Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 28.10.2003, Az.: 2 B 341/03

Ausnahme; Ausnahmefall; Ausschlusswirkung; Außenbereich; Außenbereichsvorhaben; Beeinträchtigung; Belang; Darstellung; Einvernehmen; Entwurf; Ersetzung; Flächennutzungsplan; Gemeinde; gemeindliches Einvernehmen; Konzentrationszone; Konzept; Negativwirkung; Planentwurf; Plankonzept; Plankonzeption; Planreife; Sondergebiet; Standortzuweisung; Versagung; Vorranggebiet; Windenergie; Windenergieanlage; Windkraft; Windkraftanlage; Wirksamkeit; öffentlicher Belang

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
28.10.2003
Aktenzeichen
2 B 341/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 48527
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Zu einem Ausnahmefall der Ausschlusswirkung eines in einem Flächennutzungsplan festgelegten Vorranggebietes für Windenergie (hier: Abstand zum Plangebiet 21 Meter bei Einhaltung der der Planung zugrundeliegenden Plankonzeption.

2. Zu den Auswirkungen planreifer Flächennutzungspläne auf die Berechtigung der Gemeinde, ihr Einvernehmen nach § 36 Abs 2 BauGB zu versagen.

Tenor:

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.000, € festgesetzt.

Tatbestand:

1

Am 10. Januar 2002 beantragte die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen bei dem Antragsgegner die Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung einer Windenergieanlage. Die Anlage sollte eine Nennleistung von 850 kw, eine Nabenhöhe von 74 m und einen Rotordurchmesser von 52 m haben. Ursprünglich war die Errichtung auf dem Flurstück X vorgesehen.

2

Am 14. Februar 2002 versagte die Antragstellerin ohne nähere Begründung die Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens zu diesem Vorhaben.

3

Am 17. Dezember 2002 beschloss der Rat der Antragstellerin die 14. Änderung des Flächennutzungsplanes für die A.. In diesem, mit den Nachbargemeinden L. und M. abgestimmten Flächennutzungsplan, der seit dem 14. Februar 2003 rechtswirksam ist, wies die Antragstellerin erstmals ein Sondergebiet für Windenergie nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 BauGB aus. Der ursprünglich vorgesehene Standort der Windenergieanlage lag außerhalb dieses Gebietes. Der Ausweisung des Sondergebietes lag eine umfassende und flächendeckende Untersuchung des gesamten Gemeindegebiets aus landschafts- und siedlungsökologischer aber auch aus ökonomischer Sicht (Potenzialstudie zur Steuerung von Windenergieanlagen) zugrunde. Diese Untersuchung fand Eingang in den Erläuterungsbericht zur 14. Änderung des Flächennutzungsplans. Bei der Ermittlung der Potenzialflächen für Windenergienutzung galt als ein Ausschlusskriterium im Sinne der Kennzeichnung von Tabuzonen ein Siedlungsabstand von 500 m. Weiter heißt es, der - hier fragliche - Standort N. halte zu den nördlichen Siedlungsrändern von A. und zu der Siedlung " P." einen Abstand von 500 m. Durch den ausreichenden Siedlungsabstand sei nicht damit zu rechnen, dass sich Betriebsgefahren bis dorthin auswirken könnten. Es seien keine unzumutbaren Lärmbeeinträchtigungen zu erwarten. Die Auswirkungen würden als nicht erheblich eingestuft. Dabei sei zu berücksichtigen, dass der Standort im Bezug auf die vorherrschende Windrichtung Südwest leeseitig zu den Siedlungen liege, was sich lärmmindernd auswirke.

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Am 26. Mai 2003 stellte die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen einen neuen Bauantrag, mit dem sie eine Baugenehmigung für die Errichtung derselben Windenergieanlagen auf dem Flurstück Y begehrte. Mit Schreiben vom 26. Mai, 17. Juni und 29. Juli 2003 versagte die Antragstellerin auch hierzu das gemeindliche Einvernehmen. Zur Begründung gab sie an, der Standort liege weiterhin außerhalb des Sondergebietes Windenergie. Mindestens dem Versagungsschreiben vom 29. Juli 2003 lag ein Beschluss des Verwaltungsausschusses der Antragstellerin zugrunde. Die Beschussempfehlung hierzu lautete, der Verwaltungsausschuss möge beschließen, das Einvernehmen für die Errichtung einer Windenergieanlage auf dem Grundstück X zu versagen, da das Vorhaben außerhalb des Sondergebietes "Windenergieanlagen N." liege. Diese Empfehlung wurde einstimmig angenommen.

