologisch nachweisbare asbestotische Veränderungen der Pleura. Eine Gewährung von Verletztenrente lehnte sie mangels einer MdE in rentenberechtigendem Grade ab. Anschließend zog die Beklagte die medizinischen Unterlagen der LVA, insbesondere das Gutachten des MDKN vom 17. August 1992, den Arztbrief der Uniklinik N. vom 27. März 1992, die Stellungnahme des Internisten Dr. O. vom 7. April 1993 sowie weitere Unterlagen aus den Jahren 1987 bis 1995 und die im Rentenverfahren erstatteten Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. P. vom 20. Juni 1995 und des Orthopäden Dr. Q. vom 12. Juni 1995 bei. Danach kam Dr. R. in seiner gutachtlichen Stellungnahme vom 1. März 1998 zu dem Ergebnis, dass ein objektiver Zwang zur Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit wegen der Atemwegssymptomatik nicht erkennbar sei. Die im April 1992 erfolgte Einstellung der beruflichen Tätigkeit sei ebenso wie die Gewährung der Rente wegen Berufsunfähigkeit wegen neurologischer, orthopädischer und allgemeininternistischer Erkrankungen erfolgt. Nach Einholung einer Stellungnahme des technischen Aufsichtsbeamten J. vom 11. Mai 1998 und einer beratungsärztlichen Stellungnahme des Dr. S. vom 1. Juni 1998 lehnte die Beklagte die Gewährung berufshelferischer Maßnahmen ab. Der Kläger habe seine Tätigkeit am 30. April 1992 wegen berufskrankheitenunabhängiger Erkrankungen - insbesondere Wirbelsäulenbeschwerden - aufgegeben und beziehe deshalb Rente wegen BU. Ein Zwang zur Aufgabe der Tätigkeit wegen einer BK habe nicht vorgelegen (Bescheid vom 16. Juni 1998, Widerspruchsbescheid vom 24. September 1998).
Hiergegen hat der Kläger am 6. Oktober 1998 Klage erhoben. Er habe seine Tätigkeit wegen der Atemwegserkrankung aufgegeben. Er habe noch Stunden nach den Schweißarbeiten starke Hustenanfälle gehabt.
Das Sozialgericht (SG) Hildesheim hat die Klage mit Urteil vom 7. April 2000 abgewiesen. Der Kläger habe seine Tätigkeit im April 1992 wesentlich auf Grund seines schicksalsmäßigen Leidens im Bereich der LWS eingestellt bei einer gleichzeitig bestehenden leichtgradigen pneumologischen Erkrankung.
Gegen das ihm am 8. Mai 2000 zugestellte Urteil hat der Kläger am 31. Mai 2000 Berufung eingelegt. Er habe am 19. Juni 1997 den Vergleich nur geschlossen, weil die Beklagte sich hierin verpflichtet habe, berufshelferische Maßnahmen nach § 3 BKV zu gewähren. Die Nichtverschlechterung seiner Atemwegserkrankung nach 1991 belege, dass sein kontinuierliches Rauchen keinen Einfluss auf diese habe.
Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des SG Hildesheim vom 7. April 2000 und den Bescheid der Beklagten vom 16. Juni 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. September 1998 aufzuheben,
2. die Beklagte zu verurteilen, ihm Übergangsleistungen nach § 3 Berufskrankheiten-Verordnung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Hildesheim vom 7. April 2000 zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und hat den Bericht der Radiologen Dres. T. vom 1. März 2002 überreicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten und die Gerichtsakte dieses und des Verfahrens S 11 U 94/95 (SG Hildesheim) Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die statthafte Berufung ist zulässig. Sie ist jedoch unbegründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Leistungen nach § 3 Abs. 2 BKV. Denn er hat seine Tätigkeit bei der Firma U. nicht wegen einer BK oder wegen einer drohenden BK eingestellt, und zwar weder wegen einer Asbestose (BK Nr. 4103) noch wegen einer Lärmschwerhörigkeit (BK Nr. 2301), noch wegen einer obstruktiven Atemwegserkrankung (BKen Nrn. 4301, 4302). Grund für die Aufgabe seiner Tätigkeit waren demgegenüber seine erheblichen Gesundheitsstörungen auf orthopädischem, internistischen, urologischen und nervenärztlichen Gebiet. Bei den orthopädischen Gesundheitsstörungen handelt es sich nicht um eine BK, insbesondere nicht um eine BK Nr. 2108 (bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS). Bei Fortsetzung seiner beruflichen Tätigkeit hätte auch wegen dieser orthopädischen Gesundheitsstörungen nicht die Gefahr des Eintritts einer BK bestanden.
