Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 09.02.2011, Az.: 1 A 213/10
Beutelschneiderei; Ehrverletzung; Rechtsanwalt; Unterlassung; Widerruf
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 09.02.2011
- Aktenzeichen
- 1 A 213/10
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 45211
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 1004 BGB
- Art 12 GG
- Art 2 GG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die Bezeichnung der Erhebung von Untätigkeitsklagen vor dem Sozialgericht durch einen Anwalt als "Beutelschneiderei" stellt eine Ehrverletzung dar und begründet einen Unterlassungs- und Widerrufsanspruch.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt die Unterlassung von Äußerungen des Justiziars des Beklagten und deren Widerruf.
Im April bzw. Juni 2010 erhob der Kläger in zwei Fällen vor dem Sozialgericht W. Untätigkeitsklage gegen den Beklagten, nachdem über Widersprüche gegen sozialrechtliche Bescheide nicht in der Dreimonatsfrist des § 88 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden worden war. Nach Zustellung der Untätigkeitsklagen erließ der Beklagte die jeweiligen Widerspruchsbescheide, woraufhin der Kläger namens und im Auftrag seiner Mandanten die Verfahren für erledigt erklärte und beantragte, die Kosten dem Beklagten aufzuerlegen. Mit zwei getrennt geführten Schriftsätzen vom 18.08.2010 nahm der Justiziar des Beklagten in den beiden Verfahren Stellung und sprach sich gegen eine Kostenentscheidung zu Lasten des Beklagten aus. In diesen Schriftsätzen führte er unter anderem aus, dass die Erhebung der Untätigkeitsklagen selbst "nichts weiter als Beutelschneiderei" bzw. "nichts weiter als der Versuch der Beutelschneiderei" sei, weil dem Kläger als damaligem Prozessbevollmächtigten Akteneinsicht gewährt worden sei, aber die Verwaltungsvorgänge erst Wochen später zurückgekommen seien.
Mit Schreiben vom 24.08.2010 hat der Kläger wegen dieser Äußerungen Strafanzeige wegen Beleidigung gegen den Justiziar des Beklagten und Strafantrag gestellt. Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen sind bisher nicht abgeschlossen.
Am 25.08.2010 verbreitete der Kläger in einer Pressemitteilung unter Darstellung des Sachverhalts die Äußerungen der "Beutelschneiderei" des Justiziars des Beklagten. Die Mitteilung fand in der regionalen und zum Teil überregionalen Presse ein breites Echo. In den Artikeln wurde berichtet, dass der Justiziar des Beklagten die Worte "Beutelschneiderei" nicht bestritten habe, sondern weiter dazu stehe und ergänzend geäußert habe, die Erhebung der Klagen sei nur erfolgt, um Geld zu verdienen bzw. Anwaltsgebühren zu generieren. In einigen Presseorganen (T. U. vom 28.08.2010 und "V. " vom 01.09.2010) äußerte der Justiziar des Beklagten darüber hinaus, dass der Kläger Untätigkeitsklage erhoben habe, obwohl er mit vorheriger wochenlanger Akteneinsicht in seinem Büro und Eilanträgen bei Gericht selbst dafür gesorgt habe, dass dem Beklagten die Akten über mehrere Wochen entzogen wurden.
Mit Beschluss vom 20.09.2010 hat das Sozialgericht W. in einem der erledigten Untätigkeitsklageverfahren (S XX AS XX/XX) dem Beklagten die Kosten auferlegt mit der Begründung, dass der Beklagte keinen zureichenden Grund im Sinne des § 88 SGG daraus herleiten könne, dass nach Einlegung des Widerspruchs der Klägerin zwischen den Beteiligten ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren geschwebt habe. Dem Beklagten obliege es, zur Erfüllung von Prozessvorlage- oder Entscheidungsfristen erforderliche Aktendoppel anzulegen, um diese Fristen zu wahren.
