Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 22.07.2022, Az.: 1 UF 180/20
Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge von Eltern; Übertragung einer elterlichen Sorge zur alleinigen Ausübung; Elterliche Sorge als einheitlicher und unteilbarer Verfahrensgegenstand; Anzeichen für die Bedienung einer elterlichen Erwartungshaltung; Angemessenheit von Gutachterkosten
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 22.07.2022
- Aktenzeichen
- 1 UF 180/20
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2022, 26490
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:2022:0722.1UF180.20.00
Verfahrensgang
Rechtsgrundlagen
- § 1666 BGB
- § 1671 BGB
- § 81 Abs. 1 FaF
- §§ 58 ff. FaF
- § 1671 Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 2 BGB
Fundstellen
- FuR 2023, 90-91
- NZFam 2022, 1083
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Die elterliche Sorge ist ein einheitlicher, unteilbarer Verfahrensgegenstand, unabhängig davon, ob Maßnahmen nach § 1666 BGB oder nach § 1671 BGB zu prüfen sind.
- 2.
Sieht ein Kind sich wiederholt veranlasst, einem Elternteil gegenüber unwahre Angaben zu machen, kann dies ein Anzeichen für die Bedienung einer elterlichen Erwartungshaltung sein; die ungeprüfte Übernahme auch unplausibler Angaben weist auf eine Einschränkung der elterlichen Feinfühligkeit hin.
- 3.
Beruht die Verweigerung des Umgangs mit dem anderen Elternteil durch das Kind auf der Bindungsintoleranz des betreuenden Elternteils, spricht dies zumindest bei Vorliegen weiterer Bedenken gegen dessen Erziehungsfähigkeit für einen Wechsel des Lebensmittelpunktes.
- 4.
Ob die im Verfahren entstandenen Gutachtenkosten außergewöhnlich und überraschend hoch sind, so dass im Rahmen der Ermessensentscheidung des § 81 Abs. 1 FamFG das Absehen von der Kostenerhebung in Betracht kommt, hängt von der Schwierigkeit der Sache und dem erforderlichen Aufwand der Begutachtung ab. Jedenfalls in hochstreitigen Sorgerechtsverfahren mit mehreren Terminen zur Erläuterung des Gutachtens können Gutachterkosten zwischen 10.000 € und 20.000 € erwartbar sein.
Tenor:
Auf die Anschlussbeschwerde des Kindesvaters wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Braunschweig vom 11.11.2020 abgeändert.
Die gemeinsame elterliche Sorge für das Kind J. D. J. C., geb. am 10.08.2014, wird insgesamt aufgehoben und auf den Kindesvater zur alleinigen Ausübung übertragen.
Die Beschwerde der Kindesmutter gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Braunschweig vom 11.11.2020 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Kindesmutter auferlegt, wobei Gutachtenkosten für dieses Verfahren nur in Höhe von 15.862,90 € erhoben werden.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 6.000,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Eltern des inzwischen sieben Jahre alten J. haben am 23.09.2016 geheiratet, leben seit dem 31.08.2018 getrennt und sind durch das Amtsgericht Braunschweig in dem Scheidungsverfahren zum Aktenzeichen 247 F 221/19 S im Dezember 2021 rechtskräftig geschieden worden; anhängig ist noch die Verbundsache Zugewinnausgleich. J. hat seit der Trennung der Eltern und dem Umzug der Mutter von H. nach B. in deren Haushalt gelebt.
Der Umgang des Kindes mit dem Vater wurde erstmals durch Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 28.05.2019 in dem Verfahren zum Aktenzeichen 247 F 232/18 UG geregelt. Schwierigkeiten bei der Umsetzung führten zu weiteren Verfahren und einer Umgangspause zwischen Oktober 2019 und September 2020; die Gründe hierfür sind zwischen den Eltern streitig.
In einem auf Antrag der Kindesmutter geführten Gewaltschutzverfahren zum Aktenzeichen 247 F 255/19 EAGS wurde durch einstweilige Anordnung des Amtsgerichts Braunschweig vom 14.10.2019 wegen Dringlichkeit ohne mündliche Erörterung gegen den Kindesvater bis zum 13.04.2020 ein Näherungsverbot verhängt. In der mündlichen Verhandlung vom 10.12.2019 haben die Kindeseltern sodann eine Vereinbarung getroffen, nach der Umgang zwischen Vater und Sohn zunächst begleitet wieder angebahnt und Kontakt zur Erziehungsberatungsstelle B. aufgenommen werden sollte.
Daneben wurde aufgrund der seitens der Kindesmutter erhobenen Vorwürfe, wonach der Kindesvater ihr durch Schubsen und Zuschlagen eines Kofferraumdeckels Verletzungen zugefügt habe, seitens des Amtsgerichts das vorliegende Verfahren zum Sorgerecht von Amts wegen eingeleitet. Das Verfahren wurde jedoch zunächst nicht weiter betrieben, nachdem das Jugendamt in Berichten vom 05.11.2019 und 18.02.2020 sorgerechtliche Maßnahmen nicht für notwendig erachtet hatte.
Soweit die Kindesmutter wegen der Vorfälle zudem Strafanzeige erstattet hatte, wurde gegen den Kindesvater in dem beim Amtsgericht unter dem Aktenzeichen 510 Js 58224/19 geführten Verfahren zunächst ein Strafbefehl erlassen. Auf seinen Einspruch wurde er durch Urteil vom 27.11.2021 jedoch freigesprochen; auf die dagegen gerichtete Berufung der Kindesmutter wurde das Verfahren durch Beschluss des Landgerichts B. vom 08.09.2021 gemäß § 153 Abs. 2 StPO eingestellt.
Mit Schriftsatz vom 27.01.2020 beantragte der Kindesvater die Fortsetzung des Sorgerechtsverfahrens, weil die Kindesmutter den Umgang mit dem Kind nicht zulasse. In dem daraufhin zum Aktenzeichen 247 F 23/20 UG eingeleiteten Umgangsverfahren hörte das Amtsgericht J. am 20.02.2020 und die übrigen Beteiligten in der Sitzung vom 24.02.2020 an, wobei die Kindeseltern eine weitere vorläufige Vereinbarung über einen regelmäßigen begleiteten Umgang in der Erziehungsberatungsstelle trafen. Ferner ordnete es durch Beschluss vom 27.02.2020 die Einholung eines Gutachtens dazu an, welche Umgangsregelung dem Kindeswohl am besten entspreche und wie es den Eltern gelingen könne, diese Regelung dauerhaft umzusetzen, und bestellte Dr. med. A. B., S., zur Sachverständigen. Mit Schriftsatz vom 18.05.2020 teilte die Kindesmutter mit, sie widerspreche einer Exploration durch die Sachverständige für sich und das Kind.
Der Kindesvater beantragte mit Schriftsatz vom 25.05.2020 in dem weiteren Verfahren zum Aktenzeichen 247 F 93/20 EASO, ihm im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht für J. zur alleinigen Ausübung zu übertragen und hilfsweise eine Umgangspflegschaft anzuordnen. Umgang habe weiterhin nicht stattfinden können, weil der Sohn sich nicht von der Mutter habe lösen können; aufgrund deren Einflussnahme lehne das Kind den Umgang mittlerweile auch ab.
Die Kindesmutter ist dem entgegengetreten und hat vorgetragen, dass sie den Umgang stets unterstützt, der Vater seinerseits aber die Kontakte nicht wahrgenommen habe. Da J. den Umgang nunmehr ablehne, sei dieser auch ohnehin nicht vollstreckbar und selbst ein Umgangsboykott rechtfertige nicht die Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts. Zu dem in den dortigen Verfahren auf den 16.06.2020 anberaumten Anhörungstermin ist die Kindesmutter mit J. nicht erschienen und hat mit Schriftsatz vom selben Tag beantragt, den Umgang auszusetzen.
Mit Beschluss vom 18.06.2020 zum Aktenzeichen 247 F 108/20 entzog das Amtsgericht der Kindesmutter im Wege der einstweiligen Anordnung das Sorgerecht für die Wahrnehmung von Terminen zur Anhörung des Kindes durch das Gericht, die Verfahrensbeiständin, das Jugendamt und die Sachverständige sowie das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Zeit der Anhörungen; nach mündlicher Erörterung hat es diese Anordnung durch weiteren Beschluss vom 21.10.2020 wieder aufgehoben.
Daneben hat das Amtsgericht mit Beweisbeschluss vom 19.06.2020 zum Aktenzeichen 247 F 93/20 EASO die Einholung eines weiteren Gutachtens der Sachverständigen Dr. B. zu dem geeigneten Lebensmittelpunkt des Kindes unter Berücksichtigung der Erziehungsfähigkeit der Eltern, des Gesichtspunktes der Kontinuität, der Bindungen und des Willens des Kindes sowie der Frage einer möglicherweise eingetretenen Schädigung angeordnet.
Aufgrund der in der Folgezeit in allen anhängigen Verfahren erhobenen Befangenheitsanträge der Kindesmutter gegen die zuständige Richterin am Amtsgericht und ihrer Beschwerden gegen die die Ablehnung zurückweisenden Beschlüsse wurden die Verfahren zeitweise nicht weiterbetrieben. Währenddessen meldeten der Kindesvater, die Verfahrensbeiständin, das Jugendamt und die Sachverständige, dass ein Kontakt zu der Kindesmutter nicht hergestellt werden könne. Auf Antrag des Kindesvaters wurde daraufhin in dem Verfahren zum Aktenzeichen 247 F 119/20 mit der einstweiligen Anordnung vom 10.07.2020 gegen die Kindesmutter ein Ausreiseverbot verhängt, da er aufgrund ihrer koreanischen Wurzeln einen Verzug mit J. in das Ausland befürchtete; in der mündlichen Verhandlung vom 05.10.2020 wurde der Beschluss vom 10.07.2020 wieder aufgehoben.
Nach Erledigung der Befangenheitsanträge beraumte das Amtsgericht sowohl im vorliegenden Verfahren als auch in dem Verfahren zum Aktenzeichen 247 F 93/20 EASO einen weiteren Termin zur Anhörung der Beteiligten auf den 05.10.2020 an und forderte einen Bericht der Grundschule S. zum schulischen Verhalten des Kindes an. Daneben suchte die Richterin gemeinsam mit der Verfahrensbeiständin und der Sachverständigen am 01.10.2020 J. in der Schule auf, um diesen anzuhören und dessen Interaktion mit dem hinzugeladenen Vater zu beobachten. Nachdem die Anhörung und die Interaktionsbeobachtung aufgrund der Verweigerung des Kindes nicht durchgeführt werden konnten, teilte die Sachverständige Dr. B. mit, dass nach ihrer Einschätzung bei einem Fortbestehen der aktuellen Situation mit weiteren Beeinträchtigungen des Kindes zu rechnen sei. Daraufhin hob das Amtsgericht im Wege der einstweiligen Anordnung wegen Dringlichkeit ohne vorherige Anhörung der Kindeseltern umgehend die gemeinsame elterliche Sorge hinsichtlich des Aufenthaltsbestimmungsrechts, der Gesundheitssorge und der schulischen Angelegenheiten auf und übertrug diese Teile des Sorgerechts dem Kindesvater zur alleinigen Ausübung. Den entsprechenden Beschluss machte es der Verfahrensbeiständin, dem Kindesvater und der Schule vor Ort mündlich bekannt; dem Jugendamt und der Kindesmutter wurde die Beschlussformel am selben Tage per Fax übersandt.
Der Kindesvater nahm J. daraufhin mit an seinen Wohnort in H., wo es zu einer längeren Auseinandersetzung mit der Kindesmutter und den Großeltern mütterlicherseits kam, die erst mithilfe der Polizei beendet werden konnte. J. lebt seitdem im väterlichen Haushalt, dem Y., die Lebensgefährtin des Vaters sowie deren gemeinsame, am 12.12.2021 geborene, Tochter E. angehören. Der Junge besucht die O.-P.-Grundschule. im Stadtteil H.-S.; nach Versetzung in die zweite Klasse im Sommer 2021 ist er am 15.03.2022 in die erste Klasse zurückversetzt worden. Der Kindesvater hat ihn im Februar 2021 zur Diagnostik bei der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin K. U. vorgestellt, seit Juli 2021 befindet er sich in regelmäßiger Behandlung bei dem Therapeuten B. M.
In dem vorliegenden Verfahren wie auch in den Verfahren zum Aktenzeichen 247 F 93/20 EASO und 247 F 23/20 UG hat die Sachverständige Dr. B. in den Verhandlungen vom 05.10.2020 ein mündliches Gutachten erstattet und zugesagt, schriftliche Ausführungen nachzureichen. Mit Schreiben vom 06.10.2020 teilte sie jedoch mit, aufgrund von Schadensersatzforderungen, die eine Firma G. im Namen der Kindesmutter gegen sie geltend mache, ihre Haftpflichtversicherung informieren zu müssen und ein schriftliches Gutachten nicht erstellen zu können.