Besteht für Versicherte die Gefahr, dass eine BK entsteht, wiederauflebt oder sich verschlimmert, hat die Beklagte nach § 3 Abs. 1 BKV dieser Gefahr mit allen geeigneten Mitteln entgegenzuwirken. Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 BKV ist dem Versicherten eine Übergangsleistung zu gewähren, wenn er die gefährdende Tätigkeit unterlässt, weil die Gefahr i.S.d. § 3 Abs. 1 BKV fortbesteht und er hierdurch eine Minderung des Verdienstes oder sonstige wirtschaftliche Nachteile erleidet. Die Einstellung der beruflichen Tätigkeit allein reicht nicht aus, um diesen Anspruch zu begründen. Es muss als weitere Voraussetzung eine konkret individuelle Gefahr der Entstehung, des Wiederauflebens oder der Verschlimmerung einer BK sowie ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang zwischen der drohenden BK und der Einstellung der gefährdenden Tätigkeit bestehen (BSG Urteil vom 20. Februar 2001 - B 2 U 10/00 R - in SozR 3-5670 § 3 BKV Nr. 5):
Die drohende BK-Gefahr muss also die rechtlich wesentliche Ursache der Tätigkeitsaufgabe sein (BSG Urteil vom 10. März 1994, - 2 RU 27/93 in Breithaupt 1994, S. 817 ff; Ricke in Kassler Kommentar § 9 SGB VII Anh. 1 Rdnr 63; Koch in Lauterbach, Unfallversicherung, § 9 SGB VII Anh III § 3 BKV Rdnr 90 ff). Maßgeblich hierfür ist eine objektive, ggf. nachträgliche Beurteilung unabhängig von der persönlichen Motivlage des Versicherten. Unerheblich ist deshalb, ob der Versicherte aufgrund eigener subjektiver Annahme einer BK oder einer BK-Gefahr die Tätigkeit eingestellt hat (Ricke in Kassler Kommentar a.a.O.; Koch in Lauterbach a.a.O. Rdnr. 91). Andere Umstände wie z.B. eine betriebsbedingte Kündigung oder eine nachfolgende Erkrankung an einem schicksalhaften Leiden berühren andererseits die Kausalität zwischen der Gefahr und dem Zwang zur Tätigkeitsaufgabe nicht, wenn die bk-bedingte Notwendigkeit zur Einstellung der Tätigkeit objektiv besteht (BSG Urteil vom 22. August 1975, - 5 RKnU 5/74 in BSGE 40, 146 ff. [BSG 19.08.1975 - 8 RU 234/74]; Koch in Lauterbach, a.a.O., Mehrtens/Perlebach, Berufskrankheiten-Verordnung, § 3 BKV Rdnr. 5.1 m.w.Nw.). Entgegen der Auffassung des Klägers reicht es dagegen nicht, dass die Tätigkeit allein wegen BK-unabhängiger Erkrankungen aufgegeben wird oder aber bei Fortsetzung der beruflichen Tätigkeit die Gefahr des Eintritts von Erkrankungen besteht, die ihrerseits keine BK darstellen.
Der demnach erforderliche Kausalzusammenhang zwischen der Einstellung der beruflichen Tätigkeit des Klägers und der Gefahr einer BK ist zu verneinen. Der Kläger hat seine Arbeit als Schweißer bei der Firma U. wegen seiner orthopädischen, internistischen und nervenärztlichen Gesundheitsstörungen, nicht aber wegen der Gefahr des Eintritts einer BK-Erkrankung, aufgegeben.
