Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 29.10.2003, Az.: 2 A 2336/01

aktuelle Aufenthaltsbefugnis; Anwendungsbereich; Aufenthalt; Aufenthaltsbefugnis; Aufenthaltserlaubnis; Aufenthaltsort; Aufenthaltstitel; Auslegung; Ausländer; Bundesland; einschränkende Auslegung; erstmalige Aufenthaltsbefugnis; Leistungsbeschränkung; räumliche Beschränkung; Sozialhilfe; Sozialhilfeträger; Verfassung; verfassungskonforme Auslegung; verfassungskonforme Einschränkung; Zuständigkeit; Zuständigkeitsbereich

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
29.10.2003
Aktenzeichen
2 A 2336/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 48528
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Eine Beschränkung der Sozialhilfe für Ausländer nach § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG kommt nicht in Betracht, wenn sich der Ausländer in dem Bundesland aufhält, in dem ihm aktuell nach Ablauf der in einem anderen Bundesland erteilten Aufenthaltserlaubnis ein solcher Aufenthaltstitel erteilt worden ist. Auf das Land der erstmaligen Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ist nicht abzustellen.

2. Selbst wenn auf das Bundesland abzustellen sein sollte, in dem dem Ausländer erstmals eine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden ist, kommt eine verfassungsrechtlich gebotene Einschränkung des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG in Betracht.

Tenor:

Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides der G. vom 31. Mai 2001 in der Fassung seines Widerspruchsbescheides vom 26. November 2001 verpflichtet, den Klägerinnen für den Zeitraum vom 1. Juni 2001 bis zum 29. November 2001 Hilfe zum Lebensunterhalt in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des gegen ihn festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht die Klägerinnen vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Tatbestand:

1

Die Klägerinnen sind srilankische Staatsangehörige. Die Klägerin zu 1) reiste Anfang 1991 in die Bundesrepublik Deutschland ein und nahm in I. Wohnsitz. Hier erhielt sie erstmals am 26. März 1992 eine auf § 33 Abs. 2 AuslG gestützte Aufenthaltsbefugnis. Nach ihrer Geburt am J. erhielt auch die Klägerin zu 2), die Tochter der Klägerin zu 1), zunächst von der Ausländerbehörde der Stadt I. eine Aufenthaltsbefugnis.

2

Im März 1994 verzogen die Klägerinnen in den Zuständigkeitsbereich der G., wo sie Unterkunft bei ihrem Schwager bzw. Onkel fanden. Grund für den Umzug waren familiäre Spannungen zwischen den Klägerinnen und ihrem Ehemann bzw. Vater. Dieser soll physische wie psychische Gewalt gegen die Klägerinnen angewendet haben. Am 29. April 1994 wurden die Klägerinnen vom Ehemann bzw. Vater und einem weiteren srilankischen Staatsangehörigen gegen ihren Willen nach I. entführt und dort festgehalten, bis sie von der Polizei befreit wurden. Sie kehrten anschließend nach K. zurück. Hier verlängerte die G. die jeweiligen Aufenthaltsbefugnisse nach Ablauf der Gültigkeitsdauer, zuletzt bis zum 12. November 2005. Gleichzeitig wurde den Klägerinnen von der namens und im Auftrage des Beklagten handelnden G. Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt.

3

Mit Bescheid vom 31. Mai 2001 stellte die G. die Zahlung von Hilfe zum Lebensunterhalt an die Klägerinnen mit Wirkung von 1. Juni 2001 mit der Begründung ein, die Klägerinnen würden sich nicht in dem Bundesland aufhalten, in dem ihnen erstmals eine Aufenthaltsbefugnis erteilt worden sei.

4

Hiergegen legten die Klägerinnen unter dem 20. Juni 2001 Widerspruch ein. Gleichzeitig suchten sie im September 2001 um einstweiligen gerichtlichen Rechtschutz nach (2 B 2271/01). Mit Beschluss vom 31. Oktober 2001 verpflichtete die Kammer den Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung, den Klägerinnen ab dem 1. Oktober 2001 bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides Hilfe zum Lebensunterhalt in gesetzlicher Höhe zu gewähren. In dem Beschluss führte die Kammer im Wesentlichen aus, sie halte an ihrer bisherigen Rechtsprechung fest, wonach für die Anwendung des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG nicht auf die erstmalig erteilte, sondern auf die zuletzt erteilte bzw. verlängerte Aufenthaltsbefugnis abzustellen sei. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut der Vorschrift, die an die ausländerrechtliche Bewertung von Umständen anknüpfe. Ausländerrechtlich seien die Erteilung und die Verlängerung einer Aufenthaltsgenehmigung grundsätzlich gleich zu behandeln.