Mit Beschluss vom 13.10.2020 bestätigte das Amtsgericht in dem einstweiligen Anordnungsverfahren zum Aktenzeichen 247 F 93/20 seine Entscheidung vom 01.10.2020. Zur Begründung führte es aus, dass das Kindeswohl aufgrund erheblicher Einschränkungen der Bindungstoleranz der Mutter gefährdet sei. Zudem bestehe nach den Ausführungen der Sachverständigen keine sichere Bindung des Kindes zur Mutter und ergäben sich aus dem Bericht der Grundschule S. vom 02.10.2020 Hinweise auf Auffälligkeiten bei J.. Daher entspreche es dem Kindeswohl besser, durch den Vater betreut zu werden, bei dem keine Einschränkungen der Erziehungsfähigkeit ersichtlich seien.
Im vorliegenden Verfahren zur Hauptsache beantragte die Kindesmutter mit Schriftsatz vom 03.10.2020, die gemeinsame elterliche Sorge für J. aufzuheben und die elterliche Sorge ihr zu übertragen. Der Kindesvater beantragte mit Schriftsatz vom 15.10.2020, ihm die elterliche Sorge für J. in den Bereichen Aufenthaltsbestimmungsrecht, Gesundheitssorge und schulische Angelegenheiten allein zu übertragen. Nach Anhörung des Kindes am 04.11.2020. und Durchführung eines weiteren Termins am 05.11.2020 hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 11.11.2020 dem Antrag des Kindesvaters entsprochen und die Anträge der Kindesmutter zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass in den übertragenen Bereichen Aufenthaltsbestimmung, schulische Angelegenheiten und Gesundheitssorge keine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern bestehe und nicht zu erwarten sei, dass sie zu konstruktiven, vernünftigen und an den Interessen des Kindes orientierten Lösungen gelangen würden. Dies gelte im Bereich der Gesundheitssorge insbesondere, soweit nicht auszuschließen sei, dass das Kind einer Therapie bedürfe; bis zum 05.11.2020 sei nicht einmal die Krankenversicherungskarte für J. dem Vater übergeben worden. Hinsichtlich des Lebensmittelpunkts des Kindes spreche der Kontinuitätsgrundsatz zwar zunächst für einen Verbleib bei der Mutter, ausschlaggebend sei jedoch der Gesichtspunkt der Bindungstoleranz, die beim Vater gegeben sei, während die Kindesmutter in höchstem Maße bindungsintolerant sei. Auch scheine der Vater die schulische Förderung besser zu gewährleisten; seit dem Wechsel in den väterlichen Haushalt habe das Kind sich jedenfalls auf beeindruckende Weise positiv entwickelt.
Mit Beschluss vom selben Tag hat das Amtsgericht in dem Verfahren zum Aktenzeichen 247 F 23/20 UG der Kindesmutter begleiteten Umgang an jedem Mittwoch von 15:00 bis 17:00 Uhr in den Räumlichkeiten des Kinderschutzbundes H. und Telefonate jeweils montags und freitags ab 18:30 Uhr sowie an jedem zweiten Sonntag zugebilligt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Kindesmutter ist beim Senat in dem Verfahren zum Aktenzeichen 1 UF 190/20 anhängig.
Neben den vorgenannten Verfahren waren beim Amtsgericht zwischenzeitlich weitere Angelegenheiten betreffend J. anhängig: Zum Aktenzeichen 247 F 132/20 ein Antrag der Kindesmutter auf die Übertragung der alleinigen Entscheidung über den Schulbesuch des Kindes, zum Aktenzeichen 247 F 133/20 ein Antrag der Kindesmutter auf Herausgabe des Kindes, zum Aktenzeichen 247 F 173/20 EAUG wegen Regelung des Umgangs sowie zum Aktenzeichen 247 F 172/20 zum Sorgerecht auf Anregung von Frau C. W..
In dem vorliegenden Verfahren wendet sich die Kindesmutter gegen den Beschluss vom 11.11.2020, der ihrer Verfahrensbevollmächtigten am 16.11.2020 zugestellt worden ist, mit der am selben Tag verfassten und beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerde.
Sie ist der Ansicht, dass der Beschluss des Amtsgerichts aufzuheben sei, weil er offensichtlich rechtswidrig und wegen Befangenheit der Richterin am Amtsgericht unwirksam sei. Inhaltlich sei die Entscheidung fehlerhaft, weil diese nicht auf § 1671 BGB habe gestützt werden dürfen, da es sich um ein Verfahren nach § 1666 BGB gehandelt habe. Auch sei die Vollziehung durch sofortige Herausgabe des Kindes an den Vater rechtswidrig gewesen, da der Beschluss ihr noch nicht bekannt gegeben und somit ihr gegenüber nicht wirksam gewesen sei.
Zudem habe das Amtsgericht die Sorgerechtsentscheidung auf eine angebliche Umgangsverweigerung gestützt. Bei der gewaltsamen Mitnahme des Kindes durch den Vater nach entsprechender Aufforderung durch die erstinstanzliche Richterin handele es um einen Akt staatlicher Gewalt, der gemäß § 90 Abs. 2 FamFG zur Erzwingung des Umgangs unzulässig sei. Die Vorgehensweise widerspreche zudem der UN-Kinderrechtskonvention sowie Art. 6 Abs. 4 GG, wonach jede Mutter Anspruch auf den Schutz der Gemeinschaft habe. Da die Aufhebung der gemeinsamen Sorge in ihrer Wirkung einem Kindesentzug nach § 1666 BGB gleichkomme, begründe dies eine schwere Grundrechtsverletzung für Mutter und Kind.
Der Vorrang einer Entscheidung nach § 1666 BGB ergebe sich auch aus § 1671 Abs. 4 BGB, da das Wohl des Kindes im väterlichen Haushalt gefährdet sei.
J. gehe es im väterlichen Haushalt des Vaters schlecht, wie sich aus den Diagnosen der Ärztin M. P., der Stellungnahme der Psychologin B.-W., den Angaben von K. U., dem Bericht des Jugendamtes H. vom 29.03.2021, dem Schreiben der Klassenlehrerin D. vom 06.03.2021 und einer E-Mail des Klassenlehrers W. aus dem November 2021 ergebe. Er leide unter einem schweren Loyalitätskonflikt. Aufgrund der erzieherischen Defizite des Vaters und seines kalten, lieblosen Verhaltens gegenüber J. bestehe in dessen Haushalt eine Kindeswohlgefährdung. Die vom Vater ertrotzte Kontinuität wirke sich zudem massiv traumatisierend aus.
Eine Kindeswohlgefährdung folge aber vor allem daraus, dass J. aufgrund der gewaltsamen Umplatzierung am 01.10.2020 an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leide, was ihr durch mehrere Traumaspezialisten bestätigt worden sei. Sie hat insoweit die privat eingeholten Stellungnahmen der Therapeutin für Psychotherapie nach dem Heilpraktikergesetz mit dem Tätigkeitsschwerpunkt Psychotraumatologie und Traumatherapie M. B.-W. vom 25.07.2021 mit einer nicht datierten Ergänzung sowie der Prof. em. Dr. rer. nat. H. K. vom 28.02.2022 und der Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie Dr. med. K. S. vom 27.02.2022, 25.03.2022, 17.05.2022 und 27.05.2022 vorgelegt. Eine PTBS werde auch von der Frau V., Rektorin der Grundschule sowie der Hortbetreuerin S. als naheliegend erachtet und sei bei einem "runden Tisch" in der Schule im März 2022 thematisiert worden. Die anlässlich der Einrichtung einer Schulbegleitung für J. beauftragte Ärztin Dr. A.-S. habe sich jedoch geweigert, das Vorliegen einer PTBS zu prüfen, wobei sie mutmaßlich durch die Jugendamtsmitarbeiterin B. unter Druck gesetzt worden sei.
Die traumatisierenden Umstände ergäben sich aus einer Tonaufnahme auf einem MP4-Gerät, das sie J. am 01.10.2020 mit in die Schule gegeben habe, um Gespräche der Förderlehrerin Frau R. mit J. zu dokumentieren. Hierauf sei über einen Zeitraum von mehr als 5 Minuten das verzweifelte Geschrei des Jungen bei der Mitnahme durch den Vater zu hören. Insoweit wurde mit Schriftsatz des Verfahrensbevollmächtigten L. vom 24.05.2022 eine Tonaufnahme mit einer Länge von gut 5 Minuten übersandt und mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten v. B. vom 10.06.2022 angeboten, die den vorangegangenen Versuch der Anhörung des Kindes betreffenden weiteren Teile der Aufnahme zu übersenden.
Die posttraumatische Belastungsstörung könne nur nach Rückgängigmachung des Traumas und somit nur in ihrem Haushalt behandelt werden. Bei einem Verbleib von J. im Haushalt des Vaters sei dies nicht möglich, da dieser der Verursacher der psychischen und schulischen Probleme des Sohnes sei. Daher sei auch die Therapie des Kindes bei Herrn M. ungeeignet und würde selbst dann wirkungslos bleiben, wenn es sich um eine Traumatherapie handelte.
Im Übrigen sei der Beschluss vom 11.11.2020 auch nach dem Maßstab des § 1671 BGB unzutreffend, da bei Beachtung der Kriterien der Kontinuität, der Bindungen und des Willens des Kindes sowie der Erziehungsfähigkeit der Eltern der Aufenthalt des Sohnes in ihrem Haushalt geboten sei.
So könne sie J. nach der Schule selbst betreuen und fördern, da sie eine Halbtagstätigkeit ausübe. Zudem habe er Freunde im direkten Wohnumfeld ihres Haushalts, mit denen er die Grundschule S. besuchen könne, die zudem einen besseren Betreuungsschlüssel als die O.-P.-Schule. in H. habe. Im Übrigen liege eine Zusage für eine Abklärung seines schulischen Bedarfs seitens der International School B. CJD sowie für eine psychiatrische Anbindung bei Dr. med. T. E. vor und werde der Umgang mit dem Kindesvater sichergestellt. Da die Rückkehr in ihren Haushalt die einzige Lösung sei, die J.s Willen entspreche, werde nur dadurch seine weitere Entwicklung optimal gefördert und möglicherweise auch eine therapeutische Begleitung überflüssig.
Auch der Kontinuitätsgrundsatz spreche für den Lebensmittelpunkt des Kindes bei ihr, zumal sie die primäre Bindungsperson des Kindes sei. Bis zur Umplatzierung am 01.10.2020 habe sie J. allein großgezogen, da sie und der Kindesvater bis zur Eheschließung im September 2016 nicht dauerhaft zusammengelebt hätten und sie sich auch danach weitgehend allein um den Sohn gekümmert habe; gemeinsame Urlaube habe es nicht gegeben. Der Kindesvater habe 16 Stunden am Tag gearbeitet und keinerlei Interesse an dem Kind gezeigt; mit einem vor der Heirat abgeschlossenen Vertrag vom 13.09.2016 habe er für den Fall einer Trennung zudem auf das Aufenthaltsbestimmungsrecht für J. verzichtet.
Sie sei uneingeschränkt erziehungsfähig. In ihrer Obhut sei J. gesund, bestens entwickelt, fröhlich und quietschfidel gewesen. Auch der Kindesvater habe erklärt, dass sie eine gute Mutter sei und J. bei ihr leben solle. Insbesondere verfüge sie über eine hohe Bindungstoleranz, habe J. gegenüber nie schlecht über seinen Vater gesprochen und den Umgang zu keinem Zeitpunkt boykottiert. Vielmehr habe sie trotz des im Gewaltschutzverfahren zu Aktenzeichen 247 F 255/19 EAGS verhängten Näherungsverbotes wieder begleiteten Umgang zugelassen, den der Kindesvater jedoch nicht habe wahrnehmen wollen. Zudem sei es nicht gelungen, die Verweigerungshaltung des Kindes zu brechen, was dem Verhalten des Vaters geschuldet gewesen sei. Dieser habe bei den Übergaben seiner Aggressivität freien Lauf gelassen, sie am 02.10.2019 bei der Abholung im Kindergarten zu Boden gestoßen und ihr danach auf dem Parkplatz den Kofferraumdeckel auf Schulter und Kopf geschlagen. Bereits während des Zusammenlebens sei er regelmäßig verbal und körperlich aggressiv gewesen. Sie sei dennoch weiterhin bereit, ihm Umgang zu gewähren.
Eine Einschränkung ihrer Erziehungsfähigkeit könne auch nicht aus der Weitergabe von Informationen über die vorliegenden Verfahren an die Presse abgeleitet werden. Insoweit bestehe ein öffentliches Interesse, da Missstände im Handeln von Jugendämtern, Verfahrensbeiständen, Gutachtern und Familiengerichten aufgedeckt worden seien; die Berichterstattung sei zudem anonymisiert gewesen, die Belange des Kindes seien mithin stets gewahrt worden.