Zweifelhaft ist allerdings, ob mit dem SG Hildesheim als Zeitpunkt der Aufgabe der beruflichen Tätigkeit i.S.d. § 3 Abs. 2 BKV der Beginn der längeren Arbeitsunfähigkeit des Klägers, d.h. der 30. April 1992, angenommen werden kann. Hiergegen spricht, dass der Kläger bei Eintritt seiner Arbeitsunfähigkeit noch nicht wissen konnte, wie lange diese dauern wird und ob er ggf. nach angemessener Zeit seine Tätigkeit wieder aufnehmen würde. Die tatsächliche Einstellung einer beruflichen Tätigkeit i.S.d. § 3 Abs. 2 BKV setzt aber einen entsprechenden Entschluss des Versicherten voraus (vgl. Ricke in Kassler Kommentar a.a.O.). Diesen hat der Kläger entweder im Zeitpunkt der Rentenantragstellung beim gesetzlichen Rentenversicherungsträger (August 1992) oder aber spätestens im Herbst 1993 gefasst, als er sich im gegenseitigem Einvernehmen mit der Firma U. auf die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses einigte. Letztendlich braucht der Senat über diese Frage nicht abschließend zu entscheiden. Denn für alle drei - zeitlich nicht weit auseinanderliegenden - Zeitpunkte kann nicht festgestellt werden, dass die Aufgabe der Schweißertätigkeit rechtlich wesentlich wegen der Gefahr des Eintritts, Wiederauflebens oder Verschlimmerung einer BK erfolgte.
In Betracht zu ziehen sind dabei die vom Kläger in den vorausgegangenen Verfahren geltend gemachten BKen Nr. 2108 (1.), Nrn. 4301, 4302 (2.) sowie die anerkannten BKen Nr. 4103 (3.) und Nr. 2301 (4.).
1. Der Kläger hat seine Tätigkeit nicht wegen einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS aufgegeben. Eine BK Nr. 2108 liegt bei dem Kläger nicht vor (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 22. Oktober 1998, L 6 U 178/96), da die Erkrankung im Bereich der LWS schicksalhafter Natur ist und darüber hinaus auch zweifelhaft ist, ob die arbeitstechnischen Voraussetzungen dieser BK durch die Schweißertätigkeit erfüllt werden. Auch bei Fortsetzung dieser Arbeit über den 30. April 1992 hinaus hätte daher auch nicht die Gefahr des Eintritts einer BK Nr. 2108 bestanden. Nach Auswertung der umfangreichen medizinischen Unterlagen steht fest, dass eine somatoforme Schmerzstörung, die auf den langjährigen orthopädischen Beschwerden des Klägers im Bereich der Halswirbelsäule und der Schultern, der LWS, der Hüft- und Kniegelenke beruht, zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit am 30. April 1992 geführt und den Kläger in Verbindung mit seinen weiteren internistischen und urologischen Gesundheitsstörungen zur Aufgabe seiner beruflichen Tätigkeit im Herbst 1993 veranlasst hat.
Dies ergibt sich aus den Gutachten des Dr. P. vom 20. Juni 1995, des Orthopäden Dr. Q. vom 12. Juni 1995, den weiteren, umfangreichen medizinischen Unterlagen (hier vor allem der Entlassungsbericht der Fachklinik V. von 1986, die Gutachten des Dr. W., der Bericht des Dr. X.) sowie den eigenen Angaben des Klägers gegenüber seinen behandelnden und begutachtenden Ärzten. So war der Kläger ausweislich des Vorerkrankungsverzeichnisses der BKK seit 1982 wiederholt wegen seiner HWS- und LWS-Beschwerden auch über mehrere Wochen hinweg arbeitsunfähig. Die stationäre Behandlung in der orthopädischen Klinik Dr. Y. vom 30. April bis 21. Mai 1992 erfolgte allein wegen eines Ischiasrezidivs und einer chronisch rezidivierenden Lumboischialgie mit einem langsamen und leicht hinkendem Gangbild (Entlassungsbericht der Klinik vom 21. Mai 1992). Die fortdauernde Krankschreibung des Klägers durch die behandelnden Ärzte beruhte ebenfalls auf den Diagnosen von Seiten der LWS, die in den Gutachten des MDKN bestätigt wurden. Dr. Z., der den Kläger im Auftrage des MDKN im August 1992 untersuchte, stellte eine "Multimorbidität" - also eine Vielzahl von Erkrankungen - des Klägers fest, weil neben dem knöchernen Skelettsystem auch andere Organsysteme wie harnableitende Wege (Nierensteinleiden) und das Herzkreislaufsystem in Mitleidenschaft gezogen seien und der Gutachter deshalb eine dauerhafte Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers annahm. Auch noch im Oktober 1993, kurz vor Beendigung seiner beruflichen Tätigkeit, standen seine Rückenschmerzen eindeutig im Vordergrund seiner gesundheitlichen Beschwerden (vgl. Gutachten des Arbeitsamtes vom 21. Oktober 1993). Diese orthopädischen und nervenärztlichen Gesundheitsstörungen unterfallen aber keiner Listenerkrankung der BK-Liste.