5

Mit Widerspruchsbescheid vom 26. November 2001, zugestellt am 29. November 2001, wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerinnen zurück, soweit der Leistungszeitraum bis zu seinem Erlass betroffen war. Zur Begründung gab er an, der Rechtsprechung der erkennenden Kammer könne nicht gefolgt werden. Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Beschluss vom 9. Februar 2001 die, auch von mehreren anderen Obergerichten geteilte, Rechtsauffassung des OVG Berlin für verfassungskonform gehalten, wonach bei der Leistungsbeschränkung des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG auf den Ort der erstmaligen Erteilung der Aufenthaltsbefugnis abzustellen sei. Diese Auslegung sei allein in der Lage, die Verlagerung von Sozialhilfekosten zu verhindern. Wolle man der von der erkennenden Kammer vertretenen Rechtsansicht folgen, liefe die gesetzliche Regelung in § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG leer. Ausländerrechtliche Regelungen könnten die Verlagerung von Sozialhilfelasten nicht verhindern.

6

Hiergegen haben die Klägerinnen am 5. Dezember 2001 Klage erhoben. Sie meinen, die im Widerspruchsbescheid zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sei in ihrem Fall nicht einschlägig. Ihr persönlicher Lebensweg und die Umstände ihres Umzuges nach K. rechtfertigten eine Abweichung von dieser Rechtsprechung. Ihnen sei ein Wegzug aus K. nicht zuzumuten. Nur hier in der Gegenwart ihres Schwagers bzw. Onkels fühlten sie sich beschützt und aufgehoben.

7

Die Klägerinnen beantragen,

8

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides der G. vom 31. Mai 2001 in der Fassung seines Widerspruchsbescheides vom 26. November 2001 zu verpflichten, den Klägerinnen vom 1. Juni 2001 an bis zum 29. November 2001 Hilfe zum Lebensunterhalt in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.

9

Der Beklagte beantragt,

10

die Klage abzuweisen.

11

Er vertieft die Begründung seines Widerspruchsbescheides und hält daran fest, dass es für die Anwendung des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG auf den Ort ankomme, an dem die Aufenthaltsbefugnis erstmals erteilt worden sei.

12

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten dieses Verfahrens sowie der Verfahren 2 B 2271/01 und 2 B 2337/01 und die Verwaltungsvorgänge der G. Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.

Entscheidungsgründe

13

Die zulässige Klage ist begründet.

14

Der Bescheid der G. vom 31. Mai 2001 und der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 26. November 2001 sind rechtswidrig und die Klägerinnen haben ab dem 1. Juni 2001 bis zum Zugang des Widerspruchsbescheides am 29. November 2001, der den gerichtlichen Überprüfungszeitraum begrenzt, Anspruch auf Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt in gesetzlicher Höhe (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

15

Mangels anderer Einkunftsquellen haben die Klägerinnen für den genannten Zeitraum dem Grunde nach gem. §§ 11 Abs. 1 Satz 1, 12, 21, 22, 120 Abs. 1 BSHG einen Anspruch auf Gewährung von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt einschließlich der Kosten der Unterkunft. Der Beklagte ist nach § 97 Abs. 1 BSHG der zuständige örtliche Sozialhilfeträger. Er kann dem Anspruch der Klägerinnen nicht die Regelung in § 120 Abs. 5 BSHG entgegenhalten.

16

Nach dieser Bestimmung darf Ausländern in den Teilen der Bundesrepublik Deutschland, in denen sie sich einer ausländerrechtlichen räumlichen Beschränkung zuwider aufhalten, der für den tatsächlichen Aufenthaltsort zuständige Träger der Sozialhilfe nur die nach den Umständen unabweisbar gebotene Hilfe leisten; das gleiche gilt für Ausländer, die eine räumlich nicht beschränkte Aufenthaltsbefugnis besitzen, wenn sie sich außerhalb des Bundeslandes aufhalten, in dem die Aufenthaltsbefugnis erteilt worden ist (§ 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG).