Die Erziehungsfähigkeit des Kindesvaters sei hingegen eingeschränkt. Bei ihm würden dem Kind Aufmerksamkeit und Fürsorge vorenthalten. J. habe berichtet, es gebe oft Streit mit dem Vater, der ihn dann anpacken, auf das Bett in seinem Zimmer schmeißen und sagen würde, dass er ein garstiges Kind sei. Wenn er nach der Mutter weine, verlange der Vater, dass er sich ins Bett lege und erst wieder herauskomme, wenn er sich beruhigt habe und wieder normal sei.
Der Kindesvater habe den Antrag auf Übertragung des Sorgerechts tatsächlich auch nicht aufgrund eines echten Interesses an dem Kind gestellt, sondern weil er sich nicht mit dem ihm zugebilligten Umgang habe zufriedengeben können. So habe er geäußert, er wolle nicht nur ein Wochenend-Papa sein, und seit der Trennung das Ziel verfolgt, ihr das Kind streitig zu machen. Dabei werde er auch nicht durch das Leiden des Sohnes und dessen nunmehrige Verhaltensauffälligkeiten zum Umdenken veranlasst. Seine entgegenstehenden Beteuerungen, dass es J. gut gehe, seien an Gleichgültigkeit nicht zu überbieten.
Dem Vater fehle auch die Förderkompetenz in schulischen Angelegenheiten. Er könne sich wegen seiner beruflichen Belastungen nicht um J. kümmern und mache keine Hausaufgaben mit ihm. Vielmehr überfordere und beschimpfe er ihn beim Lernen und habe ihn in seinem Zimmer eingesperrt. J. zeige mittlerweile schlechte schulische Leistungen, die zur Zurückstufung in die erste Klasse geführt hätten, und so massive Verhaltensauffälligkeiten, dass bei einer Schulkonferenz am 07.03.2022 von mangelnder Beschulbarkeit gesprochen und die Einweisung in eine psychiatrische Klinik (KJP) empfohlen worden sei.
Ferner vernachlässige der Vater die Gesundheitssorge. Er habe J. in eine ungeeignete psychotherapeutische Behandlung zunächst bei Frau U. und nunmehr bei Herrn M. gegeben, der kein Traumatologe sei. Die Behandlung des Traumas durch den abrupten Wechsel zum Vater sei jedoch gegenüber jeder anderen psychotherapeutischen Behandlung vorrangig. Da das Trauma des Sohnes aber nur bei einer Rückkehr des Kindes in ihren Haushalt geheilt werden könne, habe der Vater ein Interesse daran, dass ein Trauma nicht festgestellt werde. Dementsprechend habe er gegenüber der im Beschwerdeverfahren bestellten Sachverständigen auch unzutreffende Angaben zu der Gesundheit des Kindes gemacht und Verhaltensprobleme in der Schule beschönigt.
Der Kindesvater verfüge über keinerlei Bindungstoleranz. So sei sie schon seit langem seiner zügellosen Verachtung ausgesetzt; auch habe er J. gegenüber zahlreiche Beleidigungen über die Mutter geäußert. Er schotte den Sohn von ihr und seinem geliebten Umfeld ab, unterbinde jeden Kontakt zu ihr und sträube sich gegen jede Erweiterung des Umgangs. Seine Bindungsintoleranz sei überbordend; er versuche mit allen Mitteln, sie aus dem Leben des Kindes zu verdrängen. Zuletzt habe er ihr den Umgang mit J. am Mittwochnachmittag streichen und ihr nur Besuchskontakte an Feiertagen, Brückentagen und anderen schulfreien Tagen zugestehen wollen. Ferner habe er eine Teilnahme J.s an der Feier zum 70. Geburtstag seines Großvaters mütterlicherseits untersagt, und ihr die Teilnahme an einem Straßencafé am 30.06.2022 und einem Elterncafé am 13.07.2022 verboten.
Zudem würden ihr sämtliche Informationen über die therapeutische Behandlung und die schulischen Belange des Sohnes vorenthalten - insbesondere auch über die Verhaltensauffälligkeiten des Kindes. Noch in der Email vom 07.03.2022 habe der Kindesvater die Situation beschönigend dargestellt, was eine bewusste Irreführung von Verfahrensbeteiligten sei, die nicht durch seine vorgeschobene Begründung zu rechtfertigen sei, dass er damit die Weitergabe von Informationen an die Presse durch sie verhindern wolle. Auch in der Vergangenheit habe er gelogen, um sich Vorteile zu verschaffen. So habe er in dem zwischenzeitlich geführten Herausgabeverfahren vor dem Amtsgericht zum Aktenzeichen 247 F 131/21 EAHK eine falsche eidesstattliche Versicherung dahingehend abgegeben, dass er nicht wisse, wo sich die Mutter mit J. aufhalte. Diese Erklärung habe dann zum Umgangsausschluss durch den Beschluss des Senats vom 02.07.2021 in dem Verfahren zum Aktenzeichen 1 UFH 3/20 geführt.
Der Wille des Kindes gehe dahin, bei ihr zu leben; dies habe J. jedem gegenüber in großer Verzweiflung geäußert. So habe er zu der Verfahrensbeiständin gesagt, er halte es nicht mehr aus und wolle sofort zu seiner Mutter. In ähnlicher Weise habe er seinen Wunsch auch bei den gerichtlichen Anhörungen und zuletzt gegenüber der Mitarbeiterin des Jugendamts H., Frau B. bei deren Besuch im väterlichen Haushalt am 29.04.2022 zum Ausdruck gebracht; deren entgegenstehende Angabe sei unwahr. Dieser Wille des Kindes müsse beachtet werden, da die gedeihliche Persönlichkeitsentwicklung Selbstbestimmung voraussetze. Demgegenüber sei das Vorgehen des Gerichts und der Verfahrensbeiständin jedoch darauf ausgerichtet, den Willen von J. so lange zu brechen, bis er seinen Vater liebe.
Ferner wendet sich die Kindesmutter gegen die Stellungnahmen der Verfahrensbeiständin sowie der Jugendämter B. und H. und rügt eine Verarbeitung ihrer persönlichen Daten und der des Kindes durch diese Beteiligten und durch das Gericht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Beschwerdevorbringens der Kindesmutter wird auf die Ausführungen in der Beschwerdebegründung vom 09.12.2020, den Schriftsätzen ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 27.01.2021, 28.01.2021, 19.02.2021, 13.04.2021, 16.06.2021, 28.06.2021, 01.07.2021, 20.07.2021, 02.08.2021, 08.09.2021, 14.09.2021, 01.10.2021, 15.10.2021, 15.10.2021, 19.10.2021, 20.10.2021, 26.10.2021, 22.11.2021, 10.12.2021, 13.01.2022, 19.01.2022, 09.02.2022, 03.03.2022, 07.03.2022, 10.03.2022, 24.03.2022, 25.03.2022, 05.04.2022, 11.04.2022, 05.05.2022, 08.05.2022, 13.05.2022, 19.05.2022, 20.05.2022, 24.05.2022, 30.05.2022, 07.06.2022, 08.06.2022, 09.06.2022, 10.06.2022, 15.06.2022, 16.06.2022, 30.06.2022, 04.07.2022, 05.07.2022 und 11.07.2022 sowie den persönlichen Schreiben der Kindesmutter vom 08.02.2021, 11.02.20201, 25.03.2021, 26.03.2021, 29.04.2021, 04.05.2021, 22.05.2021, 07.06.2021, 07.06.2021, 10.06.2021, 14.06.2021, 04.07.2021, 13.08.2021, 14.08.2021, 17.08.2021, 23.08.2021, 23.08.2021, 23.08.2021, 24.08.2021, 07.09.2021, 20.09.2021, 08.10.2021, 01.11.2021, 20.11.2021, 25.11.2021, 05.12.2021, 10.01.2022, 01.03.2022, 17.02.2022, 01.03.2022, 02.03.2022 und 14.06.2022 Bezug genommen.
Die Kindesmutter hat im Laufe des Verfahrens verschiedene Anträge angekündigt und zuletzt beantragt,
die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge,
hilfsweise,
den Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 11.11.2020 im Verfahren mit Aktenzeichen 247 F 256/19 SO aufzuheben und das Verfahren an das Amtsgericht Braunschweig zur Entscheidung zurückzuverweisen,
weiter hilfsweise, für den Fall, dass der Oberlandesgerichtssenat selbst eine Sorgerechtsentscheidung trifft,
der Kindesmutter alle entzogenen Sorgerechtsbestandteile zurück zu übertragen und das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht auf sie zu übertragen.
Der Kindesvater hat zunächst beantragt,
die am 16.11.2020 eingelegte Beschwerde der Kindesmutter gegen den Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 11.11.2020 zum Geschäftszeichen 247 F 256/19 SO sowie deren weiteren Anträge zurückzuweisen.
Mit dem Schriftsatz vom 16.06.2022 beantragt er nunmehr,
die elterliche Sorge für das Kind J. insgesamt aufzuheben und auf ihn zur alleinigen Ausübung zu übertragen.
Er tritt dem Vortrag der Kindesmutter entgegen und verteidigt die angefochtene Entscheidung. Er trägt vor, er habe bis zur Trennung im September 2018 mit ihr und dem Kind zusammengelebt, wobei es mindestens 17 gemeinsame Urlaube gegeben habe. Er habe mit J. einige Vorsorgeuntersuchungen wahrgenommen und im Sommer 2016 seine Eingewöhnung in der Kindertagesstätte P. begleitet.
Die Behauptungen der Kindesmutter zu Beleidigungen und Körperverletzungen bestreitet er.
Der Kindesvater trägt vor, dass die Kindesmutter lediglich formelhaft kommuniziert habe, dass sie den Kontakt des Sohnes zum Vater für wichtig halte. Tatsächlich habe sie seinen Umgang mit J. jedoch verhindert, indem sie dem Jungen nicht ihre Zustimmung dazu signalisiert habe. So habe sie das Kind zwar regelmäßig zur Abholung bereitgehalten, sich aber passiv verhalten, wenn dieses sich an ihr festgehalten und erklärt habe, dass es nicht mitgehen wolle oder nur mitgehen wolle, wenn ihm die Mama Tschüss sage.
Den Antrag auf Übertragung der elterlichen Sorge im Wege der einstweiligen Anordnung habe er gestellt, weil die Kindesmutter J. seit dem 23.06.2020 nicht mehr in den Kindergarten gebracht habe und ihm ihr Aufenthalt bis zur Einschulung am 29.08.2020 über mehr als 9 Wochen nicht bekannt gewesen sei, zumal sie auch auf Versuche des Jugendamtes und der Verfahrensbeiständin zur Kontaktaufnahme nicht reagiert habe.
Der Aufenthaltswechsel am 01.10.2020 habe nicht zu einer Traumatisierung des Kindes geführt; J. habe auch kein einziges Mal nachts nach der Mutter geschrien. Allerdings vermisse das Kind sie und zeige Sehnsucht nach ihr in unterschiedlicher Stärke, weshalb er sich mit ihm Fotoalben ansehe und auch den Umgang zwischen J. und seiner Mutter befürworte. Im Übrigen entsprächen deren Behauptungen, dass der Sohn sich in seinem Haushalt aus erzieherischen Gründen ins Bett legen müsse und erst wieder herauskommen dürfe, wenn er sich beruhigt habe und er währenddessen die Tür zu halte, nicht annähernd der Wahrheit.
Die Vorstellung von J. bei der Kinderärztin Dr. P. und der Therapeutin U. sei auf Empfehlung der erstinstanzlichen Sachverständigen erfolgt. Diese habe größere Probleme bei der Eingewöhnung erwartet, als tatsächlich eingetreten seien und ihm geraten, für die Begleitung des Kindes einen Psychotherapeuten zu suchen und ferner dessen körperlichen Status regelmäßig ärztlich abklären zu lassen, um eventuellen Vorwürfen der Kindesmisshandlung vorzubeugen. Die Kinderärztin habe lediglich einmal einen Ausschlag am Bein und Nasenbluten vom Vortag behandelt. Im Übrigen habe sie festgestellt, dass keine körperlichen oder psychischen Beeinträchtigungen vorlägen und dass es keinen Grund zur Beunruhigung gebe. Eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) habe sie nicht festgestellt. Die Therapeutin U., die über eine Traumaausbildung verfüge, habe nach fünf Diagnostiksitzungen mitgeteilt, dass eine Therapie nicht erforderlich sei; die Diagnose einer PTBS habe auch sie nicht gestellt. Er selbst habe aber aufgrund eines Vorfalls Ende Juni 2021, bei dem J. seinen Lehrer Herrn W. gegenüber der Polizei zu Unrecht einer Handgreiflichkeit beschuldigt und dem einem Umgang mit der Mutter nicht in den väterlichen Haushalt zurückgekehrt sei, eine therapeutische Begleitung des Jungen für angezeigt gehalten. Da Frau U. zeitlich ausgelastet gewesen sei, habe sie ihn an Herrn M. verwiesen, der eine ausführliche Anamnese erstellt habe. Dieser habe die Diagnosen F43.2 (Anpassungsstörung), F32.0 (leichte depressive Episode) und F 93.9 (emotionale Störung des Kindesalters, nicht näher bezeichnet) gestellt und mitgeteilt, dass er keine Anzeichen für eine PTBS gefunden habe und diese - auch nach anonymer Fallbesprechung mit Kollegen - mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen könne.