2. Weiterhin lässt sich nicht feststellen, dass wegen der BKen Nrn. 4301 und 4302 ein Zwang zur Einstellung der Schweißertätigkeit in dem vorgenannten Zeitraum bestand. So sind bereits die medizinischen Voraussetzungen dieser BKen beim Kläger nicht erfüllt. Denn diese BKen setzen das Vorliegen einer obstruktiven Atemwegserkrankung voraus, und diese muss im Wege des Vollbeweises belegt sein. Das heißt, das tatsächliche Vorliegen dieser Gesundheitsstörung beim Kläger muss in so hohem Maße wahrscheinlich sein, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon zu begründen (BSG Urteil vom 22. September 1977 - 10 RV 15/77 - in BSGE 45, 1 ff.). Das ist hier nicht der Fall. Sowohl Prof. Dr. D. wie auch Dr. M. und Dr.A. haben jedoch keine obstruktive Atemwegserkrankung diagnostiziert, sondern diese ausdrücklich ausgeschlossen (Gutachten vom 24. Juni 1993, Stellungnahme vom 1. September 1994; Gutachten vom 26. Februar 1993). Dass Dr. C. für den Zeitraum von 1991 bis 1993 eine entsprechende Gesundheitsstörung annahm, überzeugt den Senat nicht. Denn er stützt sich insoweit nur auf den einmalig von Frau Dr. E. im Mai 1991 erhobenen Befund einer leichten Obstruktion, weitere Belege für diese Annahme gibt es nicht, da die nachfolgenden Lungenfunktionsuntersuchungen stets einen Normalbefund und keine Anzeichen einer Obstruktion zeigten. Die von Prof. Dr. D. festgestellte bronchiale Hyperreagibilität und die chronische Bronchitis sind keine obstruktiven Atemwegserkrankungen und deshalb keine BKen i.S.d. Nrn. 4301 und 4302. Aber auch wenn zugunsten des Klägers eine BK Nr. 4302 angenommen wird, lässt sich nach Auswertung der umfangreichen medizinischen Unterlagen nicht feststellen, dass er seine Schweißertätigkeit in dem streitigen Zeitraum vom 30. April 1992 bis Herbst 1993 wesentlich wegen dieser Erkrankung eingestellt hat. So sind in den umfangreichen medizinischen Unterlagen für die Zeit von Mai 1991 bis April 1992 keine Symptome oder Beschwerdeangaben des Klägers dokumentiert, die belegen, dass er in diesem Zeitraum unter erheblichen Beschwerden von Seiten seiner Atemwege gelitten hat. Zwar hat der Kläger im Mai 1991 Dr. E. wegen Atemnot und einer Belastungsdyspnoe aufgesucht (deren Arztbrief vom 30. Mai 1991). Weiterhin bestand eine Zeit der Arbeitsunfähigkeit wegen einer Bronchitis im Juli/August 1991 für einen Zeitraum von 2 Wochen, allerdings auch nur im Zusammenhang mit dem beim Kläger seit Jahren bestehenden Bluthochdruckleiden (Vorerkrankungsverzeichnis der BKK). Bei den weiteren, zahlreichen Arztbesuchen jedoch hat der Kläger keine Atemwegsbeschwerden geltend gemacht.