In einem Schriftsatz vom 24.09.2010 an das Sozialgericht W. in einem anderen Sozialrechtsstreit (S XX AS XX/XX) führte der Beklagte aus, dass "der streitige Schriftsatz vom 18.08.2010 einen willkommenen Anlass für Werbung in eigener Sache des Klägers geboten habe. Dass der Kläger als Person beleidigt worden sein soll, scheine in der Tat nur dieser selbst zu glauben: weder Verwaltungsgericht noch Staatsanwaltschaft hätten an der damaligen Formulierung etwas auszusetzen gehabt". In einer weiteren Stellungnahme an das Sozialgericht W. vom 28.09.2010 wiederum in einem anderen Rechtsstreit (S XX AS XX/XX) äußerte sich der Beklagte dahingehend, dass der Kläger die Untätigkeitsklage vorliegend nicht auf die Leistung in der Hauptsache umgestellt habe, sondern dafür gesonderte Klage eingereicht habe, würde zeigen, dass man den Zweck der erhobenen Untätigkeitsklagen objektiv allein in der "Generierung von Anwaltsgebühren" sehen müsse.
Am 07.09.2010 hat der Kläger Klage erhoben. Er ist der Auffassung, dass die Bezeichnung einer zulässigen, im Interesse der Mandanten sogar notwendigen Erhebung einer Untätigkeitsklage als "Beutelschneiderei" eine Ehrverletzung darstelle. Dies habe bereits das OLG X. im Rahmen eines Streitwertbeschwerdeverfahrens festgestellt. Darüber hinaus sei von ihm in den streitigen sozialrechtlichen Fällen keine wochenlange Akteneinsicht genommen worden, was der Justiziar des Beklagten auch wisse. Vielmehr habe er die Verwaltungsakten am 18.01.2010 in seinem Büro erhalten und bereits am 21.01.2010 wieder an den Beklagten zurückgeschickt. Der Schriftsatz des Beklagten vom 24.09.2010 zeige, dass er an den umstrittenen Äußerungen festhalte.
In der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte erklärt, es zukünftig zu unterlassen, zu behaupten, der Kläger habe in einem der hier zugrundeliegenden sozialrechtlichen Verfahren "wochenlange Akteneinsicht in seinem Büro" genommen. Außerdem werde er diese Äußerung gegenüber dem T. U. und "V. " widerrufen. Daraufhin haben die Beteiligten den Rechtsstreit insoweit für erledigt erklärt.
Der Kläger beantragt,
1. den Beklagten, insbesondere den Ersten Kreisrat Y. Z., zu verpflichten, es zu unterlassen, öffentlich oder sinngemäß zu behaupten, die durch den Kläger erhobenen Untätigkeitsklagen in sozialrechtlichen Streitigkeiten seien "Beutelschneiderei" oder "der Versuch der Beutelschneiderei", solche Klagen seien "ohne materielle Interessen der Kläger" (aus den sozialrechtlichen Verfahren) erfolgt, um Anwaltsgebühren "generieren zu können", oder der Kläger habe selbst dafür gesorgt, dass dem Landkreis die Akten über mehrere Wochen entzogen wurden,
2. den Beklagten zu verpflichten, die im Antrag zu 1. genannten Äußerungen öffentlich in einer Pressemitteilung zu widerrufen, die an den üblichen Presseverteiler des Landkreises, in jedem Fall aber an folgende Presseorgane und Personen zu versenden ist:
P. E.
Q. Tageblatt
R. S.
T. U.
V. und
den Kläger
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, dass dem Kläger das Rechtsschutzbedürfnis fehle, weil er die umstrittenen Worte selbst durch eine Presseerklärung in Umlauf gebracht habe. Außerdem bestehe keine Wiederholungsgefahr, weil der Beklagte kein Interesse habe, diese Angelegenheit in der Öffentlichkeit zu halten. Darüber hinaus stelle der Begriff der "Beutelschneiderei" eine Wertung dar, die in Wahrnehmung berechtigter rechtlicher und wirtschaftlicher Interessen erfolgt sei. Um eine Beleidigung handele es sich nicht. Im Übrigen habe er den Kläger nicht als "Beutelschneider" bezeichnet, sondern lediglich seine Verhaltensweise umschrieben. Damit sei keine persönliche Charakterisierung des Klägers erfolgt.