Hinsichtlich der Verhaltensauffälligkeiten von J. in der Schule habe er irritierende und widersprüchliche Informationen erhalten, so dass es ihn Aufwand und Zeit gekostet habe, ein transparentes Bild zu erhalten. Die Auffälligkeiten seien erstmals zwischen den Sommer- und Herbstferien 2021 aufgetreten, nachdem die Kindesmutter wiederholt in den Pausen am Schulzaunkontakt zu J. aufgenommen habe. Dies sei am Rande einer Schulaufführung am 15.10.2021 bekannt geworden, als andere Kinder erklärt hätten, das die Kindesmutter die Frau sei, die immer am Zaun mit J. spreche. Er vermute, dass dieses Verhalten der Kindesmutter, das er zum Gegenstand eines Antrages auf Verhängung eines Näherungsverbotes gemäß § 1666 Abs. 3 BGB zum Aktenzeichen 1 UFH 7/21 gemacht hat, mitursächlich für das Verhalten des Kindes sei. Über die Auffälligkeiten habe er auch die im Beschwerdeverfahren beauftragte Sachverständige informiert. Einer Mail des Lehrers W. vom 23.11.2021, in der die Verhaltensauffälligkeiten besonders dramatisch geschildert seien, habe er dabei weniger Beachtung geschenkt, da er es für möglich gehalten habe, dass dieser Lehrer über eine zwischenzeitlich erstattete Strafanzeige der Kindesmutter verärgert sei, dies von den Belangen des Kindes nicht klar trennen könne und deshalb die Situation überspitzt darstelle. Über das Gespräch in Rahmen eines runden Tisches in der Schule vom 07.03.2022 sei er durch die Klassenlehrerin Frau D. in einem Elterngespräch am 22.03.2022 informiert worden.
Soweit wegen der Verhaltensauffälligkeiten die Einrichtung einer Schulbegleitung für J. beabsichtigt sei, habe er den Anamnesebogen anhand der Mitteilungen der Schule ausgefüllt; bei ihm im Haushalt habe J. keine entsprechenden Verhaltensweisen gezeigt.
Die Kindesmutter habe er zum Schutz des Sohnes über die Mitteilungen der Schule nur eingeschränkt in Kenntnis gesetzt, da sie alle Informationen und Dokumente mit der Öffentlichkeit teile, was er ablehne. Er verweist insoweit auf die Sendung P. 3 im NDR am 11.01.2022 um 21:45 Uhr sowie auf eine Internet-Petition, die im Januar 2022 auf c.org abrufbar gewesen sei.
Der Kindesvater behauptet ferner, J. habe zu beiden Eltern eine gute Bindung. und auch seine Lebensgefährtin sei inzwischen eine Bezugsperson für ihn.
Eine Zusammenarbeit der Eltern sei jedoch in keinem Bereich möglich. Dies habe sich zuletzt nochmal deutlich im Rahmen des Antrags auf eine Schulbegleitung für J. gezeigt. Der Erstellung einer ärztlichen Stellungnahme sei die Kindesmutter zunächst mit der Begründung entgegengetreten, dass es an einer Rücksprache mit den Lehrern fehle, für die sie dann aber keine Schweigepflichtentbindung erteilt habe. Gegenüber der Ärztin Dr. A.-S. habe sie erklärt, dem Antrag nur unter der Bedingung zustimmen zu wollen, dass in die ärztliche Stellungnahme als Diagnose eine PTBS aufgenommen werde. Zudem habe sie von der Ärztin die Vernichtung sämtlicher Unterlagen verlangt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens des Kindesvaters wird auf sein Vorbringen in der Beschwerdeerwiderung vom 11.02.2021und den Schriftsätzen vom 11.02.2021, 01.03.2021, 11.03.2021, 04.05.2021, 04.05.2021, 23.07.2021, 26.07.2021, 17.08.2021, 25.08.2021, 02.09.2021, 17.09.2021, 30.09.2021, 14.01.2022, 18.01.2022, 09.02.2022, 23.02.2022, 09.03.2022, 21.03.2022, 06.04.2022, 12.05.2022, 20.05.2022, 30.05.2022, 16.06.2022 und 14.07.20222 Bezug genommen.
Das Jugendamt der Stadt B. hat mit den Berichten vom 07.12.2020 und 19.04.2021 sowie in der mündlichen Verhandlung vom 31.05.2022 die Ansicht vertreten, dass J. durch den langanhaltenden Konflikt der Eltern belastet sei. Die erstinstanzlich getroffene Sorgeregelung habe für ihn eine seinen Interessen entsprechende Entspannung gebracht, da ihm damit Kontakt zu beiden Elternteilen möglich sei. Im väterlichen Haushalt habe er einen für ihn wichtigen Lebensmittelpunkt gefunden, von dem aus Umgang mit der Mutter in einem verlässlichen Rahmen sichergestellt werde.
Die Verfahrensbeiständin hat in den gesondert vor dem Senat anhängigen Verfahren mit schriftlichen und mündlichen Berichten vom 01.10.2020, 02.10.2020 und 05.10.2020 zum Aktenzeichen 1 UF 163/20 (erstinstanzlich 247 F 93/20 EASO), vom 22.01.2021 zum Aktenzeichen 1 UFH 3/20, vom 30.03.2021 zum Aktenzeichen 1 UFH 1/21, vom 26.04.2022 zum Aktenzeichen 1 UFH 3/22 sowie im vorliegenden Verfahren mit den Berichten vom 05.07.2021 und 18.08.2021 dahingehend Stellung genommen, dass im väterlichen Haushalt für J. keine Kindeswohlgefährdung bestehe, der Junge aber geäußert habe, die Mutter zu vermissen. In der mündlichen Verhandlung vom 31.05.2022 hat sie die Aufrechterhaltung der erstinstanzlichen Entscheidung empfohlen. J. sei bei seinem Vater gut aufgehoben und habe ihres Erachtens eine sichere Bindung zu beiden Elternteilen. Sie halte ihn nicht für ein traumatisiertes Kind und sehe eine weitere Diagnostik insoweit kritisch. Allerdings leide er unter dem elterlichen Konflikt, zumal er aufgrund seines Alters noch von der Weltsicht seiner Eltern abhängig sei. Dementsprechend positioniere er sich ihnen gegenüber auch unterschiedlich.
Die Kindesmutter hat mit den Schriftsätzen vom 19.02.2021, 14.09.2021 und 23.05.2022 beantragt, die Verfahrensbeiständin zu entpflichten. Die Anträge wurden durch die Beschlüsse des Senats vom 04.03.2021, 07.10.2021 und 25.05.2022 zurückgewiesen.
Der Senat hat die Beweiserhebung zu den Fragen angeordnet, welcher Lebensmittelpunkt und welche Ausgestaltung des Umgangs dem Kindeswohl von J. am besten entsprechen. Wegen der Formulierung der Beweisfragen im Einzelnen wird auf den Beschluss vom 04.03.2021 Bezug genommen. Zum Sachverständigen wurde zunächst Dipl.-Psych. Dr. M. G. bestellt. Nachdem dieser mitgeteilt hatte, für mehrere Monate arbeitsunfähig erkrankt zu sein, hat der Senat mit weiterem Beschluss vom 01.04.2021 die Sachverständige S. M., H., zur Sachverständigen bestellt.
Die Kindesmutter hat gegenüber der Sachverständigen die im Rahmen der Begutachtung erbetenen Schweigepflichtentbindungen für Lehrer und Therapeuten von J. nicht erteilt und auf Aufforderungen des Senats nicht erklärt, ob sie der Exploration des Kindes zustimmt. Daraufhin hat der Senat unter dem Aktenzeichen 1 UFH 5/21 durch Beschluss vom 10.09.2021 ihre Zustimmung zur Durchführung einer Interaktionsbeobachtung zwischen J. und dem Vater, auch in videogestützter Form, ersetzt.
Mit Schriftsätzen vom 20.10.2021 und 09.02.2022 hat die Kindesmutter die Sachverständige wegen Befangenheit abgelehnt; die Gesuche hat der Senat mit den Beschlüssen vom 27.10.2021 und 15.02.2022 zurückgewiesen. Daneben hat die Kindesmutter gemeinsam mit Herrn G., handelnd als Präsident des Art. 80 e.V., Verein für die Vertretung von Betroffenen im Datenschutz, die Sachverständige schriftlich aufgefordert, die gerichtlich angeordnete Begutachtung zu unterlassen und versucht, diese durch einen Antrag auf Erlass einer einstweilen Verfügung und Klage auf Unterlassung gerichtlich in Anspruch zu nehmen. In der Folgezeit hat die Kindesmutter mehrfach erklärt, dass es ihr unmöglich sei, Termine bei der Sachverständige wahrzunehmen, da diese ihr ihre Datenschutzerklärung nicht vorab übersende. Die Sachverständige hat insoweit mitgeteilt, dass die Datenschutzerklärung in einem ersten Gesprächstermin mit weiteren Erläuterungen überreicht werde. Im Ergebnis ist eine Mitwirkung der Kindesmutter bei der Begutachtung unterblieben.
Die Sachverständige hat am 14.01.2022 ein schriftliches Gutachten erstattet und dieses in den Sitzungsterminen vor dem Senat am 09.05.2022 und 23.05.2022 mündlich erläutert. Der Begutachtung liegen drei Explorationsgespräche mit dem Kindesvater, ein mit ihm durchgeführtes Testverfahren Persönlichkeits-, Stil- und Störungs-Inventar (PSSI), drei Interaktionsbeobachtungen zwischen Vater und Sohn im väterlichen Haushalt, Rücksprachen mit der Verfahrensbeiständin und dem zuständigen Mitarbeiter des Jugendamtes, Herrn G., sowie die Auswertung der Verfahrensakten zugrunde. Die Sachverständige ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Erziehungsfähigkeit des Vaters nicht eingeschränkt sei, zwischen ihm und J. eine sichere Bindung bestehe und Anhaltspunkte für eine posttraumatische Belastungsstörung des Kindes nicht vorlägen, wohl aber für einen tiefgreifenden Loyalitätskonflikt aufgrund des hochstrittigen Verhältnisses zwischen den Eltern. Hinsichtlich der Mutter könnten mangels Mitwirkung keine Feststellungen getroffen und aus den aktenkundigen Äußerungen und Vorfällen lediglich unter Vorbehalt Möglichkeiten der Bewertung aufgezeigt werden. Wegen der Ausführungen der Sachverständigen im Einzelnen wird auf das schriftliche Gutachten sowie die Niederschriften der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Die Kindesmutter ist dem Gutachten der Sachverständigen M. und ihren mündlichen Erläuterungen entgegengetreten und hat sich hierfür auf die von ihr eingeholten Stellungnahmen von Prof. Dr. H. K. vom 28.02.2022 und Dr. med. K. S. vom 27.02.2022, 25.03.2022, 17.05.2022 und 27.05.2022 gestützt. Sie macht geltend, die Sachverständige sei bereits unzutreffend ausgewählt, da sie über keine Fachausbildung zur Traumatologie verfüge. Ferner sei ihr Gutachten unwissenschaftlich und bleibe insbesondere hinsichtlich der Durchführung und Dokumentation der Interaktionsbeobachtungen hinter den Mindeststandards für die Erstellung von Sachverständigengutachten im Familienrecht zurück. Zudem sei ihre Darstellung der Bindungstheorie veraltet. Im Hinblick auf den Kindesvater habe sie ihren Gutachtenauftrag überschritten, dessen Aussagen für bare Münze genommen und ihn ausschließlich positiv dargestellt. Demgegenüber habe sie die Kindesmutter ausschließlich negativ dargestellt, auf deren Exploration sie im Übrigen unverständlicherweise ebenso verzichtet habe, wie auf die des Kindes und die Befragung von Kontaktpersonen. Zudem sei sie dem aus der Akte ersichtlichen Vortrag der Mutter sowie den eindeutigen Hinweisen auf eine Traumatisierung des Kindes nicht nachgegangen; aus ihren mündlichen Erläuterungen ergebe sich, dass eine traumatologische Zusatzbegutachtung erforderlich sei. Wegen der weiteren Einzelheiten der Beanstandungen der Kindesmutter wird auf ihre Schreiben vom 02.03.2022 und 09.03.2022 und die Schriftsätze ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 03.03.2022, 07.03.2022, 10.03.2022, 24.03.2022, 11.04.2022, 13.05.2022, 19.05.2022, 20.05.2022 und 30.05.2022 nebst den beigefügten Gegengutachten Bezug genommen.
Der Kindesvater und die übrigen Beteiligten haben den Ausführungen der Sachverständigen beigepflichtet.