Insbesondere während der nur einen Monat nach der Untersuchung bei Dr. E. (Mai 1991) erfolgten, immerhin 11-tägigen stationären Behandlung wegen einer seit drei Jahren bestehenden Schwindelsymptomatik in der BB. gab der Kläger nur noch LWS-Beschwerden und chronische Kopfschmerzen an (Entlassungsbericht vom 9. Juli 1991). Auch in der Folgezeit, insbesondere unmittelbar vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit (30. April 1992), klagte der Kläger nicht über Atemwegsbeschwerden (Untersuchung am 27. Januar 1992 beim Internisten CB., dessen Arztbrief vom 28. Februar 1992; Untersuchung am 28. Februar 1992 in der Nieren- und Hochdrucksprechstunde der Uniklinik N., Arztbrief vom 27. März 1992; Untersuchung bei Dr. DB. am 17. August 1992, dessen MDKN-Gutachten vom 17. August 1992; Antragstellung bei der LVA am 17. August 1992; Untersuchung am 25. Februar 1993 bei der Internistin Dr. M., deren Gutachten vom selben Tag). Stattdessen gab er in den zwei Monaten vor Eintritt seiner Arbeitsunfähigkeit (30. April 1992) wegen der Lumboischialgie an, dass es ihm - abgesehen von den Schwindelzuständen - relativ gut gehe (Arztbrief des Dr. CB. vom 28. Februar 1992) und dass er keine wesentlichen Beschwerden habe (Arztbrief der Uni-Klinik N. vom 27. März 1992). Damit in Einklang steht, dass die behandelnden Ärzte keine pathologischen Befunde von Seiten der Lunge festzustellen vermochten (Arztbrief der Uni-Klinik N. vom 27. März 1992). Auch die Internistin Dr. M., in deren Fachgebiet die Beurteilung von Atemwegserkrankungen fällt, erhob einen normalen Lungenauskultationsbefund ohne Einschränkung der Lungenfunktion und nahm ein vollschichtiges Leistungsvermögen des Klägers an (Gutachten vom 25. Februar 1993).
Infolgedessen steht die Einschätzung der Dres. E., dass sich die Einstellung der Schweißertätigkeit wegen einer Atemwegserkrankung ebenso wie die Gefahr der Entstehung einer BK Nr. 4302 bei Fortsetzung der Tätigkeit nicht feststellen lässt, im Einklang mit den übrigen umfangreichen medizinischen Unterlagen der behandelnden Ärzte und ist plausibel. Der anderslautenden Einschätzung der Dres. FB. und des Prof. Dr. D. vermochte sich der Senat demgegenüber nicht anzuschließen.
Dass eine Verschlimmerung der außerberuflich verursachten bronchialen Hyperreagibilität durch die berufliche Tätigkeit für wahrscheinlich gehalten und dem Kläger deshalb eine Einstellung der Schweißerarbeiten empfohlen worden ist (so Prof. Dr. D. in seiner Stellungnahme vom 1. September 1994), begründet nicht den Anspruch auf eine Übergangsleistung nach § 3 BKV, weil diese die Gefahr des Eintritts einer BK voraussetzt. Die bronchiale Hyperreagibilität ist aber keine BK i.S.d. Nrn. 4301, 4302, so dass die Empfehlung des Prof. Dr. D. von einem rechtlich unzutreffenden Verständnis des § 3 BKV ausgeht.