Auf den Antrag zum Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Unterlassung der Behauptung der "Beutelschneiderei" sowie der Vornahme "wochenlanger Akteneinsicht in den zugrundeliegenden sozialrechtlichen Verfahren in seinem Büro" hat die erkennende Kammer durch rechtskräftigen Beschluss vom 17.09.2010 dem Beklagten untersagt, öffentlich wörtlich oder sinngemäß zu behaupten, der Kläger habe in sozialrechtlichen Verfahren "wochenlange Akteneinsicht in seinem Büro" genommen und "selbst dafür gesorgt, dass dem Landkreis die Akten über mehrere Wochen entzogen wurden". Im Übrigen hat das Gericht den Antrag abgelehnt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
Soweit die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist es in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen. Im Übrigen ist die Klage weitgehend in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
1. a) Soweit der Kläger einen Unterlassungs- und Widerrufsanspruch gegen den Beklagten geltend macht, ist die Klage zulässig, insbesondere ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeit nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen ist. Bei Klagen auf Unterlassung und auf Widerruf von ehrverletzenden, kreditschädigenden oder sonst unzulässigen Äußerungen, die von einem Träger öffentlicher Verwaltung bei Erfüllung hoheitlicher Aufgaben und gestützt auf vorhandene oder vermeintliche öffentlichrechtliche Befugnisse abgegeben werden, handelt es sich um öffentlich-rechtliche Streitigkeiten (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 16. Auflage 2009, § 40 Rn.28). Die Äußerungen des Justiziars des Beklagten erfolgten in seiner Eigenschaft als Amtsträger bei der Erfüllung seiner öffentlichen Aufgaben als Prozessvertreter in gerichtlichen Verfahren.
b) Statthafte Klageart für den vom Kläger verfolgten Unterlassungs- und Widerrufsanspruch ist die allgemeine Leistungsklage.
Soweit der Kläger von dem Beklagten die Unterlassung künftiger Äußerungen verlangt, liegt ein besonderes, d.h. gerade auf die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes gerichtetes Rechtsschutzbedürfnis vor. Dem Kläger kann nicht zugemutet werden, zunächst die Wiederholung der umstrittenen Äußerung abzuwarten und erst dann dagegen vorzugehen (vgl. auch VG Lüneburg, Urteil vom 17.10.2007 - 5 A 247/06 -, Juris Rn. 19). Auch eine Wiederholungsgefahr ist insoweit gegeben. Das schutzwürdige Interesse an der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes bezüglich der Unterlassungsklage entfällt nur dann, wenn eine Wiederholung der streitgegenständlichen Äußerung eindeutig und von vornherein ausgeschlossen werden kann. Das Vorliegen der Wiederholungsgefahr ist tatbestandliches Merkmal des Vorliegens eines Unterlassungsanspruches, so dass fraglich ist, ob es bereits im Rahmen der Zulässigkeit zu prüfen ist (vgl. VG Regensburg, Urteil vom 10.12.2009 - RO 3 K 08.1960 -, Juris Rn. 28). Dies kann jedoch dahingestellt bleiben, da das Vorliegen der Wiederholungsgefahr hier nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann. Der Justiziar des Beklagten hält grundsätzlich inhaltlich an seinen Äußerungen fest und verteidigt sie. Dies zeigt sich vor allem an den beiden Schriftsätzen vom 24. und 28.09.2010.