Der Senat hat J. am 15.02.2022 und am 25.05.2022, die Kindeseltern und weiteren Beteiligten in der Sitzung vom 09.05.2022, 23.05.2022 und 31.05.2022 persönlich angehört. Wegen der Ergebnisse wird auf die Vermerke über die Kindesanhörungen und die Niederschriften der mündlichen Verhandlungen verwiesen.
Der Senat hat die Akten der Verfahren des Amtsgerichts Braunschweig zu den Aktenzeichen 247 F 255/19 EAGS, 247 F 108/20 EASO und 247 F 172/20 SO und die Akte der Staatsanwaltschaft B. zum Aktenzeichen 510 Js 58224/19 beigezogen. Ferner haben im Rahmen weiterer Beschwerdeverfahren die Akten des Amtsgerichts Braunschweig zu den Aktenzeichen 247 F 232/18 UG (1 WF 149/20), 247 F 23/20 UG (1 UF 190/20), 247 F 93/20 EASO (1 UF 163/20), 247 F 119/20 EASO (1 UF 28/21), 247 F 132 SO (1 UF 176/20) und 247 F 131/21 EAHK (1 UF 116/21) vorgelegen.
Während des Beschwerdeverfahrens sind zudem Anträge der Kindesmutter auf Erlass einstweiliger Anordnungen betreffend das Sorgerecht für J. eingegangen, die der Senat in dem Verfahren zum Aktenzeichen 1 UFH 1/21 beschieden hat. So hat sie mit Schriftsätzen vom 08.03.2021 und 20.04.2021 beantragt, ihr vorläufig vorab das Aufenthaltsbestimmungsrecht und die Gesundheitssorge zu übertragen. Diese Anträge hat der Senat nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss vom 05.05.2021 zurückgewiesen. Einen weiteren Antrag vom 28.06.2021 auf Außerkraftsetzung des Sorgerechtsbeschlusses des Amtsgerichts vom 11.11.2020, Übertragung der Gesundheitssorge und der Sorge für die Wahrnehmung schulischer Angelegenheiten im Wege der einstweiligen Anordnung hat der Senat mit Beschluss vom 09.08.2021 ebenfalls zurückgewiesen. Wegen der Begründungen wird auf die Ausführungen in den Entscheidungen verwiesen. Hinsichtlich des weiteren Antrags vom 24.09.2021 auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts und erneute Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde den Beteiligten nach Beratung im den Senat mitgeteilt, dass der Erlass der begehrten vorläufigen Entscheidung nicht beabsichtigt sei. Eine gleichlautende Mitteilung ist auf die weiteren Anträge der Kindesmutter vom 25.03.2022 ergangen, mit denen sie die Herausgabe des Kindes und die Rückübertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts und der Gesundheitssorge im Wege der einstweiligen Anordnung begehrt hat.
Im Hinblick auf die schulische Situation von J. hat der Kindesvater mit Schriftsatz vom 06.04.2022 beantragt, die Zustimmung der Kindesmutter zur Einrichtung einer Schulbegleitung zu ersetzen. Er hat dazu mit Schriftsätzen vom 09.03.2022 und 21.03.2022 den Schulbericht vom 14.12.2021 und die ärztliche Stellungnahme der Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie Dr. A.-S. vom 25.02.2022 vorgelegt und mitgeteilt, dass diese Maßnahme für J. empfohlen worden sei, da dieser im vergangenen Jahr den Unterricht teilweise massiv gestört habe. Die Kindesmutter stimme der Maßnahme jedoch nicht zu. Das Jugendamt der Stadt H. hat mit Schreiben vom 08.04.2022 ebenfalls angeregt, deren Zustimmung zu ersetzen. Die Kindesmutter ist dem Antrag des Kindesvaters und der Anregung des Jugendamtes H. mit der Begründung entgegengetreten, sie sei nicht am Verfahren beteiligt worden, die geplante Maßnahme sei ungeeignet, gesetzwidrig und auch unverhältnismäßig, weil sie bereit sei, J. selbst zu betreuen. Dr. A.-S. hat ihre ärztliche Stellungnahme vom 25.02.2022 mittlerweile zurückgezogen. Das Verfahren auf einstweilige Anordnung wird vor dem Senat unter dem Aktenzeichen 1 UFH 3/22 geführt; eine Entscheidung ist noch nicht ergangen.
Hinsichtlich des Umgangs der Kindesmutter mit J. hat der Senat während des Beschwerdeverfahrens über Anträge auf einstweilige Anordnung in dem Verfahren zum Aktenzeichen 1 UFH 3/21 entschieden. So wurde mit Beschluss vom 04.03.2021 Umgang an den Wochenenden der geraden Kalenderwochen jeweils von Freitag, 14:00 Uhr, bis Sonntag, 17:00 Uhr, sowie am Freitag der ungeraden Kalenderwochen von 15:00 Uhr bis 18:00 Uhr, angeordnet. Vorangegangen waren Kontakte, die aufgrund der erstinstanzlichen Regelung im Beschluss vom 11.11.2020 zum Aktenzeichen 247 F 23/20 zunächst begleitet in den Räumen des Kinderschutzbundes H. und ab Weihnachten 2021 unbegleitet mit Übernachtungen stattgefunden hatten; daneben fanden Telefonate über Skype statt. Nach Durchführung der mündlichen Verhandlung vom 22.04.2021 hat der Senat mit weiterem Beschluss vom 05.05.2021 die Umgangsregelung durch eine Ferienregelung ergänzt.
Mit Schriftsatz vom 16.06.2021 teilte die Kindesmutter jedoch mit, dass die Rückkehr zum Vater eine große Belastung für J. darstelle. Er wehre sich jeweils derart verzweifelt, als ob er einer Gewalttat ausgesetzt sei, was ihr den Eindruck einer Retraumatisierung bei Rückführung vermittele. Nach dem Nachmittagsumgang am Freitag, dem 25.06.2021, brachte die Kindesmutter J. nicht zum Vater zurück, sondern suchte mit ihm die Polizeistation H. auf, um eine Kindeswohlgefährdung durch den Vater sowie ein Fehlverhalten des Lehrers W. anzuzeigen. Nach Hinzuziehung des Jugendamts verständigten die Eltern sich schließlich darauf, dass J. am Sonntag, dem 27.06.2021, zum Vater zurückkehren sollte. Die geplante Übergabe scheiterte jedoch und die Mutter nahm J. wieder mit zu sich. Am darauffolgenden Montag erklärte sie gegenüber dem Jugendamt, dass sie nicht bereit sei, den Sohn herauszugeben.
Auf Antrag des Kindesvaters hat das Amtsgericht daraufhin mit Beschluss vom 29.06.2021 zum Aktenzeichen 247 F 131/21 EAHK im Wege der einstweiligen Anordnung wegen Dringlichkeit ohne vorherige mündliche Verhandlung bestimmt, dass J. an den Vater herauszugeben sei. Der Beschluss wurde am selben Tag durch eine Gerichtsvollzieherin unter Heranziehung des Jugendamtes, vollzogen und nach Anhörung des Kindes am 02.07.2021 sowie der übrigen Beteiligten am 05.07.2021 mit dem weiteren Beschluss vom 08.07.2021 aufrechterhalten.
Der Senat hat den Umgang sodann durch Beschluss vom 02.07.2021 zum Aktenzeichen 1 UFH 3/20 ausgesetzt; der Beschluss wurde durch weiteren Beschluss vom 11.01.2022 mit einer Belehrung gemäß § 89 FamFG versehen. Die Gegenvorstellung der Kindesmutter vom 15.07.2021 hat der Senat mit Beschluss vom 11.08.2021 zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde der Kindesmutter wurde mit Beschluss vom 10.08.2021 zum Aktenzeichen 1 BvR 1684/21 nicht zur Entscheidung angenommen.
Zwischenzeitlich beantragte die Kindesmutter mit Schriftsatz vom 20.07.2021 beim Amtsgericht zudem die Vollstreckung des angeordneten Umgangs aus dem Beschluss des Senats vom 05.05.2021 zum Aktenzeichen 1 UFH 3/20. Sie führte zur Begründung aus, dass die Aussetzung des Umgangs mit Beschluss des Oberlandesgerichts vom 02.07.2021 rechtswidrig sei. Der Antrag wurde seitens des Amtsgerichts mit Beschluss vom 29.07.2021 zum Aktenzeichen 247 F 152/21 UG zurückgewiesen.
Seit September 2021 findet nunmehr erneut Umgang von J. mit der Kindesmutter statt, wobei die Übergaben zunächst wiederum im Kinderschutzbund H. begleitet wurden. Nach Mitteilung des Kindesvaters im Schriftsatz vom 09.02.2022 wurde zuletzt unbegleiteter Umgang 14-tägig von Freitag 15:00 Uhr bis Sonntag 17:00 Uhr vereinbart sowie in der dazwischenliegenden Woche mittwochs von 13:30 bis 17:30 Uhr und zusätzlich in der Hälfte der Ferien. Die Übergaben fänden in Wohnungsnähe ohne Übergabebegleitung statt und funktionierten ohne Probleme. Die Kindesmutter hat demgegenüber in den Schriftsätzen vom 19.05.2022 und 05.07.2022 erklärt, dass 14-tägige Umgang am Mittwochnachmittag nach den Vorgaben des Kindesvaters auf den Freitagnachmittag verschoben worden sei und einzelne Umgangstermine ausgefallen seien.
Mit Schriftsatz vom 04.07.2022 hat die Kindesmutter beantragt, die Zustimmung des Vaters zur Durchführung einer Diagnostik des Kindes bei der Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie Dr. T. E. sowie zur Vorstellung zum Ersttermin am 12.07.2022 zu ersetzen. Der Senat hat den Antrag in dem Verfahren zum Aktenzeichen 1 UFH 5/22 durch Beschluss vom 11.07.2022 zurückgewiesen.
Den mit Schriftsatz vom 05.07.2022 gestellten Antrag der Kindesmutter, ihr die Teilnahme an der Schuljahresabschlussveranstaltung "Elterncafé" der von J. besuchten Schule am 13.07.2021 zu gestatten, hat der Senat in dem Verfahren zum Aktenzeichen 1 UFH 6/22 durch Beschluss vom 11.07.2022 abschlägig beschieden.
II.
Die Beschwerde der Kindesmutter ist gemäß §§ 58 ff. FamFG zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt.
Der Antrag des Kindesvaters aus dem Schriftsatz vom 16.06.2022 auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge ist als Anschlussbeschwerde auszulegen und gemäß § 66 FamFG bis zum Ende der Beschwerdeinstanz zulässig.
Die Anschlussbeschwerde ist begründet. Demgegenüber ist die Beschwerde der Kindesmutter unbegründet. Dies gilt auch für die weiteren in der mündlichen Verhandlung gestellten Haupt- und Hilfsanträge.
Soweit die Kindesmutter zunächst als Hauptantrag, nunmehr als Hilfsantrag die Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung und die Zurückverweisung begehrt hat bzw. noch begehrt, fehlt es dafür an der rechtlichen Grundlage.
Gemäß § 69 Abs. 1 FamFG hat das Beschwerdegericht in der Sache selbst zu entscheiden. Es darf die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens nur dann an das erstinstanzliche Gericht zurückverweisen, wenn dieses in der Sache noch nicht entschieden hat oder das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet. Dabei steht die Zurückverweisung im Ermessen des Beschwerdegerichts, wobei in Kindschaftssachen das Beschleunigungsgebot aus § 155 FamFG zu beachten ist (Keidel/Sternal, Kommentar zum FamFG, 20. Aufl., § 69 Rn. 13). Als Verfahrensmangel kommen dabei nur Verstöße gegen Verfahrensnormen in Betracht, wobei auf die materiell-rechtliche Sicht der ersten Instanz abzustellen ist. Erstinstanzliche Fehler bei der Anwendung materiellen Rechts bleiben hingegen außer Betracht (Keidel/Sternal, a.a.O. Rn. 15a). Im vorliegenden Sorgerechtsverfahren zur Hauptsache kann eine wesentliche Mangelhaftigkeit in der erstinstanzlichen Verfahrensführung in diesem Sinne nicht erkannt werden.
Zudem hat das Amtsgericht entgegen der Auffassung der Kindesmutter auch nicht zu Unrecht die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des § 1671 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 2 BGB anstelle der Voraussetzungen des §§ 1666, 1666a BGB geprüft, obwohl das Verfahren wegen des Verdachts einer Kindeswohlgefährdung von Amts wegen eingeleitet wurde. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die elterliche Sorge insgesamt ein einheitlicher, unteilbarer Verfahrensgegenstand ist, unabhängig davon, ob Maßnahmen nach § 1666 BGB oder nach § 1671 BGB zu prüfen sind (vgl. OLG Nürnberg FamRZ 2013, 1993, Rn. 32; OLG Frankfurt, Beschluss vom 16.12.2011, 4 UF 158/10, Rn. 16; OLG München, Beschluss vom 19.01.2018, 4 WF 1674/17, Rn. 17 ff. - jeweils über juris). Dies ergibt sich auch aus § 1671 Abs. 4 BGB, wonach dem Antrag eines Elternteils auf Übertragung des alleinigen Sorgerechts nicht stattzugeben ist, soweit die elterliche Sorge aufgrund anderer Vorschriften abweichend geregelt werden muss, was insbesondere wegen Gefährdung des Kindeswohls nach § 1666 BGB der Fall sein kann (BGH, FamRZ 2010, 1060, Rn. 15). Die Entziehung des Sorgerechts nach § 1666 BGB ist jedoch nicht erforderlich, wenn einer Gefährdung des Kindeswohls bereits durch eine gerichtliche Regelung der elterlichen Sorge im Verhältnis der Eltern untereinander begegnet werden kann (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 16.12.2011, 4 UF 158/10, LS 2, Rn. 16; OLG Nürnberg FamRZ 2013, 1993, Rn. 32; Brandenburgisches OLG FamRZ 2019, 1252, LS 1, Rn. 9; OLG München, Beschluss vom 19.01.2018, 4 WF 1674/14 LS 1, Rn. 19; OLG Hamm, Beschluss vom 18.01.2017, 2 UF 184/16, Rn. 43; Grüneberg/Götz, BGB, 81. Aufl., § 1666 Rn. 2).
Insoweit liegen hier bereits keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass J. in der Obhut eines der Elternteile, die jeweils beide die Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf sich selbst beantragen, eine Gefährdung droht, welche die Prüfung einer Entziehung des Sorgerechts nach § 1666 BGB nahelegen würde. Anderes gilt auch nicht soweit die Kindesmutter meint, dass im Haushalt des Kindesvaters eine Kindeswohlgefährdung bestehe, da ihrem Vortrag zu entnehmen ist, dass diese Gefährdung nach ihrer Ansicht in ihrem Haushalt jedenfalls nicht gegeben sei.
Dem Kindeswohl von J. entspricht es am besten, die gemeinsame elterliche Sorge aufzuheben und die Ausübung des Sorgerechts insgesamt auf den Kindesvater zu übertragen.
Gemäß § 1671 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 2 BGB hat das Gericht die gemeinsame elterliche Sorge von Eltern, die nicht nur vorübergehend getrennt leben, aufzuheben und einem Elternteil allein zu übertragen, wenn zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf einen Elternteil dem Wohl des Kindes am besten entsprechen. Dabei hat das Familiengericht im Rahmen einer doppelten Kindeswohlprüfung zunächst festzustellen, ob und ggfs. in welchem Umfang eine Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge geboten ist, und in einem zweiten Schritt, auf welchen Elternteil die elterliche Sorge bzw. die betreffenden Teile des Sorgerechts zu übertragen sind (vgl. Grüneberg/Götz, BGB, 81. Aufl., § 1671 Rn. 12 ff. m.w.N.). Das Familiengericht muss sich dabei unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalles um eine Konkordanz der verschiedenen Grundrechte von Eltern und Kindern bemühen, wobei bei kollidierenden Interessen die des Kindes Vorrang haben (BVerfG FamRZ 1999, 641, Rn. 22; BGH FamRZ 2008, 592, Rn. 15 m.w.N.).Die erforderliche Abwägung hat sich daher stets zunächst am Kindeswohl zu orientieren und erst nachrangig an dem elterlichen Verhalten oder den Kompetenzen der Eltern. Dem Antrag eines Elternteils ist mithin stattzugeben, wenn die Beibehaltung der gemeinsamen Sorge aus Kindeswohlgründen ausscheidet und die für die Zuweisung des alleinigen Sorgerechts grundsätzlich maßgebenden Kriterien mit einem für das Kindeswohl entscheidenden Übergewicht bei diesem Elternteil vorhanden sind.
1. Die gemeinsame elterliche Sorge ist insgesamt aufzuheben, da die Kindeseltern nicht in der Lage sind, diese gemeinsam zum Wohle des Kindes auszuüben.
Grundsätzlich geht der Gesetzgeber davon aus, dass es dem Wohl eines Kindes am besten entspricht, wenn beide Elternteile sich tatsächlich um das Kind kümmern und es auch rechtlich vertreten, weil dem Kind dadurch verdeutlicht wird, dass sowohl die Mutter als auch der Vater zur Übernahme von Verantwortung bereit sind (Grüneberg/Götz, BGB, 81. Aufl., § 1671 Rn. 1 m.w.N.).
Im Bereich der Aufenthaltsbestimmung steht jedoch bereits ein Streit der Eltern um den Lebensmittelpunkt eines Kindes - wie er hier gegeben ist - der Ausübung der gemeinsamen Sorge immer entgegen (OLG Köln, Beschluss vom 04.11.2015, 10 UF 123/15, Rn. 12 - über juris).
Hinsichtlich der weiteren sorgerechtlichen Angelegenheiten gilt Entsprechendes, soweit die Eltern sich in Konflikten befinden, die es ihnen auf absehbare Zeit nicht ermöglichen, miteinander abgestimmte Entscheidungen für das Kind zu treffen. Die Ausübung der gemeinsamen Sorge setzt eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern voraus und ist nur denkbar, wenn zwischen ihnen ein Mindestmaß an Übereinstimmung sowie die hinreichende Fähigkeit und Bereitschaft zur Kooperation bestehen. Fehlt es daran, so besteht die Gefahr, dass die Eltern ihren Konflikt auf dem Rücken des Kindes austragen, womit dieses in seiner Beziehungsfähigkeit beeinträchtigt und in seiner Entwicklung gefährdet werden kann (vgl. BVerfGE 127, 132 ff., Rn. 50 ff.; 107, 150 ff., Rn. 61; BGH FamRZ 2008, 592 ff., Rn. 11 ff.). Dabei geht ein fortgesetzter destruktiver Elternstreit nicht nur mit erheblichen seelischen Belastungen für das Kind einher (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 15), sondern führt aufgrund der unzureichenden Kommunikation regelmäßig auch dazu, dass notwendige Entscheidungen in den Belangen des Kindes nicht oder jedenfalls nicht zeitnah getroffen werden.
Hier besteht zwischen den Kindeseltern eine schwerwiegende und nachhaltige Störung der Kommunikation und damit einhergehend in der zielführenden Kooperation betreffend die Belange ihres Sohnes. Soweit zwischen ihnen offenbar regelmäßig zu verschiedenen Angelegenheiten E-Mails ausgetauscht werden, haben diese in der Vergangenheit in sorgerechtlich relevanten Bereichen selten zu Übereinkünften geführt. Aus dem vorgelegten Schriftverkehr ergibt sich vielmehr lediglich die Darlegung unterschiedlicher Ansichten.
Im Bereich der Gesundheitssorge fehlt es zudem an einem Mindestmaß an Übereinstimmung, da die Eltern grundlegend verschiedene Vorstellungen zu einer therapeutischen Behandlung ihres Sohnes haben. Während die Kindesmutter ausschließlich eine traumatologische Behandlung befürwortet, hält der Kindesvater aufgrund der Auskünfte der bisher konsultierten Ärzte und Therapeuten eine Traumatisierung für unwahrscheinlich und lässt J. derzeit bei dem Therapeuten M. behandeln, der nicht über eine entsprechende Fachausbildung verfügt. Dabei ist bereits aufgrund der von dem Jungen in der Schule gezeigten Auffälligkeiten im Lern- und Sozialverhalten absehbar, dass eine psychologische Betreuung des Kindes voraussichtlich weiterhin erforderlich sein wird, womit die Auswahl der Therapeuten und der Behandlung noch auf längere Zeit ein Schwergewicht bei der Ausübung der Gesundheitssorge bilden wird. Zu gemeinsamen Entscheidungen insoweit sind die Kindeseltern jedoch nicht in der Lage, was zuletzt erneut aus dem Antrag der Kindesmutter vom 04.07.2022 auf Ersetzung der Zustimmung des Vaters zur Diagnostik bei Dr. T. E. in dem Verfahren zum Aktenzeichen 1 UFH 5/22 deutlich geworden ist.
In Bezug auf die schulischen Angelegenheiten hat zwischen den Kindeseltern bereits in der Vergangenheit eine grundlegende Differenz hinsichtlich der Frage der Einschulung und der Wahl der Schule bestanden, die eine Entscheidung des Amtsgerichts in dem Verfahren zum Aktenzeichen 247 F 132/20 erfordert hat. Gegenwärtig ist die Frage der Einrichtung einer Schulbegleitung für J. streitig, die den Sorgebereich der Antragstellung nach dem SGB VIII betrifft. Der Kindesvater hält diese auf Anregung der Schule in Übereinstimmung mit dem Jugendamt H. für erforderlich; wegen des Widerspruchs der Mutter konnte der entsprechende Antrag bisher jedoch nicht gestellt werden. Insoweit liegt dem Senat ein Antrag auf Ersetzung der Zustimmung der Kindesmutter in dem Verfahren zum Aktenzeichen 1 UFH 3/22 vor. Die hierzu beigefügte Korrespondenz zwischen den Kindeseltern und mit dem Jugendamt lässt nicht erwarten, dass die Eltern diesen und ähnliche Konflikte künftig sachbezogen und in vertretbarer Zeit gemeinsam werden lösen können. So hat der Vater mit E-Mail vom 07.03.2022 die Mutter zwar über das Erfordernis und die Modalitäten einer Schulbegleitung informiert und ihr die Übersendung der fachärztlichen Stellungnahme angeboten, sofern sie ihm zusichere, dass sie diese nicht an die Presse weitergeben oder im Internet veröffentlichen werde. Die Kindesmutter hat in ihrer Antwort vom 09.03.2022 jedoch lediglich die Vorlage der Stellungnahme gefordert, ohne auf den Wunsch des Vaters, von einer Veröffentlichung abzusehen, einzugehen. Damit haben sich die Kindeseltern mit nur zwei E-Mails, die zudem gegenseitige Vorwürfe enthalten, von der zu lösenden Sachfrage der Schulbegleitung fortbewegt. Die Kommunikation mit dem Jugendamt haben sodann zwei Verfahrensbevollmächtigte der Kindesmutter übernommen, ohne dass bisher eine gemeinsame Entscheidung der Eltern insoweit getroffen werden konnte.
Weitere Differenzen zwischen den Kindeseltern sind hinsichtlich des Umgangs mit Informationen über J. deutlich geworden. Während der Vater nicht möchte, dass Informationen über die den Sohn betreffenden gerichtlichen Verfahren der Presse mitgeteilt werden oder sonst Eingang in die Medien finden, hat die Mutter ihre Sichtweise über die Verfahren Pressevertretern zugeleitet mit der Folge, dass darüber unter anderem am 14.01.2022, am 09.03.2022 und am 10.03.2022 in der H. Zeitung, am 24.03.2022 in der B. Zeitung, sowie im Fernsehen am 07.12.2021 im ZDF in der Sendung F. und am 11.01.2022 im NDR in der Sendung P. berichtet wurde. Soweit die Kindesmutter die Ansicht vertritt, dass die Belange von J. hierdurch nicht berührt seien, trifft dies aufgrund mitgeteilten Einzelheiten, die Rückschlüsse auf das Kind zulassen, nicht zu.
In der Gesamtbetrachtung ist damit festzustellen, dass den Kindeseltern seit längerem eine gemeinsame Entscheidungsfindung in den unterschiedlichsten sorgerechtlichen Angelegenheiten nicht möglich war. Substantiierte Anhaltspunkte für eine in absehbarer Zeit insoweit zu erwartende Änderung liegen nicht vor; gemeinsame Beratungsgespräche zur Verbesserung ihrer Kommunikation finden ausweislich ihrer Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat derzeit nicht statt.
Damit ist den nunmehr von beiden Elternteilen gestellten Anträgen auf Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge insgesamt zu entsprechen.
2. Dem Kindesvater ist die Ausübung der elterlichen Sorge zu übertragen, da dies dem Wohl von J. am besten entspricht.
Maßstab der Entscheidung, welchem Elternteil das Sorgerecht zu übertragen ist, ist nach § 1671 Abs. 1 S. 1, 2 Nr. 2 BGB die Prognose, durch wen die elterliche Sorge künftig am besten dem Kindeswohl entsprechend ausgeübt werden wird, d. h. welcher Elternteil besser in der Lage ist, die Entwicklung und die Erziehung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu gewährleisten (Grüneberg/Götz, a.a.O., Rn. 26 m.w.N.). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 28.04.2010, XII ZB 81/09, Rn. 16 m.w.N. - über juris; Grüneberg/Götz, a.a.O., Rn. 26 ff. m.w.N.) bestimmt sich das Wohl eines Kindes insoweit nach dem Förderungs- und Kontinuitätsgrundsatz, seinen Bindungen und seinem Willen. Dabei kann jedem Kriterium ein unterschiedliches Gewicht zukommen, da diese nicht kumulativ nebeneinanderstehen, sondern jedes im Einzelfall mehr oder weniger bedeutsam für die Beurteilung sein kann, was den Interessen des Kindes am besten entspricht.