17

Die Anwendung des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG ist nicht durch Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) vom 11. Dezember 1953 i.V.m. Art. 1 und 2 des Zusatzprotokolls zu diesem Abkommen vom 11. Dezember 1953 als Spezialvorschriften ausgeschlossen (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 15.5.2000 -5 C 29.98-, BVerwGE 111, 200). Denn die Klägerinnen gehören nicht zum Personenkreis des Art. 2 des Zusatzprotokolls. Hiervon werden nur Flüchtlinge im Sinne von Art. 1 des Genfer Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 erfasst. Die entsprechende Rechtsstellung setzt gemäß § 3 AsylVfG eine unanfechtbare Feststellung durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge oder ein Gericht voraus. Eine solche liegt nicht vor. Die den Klägerinnen erteilte Aufenthaltsbefugnis stützt sich vielmehr auf § 33 AuslG.

18

Dennoch kann den Klägerinnen die Vorschrift des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG nicht anspruchseinschränkend entgegengehalten werden.

19

Die Kammer hält an ihrer Auffassung fest, dass der Beklagte dadurch, dass die G. die den Klägerinnen von der Stadt I. erteilten Aufenthaltsbefugnisse verlängert hat, gehindert ist, den Klägerinnen die Gewährung von Sozialhilfeleistungen nicht unter Hinweis auf § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG zu versagen (vgl. Urteil vom 13. Januar 1999 - 2 A 2379/97 -; Beschlüsse vom 23. April 1997 - 2 B 2175/97 -; vom 31. Oktober 2001 - 2 B 2271/01 -, ergangen in dieser Sache und vom 30. Juli 1997 - 2 B 2333/97 -).

20

Diese Auslegung rechtfertigt sich aus dem Wortlaut und dem gesetzessystematischen Zusammenhang des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG.

21

Die Beschränkung der einem Ausländer zu gewährenden Hilfe zum Lebensunterhalt auf das unabweisbar Gebotene gilt gem. § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG auch für Ausländer, die eine räumlich nicht beschränkte Aufenthaltsbefugnis besitzen, wenn sie sich außerhalb des Landes aufhalten, in dem die Aufenthaltsbefugnis erteilt worden ist. Damit stellt die Norm allein darauf ab, in welchem Land "die Aufenthaltsbefugnis erteilt worden ist". Maßgeblich ist damit gerade nicht die "erstmalige" Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis zugunsten des hilfesuchenden Ausländers (so auch OVG Lüneburg, Urteil vom 28.10.1998 -4 L 1264/98-, UA S. 7, n.v.; OVG Frankfurt/Oder, Beschluss vom 7. Februar 2000 - 4 B 128/99 -, FEVS 52, 29, 30). Dieser Auslegung hält das OVG Münster (Urteil vom 26 September 2002 - 16 A 2722/00 -, NVwZ-Beilage I 5/2003, 34, 35) nach Ansicht der Kammer zu Unrecht entgegen, der Wortlaut des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG, der auf "die" (und nicht "eine") Aufenthaltsbefugnis abhebe und auch keinen Zusatz wie etwa "die jeweilige" oder "die aktuelle Aufenthaltsbefugnis" enthalte, lasse sich eher mit der Vorstellung in Einklang bringen, dass die erstmals erteilte (räumlich unbeschränkte) Aufenthaltsbefugnis maßgeblich sein solle. Denn diese Wortlautauslegung orientiert sich zu einseitig am 2. Satzteil von § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG, in dem auf das Land abgestellt wird, in dem "die" Aufenthaltsbefugnis erteilt worden ist. Im 1. Satzteil dieser Vorschrift formuliert der Gesetzgeber indes anders. Die Vorschrift des § 120 Abs. 5 Satz 1 BSHG gilt danach für Ausländer, die "eine" räumlich nicht beschränkte Aufenthaltsbefugnis besitzen. Gerade die Formulierung "eine" lässt es vom Wortlaut her zur Überzeugung des Gerichts nicht zu, dass auf die erstmalige Erteilung abgestellt wird. Dies erscheint um so bedeutsamer, als die ausländerrechtliche Bewertung der Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis eine solche Klarstellung erfordert hätte.