Das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers entfällt auch nicht deshalb, weil die beanstandeten Äußerungen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in einem gesetzlich geregelten Verwaltungs- und Gerichtsverfahren gefallen sind. Solche Äußerungen, denen im Einzelfall ein kränkender Charakter zukommen kann, sollen in aller Regel nicht mit Ehrenschutzklagen abgewehrt werden können. Das sogenannte Ausgangsverfahren soll nämlich nicht durch eine Beschneidung der Äußerungsfreiheit der daran Beteiligten beeinträchtigt werden. Vielmehr sollen die Parteien und infolge dessen auch die von ihnen bevollmächtigten Personen bzw. Rechtsanwälte in einem Gerichtsverfahren alles vortragen dürfen, was sie zur Wahrung der Rechte der Parteien für erforderlich halten, auch wenn hierdurch die Ehre eines anderen berührt wird. Ob das Vorbringen wahr und erheblich ist, soll allein in dem seiner eigenen Ordnung unterliegenden Ausgangsverfahren geprüft werden. Mit den schutzwürdigen Belangen der Betroffenen und mit den Erfordernissen eines sachgerechten Funktionierens der Rechtspflege wäre es nämlich unvereinbar, wenn die Kompetenzen des Gerichts des Ausgangsverfahrens durch die Möglichkeit einer Geltendmachung von Abwehransprüchen in einem gesonderten Prozess - unter Umständen vor einem anderen Gericht - unterlaufen werden könnten. Deshalb soll in derartigen Fällen für eine Ehrenschutzklage grundsätzlich das Rechtsschutzbedürfnis fehlen (OVG Saarland, Beschluss vom 29.03.2007 - 1 Q 46/06 -, Juris Rn. 15 mit weiteren Nachweisen). Zwar sind die angegriffenen Äußerungen hinsichtlich des Vorwurfes "der Beutelschneiderei" in einem sozialgerichtlichen Verfahren erfolgt, so dass das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage insoweit fehlen könnte. Eine Ausnahme gilt allerdings dann, wenn sich die Äußerungen als Schmähkritik darstellen. Allerdings wird eine Meinungsäußerung nicht schon wegen ihrer herabsetzenden Wirkung für Dritte zur Schmähung. Eine herabsetzende Äußerung nimmt vielmehr erst dann den Charakter der Schmähung an, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie muss jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der Herabsetzung der Person bestehen (OVG Saarland, a. a. O., Rn. 18). Ebenso wie bei der Wiederholungsgefahr ist die ehrverletzende Äußerung Tatbestandsmerkmal des Vorliegens eines Unterlassungsanspruches, so dass auch hier fraglich ist, ob bereits im Rahmen der Zulässigkeit zu prüfen ist, ob es sich bei der ehrverletzenden Äußerung um eine Schmähung im oben beschriebenen Sinne handelt. Dies kann jedoch ebenfalls dahingestellt bleiben, da es nicht von vornherein ausgeschlossen ist, dass die angegriffenen Äußerungen eine Schmähung darstellen könnten. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die nachstehende Begründetheitsprüfung hingewiesen.
Das Rechtsschutzinteresse hinsichtlich der Unterlassung der Behauptungen zur "Beutelschneiderei" fehlt auch nicht deshalb, weil der Kläger diese Äußerungen selbst in die Öffentlichkeit gebracht hat. Diese wäre nur dann der Fall, wenn die Erhebung der Klage offensichtlich rechtsmissbräuchlich wäre. Dafür, dass der Kläger die Verbreitung der Äußerungen allein deshalb vornahm, um dadurch den Grund für die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs vor Gericht zu schaffen, gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Da die Äußerungen in einem gerichtlichen Schriftsatz bereits eine gewisse Öffentlichkeit, mindestens die an dem Verfahren Beteiligten sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Gerichts, erreicht haben und die Weiterverbreitung von dem Kläger nicht zu beeinflussen war, konnte der Kläger durch eine eigene Erklärung an die (breitere) Öffentlichkeit gehen, ohne sein Recht auf eine Unterlassungsklage zu verlieren.
2. Die Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Der Anspruch auf Unterlassung der streitgegenständlichen Äußerungen hat seine Wurzeln in § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB, der über das in der Norm explizit genannte Eigentum hinaus bei der Verletzung anderer absoluter Rechte wie der Ehre entsprechend anzuwenden ist. Anspruchsgrundlage hinsichtlich des Unterlassungsbegehrens ist in analoger Anwendung des § 12 Satz 2, § 862 Abs. 1 Satz 2, § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB i. V. m. § 823 Abs. 1 und 2 BGB, §§ 185 ff. StGB i. V. m. Art. 1, 2 und 12 GG der so genannte quasi-negatorische Unterlassungsanspruch. Der Anspruch wird bei Angriffen auf den Schutzbereich des Persönlichkeitsrechts ausgelöst und kann sich sowohl gegen Tatsachenbehauptungen als auch gegen Meinungsäußerungen und Werturteile richten.
Tatsachenbehauptungen liegen vor, wenn einer Aussage beweisbare Vorgänge zugrunde liegen, die Richtigkeit der Äußerung also durch eine Beweiserhebung objektiv festgestellt werden kann. Meinungsäußerungen sind dagegen nach ihrem wesentlichen Inhalt durch Elemente des Meinens, Dafürhaltens oder Wertens gekennzeichnet und deshalb einem objektiven Richtigkeitsbeweis nicht zugänglich. Vermischen sich beide Elemente in einer Äußerung und lassen sie sich nicht ohne Veränderung des Aussagegehalts voneinander trennen, ist nach dem Schwerpunkt der Äußerung – Überwiegen der Wertung oder aber der Information über Tatsächliches – abzugrenzen. Bei Tatsachenbehauptungen ist grundsätzlich deren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Ferner ist zu beachten, dass auch isoliert für sich wahre Behauptungen ein unwahres Bild der Wirklichkeit ergeben können, wenn wichtige Teile des Geschehens nicht oder nur verzerrt wiedergegeben werden. Andererseits können auch für sich unwahre Behauptungen durch spätere Erklärungen zurechtgerückt werden, ihren ehrverletzenden Charakter verlieren oder in diesem abgeschwächt werden. Bei Meinungsäußerungen ist danach zu fragen, ob das zur Zurückhaltung und Mäßigung verpflichtende Sachlichkeitsgebot verletzt wurde (vgl. dazu insgesamt BVerfG, Beschluss vom 25.10.2005 - 1 BvR 1696/98 -, Juris Rn. 34; VG Regensburg, a. a. O., Rn. 34 f.) und - bei Äußerungen in gerichtlichen Verfahren - ob es sich um Schmähkritik handelt (s. o.).
Gemessen an diesen Grundsätzen handelt es sich bei den Äußerungen über die "Beutelschneiderei" und dass die Klagen "ohne materielle Interessen der Kläger" erfolgt sind, um Anwaltsgebühren "generieren zu können", um Meinungsäußerungen in Form einer Schmähung (a) und bei der Äußerung, "der Kläger habe selbst dafür gesorgt, dass dem Landkreis die Akten über mehrere Wochen entzogen wurden" um eine unwahre Tatsachenbehauptung (b).
a) Mit "Beutelschneider" wurde im Mittelalter ein Dieb bezeichnet, der den am Gürtel befestigten Geld- oder Almosenbeutel samt Inhalt abschnitt. Heute bezeichnet man im übertragenen Sinne auch einen Anbieter überteuerter Waren oder Dienstleistungen als Beutelschneider (vgl. Wikipedia). Es handelt sich um eine abwertende Bemerkung, die im Sinne von Ausplünderung, Übervorteilung oder Nepp verstanden wird. Ob die Person als "Beutelschneider" oder deren Verhaltensweise als "Beutelschneiderei" bezeichnet wird, macht dabei vielleicht sprachlich, aber nicht sinngemäß einen Unterschied. Durch die Umschreibung des Verhaltens wird auch eine Aussage über die Person getroffen. Einer der "Beutelschneiderei" bezichtigten Person wird ein verwerfliches, rechtswidriges, hinterhältiges Verhalten vorgeworfen. Die Bezeichnung des Verhaltens eines Prozessbevollmächtigten und Anwaltes als "Beutelschneiderei" soll dessen Arbeit abwerten und diffamieren. Sie trifft ihn deshalb als Person und in seiner Berufsausübung. Dem Anwalt wird unterstellt, er sei allein auf seinen eigenen Vorteil - nämlich möglichst viele und hohe Gebühren zu erlangen - fixiert, ohne sich um die Interessen und Belange seiner Mandanten zu kümmern. Die Verwendung dieses Begriffes hat mit einer sachlichen Auseinandersetzung um die Kostentragungspflicht in erledigten sozialgerichtlichen Verfahren nichts mehr zu tun. Sie stellt deshalb eine Schmähung des Klägers dar. Gleiches gilt für die Äußerung, die (Untätigkeits-)Klagen seien "ohne materielle Interessen der Kläger" erfolgt, um "Anwaltsgebühren generieren zu können". Damit hat der Beklagte den Begriff der "Beutelschneiderei" noch einmal allgemein verständlich ausgefüllt und umschrieben, um das aus seiner Sicht verwerfliche Verhalten des Klägers eindeutig zu benennen. Darin dass der Justiziar des Beklagten in der Presse die Verwendung des Begriffes "Beutelschneiderei" bestätigte, zum Teil bekräftigte und über den Text der Presseerklärung des Klägers hinaus das Verhalten so darstellte, als ob der Kläger aus reiner Gewinnsucht gehandelt habe, liegt auch eine Äußerung in der Öffentlichkeit. Es handelt sich deshalb um einen rechtswidrigen hoheitlichen Eingriff in die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) sowie in das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) des Klägers (so auch bereits OLG X., Beschluss vom 27.10.2010 - X W XX/XX -). Dies gilt umso mehr, als der Kläger lediglich die seinen Mandanten zustehenden Rechte aus § 88 SGG wahrgenommen hat. Es liegt allein im Verantwortungsbereich des Beklagten, über Widersprüche innerhalb von drei Monaten zu entscheiden. Erfolgt dies nicht, steht den Betroffenen nach § 88 SGG die Möglichkeit der Erhebung der Untätigkeitsklage zu. Die Wahrnehmung dieser Rechte als "Beutelschneiderei" zu bezeichnen bzw. Gewinnsucht zu unterstellen, geht deshalb nicht nur weit an der Sache vorbei, sondern verschiebt die Verantwortungsbereiche und stellt eine Herabwürdigung des Klägers dar. Dem Justiziar des Beklagten muss auch bekannt sein, dass das Abwarten von der Entscheidung in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren kein zureichender Grund für das Absehen der Entscheidung über einen Widerspruch im Sinne des § 88 SGG ist (siehe Meyer-Gladewig/ Keller/Leiterer, Kommentar zum SGG, 9. Auflage 2008, § 88 Rn. 7b). Außerdem lag die zur Begründung der "Beutelschneiderei" unterstellte Verhaltensweise des Klägers gar nicht vor. Der Justiziar des Beklagten warf dem Kläger zu Unrecht und wider besseren Wissens vor, die Verwaltungsvorgänge wochenlang der Bearbeitung entzogen zu haben (s. dazu unten ausführlich).
Als präventiver Schutz des Persönlichkeitsrechts setzt der quasi-negatorische Unterlassungsanspruch voraus, dass dessen widerrechtliche Beeinträchtigung droht. Die konkrete Wiederholungsgefahr liegt vor. Sie erfordert die auf Tatsachen gegründete objektive ernstliche Besorgnis weiterer Störungen zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung. Weitere identische oder sinngemäße Äußerungen sind z. B. zu besorgen, wenn eine Unterlassungserklärung nicht abgegeben wird und die bereits erfolgten Äußerungen als angemessen erachtet werden. Die Wiederholung einer Äußerung scheint dagegen fraglich, wenn sich nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand keine Situation abzeichnet, in welcher Reflektionen über die abstrakte Fragestellung zu erwarten sind, und das Thema nicht von aktueller Bedeutung ist (vgl. VG Hamburg, Urteil vom 11.10.2006 - 10 K 914/06 -, Juris Rn. 83 m.w.N.). Der Beklagte hat eine Unterlassungserklärung nicht abgegeben und nicht zu erkennen gegeben, dass er die Äußerung unterlassen wird. Er ist weiterhin der Auffassung, dass er den Begriff der "Beutelschneiderei" zur Verteidigung seiner Rechtsposition in einem geregelten gerichtlichen Verfahren und im öffentlichen Meinungskampf weiter gebrauchen darf. Dies hat er in der mündlichen Verhandlung nochmals eindeutig zum Ausdruck gebracht. Gegenüber dem SG W. hat er außerdem unter Hinweis auf das Verwaltungsgericht und die Staatsanwaltschaft deutlich gemacht, an dem Begriff der "Beutelschneiderei" sei nichts auszusetzen, obwohl das Verwaltungsgericht in seinem Eilbeschluss vom 17.09.2010 diese Frage ausdrücklich offen gelassen und die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen noch gar nicht abgeschlossen hatte.