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Am 8. Juli 2003 verabschiedete der Rat der Antragstellerin die 16. Änderung des Flächennutzungsplans der A.. Mit dieser Änderung wurde das Sondergebiet Windenergie dergestalt verkleinert, dass nunmehr ein Mindestabstand von 750 m zu Siedlungsbereichen eingehalten werden sollte. In dem Erläuterungsbericht zu dieser Änderung, die ebenfalls wieder in Abstimmung mit den Nachbargemeinden M. und L. erfolgte, wird ausgeführt, die der 14. Änderung des Flächennutzungsplans zugrunde liegende Planung habe unter dem Einfluss der Rechtsprechung des OVG Lüneburg gestanden, wonach sich die Privilegierung von Windenergieanlagen im Außenbereich in einem stärkeren Durchsetzungsvermögen gegenüber den berührten öffentlichen Belangen auswirke. Des weiteren habe sich die planende Gemeinde nach dieser Rechtsprechung nicht von der Systematik der TA-Lärm lösen dürfen. Da die Abstandsempfehlungen des Innenministeriums zu Siedlungen auf dieser Systematik beruhten, habe nach der Rechtsprechung eine Vergrößerung der Abstände ganz besonderer Gründe bedurft. Diese Rechtsprechung sei durch ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Dezember 2002 gegenstandslos geworden. Diese neue Rechtslage habe die drei Gemeinden veranlasst, einvernehmlich die bisher in ihren Flächennutzungsplänen dargestellte Flächengröße erneut anhand der öffentlichen und privaten Belange zu überprüfen und ggf. zu reduzieren. So sei zwar durch die Einhaltung der geforderten Abstände laut den Abstandsempfehlungen des Innenministeriums (z.B. 500 m zu allgemeinen Wohngebieten und Mischgebieten sowie 300 m zu Außenbereichssiedlungen) eine Lärmbelastung nicht zu erwarten. Bei einer vollständigen Inanspruchnahme der Standorte und der damit verbundenen hohen Zahl an Windenergieanlagen könne man aber davon ausgehen, dass die geforderten Werte der TA-Lärm nicht eingehalten werden könnten. Vielmehr weise das Gebiet bei voller Auslastung einen Industriegebietscharakter auf, der weitaus größere Abstände (im Rahmen von 900 bis 1500 m) zu einer Wohnbebauung zur Folge habe. Entsprechende Bedenken habe bereits die untere Immissionsschutzbehörde des Antragsgegners in ihrer Stellungnahme zur 14. Flächennutzungsplanänderung geäußert. Dem wolle die Antragstellerin nunmehr bereits auf Flächennutzungsplanebene Rechnung tragen und habe die Abstände zu den Siedlungslagen auf 750 m vergrößert.

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Mit Bescheid vom 11. August 2003, berichtigt durch Bescheid vom 21. August 2003, erteilte der Antragsgegner der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung zur Errichtung der Windenergieanlage. Ebenfalls mit Bescheid vom 11. August 2003 gegenüber der Antragstellerin ersetzte der Antragsgegner das gemeindliche Einvernehmen und ordnet die sofortige Vollziehung dieses Bescheides an. Zur Begründung gab der Antragsgegner an, die Antragstellerin habe das gemeindliche Einvernehmen rechtswidrig versagt. Denn es lasse sich nicht zweifelsfrei klären, ob der für die Windenergieanlage vorgesehene Standort tatsächlich außerhalb des durch die 14. Änderung des Flächennutzungsplans der A. ausgewiesenen Sondergebietes liege. Zeichnerische Ungenauigkeiten des Bauleitplanes dürften nicht zu Lasten des Bauherren gehen. Selbst wenn der Standort außerhalb des Sondergebietes liege, greife die Regelvermutung des § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB nicht. Planungsziel und Planungswillen der Antragstellerin sei es gewesen, zwischen Windenergieanlagen und jeweiliger Wohnnutzung einen Abstand von 500 m herzustellen. Dieser Abstand werde durch die streitgegenständliche Windenergieanlage auch dann eingehalten, wenn sie, wie die Antragstellerin vortrage, 16 m außerhalb des Sondergebietes liege. Da auch die übrigen bau- und bauplanungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt seien, habe die Antragstellerin ihr Einvernehmen rechtswidrig versagt.