22

Die Kammer hält auch in Ansehung des Urteils des OVG Münster (a. a. O.) daran fest, dass ausländerrechtliche Regelungen für die Auslegung des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG mit in den Blick zu nehmen sind und für das von der Kammer gewonnene Auslegungsergebnis sprechen.

23

Der dem heutigen § 120 Abs. 5 BSHG entsprechende frühere § 120 Abs.4 BSHG ist durch das Gesetz zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 9. Juli 1990 (Bundesgesetzblatt I Seite 1354, 1385) geschaffen worden. Das genannte Gesetz enthielt auch eine vollständige Neuregelung des Ausländergesetzes. Zwar unterscheidet das AuslG in seinen §§ 12 und 13 zwischen der Erteilung und der Verlängerung einer Aufenthaltsgenehmigung; nach § 13 Abs. 1 AuslG finden jedoch auf die Verlängerung der Genehmigung dieselben Vorschriften Anwendung wie auf ihre Erteilung. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Aufenthaltsgenehmigung sind daher auch bei einer Verlängerung von der jeweils örtlich zuständigen Ausländerbehörde zu prüfen, sodass sich jede Verlängerungsentscheidung als eine erneute Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung darstellt (OVG Lüneburg, a.a.O.; insoweit übereinstimmend, OVG Hamburg, Beschluss vom 25. April 1996 - Bs IV 152 und 156/96 - FEVS 47, 21, 22). Das Gericht folgt allerdings nicht der Ansicht des OVG Hamburg, dass diese Wertung des Ausländerrechts bei der Anwendung des § 120 Abs. 5 BSHG außer Betracht zu lassen sei. Die Vorschrift des § 120 Abs. 5 BSHG knüpft - wie auch § 120 BSHG im Übrigen - an die ausländerrechtliche Bewertung von Umständen an. Dies ergibt sich bereits daraus, dass sie nach dem oben Gesagten durch ein Gesetz geschaffen wurde, in dem das Ausländerrecht umfassend neu geregelt worden ist. Dem Gesetzgeber war bei der Schaffung dieses Gesetzes bewusst, dass eine Aufenthaltsbefugnis nach § 34 AuslG grundsätzlich befristet erteilt werden kann. Hätte er beabsichtigt, die ausländerrechtliche grundsätzliche Gleichbehandlung der Erteilung und der Verlängerung einer Aufenthaltsgenehmigung nicht auf andere - mit geregelte - Rechtsbereiche zu übertragen, hätte er dies (beispielsweise durch die Wahl des Begriffs "erstmalige Erteilung") kenntlich machen müssen (ebenso: OVG Lüneburg und OVG Frankfurt/Oder, a. a. O.). Gerade weil der Gesetzgeber im Ausländergesetz zwischen der erstmaligen Erteilung und der Verlängerung einer bereits erteilten Aufenthaltsgenehmigung unterscheidet - wenngleich die Erteilungsvoraussetzungen dieselben sind - ,hätte es für den Gesetzgeber des BSHG nahe gelegen, auf die erstmalige Erteilung der Aufenthaltsbefugnis abzuheben. Dies hat er indes nicht getan.

24

Selbst wenn man annehmen wollte, der Gesetzeswortlaut sei mehrdeutig, so wäre bei der Auslegung zu berücksichtigen, dass derjenigen Auslegung Vorzug gebührt, die verfassungsrechtlichen Vorgaben am nächsten kommt. Da es sich bei § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG um eine anspruchseinschränkende Norm handelt, müssen an die Bestimmtheit einer solchen Norm im Hinblick auf Art. 2 Abs. 1 GG besonders strenge Maßstäbe angelegt werden. Auslegungszweifel sind zugunsten des normbetroffenen Bürgers zu lösen. Zwar verstößt die Auslegung der Vorschrift, bei der Leistungsbeschränkung des § 120 Abs. 2 Satz 2 BSHG sei auf den Ort der erstmaligen Erteilung der Aufenthaltsbefugnis abzustellen (so außer OVG Münster, a. a. O. u. a. OVG Berlin, Beschluss vom 26. März 1999 - 6 SN 53.99/6 M 7.99 - FEVS 51, 77; Beschluss vom 28. Januar 1998 - 6 S 162.97 -; FEVS 48, 454; OVG Hamburg vom 16. September 1998 - 4 Bf 294/98 -, FEVS 49, 473), wie das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 9. Februar 2001 (1 BvR 781/98 -, DVBl 2001, 892) festgestellt hat, nicht gegen Verfassungsrecht. Verfassungsnäher im Sinne einer ausreichenden Sicherung des wirtschaftlichen Existenzminimums erscheint der Kammer indes die von ihr gefundene Auslegung. Die zitierte verfassungsgerichtliche Entscheidung bindet das Gericht im Übrigen nach § 31 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz nicht, da mit ihr nicht ausgesprochen ist, dass die von der Kammer vertretene Auslegung verfassungswidrig wäre.

25

Die Kammer ist darüber hinaus mit dem OVG Lüneburg und dem OVG Frankfurt/Oder (a. a. O. UA S. 8 bzw. S. 31 f.) der Ansicht, dass vor dem Hintergrund des Wortlauts der in § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG getroffenen Regelung auch der Zweck dieser Bestimmung nicht für ein Abstellen auf die erstmalige Erteilung der Aufenthaltsbefugnis spricht (so jedoch die bereits zitierte Rechtsprechung der Obergerichte, die auf die erstmalige Erteilung der Aufenthaltsbefugnis abstellen). Das OVG Frankfurt/Oder legt mit im Einzelnen von der Kammer geteilter und auch vom OVG Lüneburg vertretener Begründung dar, dass der Gesetzesbegründung zu § 120 Abs. 5 BSHG nicht eindeutig zu entnehmen und jedenfalls im Wortlaut der Vorschrift ein Wille des Inhalts nicht zum Ausdruck gebracht worden sei, dass eine Verlagerung der Sozialhilfelasten in Bezug auf Ausländer über die Geltungsdauer der jeweiligen Aufenthaltsbefugnisse hinausgehend ausgeschlossen werden sollte. Vor diesem Hintergrund der zeitlichen Begrenzung der Wirkung einer Aufenthaltsbefugnis kann auch nicht davon gesprochen werden, dass die Regelung "weitgehend leer" liefe, wenn man nicht auf die erstmalige Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis abstellen wollte (Im Ergebnis ebenso, OVG Lüneburg, a.a.O. sowie Beschlüsse vom 26. November 1998 - 4 L 4363/98 -, FEVS 49, 421; vom 10. Juni 1997 - 12 M 2604/97, eine Entscheidung der Kammer vom 23 April 1997 - 2 B 2175/97 - bestätigend und vom 26.3.1998 -12 M 2604/97-; VGH Kassel, Beschluss vom 12. Februar 1999 - 1 TG 404/99 -, FEVS 51, 190, 192, unter Verweis auf weitere Senatsentscheidungen).

26

Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber selbst nicht für die gebotene Klarstellung dieser Streitfrage gesorgt hat, obwohl ihm die unterschiedliche Auslegung des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG offenbar bekannt war. Denn mit Art. 10 Nr. 2.2 des  - inzwischen vom BVerfG für unwirksam erklärten - Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) vom 20. Juni 2002 (Bundesgesetzblatt I Seite 1946, 1994) hat er § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG dahingehend geändert, dass die Beschränkung der Leistungen der Sozialhilfe auf das unabweisbar gebotene Maß für Ausländer mit den dort genannten Aufenthaltstiteln gilt, wenn sie sich außerhalb des Landes aufhalten, indem der Aufenthaltstitel erstmals erteilt worden ist (so auch die Formulierung im Entwurf eines Zuwanderungsgesetzes aus dem Jahre 2003).

27

Der Gesetzesbegründung lässt sich nicht entnehmen, weshalb der Gesetzgeber nunmehr ausdrücklich auf die "erstmalige" Erteilung eines Aufenthaltstitels abstellt. Wenn es sich lediglich um eine redaktionelle Klarstellung gehandelt haben sollte, hätte es nahe gelegen, dies ausdrücklich so zu bezeichnen. In der Begründung des Gesetzentwurfes der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen vom 8. November 2001 (BT/Ds 14/7387, Seite 113) heißt es aber lediglich, die Vorschrift diene der gleichmäßigen Lastenverteilung unter den Ländern und Gemeinden bei Sozialhilfebedürftigkeit von in ihrem Zuständigkeitsbereich aufhältigen Ausländern und sei erforderlich, um einen Anstieg von Sozialhilfekosten in Gebieten, die eine höhere Konzentration von Ausländern aufweisen, zu vermeiden. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber lediglich eine Klarstellung der in der Rechtsprechung umstrittenen Auslegungsfrage beabsichtigt hat. Vielmehr liegt die Annahme näher, dass er eine Neuregelung im Sinne einer Verschärfung der Sozialhilfeanspruchsvoraussetzungen für Ausländer beabsichtigte.

28

Selbst wenn man der engen Auslegung des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG folgen wollte, hätte, selbständig die Entscheidung tragend, zumindest die Klage der Klägerin zu 2) Erfolg. Denn die Vorschrift wäre dann in diesem Streitfall verfassungskonform einschränkend auszulegen. Ihre Anwendung hätte für die Klägerin zu 2) hinter dem in Art. 6 Abs. 1 GG angeordneten Schutz der familiären Beziehungen der Klägerin zu 2) zu ihrer Mutter, der Klägerin zu 1), zurückzustehen (vgl. zu einem ähnlichen Fall OVG Lüneburg, Beschluss vom 16.6.2000 -4 M 1928/00-, FEVS 52, 82). Die minderjährige Klägerin zu 2) ist auf den Beistand ihrer sorgeberechtigten Mutter angewiesen. Diese Beistandsgemeinschaft unterfällt dem Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG, so dass eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse, zum Zwecke der möglichst gleichmäßigen Belastung der Sozialhilfeträger eine diese gefährdende "Binnenwanderung" sozialhilfebedürftiger Ausländer möglichst zu vermeiden, und dem Interesse der Klägerin zu 2), bei ihrer Mutter zu wohnen und dadurch Pflege und Beistand zu erhalten, geboten ist. Bei dieser Abwägung gebührt dem Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG der Vorrang. Das Verhalten ihrer Mutter kann der Klägerin zu 2), die einen eigenständigen Sozialhilfeanspruch hat (§§ 1 Abs. 2, 3 Abs. 1, 11 BSHG), im Rahmen der anspruchseinschränkenden Norm des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG nicht entgegengehalten werden. Es fehlt insoweit an einer, § 16 BSHG entsprechenden Norm, die eine einheitliche Betrachtung der Haushaltsgemeinschaft der Klägerinnen ermöglichen würde.

29

Die Kammer hat daneben erwogen, ob auch hinsichtlich der Klägerin zu 1) von Verfassungs wegen eine einschränkende Auslegung des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG geboten ist. Anknüpfungspunkt hierfür könnte das in Art. 2 Abs. 2 GG normierte Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit sein. Denn die Klägerin zu 1) ist nach ihren Angaben gemeinsam mit ihrer Tochter aus der ehelichen Wohnung ausgezogen, um den tätlichen Angriffen ihres Ehemannes zu entkommen. Allerdings dürfte dies den Umzug in ein anderes Bundesland schwerlich rechtfertigen, da dem Schutzzweck des Art. 2 Abs. 2 GG auch durch einen Umzug innerhalb des Landes Nordrhein-Westfalen genügt worden wäre. Nur wenn feststünde, dass der Umzug zu dem in K. lebenden Schwager der Klägerin zu 1) der einzige Ausweg aus der -unterstellten- häuslichen Gewaltsituation gewesen ist, ließe sich eine verfassungskonforme Einschränkung des Anwendungsbereichs von § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG vertreten. Hierfür liegen ausreichende Anhaltspunkte nicht vor. Das Gericht brauchte den Sachverhalts insoweit auch nicht weiter aufzuklären, da die Klage bereits aus den o.a. Gründen Erfolg hat.