Die Voraussetzungen für einen Unterlassungsanspruch liegen damit vor.
b) Bei der Behauptung des Justiziars des Beklagten, der Kläger habe in sozialrechtlichen Verfahren "selbst dafür gesorgt, dass dem Landkreis die Akten über mehrere Wochen entzogen wurden", handelt es sich um eine unwahre Tatsachenbehauptung. Durch Vorlage entsprechender Schreiben und Auszüge aus dem Postausgangsbuch der Kanzlei des Klägers steht fest, dass der Beklagte dem Kläger die Verwaltungsakten mit Schreiben vom 13.01.2010 zugeleitet hatte, die am 18.01.2010 in seinem Büro angekommen waren. Der Kläger hat die Akten dann mit Schreiben vom 20.01.2010 am 21.01.2010 an den Beklagten zurückgeschickt. Dies bestreitet der Beklagte auch nicht (mehr). Soweit er vorträgt, mit den Äußerungen sei gemeint gewesen, dass ihm die Akten insgesamt über mehrere Wochen nicht zur Bearbeitung zur Verfügung gestanden hätten, weil sie dem Sozialgericht aufgrund von in derselben Sache gestellten Eilanträgen des Klägers hätten vorgelegt werden müssen, rechtfertigt dies die Äußerungen nicht. Die eigentliche Akteneinsicht des Klägers hat nämlich nur drei Tage gedauert. Wenn dem Beklagten die Akten aufgrund der Aktenvorlage bei Gericht zur Bearbeitung nicht zur Verfügung gestanden haben, liegt das nicht im Verantwortungsbereich des Klägers, sondern des Beklagten selbst. Durch Anlage von Retenten wäre er in der Lage gewesen, die Bearbeitung fortzusetzen (siehe auch Beschluss des SG W. vom 20.09.2010 - S XX AS XX/XX -). Durch die Äußerungen in der Presse hat der Beklagte diesen Umstand verschleiert und zu Unrecht die Verantwortung dem Kläger zuschieben wollen. Die Äußerungen in der Presse lassen ein anderes Verständnis nicht zu. Sie lauten: "…hat in Sachen der Großfamilie H. Untätigkeitsklage erhoben, obwohl er mit vorheriger wochenlanger Akteneinsicht in seinem Büro und Eilanträgen bei Gericht selbst dafür gesorgt hat, dass dem Landkreis die Akten über mehrere Wochen entzogen wurden". In der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte auf die Richtigkeit seiner Äußerung und seiner Auslegung bestanden. Eine Unterlassungserklärung lehnte er ausdrücklich ab, so dass auch die notwendige Wiederholungsgefahr vorliegt.
Der Kläger hat deshalb auch insoweit einen Unterlassungsanspruch.
3. Dem Kläger steht der im Klageantrag zu 2. geltend gemachte öffentlich-rechtliche Widerrufsanspruch weitgehend zu.
Der öffentlich-rechtliche Widerrufsanspruch wird ebenfalls aus einer entsprechenden Anwendung von § 1004 BGB unmittelbar aus dem Folgenbeseitigungsanspruch hergeleitet. Er setzt voraus, dass es sich bei der Äußerung, deren Widerruf begehrt wird, um eine Behauptung handelt, die für den Betroffenen ehrenrührig ist, und dass dessen Beeinträchtigung in der Gegenwart noch fortwirkt (vgl. VG Minden, Urteil vom 03.11.2003 - 3 K 1966/02 -, Juris Rn. 57). Er ist auf die Wiederherstellung des Zustands gerichtet, der im Zeitpunkt des Eingriffs bestand. Wie unter 2. dargelegt liegen diese Voraussetzungen hier vor.
Da die Äußerungen des Beklagten nicht über den "üblichen" Presseverteiler des Beklagten verbreitet wurde, sondern allein in speziellen Presseorganen erfolgte, besteht der Widerrufsanspruch nur gegenüber diesen Presseorganen und gegenüber dem Kläger.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, weil das Unterliegen des Klägers gering und der Beklagte durch die Abgabe der (Teil-)Unterlassungserklärung dem Klagebegehren teilweise nachgekommen ist.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Bei der Widerrufs- und Unterlassungsklage des Klägers handelt es sich um eine auf schlichthoheitliches Verwaltungshandeln gerichtete Leistungsklage, auf die § 167 Abs. 2 VwGO nach Sinn und Zweck der Regelung - in die hoheitliche Verwaltung nur mit rechtskräftigen Entscheidungen einzugreifen - entsprechend anwendbar ist. Dementsprechend war der Vollstreckungsausspruch auf die Kostenentscheidung zu begrenzen (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 18.01.2000 - 11 L 87/00 -, Juris Rn. 13).