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Die Anordnung der sofortigen Vollziehung begründete der Antragsgegner damit, dass es nicht hingenommen werden könne, dass bis zur Entscheidung über einen etwaigen Widerspruch und eine evtl. anschließende Klage die Durchführung des Bauvorhabens verzögert und unter Umständen durch Eintritt einer neuen Rechtslage völlig vereitelt werde. Die Beigeladene habe den in der 14. Änderung des Flächennutzungsplanes zum Ausdruck kommenden Planungswillen der Antragstellerin akzeptiert und den Standort der Windenergieanlage soweit wie möglich verschoben. Mit der sofortigen Vollziehung würden nicht nur wirtschaftliche Schäden der Antragsteller, sondern auch Schadensersatzansprüche gegen die Antragstellerin abgewendet.

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Gegen beide Bescheide legte die Antragstellerin unter dem 1. September 2003 Widerspruch ein, über den bisher nicht entschieden wurde.

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Am 2. September 2003 hat die Antragstellerin um Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nachgesucht.

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Sie beruft sich auf § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB. Der von der Beigeladenen vorgesehene Standort für die Windenergieanlage liege 16 m außerhalb des durch die 14. Änderung des Flächennutzungsplans der A. ausgewiesenen Sondergebiets Windenergie. Eine Ausnahme könne nicht gemacht werden, da in dem fraglichen Gebiet noch keine Windenergieanlagen vorhanden seien und die Kapazität der Sondergebietsflächen noch nicht ausgeschöpft sei. Das Schutzinteresse der Bewohner des nächstgelegenen Siedlungsbereiches "P." verlange den größtmöglichen, städtebaulich noch vertretbaren Abstand von 500 m. Diesen Abstand halte die Anlage nicht ein. Darüber hinaus werde der Abstand durch die noch zu genehmigende 16. Änderung des Flächennutzungsplans der A. auf 750 m erweitert. Diesem Schutzinteresse könne die Beigeladene eigene schutzwürdige Interessen nicht entgegenhalten. Sie verlege den Standort nur deshalb nicht in das Plangebiet, weil sie bauordnungsrechtliche Abstandskonflikte vermeiden wolle, die anderenfalls entstünden. Demgegenüber könne sie, die Antragstellerin, sich auf ein besonderes politisches  und Bürgerinteresse an der Einhaltung der Flächennutzungsplanbestimmungen berufen.

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Die Antragstellerin beantragt,

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die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 1. September 2003 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 11. August 2003 betreffend die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens wieder herzustellen.

13

Der Antragsgegner und die Beigeladene beantragen,

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den Antrag abzulehnen.

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Der Antragsgegner vertieft sein bisheriges Vorbringen wie folgt:

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Weder immissionsschutz- noch naturschutz- noch erschließungsrechtliche Bedenken stünden der Errichtung der Anlage entgegen. Es lasse sich zeichnerisch nicht feststellen, ob die Anlage außerhalb des Vorranggebietes liege. Diese Ungenauigkeit gehe zu Lasten der Antragstellerin. Selbst wenn die Anlage 16 m außerhalb der Sondergebietsfläche liege, bestehe ein Ausnahmefall im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Denn die der Planung der Antragstellerin zugrunde liegende Konzeption werde durch die Errichtung der Windenergieanlage nicht beeinträchtigt. Der Abstand zwischen dieser Anlage und der nächstgelegenen Wohnbebauung in der Siedlung " P." betrage mehr als 500 m. Der von der Antragstellerin in ihren Planungsunterlagen abgebildete Pfeil mit einer Meterangabe von 500 m ende an einem Gebäude, bei dem es sich nicht um ein Wohngebäude, sondern eine Reithalle handele.

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Diesen Gesichtspunkt greift auch die Beigeladene in ihrer Begründung auf und macht geltend, die Antragstellerin sei infolge dessen von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen. Dies mache den Flächennutzungsplan rechtswidrig. Im Übrigen befinde sich die von ihr geplante Windenergieanlage innerhalb des Flächennutzungsplangebietes. Dies ergebe sich daraus, dass nicht auf den Mittelpunkt der Turmachse, der 16 m außerhalb des Gebietes liege, sondern auf die Fläche einschließlich des Rotordurchmessers abzustellen sei. Dieser betrage 52 m, so dass ausgehend von dessen Hälfte (26 m) die Anlage mit 10 m innerhalb des Flächennutzungsplangebietes liege. Schließlich unterstützt die Beigeladene die Argumentation des Antragsgegners, dass die planerische Konzeption der Antragstellerin durch die Errichtung der Anlage nicht beeinträchtigt werde. Durch Vorlage einer katasteramtlichen Vermessung weist die Beigeladene nach, das der erwünschte Abstand zur Wohnbebauung von 500 m eingehalten werde.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge der Antragstellerin und des Antragsgegners Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der Beratung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg. Die im Rahmen dieses Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem Interesse des Antragsgegners und der Beigeladenen, das versagte Einvernehmen gemäß § 36 Abs. 2 S. 3 BauGB zu ersetzen und dem Interesse der Antragstellerin, von der Vollziehung der angegriffenen Verfügung vom 11. August 2003 einstweilen, das heißt bis zur rechtskräftigen Bescheidung des dagegen eingelegten Rechtsbehelfs verschont zu bleiben, geht zu Lasten der Antragstellerin aus. Denn es lässt sich bei der in diesem Verfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Rechtmäßigkeitsprüfung erkennen, dass die angegriffene Verfügung voraussichtlich rechtmäßig ist.

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Der Antragsgegner hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung seines Bescheides vom 11. August 2003 in einer noch den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO genügenden Weise insbesondere mit den schützenswerten Investitionsinteressen der Beigeladenen begründet.

21

Der Bescheid ist voraussichtlich sowohl formell- als auch materiell-rechtlich rechtmäßig.

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Der Antragsgegner ist gemäß § 36 Abs. 2 S. 3 BauGB i.V. mit §§ 1 a Nr. 1 DVO-BauGB, 63 Abs. 1 NBauO als untere Bauaufsichtsbehörde zuständig für die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens.

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Auch inhaltlich bestehen voraussichtlich rechtliche Bedenken gegen die Ersetzung des Einvernehmens der Antragstellerin zu dem von der Beigeladenen beabsichtigten Bauvorhaben (Errichtung einer Windenergieanlage auf dem Flurstück Y) mit Bescheid vom 11. August 2003 nicht, da die Antragstellerin ihr Einvernehmen zu diesem Vorhaben rechtswidrig versagt hat.

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Gemäß § 36 Abs. 2 S. 1 BauGB darf das nach § 36 Abs. 1 S. 1 BauGB erforderliche Einvernehmen der Gemeinde nur aus den sich aus den §§ 31, 33, 34 und 35 BauGB ergebenden Gründen versagt werden. Die Antragstellerin darf ihr Einvernehmen deshalb nur dann versagen, wenn das Vorhaben der Beigeladenen gemessen an den maßgeblichen bauplanungsrechtlichen Vorschriften, hier also, da es sich um ein Außenbereichsvorhaben handelt, an § 35 BauGB unzulässig ist. Ein weitergehendes Prüfungsrecht steht ihr nicht zu (OVG Lüneburg, Beschluss vom 12.09.2003 - 1 ME 212/03 -).

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Die Antragstellerin stützt die Versagung ihres Einvernehmens voraussichtlich zu Unrecht auf § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB. Danach stehen öffentliche Belange einem Vorhaben nach Abs. 1 Nr. 2 - 6 (hier handelt es sich um ein solches der Nummer 6) in der Regel auch dann entgegen, soweit hierfür durch Darstellungen im Flächennutzungsplan oder als Ziele der Raumordnung eine Ausweisung an anderer Stelle erfolgt ist.

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Eine derartige Ausweisung hat die Antragstellerin hier durch die 14. Änderung ihres Flächennutzungsplans vorgenommen. Die Gemeinde bekommt durch § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB ein Instrument an die Hand, das es ihr ermöglicht, durch eine Kanalisierung der in § 35 Abs. 1 Nr. 2 - 6 BauGB aufgeführten Vorhaben, die städtebauliche Entwicklung in ihrem Gemeindegebiet in geordnete Bahnen zu lenken. Bedient sich die Gemeinde, wie die Antragstellerin, der ihr in § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB aufgezeigten Planungsmöglichkeiten, so kommt dies einer planerischen Kontingentierung gleich. Mit der positiven Festlegung von Vorrangflächen geht eine Negativwirkung in dem Sinne einher, dass außerhalb der Vorrangflächen Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 - 6 BauGB nicht zulässig sind. Die Darstellung einer derartigen Konzentrationszone besitzt die ihr zugedachte Negativwirkung nur dann, wenn ihr ein schlüssiges Planungskonzept zugrunde liegt, das sich auf den gesamten Außenbereich erstreckt. Die gemeindliche Entscheidung muss nicht nur Auskunft darüber geben, von welchen Erwägungen die positive Standortzuweisung getragen wird, sondern auch deutlich machen, welche Gründe es rechtfertigen den übrigen Planungsraum von Windkraftanlagen freizuhalten. Die mit der positiven Standortzuweisung verbundene Ausschlusswirkung muss durch städtebauliche Gründe legitimiert sein (BVerwG, Urteil vom 17.12.2002 - 4 C 15/01 -, NVwZ 2003, 733; OVG Lüneburg, a.a.O.).

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Ein derartiges planerisches Konzept liegt der 14. Änderung des Flächennutzungsplans der Antragstellerin ausweislich des ihr beigegebenen Erläuterungsberichtes zugrunde. Aus diesem Bericht ergibt sich insbesondere, dass ein Mindestabstand von 500 m zwischen Vorranggebiet und Wohnbebauung zum Schutze der Wohnbevölkerung eingehalten werden soll.

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Die Kammer hat keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Planes. Soweit die Beigeladene einwendet, dieser Flächennutzungsplan sei rechtswidrig, weil die Antragstellerin von falschen Tatsachen ausgehe, da die Wohnbebauung des Siedlungsgebietes "P." mehr als 500 m vom Vorranggebiet entfernt sei, folgt die Kammer dem nicht. Denn weder aus dem Flächennutzungsplan selbst noch aus dem dazu gehörigen Erläuterungsbericht lässt sich ableiten, das es abwägungsfehlerhaft wäre, einen größeren Abstand zwischen Sondergebiet und Wohnbebauung auszuweisen als 500 m. So ist auch auf den ersten Blick ersichtlich, dass große Flächen des Vorranggebietes deutlich mehr als 500 m von der nächsten Wohnbebauung entfernt sind.

29

Gleichwohl ist die Antragstellerin rechtlich nicht befugt, dem Bauvorhaben der Beigeladenen die Festsetzungen der 14. Änderung des Flächennutzungsplans entgegen zu halten.

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Mittlerweile unstreitig und zutreffend gehen die Beteiligten jedoch davon aus, dass die geplante Anlage der Beigeladenen außerhalb des Plangebiets liegt. Denn für die Frage, wo die Anlage belegen ist, kommt es allein auf den Standpunkt der Turmachse an, der nach der von der Beigeladenen vorgelegten katasteramtlichen Vermessung vom 1. Oktober 2003 21,5 m außerhalb des Sondergebietes Windenergie liegt. Die Fläche, die von einem Rotor der Anlage noch beschattet wird (26 m), ist für die Standortfrage unmaßgeblich. Insoweit lässt sich die Rechtsprechung des OVG Lüneburg zu den abstandsrechtlichen Vorschriften der Niedersächsischen Bauordnung (OVG Lüneburg, Beschluss vom 13.08.2001 - 1 L 4098/00 -, NVwZ-RR 2002, 334 [OVG Rheinland-Pfalz 20.09.2001 - 6 A 10982/01.OVG], m.w.N.) auf die Bestimmung des Standortes einer solchen Anlage nicht übertragen. Denn sie findet in den abstandrechtlichen Besonderheiten der §§ 12 a Abs. 1, 7 Abs. 1 und 3 NBauO ihre Rechtfertigung, nach denen es für die einzuhaltenden Grenzabstände maßgeblich auf die Höhe der Anlage ankommt.

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Gleichwohl ist es der Antragstellerin verwehrt, sich auf § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB zu berufen.

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Denn die Ausschlusswirkung des in einem Flächennutzungsplan festgelegten Vorranggebietes steht einem gebietsexternen Windenergievorhaben nicht strikt und unabdingbar, sondern nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB (nur) "in der Regel" entgegen. Der Planungsvorbehalt steht also unter einem gesetzlichen "Ausnahmevorbehalt", der die Möglichkeit zur Abweichung in atypischen Einzelfällen eröffnet. Dieser "Ausnahmevorbehalt" stellt ein Korrektiv dar, das unverhältnismäßigen (unzumutbaren) Beschränkungen des Grundeigentümers in Sonderfällen vorbeugt, ohne dass die Grundzüge der Planung in Frage gestellt werden. Eine Abweichung im Einzelfalle ist deshalb unter dem Vorbehalt möglich, dass die Konzeption, die der Planung zugrunde liegt, als solche nicht in Frage gestellt wird. Das mit der Ausweisung an anderer Stelle verfolgte Steuerungsziel darf nicht unterlaufen werden. So können es zum Beispiel auch die kleinräumlichen Verhältnisse rechtfertigen, von der auf den gesamten Planungsraum bezogenen Beurteilung des Planungsträgers abzuweichen. Ist aufgrund topographischer oder sonstiger Besonderheiten eine Beeinträchtigung der als störempfindlich und schutzwürdig eingestuften Funktionen des betreffenden Landschaftsraumes nicht zu besorgen, so widerspricht es der Zielrichtung des Planvorbehaltes nicht, das Vorhaben zuzulassen (vgl. zum ganzen BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2002, a. a. O. Seite 773 f.; BVerwG, Urteil vom 13. März 2003 - 4 C 4/02 -, NVwZ 2003 738, 741). So liegt der Fall hier.

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Der Planung der Antragstellerin für die 14. Flächennutzungsplanänderung liegt in dem hier interessierenden Teil das Konzept zugrunde, zwischen dem Sondergebiet Windenergie und der nächst gelegenen Wohnbebauung im Interesse des Gesundheitsschutzes der Bewohner einen Mindestabstand von 500 m auszuweisen. Darauf, dass dieser Abstand nicht eingehalten werde, hat die Antragstellerin auch die Versagung ihres Einvernehmens maßgeblich gestützt. Wie die Beigeladene durch Vorlage der katasteramtlichen Vermessung vom 1. Oktober 2003 nachgewiesen hat, beträgt der geringste Abstand zwischen der von ihr geplanten Windenergieanlage und der nächstgelegenen Wohnbebauung des Siedlungsgebietes " P." indes 524,3 m. Zwar beträgt der Abstand zum nächstgelegenen Gebäude 485,2 m, jedoch handelt es sich hierbei nicht um ein zum Wohnen genutztes Gebäude, sondern um eine Reithalle. Selbst wenn man nicht auf die tatsächliche Wohnbebauung, sondern auf die nach der seit 12. Juni 1998 rechtsverbindlichen Satzung der Antragstellerin über die Entwicklung und die Ergänzung der Siedlung P. bauplanungsrechtlich zulässige Wohnbebauung abstellen würde, ergäbe sich kein anderes Ergebnis. Denn die hierin festgelegten Flächen für Vorhaben zugunsten von Wohnzwecken liegen ebenfalls mehr als 500 m von der geplanten Windenergieanlage entfernt.

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Das von der Antragstellerin zugrunde gelegte Plankonzept wird durch die zu errichtende Windenergienanlage folglich nicht beeinträchtigt. In Anbetracht des geringen Abstands der geplanten Anlage zum Sondergebiet von 21,5 m sowie in Anbetracht des Umstandes, dass in geringer Entfernung südwestlich vom vorgesehenen Standort eine weitere Windenergieanlage genehmigt worden ist, hält es die Kammer für angezeigt, hier einen Ausnahmefall im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anzunehmen.

35

Schließlich rechtfertigt sich die Versagung des gemeindlichen Einvernehmens nach summarischer Rechtmäßigkeitsprüfung nicht durch die vom Rat der Antragstellerin am 8. Juli 2003 beschlossenen Festsetzungen der 16. Änderung des einschlägigen Flächennutzungsplanes, durch die die Antragstellerin das Vorranggebiet mit dem Ziel verkleinert hat, dass zwischen möglichen Windenergieanlagen und der nächsten Wohnbebauung ein Abstand von mindestens 750 m einzuhalten ist.