3. Auch wegen der erst mit Bescheid vom 22. Juli 1997 anerkannten Asbestose bestand bei nachträglicher Betrachtung objektiv kein Zwang zur Einstellung der beruflichen Tätigkeit in dem Zeitraum vom 30. April 1992 bis Herbst 1993. Die während dieser Zeit durchgeführten Untersuchungen ergaben keine Anzeichen für das Vorliegen einer Asbestose. Auch auf dem im Juli 1996 - 3 Jahre nach der Beendigung der Tätigkeit - angefertigten CT fanden sich keine asbestbedingten Veränderungen oder Anzeichen für eine Pleuraasbestose (Gutachten Prof. Dr. K. vom 28. Oktober 1996). Erst die Untersuchung durch Dr. C. am 31. März 1997 zeigte nach Auffassung dieses Sachverständigen entsprechende Veränderungen in der Lunge. Insofern haben Dr. GB. auch plausibel ausgeführt, dass ein objektiver Zwang zur Aufgabe der beruflichen Tätigkeit im April 1992 wegen der Asbestose oder der Gefahr ihres Eintritts nicht bestanden hat. Dieser lässt sich auch nicht bis zum Herbst 1993 feststellen.
4. Hinsichtlich der anerkannten BK Nr. 2301 ergibt sich zu keinem der fraglichen Zeitpunkte ein Zwang zur Aufgabe der Schweißertätigkeit aus den in § 3 Abs. 2 BKV genannten Gründen.
Abgesehen davon, dass der Kläger selbst in dem Zeitraum von April 1992 bis November 1993 gegenüber seinen zahlreichen behandelnden Ärzten oder Gutachtern nicht über Hörstörungen geklagt hat, bestand auch nicht objektiv die Gefahr, dass eine Fortsetzung seiner Schweißertätigkeit sein Hörvermögen verschlechtern würde. Die im März und April 1992 zeitnah zum Zeitpunkt der letztmaligen Verrichtung seiner Lärmarbeit angefertigten Tonaudiogramme belegen eine annähernde Normalhörigkeit links und eine allenfalls beginnende geringgradige Schwerhörigkeit rechts. Es ist nicht ersichtlich, das dieser weitgehend geringe Befund, der nach immerhin 13-jähriger Lärmarbeit eingetreten ist, sich durch eine über den 30. April 1992 hinaus erfolgte Fortsetzung der beruflichen Tätigkeit wesentlich verschlechtert hätte. Denn nach den vom Senat zu berücksichtigenden unfallmedizinischen Erfahrungsgrundsätzen tritt das Hauptausmaß der Lärmschädigung zwischen dem 4. und 12. Lärmjahr, d.h. hier zwischen 1983 und 1991, ein (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Aufl. 1998, S. 385). Zudem wäre der Gefahr einer Verschlechterung des Hörvermögens des Klägers mit Gehörschutzmaßnahmen zu begegnen gewesen. Solche Schutzmaßnahmen zur Verhinderung des Eintritts einer BK sind vor der vollständigen Einstellung der beruflichen Tätigkeit als erstes in Betracht zu ziehen (§ 3 Abs. 1 BKV).
Letztendlich stellt auch der am 19. Juni 1997 vor dem erkennenden Senat geschlossene Vergleich in dem Rechtsstreit L 6 U 118/96 keine Anspruchsgrundlage für die Übergangsleistung des Klägers dar. Entgegen seiner Auffassung hat sich die Beklagte in diesem Vergleich nicht verpflichtet, ihm ohne weitere Prüfung Übergangsleistungen zu gewähren. Dem eindeutigen Wortlaut der vom Vertreter der Beklagten abgegebenen Erklärung, dass dieser über die Frage der Berufshilfe und der Übergangsleistungen nach § 3 der BKV dem Kläger einen Bescheid erteilen werde, ist zu entnehmen, dass die Beklagte in jedem Fall noch eine Prüfung durchführen wollte, ob der Kläger überhaupt die Voraussetzungen für eine Übergangsleistung erfüllt. Dieser Vergleich entsprach auch inhaltlich der damaligen Sach- und Rechtslage. Denn die Voraussetzungen waren im Zeitpunkt des Vergleichsschlusses von der Beklagten noch nicht geprüft worden. Wenn die Beklagte dem Kläger am 19. Juni 1997 direkt - ohne weitere Prüfung - Übergangsleistungen hätte gewähren wollen, wäre dies mit einer anderen Formulierung (z.B.: "Die Beklagte wird dem Kläger Übergangsleistungen nach § 3 BKV erbringen.") zum Ausdruck gebracht worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Es liegt kein Grund vor, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG).