Staatsgerichtshof Niedersachsen
Beschl. v. 08.12.2020, Az.: StGH 1/20
Bibliographie
- Gericht
- StGH Niedersachsen
- Datum
- 08.12.2020
- Aktenzeichen
- StGH 1/20
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2020, 72232
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- Art 54 Nr 1 Verf ND
- § 8 Nr 6 StGHG ND 1996
- § 30 StGHG ND 1996
- § 63 BVerfGG
- § 50 ZPO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die Auflösung einer Landtagsfraktion während der laufenden Wahlperiode führt zum Wegfall der Parteifähigkeit im Organstreitverfahren.
Tenor:
Der Antrag wird verworfen.
Gründe
A.
Die Antragstellerin beantragte mit Schriftsatz vom 20. Mai 2020 festzustellen, dass die Antragsgegnerin die Unterrichtungspflicht nach Art. 25 Abs. 1 NV dadurch verletzt habe, dass sie den Landtag nicht vor Erlass jeder „Niedersächsischen Verordnung zur Beschränkung sozialer Kontakte anlässlich der Corona-Pandemie“ in der nach der Verfassung gebotenen Art und Weise unterrichtet habe. Ende September hat sich die Antragstellerin als Fraktion aufgelöst.
B.
I.
Der Antrag ist unzulässig geworden. Die Antragstellerin hat mit ihrer Auflösung die Parteifähigkeit verloren.
Zum Zeitpunkt der Antragstellung war die Antragstellerin als Fraktion des Niedersächsischen Landtages ein Organteil des Verfassungsorgans Landtag und als solcher im Organstreitverfahren parteifähig (vgl. NdsStGH, Urt. v. 15.1.2019 - StGH 1/18 -, NdsVBl 2019, 115, juris Rn. 30; Urt. v. 8.8.2017 - StGH 2/16 -, Nds. StGHE 5, 264, juris Rn. 56, und zur Rechtslage auf Bundesebene: BVerfG, Urt. v. 21.6.2016 - 2 BvE 13/13 -, BVerfGE 142, 123, 182 [BVerfG 21.06.2016 - 2 BvR 2728/13; 2 BvR 2728/13; 2 BvR 2729/13; 2 BvR 2730/13; 2 BvR 2731/13 ; 2 BvE 13/13], juris Rn. 106 (OMT-Programm); Urt. v. 22.9.2015 - 2 BvE 1/11 -, BVerfGE 140, 115, 138 f., juris Rn. 56 (Spiegelbildlichkeit von Ausschüssen) jeweils m.w.N.). Welche Folgen für die Parteifähigkeit die Auflösung einer Fraktion während der Legislaturperiode auf ein von ihr anhängig gemachtes Organstreitverfahren hat, ist in der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung nicht geklärt (zu den Folgen einer während des Organstreitverfahrens eingetretenen Beendigung der Wahlperiode für die Parteifähigkeit: BerlVerfGH, Beschl. v. 21.3.2003 - 6/01 -, juris Rn. 61 ff.). Das Bundesverfassungsgericht hat die Frage ausdrücklich offen gelassen (BVerfG, Beschl. v. 6.5.2014 - 2 BvE 3/12 -, BVerfGE 136, 190, 192, juris Rn. 4).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist für die Parteifähigkeit im Organstreit grundsätzlich auf den Status der Antragsteller zu dem Zeitpunkt, zu dem sie den Verfassungsstreit anhängig gemacht haben, abzustellen (zu Abgeordneten: BVerfG, Urt. v. 30.7.2003 - 2 BvR 508/01, 2 BvE 1/01 -, BVerfGE 108, 251, 271, juris Rn. 51; zu Bundesministern: BVerfG, Urt. v. 27.2.2018 - 2 BvE 1/16 -, BVerfGE 148, 11, 20, juris Rn. 29, jeweils m.w.N.). Diese Rechtssprechung ist auf die Auflösung einer Fraktion während der Legislaturperiode nicht übertragbar. Im Gegensatz zu Abgeordneten und Bundesministern, die nach dem Ausscheiden aus dem Parlament bzw. aus ihrem Amt zwar ihren Status verlieren, aber als Person weiterhin ihre Rechtsfähigkeit behalten, verliert eine Fraktion mit ihrer Auflösung die Rechtsfähigkeit. Nach § 30 Abs. 3 NAbgG können Fraktionen am allgemeinen Rechtsverkehr teilnehmen und unter ihrem Namen klagen und verklagt werden. Die Rechtsfähigkeit ist also an den Fraktionsstatus gekoppelt. Dies wird auch durch § 33c Abs. 2 2. Alt. NAbgG deutlich. Danach hat die (ehemalige) Fraktion die ihr vom Landtag zur Verfügung gestellten Zuschüsse zurückzuerstatten und die Gegenstände zurückzugeben. Diese Pflicht entfällt nur, wenn die Fraktion bis zum Ende der Wahlperiode besteht und sich zu Beginn der nächsten Wahlperiode erneut bildet (§ 33c Abs. 3 NAbgG). Aus diesen Vorschriften ergibt sich, dass mit dem Zeitpunkt der Auflösung die Rechtsfähigkeit einer Fraktion entfällt. Da nach allgemeinem Prozessrecht die Parteifähigkeit die Rechtsfähigkeit voraussetzt (§ 50 ZPO), hat der mit der Auflösung einer Fraktion verbundene Verlust der Rechtsfähigkeit auch den Verlust der Parteifähigkeit zur Folge (so auch Lenz/Hansel, BVerfGG-Kommentar, 3. Aufl. 2020, § 63 Rn. 28). Mit der Auflösung verliert die Fraktion ihren Status als Teil des Landesverfassungsorgans Landtag und ist damit nicht mehr ein anderer Beteiligter im Sinn des Art. 54 Nr.1 NV und § 8 Nr. 6 NStGHG, der durch die Verfassung oder in der Geschäftsordnung des Landtages mit eigenen Rechten ausgestattet ist (vgl. auch NdsStGH, Urt. v. 19.1.1963 - StGH 3/62 -, StGHE 1, 90, 98 f., juris Rn. 58 ff.). Der Antrag auf Durchführung des Organstreitverfahrens ist damit unzulässig.
II.
Der Antrag wird nach § 12 Abs. 1 NStGHG in Verbindung mit § 24 Satz 1 BVerfGG ohne mündliche Verhandlung durch einstimmigen Beschluss des Staatsgerichtshofs verworfen.
C.
Das Verfahren ist nach § 21 Abs. 1 NStGHG kostenfrei, Auslagen der Beteiligten werden gemäß § 21 Abs. 2 Satz 2 NStGHG nicht erstattet.