36

Die Kammer geht zugunsten der Antragstellerin davon aus, dass auch dieser Entscheidung über die Ausweisung eines Vorranggebietes für Windenergieanlagen ein schlüssiges Planungskonzept im Sinne der oben dargelegten Rechtsprechung zugrunde liegt. Denn die Antragstellerin hat im Erläuterungsbericht zur 16. Änderung ihres Flächennutzungsplanes nachvollziehbar dargelegt, dass nunmehr dieser Abstand für erforderlich gehalten wird, um den Interessen und Rechtsgütern der betroffenen Wohnbevölkerung Rechnung zu tragen. Sie hat einen größeren Abstand als 500 m deshalb für sachlich geboten gehalten, weil sich abzeichnete, dass in dem Sondergebiet zahlreiche, der streitgegenständlichen ähnliche Anlagen errichtet werden sollen, wofür zum Teil schon Genehmigungsanträge vorliegen. Dies, so die Begründung im Erläuterungsbericht, gebe der Vorrangfläche den Charakter einer Industriefläche für Windenergieanlagen. Dies rechtfertige den nunmehr gewählten Abstand zur Wohnbebauung. Gegen das Vorhandensein eines planerischen Konzepts spricht aus Sicht der Kammer nicht, dass die Antragstellerin etwa ein halbes Jahr vorher bei Erlass der 14. Änderung des Flächennutzungsplanes insoweit noch eine Abstandsfläche von 500 m für ausreichend gehalten hat. Denn die Antragstellerin hat im Erläuterungsbericht deutlich gemacht, dass sie sich durch die Rechtsprechung des OVG Lüneburg (vgl. insoweit Urteil vom 21. Juli 1999 - 1 L 5203/96 -, NVwZ 1999, 1358) in dem Sinne gebunden sah, in Anlehnung an die einschlägige Erlasslage einen Abstand von maximal 500 m vorzusehen. Nachdem das Bundesverwaltungsgericht mit dem bereits mehrfach zitierten Urteil vom 17. Dezember 2002 dieser Rechtsansicht eine Absage erteilt hatte, sah sich die Antragstellerin nunmehr nicht mehr gehindert, einen größeren Abstand zwischen Sondergebiet und Wohnbebauung planungsrechtlich vorzusehen. Dies lässt ebenso wie die übrige Planungskonzeption Abwägungsfehler nicht erkennen.

37

Dennoch rechtfertigen die Festsetzungen der 16. Änderung des Flächennutzungsplanes der Antragstellerin die Versagung ihres Einvernehmens zum Bauvorhaben der Beigeladenen nicht. Denn es handelt sich insoweit lediglich um einen Planentwurf, der bisher von der Bezirksregierung weder genehmigt noch bekannt gemacht worden ist. Derartige Planentwürfe unterfallen nicht der Regelung in § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB, nach der nur Darstellungen in einem - wirksamen - Flächennutzungsplan von Bedeutung sind (BVerwG, Urteil vom 13. März 2003 - 4 C 3/02 -, BauR 2003, 1172; OVG Lüneburg, Beschluss vom 12. September 2003 a. a. O.; Beschluss vom 22. Januar 1999 - 1 L 5538/97 -, BRS 62 Nr. 111; Urteil vom 18. März 1999 - 1 L 6696/96 -, NVwZ 1999, 1003).

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Entfaltet der Entwurf eines Flächennutzungsplanes somit nicht die Wirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB, vermag die Kammer auch nicht anzunehmen, dass ein solcher Entwurf ein öffentlicher Belang im Sinne von § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB zu sein vermag. Allerdings hat dies das Bundesverwaltungsgericht in dem zitierten Urteil vom 13. März 2003 (Az.: 4 C 3/02) für den Fall erwogen, dass der Entwurf des Flächennutzungsplanes "planreif" im Sinne von § 33 BauGB ist, ohne dass es für die Entscheidung hierauf ankam. Auch das OVG Lüneburg hat sich in dem bereits mehrfach zitierten Beschluss vom 12. September 2003 diese Erwägung zu Eigen gemacht, dort aber die "Planreife" im Sinne des § 33 BauGB verneint.

39

Nach Aktenlage muss für die 16. Änderung des Flächennutzungsplanes der Antragstellerin allerdings von einem planreifen Entwurf ausgegangen werden. Planreife in diesem Sinne setzt voraus, dass der Plan, so wie er als Entwurf vorliegt, voraussichtlich wird in Kraft treten können. Dazu gehört nicht zuletzt, dass er den Anforderungen genügt, die sich aus dem Abwägungs- und Plangebot ergeben (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. August 2002 - 4 C 5.01 -, BVerwG, 117, 25, 37, zum Bebauungsplan). In diesem Sinne erschient die 16. Änderung des Flächennutzungsplanes der Antragstellerin planreif. Auch die nach § 6 Abs. 1 BauGB zur Genehmigung berufene Bezirksregierung Braunschweig hat Planungsmängel bisher nicht geltend gemacht. Eine Entscheidung über die Genehmigung ist nach fernmündlicher Auskunft der zuständigen Sachbearbeiterin bei der Bezirksregierung Braunschweig nur deshalb bisher nicht getroffen worden, weil der Planung eine gemeinsame Konzeption über die Ausweisung von Sondergebieten für Windenergie der Antragstellerin einerseits und der Gemeinden L. und M. andererseits zugrunde liegt und die entsprechenden Änderungen der Flächennutzungspläne der letztgenannten Gemeinden der Bezirksregierung noch nicht zur Genehmigung vorliegen. Entsprechende Beschlüsse sollen indes kurzfristig von den zuständigen Gremien getroffen werden.

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Dennoch trägt die 16. Änderung des Flächennutzungsplanes der Antragstellerin für ihr Begehren nichts aus. Denn die Kammer verneint die vom Bundesverwaltungsgericht und vom OVG Lüneburg in den zitierten Entscheidungen bisher offen gelassene Frage, ob planreife Entwürfe eines Flächennutzungsplanes einen öffentlichen Belang im Sinne von § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB darstellen können. Dies folgert die Kammer daraus, dass § 35 Abs. 3 i.V.m. § 245 b Abs. 1  Satz 1 BauGB insoweit eine Sonderregelung darstellen.

41

Nach § 245 b Abs. 1  Satz 1 BauGB hatte die Baugenehmigungsbehörde auf Antrag der Gemeinde die Entscheidung über die Zulässigkeit von Windenergieanlagen im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 6 BauGB bis längstens zum 31. Dezember 1998 auszusetzen, wenn die Gemeinde beschlossen hatte, einen Flächennutzungsplan aufzustellen, zu ändern oder zu ergänzen und beabsichtigt hatte zu prüfen, ob Darstellungen zu Windenergieanlagen im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 3 in Betracht kommen. Sinn und Zweck der Übergangsregelung ist es (gewesen), den Gemeinden im Anschluss an die Privilegierung von Windkraftanlagen im Außenbereich, die der Gesetzgeber in dem Änderungsgesetz zum BauGB vom 30. Juli 1996 (Bundesgesetzblatt I, 1189) eingeführt hatte, hinreichend Zeit einzuräumen, die Frage von Standortzuweisungen für Windkraftanlagen im Flächennutzungsplan im Sinne von § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB zur Steuerung der Zulassung von solchen Anlagen zu klären. Der Gesetzgeber ist allerdings davon ausgegangen, dass die Überlegungen der Gemeinden längstens bis zum 31. Dezember 1998 in eine entsprechende Planung eingeflossen sein mussten. Dem Zweck dieser Übergangsregelung würde nicht Rechnung getragen, sofern einem Vorhaben im Sinne von § 35 Abs. 1 Nr. 6 BauGB auch über den 31. Dezember 1998 hinaus Standortzuweisungen für Windkraftanlagen entgegengehalten werden könnten, die in einem noch nicht rechtsverbindlichen oder - wie hier - noch gar nicht genehmigten Flächennutzungsplan getroffen werden sollen (vgl. die eben zitierten Entscheidungen des  OVG Lüneburg). Der Gesetzgeber hat somit in § 245 b Abs. 1 Satz 1 BauGB eine Sonderregelung für solche Flächennutzungspläne getroffen, die die Ausweisung von Sondergebieten für Windenergie betreffen. Diese Sonderregelung hat der Gesetzgeber bewusst bis zum 31. Dezember 1998 befristet und damit den planbetroffenen Gemeinden ausreichend Zeit für entsprechende Planungen gegeben. Diese Vorschrift wäre überflüssig und gegenstandslos, wenn man Entwürfen von Flächennutzungsplänen die Bedeutung eines öffentlichen Belanges im Sinne von § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB zumessen würde. Denn es hätte ihrer dann nicht bedurft. Die Kammer gelangt folglich zu dem Ergebnis, dass Entwürfe von Flächennutzungsplänen im Rahmen des § 35 BauGB die Bedeutung eines zu beachtenden öffentlichen Belangs nicht zukommt.

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Das Entgegenstehen anderer öffentlicher Belange im Sinne von § 35 Abs. 3 hat die Antragstellerin nicht behauptet und solche Belange sind für die Kammer auch nicht erkennbar.