Unter Würdigung des Vortrags beider Kindeseltern, der Ausführungen der Sachverständigen S. M. in ihrem Gutachten vom 14.01.2022 (GA) nebst den Erläuterungen in der mündlichen Verhandlung vom 09.05.2022 und 23.05.2022, der Stellungnahmen der Verfahrensbeiständin und des Jugendamtes B. sowie des bei den Anhörungen des Kindes und der Eltern gewonnenen eigenen Eindrucks gelangt der Senat zu der Feststellung, dass eine Gefährdung für J. im Haushalt des Kindesvaters nicht besteht und der dortige Lebensmittelpunkt sowie die Ausübung des Sorgerechts insgesamt durch den Vater dem Wohl des Kindes am besten entsprechen.
Das Gutachten der Sachverständigen M. kann den Feststellungen des Senats zugrunde gelegt werden. Gemäß § 163 Abs. 1 FamFG soll ein Sachverständiger in Familiensachen über eine psychologische, psychotherapeutische, kinder- und jugendpsychiatrische, psychiatrische, ärztliche, pädagogische oder sozialpädagogische Berufsqualifikation verfügen. Diese Voraussetzung sind hier hinsichtlich der Qualifikationen von Frau M. als Pädagogin mit den Zusatzausbildungen zur systemischen Familientherapeutin, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin und Sachverständigen im Kindschaftsrecht gegeben; sie verfügt gerichtsbekannt zudem über eine langjährige Erfahrung in der Erstellung familienpsychologischer Gutachten. Der Eignung als Sachverständige steht nicht entgegen, dass sie nicht über eine Fachausbildung in Traumatologie verfügt. Denn Gegenstand der Begutachtung war nicht die Abklärung eines bei J. möglicherweise vorliegenden Psychotraumas, sondern der Frage, welcher Elternteil das Sorgerecht im Hinblick auf das Kindeswohl besser ausüben kann. Zudem besteht kein Grund daran zu zweifeln, dass die Sachverständige bei vorgefundenen Anhaltspunkten für ein Trauma, eine posttraumatische Belastungsstörung des Jungen, anderweitige Anzeichen für eine psychiatrische Erkrankung oder Umstände, für die ihre Fachkunde nicht ausreicht, auf das Erfordernis der Heranziehung eines Spezialisten hingewiesen hätte.
Auch im Übrigen stehen der Verwertbarkeit des Gutachtens keine Zweifel an der fachlichen Kompetenz der Sachverständigen entgegen. Das Gutachten entspricht den von der Arbeitsgruppe familienrechtliche Gutachten des Deutschen Familiengerichtstags 2019 erarbeiteten Mindestanforderungen für die Erstellung von familienpsychologischen Sachverständigengutachten im Kindschaftsrecht. Die Sachverständige hat aus den Beweisfragen psychologische Fragestellungen abgeleitet, ein anerkanntes Testverfahren angewendet, die Interaktionsbeobachtungen sorgfältig beschrieben und ihre Schlussfolgerungen nachvollziehbar begründet.Sie hat ferner psychologische Fachliteratur bei der Erstellung des Gutachtens verwendet und war bei der mündlichen Erläuterung ihres Gutachtens in der Lage, auf konkrete Fragen nach Belegen für einzelne Feststellungen die jeweiligen Quellen zu nennen.
Soweit die Kindesmutter unter Heranziehung der von ihr vorgelegten gutachterlichen Stellungnahmen von Prof. Dr. H. K. und Dr. K. S. die grundsätzliche Eignung der Sachverständigen infrage stellt, sind die erhobenen Vorwürfe unberechtigt.
Dies gilt zunächst hinsichtlich des beanstandeten Versäumnisses einer Exploration der Kindesmutter, einer umfassenden Untersuchung und Exploration des Kindes sowie der Befragung von Personen aus dessen persönlichem Umfeld, der Schule und seinen Therapeuten. Denn den im Rahmen einer umfassenden Begutachtung vorzunehmenden Untersuchungen und Befragungen stand die fehlende Einwilligung der Kindesmutter entgegen. Diese hat die mit Verfügungen vom 04.03.2021 und 01.04.2021 angeforderten Schweigepflichtentbindungen nicht abgegeben und der Senat hat im Beschluss vom 10.09.2021 zum Aktenzeichen 1 UFH 5/21 die Ersetzung von Erklärungen der Kindesmutter auf die Zustimmung zur Interaktionsbeobachtung zwischen Vater und Kind beschränkt, um den Eingriff in das Sorgerecht der Kindesmutter aus Gründen der Verhältnismäßigkeit so gering wie möglich zu halten.
Demgegenüber stand es der Kindesmutter während des gesamten Verfahrens weiterhin frei, die vom Senat angeforderten Schweigepflichtentbindungen zu erteilen und selbst an der Begutachtung teilzunehmen. Sie wurde hieran insbesondere nicht durch eine fehlende Datenschutzerklärung der Sachverständigen gehindert. Diese hat mitgeteilt, dass sie die Datenschutzerklärung beim Eingangsgespräch im Rahmen umfassender mündlicher Erläuterungen über den Verlauf der Begutachtung überreichen werde. Diese Verfahrensweise sei bei ihr und generell in ihrer Branche üblich. Daraufhin hat der Senat die Sachverständige mit den Schreiben vom 30.06.2021 und 30.07.2021 dahingehend angeleitet, dass sie der Kindesmutter die Teilnahme weiterhin ermöglichen, die Begutachtung aber ungeachtet ihrer Mitwirkung fortsetzen solle. Diese Schreiben wurden allen Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis übersandt. Zusätzlich wurde die Kindesmutter mit den Schreiben vom 25.08.2021 über ihre Verfahrensbevollmächtigte und das an sie persönlich gerichtete Schreiben vom 15.11.2021 darauf hingewiesen, dass ihr die Teilnahme an der Begutachtung freistehe, aber kein Hinderungsgrund aus datenschutzrechtlichen Gründen gesehen werde.
Unter Berücksichtigung des demzufolge eingeschränkten Umfangs der der Begutachtung zu Grunde zu legenden Untersuchungsbefunde sind die Ausführungen der Sachverständigen in sich schlüssig und widerspruchsfrei; Nachfragen wurden in der mündlichen Verhandlung überzeugend beantwortet.
Soweit die Kindesmutter rügt, der Vater sei durchgehend wohlwollend dargestellt worden, während das Gutachten negative Schlussfolgerungen über sie selbst enthalte, kann aus dem Ergebnis der Begutachtung nicht auf deren Qualität geschlossen werden. Die Sachverständige hat zudem Feststellungen nur hinsichtlich des Kindesvaters getroffen und Aussagen über die Kindesmutter lediglich unter Vorbehalt als Möglichkeiten aufgezeigt. Hinweise auf eine Befangenheit der Sachverständigen lassen sich hieraus nicht ableiten. Insoweit wird auf die Ausführungen des Senats in den Beschlüssen vom 27.10.2021, 15.02.2022 und 08.03.2022 Bezug genommen, mit denen die Befangenheitsanträge der Kindesmutter gegen die Sachverständige zurückgewiesen wurden.
Im Übrigen werden die Ausführungen der Sachverständigen durch die vorliegenden Berichte der Verfahrensbeiständin, der Jugendämter B. und H., der Lehrer und der Polizei H. sowie den eigenen Eindruck des Senats gestützt.
Die Darlegungen der Sachverständigen sowie das Vorbringen der Beteiligten und die Anhörungen des Kindes führen in Hinblick auf die Kindeswohlkriterien zu folgenden Abwägungen:
a) Nach dem Förderungsgrundsatz erhält derjenige Elternteil das Sorgerecht oder die streitigen Teile desselben zur alleinigen Ausübung übertragen, von dem das Kind für den Aufbau seiner Persönlichkeit die meiste Unterstützung erwarten kann und der die stabilere und verlässlichere Bezugsperson zu sein verspricht. Dabei kommt es weniger auf die Vor- und Ausbildung der Eltern an, als vielmehr auf deren Bereitschaft, Verantwortung für die Erziehung und Versorgung des Kindes zu tragen (Grüneberg/Götz, a.a.O., Rn. 27 ff. m.w.N.). Komponenten des Förderungsgrundsatzes sind die realistische Möglichkeit, dem Kind das Existenzminimum zu sichern, es persönlich zu betreuen, die allgemeine Erziehungseignung sowie die Bindungstoleranz, welche die Bereitschaft und Fähigkeit umfasst, den Kontakt des Kindes zu anderen und insbesondere zum anderen Elternteil aktiv zu unterstützen.
aa) Die Bereitschaft und Fähigkeit zur materiellen Versorgung des Kindes ist offensichtlich bei beiden Eltern uneingeschränkt vorhanden.
bb) Die Möglichkeiten einer persönlichen Betreuung des Kindes sind bei der Mutter in zeitlich größerem Umfang als beim Vater gegeben. Die Kindesmutter geht einer Teilzeittätigkeit nach und ist dadurch in der Lage, J. nachmittags bei den Hausaufgaben zu betreuen und seine Freizeitgestaltung zu organisieren und zu begleiten. Demgegenüber ist der Kindesvater vollschichtig erwerbstätig und nimmt für J. die Nachmittagsbetreuung im Hort in Anspruch, so dass die persönliche Betreuung des Kindes durch ihn auf die Morgen- und Abendstunden sowie auf Wochenenden, Ferien und Feiertage beschränkt ist.
cc) Bei beiden Kindeseltern ist von einer grundsätzlich liebevollen Haltung gegenüber J. und einem echten Interesse an ihrem Sohn auszugehen. Die Sachverständige hat dies für den Kindesvater aufgrund ihrer Interaktionsbeobachtung festgestellt und für die Kindesmutter unterstellt. In den Berichten der Verfahrensbeiständin und des Jugendamts finden sich keine Anhaltspunkte, die eine anderweitige Einschätzung rechtfertigen könnten. Der Senat hat darüber hinaus in den persönlichen Anhörungen des Kindes als auch der Eltern den Eindruck gewonnen, dass sowohl die Einstellung der Mutter als auch die des Vaters J. gegenüber fürsorglich und zugewandt ist.
Soweit die Kindesmutter dem Vater eine zugewandte Haltung abspricht, vermag der Senat dem nicht zu folgen.
Soweit sie dazu vorträgt, der Kindesvater habe während des Zusammenlebens viel gearbeitet und demzufolge kein Interesse an J. gehabt, lässt sich allein aus der arbeitsbedingten Abwesenheit eines Elternteils kein Desinteresse ableiten. Insoweit erscheinen auch die von der Kindesmutter am 02.03.2022 persönlich überreichten und als Anlagen zu den Schriftsätzen vom 08.09.2021 und 03.03.2022 vorgelegten schriftlichen Erklärungen ihrer Freundinnen und Bekannten als untauglich zum Beleg für die innere Einstellung des Vaters. Entsprechendes gilt hinsichtlich der Erklärung der ehemalige Babysitterin H. vom 15.02.2022, wonach sie den Vater im Kontakt mit dem damals einjährigen J. als distanziert und hölzern erlebt habe. Zudem hat die Sachverständige im Rahmen der Begutachtung ein entspanntes, zugewandtes Verhalten mit angemessenem Körperkontakt zwischen Vater und Sohn festgestellt. Dies entspricht auch den Wahrnehmungen der Senatsmitglieder anlässlich der Kindesanhörung am 15.02.2022, zu der J. vom Vater gebracht und abgeholt wurde.
Soweit die Mutter unter Beweisantritt vorgetragen hat, der Vater sei bei Übergabesituationen zum Umgang im Jahr 2019 ausfallend geworden und habe unter anderem geäußert, "so" möge er J. nicht, lässt sich aus Entgleisungen bei einzelnen konflikthaften Übergabesituationen nicht auf die grundsätzliche Einstellung zum Kind schließen. Auch wenn derartige Situationen bei J. zu einer gewissen Verunsicherung im Hinblick auf die Kontakte zu seinem Vater geführt haben können, lassen sich aus dem beschriebenen Verhalten keine belastbaren Schlussfolgerungen im Hinblick auf die Persönlichkeit des Vaters und dessen Einstellung zu J. ziehen. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung der damals im Hinblick auf den Umgang angespannten, hochkonflikthaften Situation zwischen den Eltern. Den Beweisangeboten der Kindesmutter zum Verlauf der Übergabeversuche am 04.08.2019 und 20.09.2019, der vom Kindesvater bestritten wurde, musste daher nicht nachgegangen werden.
Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Vortrag der Mutter, J. habe ihr berichtet, dass der Vater ihn immer wieder als "garstiges Kind" bezeichne und ihn ins Bett schicke, wenn er aus Sehnsucht nach der Mutter weine, das Zimmer im Sinne einer Dunkelfolter verdunkle und die Tür zuhalte bzw. abschließe.Diese Angaben des Kindes sind nicht plausibel; derartiges hat J. weder bei einer gerichtlichen Anhörung noch gegenüber der Verfahrensbeiständin geäußert. Dieser gegenüber hat er ebenso wie bei seiner Anhörung vor dem Amtsgericht Braunschweig vom 04.11.2020 angegeben, dass der Vater mit ihm Fotos ansehe, wenn er traurig sei, weil er seine Mutter vermisse. Auch die Interaktionsbeobachtung der Sachverständigen lässt ein unangemessenes Verhalten des Vaters gegenüber J., wie es die Kindesmutter vorgetragen hat, als fernliegend erscheinen. Sie hat im Gutachten ein inniges, körperliche Nähe suchendes, teils auch provokantes Verhalten von J. gegenüber seinem Vater beschrieben. In der mündlichen Verhandlung hat sie auf Nachfrage ergänzt, dass es sich im Verhalten eines Kindes ausdrücken würde, wenn es ständigen Beschimpfungen seines Vaters ausgesetzt wäre, etwa indem es Angst zeigen, das Verhalten des Vaters vorsichtig beobachten oder durch Mikroexpressionen zu erkennen geben würde, dass ihm der Kontakt mit dem Vater unangenehm sei. Kinder, die Misshandlungen ausgesetzt seien, würden auf diese Weise Dritte nonverbal um Hilfe bitten. Solche Mikroexpressionen habe sie bei J. nicht wahrgenommen, obwohl sie sorgfältig darauf geachtet habe.
Aufgrund der von ihr durchgeführten Fachausbildungen zur Interaktionsbeobachtung nach der Heidelberger Marschak-Methode und bei André Jacob sowie ihrer langjährigen Erfahrung als psychologische Sachverständige ist der Senat von der Zuverlässigkeit der im Gutachten nachvollziehbar beschriebenen Beobachtungen der Sachverständigen überzeugt. Zweifel an der Stichhaltigkeit der von ihr aus ihren Beobachtungen gezogenen Schlussfolgerungen sind auch nicht deshalb veranlasst, weil sie keine strukturierte, wissenschaftliche Methode angewandt hat. Auch ohne die Anwendung einer derartigen Methode, die keine zwingende Voraussetzung für die Verwertbarkeit eines familienpsychologischen Gutachtens ist, können aus der Eltern-Kind-Interaktion belastbare psychologische Schlussfolgerungen gezogen werden.
Aus dem strafrechtlich nicht abschließend aufgeklärten Vorwurf der Kindesmutter, der Kindesvater habe sie mit J. auf dem Arm geschubst, ergibt sich auch nach ihrer eigenen Darstellung bereits keine Aggression gegen das Kind, so dass sich hieraus keine Anhaltspunkte gegen eine grundsätzlich liebevolle Einstellung des Vaters J. gegenüber ableiten lassen.
Entsprechendes gilt auch für das Verhalten des Kindesvaters im Hinblick auf die sorgerechtlichen Streitigkeiten. Soweit die Mutter vorgetragen hat, der Vater habe bereits von der Antragstellung auf Übertragung des Sorgerechts absehen müssen, da er sich aus der einschlägigen psychologischen Literatur darüber hätte informieren können, dass fehlender Umgang nicht einen Wechsel des Lebensmittelpunktes rechtfertigen könne, verkennt sie die Vielfalt der insoweit vertretenen Ansichten. Sowohl die psychologische als auch die juristische Literatur und die Rechtsprechung stellen insoweit auf den Einzelfall ab und sind so heterogen, dass der Laie hieraus unterschiedliche Schlüsse ziehen kann. Im Übrigen hat der Kindesvater bereits in der mündlichen Verhandlung vom 22.04.2021 zum Aktenzeichen 1 UFH 1/21 dargelegt, dass seine Antragstellung auf der Sorge beruht habe, den Kontakt zu seinem Sohn zu verlieren, wenn er sich nicht um dessen Wechsel in seinen Haushalt bemühe. Zuvor sei es ihm für die Dauer von mehr als einem Jahr nicht möglich gewesen, Umgang mit J. durchzuführen, bevor die Kindesmutter im Sommer 2020 zudem für mehrere Wochen nicht erreichbar gewesen sei. Diese Schwierigkeiten in der Umsetzung des Umgangs sind unstreitig; die genannten Gründe zur Antragstellung erscheinen daher plausibel und sprechen nicht gegen eine liebevolle Einstellung des Vaters zum Kind.
Auch aus dem Umstand, dass der Kindesvater J. am 01.10.2020 trotz der Proteste seines Sohnes mit zu sich nach H. genommen hat, kann nicht auf eine lieblose Haltung geschlossen werden. Mit dem Bericht der Verfahrensbeiständin vom 02.10.2020 in dem Verfahren zum Aktenzeichen 247 F 93/20 EASO, ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 31.05.2022 sowie der im Verfahren zu Aktenzeichen 1 UFH 1/21 vorgelegten Erklärung des Herrn S. vom 20.04.2021 und der mit Schriftsatz vom 24.05.2022 übersandten Tonaufnahme ist zwar dokumentiert, dass J. sich gewehrt hat, als er von seinem Vater aus der Schule getragen wurde. Aus der Sicht des Kindesvaters konnte sich diese Mitnahme aber als im Interesse des Kindes erforderlich darstellen, da sie seitens der vor Ort anwesenden erstinstanzlichen Richterin, der Verfahrensbeiständin und der Sachverständigen Dr. B. für notwendig gehalten wurde. Denn ausweislich des Beschlusses des Amtsgerichts vom 01.10.2020 zum Aktenzeichen 247 F 93/20 EASO (dort Bd. 2) hat die erstinstanzliche Sachverständige nach der gescheiterten Anhörung von J. am selben Tage erklärt, dass die abweisende Reaktion des Jungen auf die Anwesenheit der Richterin, der Verfahrensbeiständin und sie selbst bereits eine Störung darstelle und zeige, dass das Kind massiv beeinflusst und belastet sei. Ausweislich der Gründe des weiteren Beschlusses vom 13.10.2020 zum Aktenzeichen 247 F 93/20 EASO (dort S. 8) hat die Sachverständige in der mündlichen Verhandlung vom 05.10.2020 insoweit ergänzend ausgeführt, dass J. ihr erklärt habe, sie sei böse, obwohl sie ihm völlig unbekannt gewesen sei. Dies habe er auf Nachfrage damit begründet, dass sie seinen Vater und Frau B. kenne. Dabei habe das Kind wie ferngesteuert gewirkt. Eine Einteilung der Welt in Gut und Böse weise auf eine fehlende Ambivalenz hin, die für das Alter des Jungen untypisch sei und stelle eine Beeinträchtigung dar, die im fortgeschrittenen Alter mit großer Wahrscheinlichkeit zu psychischen Problemen führen und sich verschlimmern werde, wenn nicht zeitnah eine Änderung der aktuellen Situation herbeigeführt werde.
Dem Kindesvater wurde nach seinen Schilderungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 31.05.2022 und dem damit übereinstimmenden Bericht der Verfahrensbeiständin am 01.10.2020 in der Schule seitens der erstinstanzlichen Richterin die dort nach Anhörung der Sachverständigen getroffene gerichtliche Entscheidung zum Sorgerecht mitgeteilt. Er wurde aufgefordert, J. mit zu sich nach H. zu nehmen, wobei die Sachverständige ihn auf mögliche abwehrende Reaktionen von J. vorbereitet und ihm geraten hat, die Rückfahrt mit dem Auto nicht allein durchzuführen, das Kind bei einem Arzt vorzustellen und nötigenfalls auf das Beruhigungsmittel Pipamperon zurückzugreifen. Angesichts dieser Umstände, durfte der Kindesvater davon ausgehen, dass die Mitnahme von J. auch gegen dessen Willen längerfristig den Interessen des Kindes dienen werde. Damit kann aus dem Übergehen des Protests des Jungen entgegen der Ansicht der Kindesmutter nicht auf ein Fehlen jeglicher Empathie und Liebe des Vaters geschlossen werden.
dd) Bestandteil der elterlichen Förderkompetenz ist ferner die emotionale Feinfühligkeit, somit die Fähigkeit, das Verhalten des Kindes und seine Bedürfnisse wahrzunehmen, richtig zu interpretieren und hierauf zügig und in angemessener Weise einzugehen. Hinweise auf Einschränkungen insoweit liegen beim Kindesvater nicht vor; dem Vortrag der Kindesmutter ist hingegen zu entnehmen, dass sie Äußerungen des Kindes nicht die zutreffende Bedeutung beimisst und seine Interessen nicht immer im Blick hat.
Hinsichtlich des Vaters hat die Sachverständige ausgeführt, dass es ihm immer wieder gelinge, die Empfindungen des Kindes angemessen aufzunehmen bzw. zu interpretieren sowie daraus folgend darzustellen und für sich zu reflektieren, wie eigenes Verhalten oder auch das Verhalten der Mutter auf J. wirken könne (GA Seite 57).
Soweit sie eine Einschränkung in Bezug auf die Feinfühligkeit des Vaters darin sieht, dass auch er am 01.10.2022 begonnen habe auf J. einzuwirken, nachdem es zu dem Zusammentreffen mit der Kindesmutter und den Großeltern mütterlicherseits in H. gekommen sei, ordnet sie dies als einzelnen Vorfall in einer emotionalen Ausnahmesituation ein (GA Seite 64). Diese Einordnung erscheint aufgrund der in der Akte dokumentierten Geschehnisse an diesem Tag zutreffend.
Soweit die Kindesmutter eine Einschränkung der Feinfühligkeit des Kindesvaters bis hin zu einer Persönlichkeitsstörung daraus ableitet, dass er J. am 01.10.2020 gegen dessen Willen aus der Schule mitgenommen hat, erscheint dies hingegen fernliegend. Gestützt auf die von ihr eingeholte Stellungnahme von Dr. K. S. vom 27.02.2022 vertritt sie die Ansicht, dass bei dem Vater der Verdacht einer narzisstischen oder dissozialen Persönlichkeitsstörung mit eingeschränkter sozialer Wahrnehmung und eingeschränkter Empathiefähigkeit bestehe (dort Seite 20-22), weshalb die Sachverständige die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens hätte anregen müssen. Denn der Vater habe nach eigenen Angaben zwar eine positive Lebenssituation für J. erstrebt, tatsächlich jedoch aktiv darauf hingewirkt, dass das Kind sein vollständiges vertrautes Lebensumfeld sowie den Bezug zur Kindesmutter als der primären Bezugsperson verliere, obwohl dabei die Gefahr einer traumatischen oder psychisch schwer belastenden Folge bestanden habe. Dabei habe er sich im Laufe des mehrjährigen Umgangsprozesses darüber informieren können, dass ein fehlender Umgang zum Vater dem Kindeswohl nicht in einer solchen Weise schade, dass damit eine zwangsweise Durchsetzung gerechtfertigt werden könne.
Diese Argumentation verkennt jedoch das tatsächliche Geschehen am 01.10.2020, bei dem das erstinstanzliche Gericht sich aufgrund des Verhaltens des Kindes nach Konsultation der Sachverständigen veranlasst sah, sorgerechtliche Maßnahmen wegen Umgangsverweigerung zu ergreifen. Weshalb der Kindesvater demgegenüber zu der Auffassung hätte gelangen müssen, dass sein Wunsch nach Kontakt zu dem Sohn wegen dessen Verweigerung zurücktreten müsse, erschließt sich nicht. Ferner gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass der Vater eine etwaige Traumatisierung des Kindes als mögliche Folge des Wechsels seines Lebensumfeldes hätte in Betracht ziehen müssen. Denn nach seiner Wahrnehmung hat er bereits zuvor eine Beziehung zu J. gehabt und dessen Kontakt zur Mutter auch in der Folgezeit nicht unterbunden.
Hinsichtlich der Mutter wertet der Senat ihr im Einsatzbericht der Polizei H. vom 03.10.2020 dokumentiertes emotional entgleisendes Verhalten am 01.10.2020 angesichts der für sie überraschenden Mitnahme des Sohnes durch den Vater ebenfalls als dieser Ausnahmesituation geschuldet; Rückschlüsse auf ein Fehlen elterlicher Feinfühligkeit können daraus nicht gezogen werden. Insoweit ist zudem zu berücksichtigen, dass ihr bis zu ihrem Eintreffen bei der Polizei der Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 01.10.2020 noch nicht bekannt gegeben worden war.
Demgegenüber legt das Verhalten der Kindesmutter anlässlich der Erstattung einer Strafanzeige gegen den Lehrer W. am 25.06.2021 eine Einschränkung ihrer Feinfühligkeit nahe.
Die Sachverständige hat insoweit ausgeführt, der hierüber gefertigte Bericht der Polizei H. vom 01.07.2021 enthalte Hinweise darauf, dass die Kindesmutter nicht ausreichend in der Lage sei, die emotionalen Bedürfnisse des Kindes wahrzunehmen. So habe sie J. bei der dortigen Befragung aufgefordert, von Geschehnissen zu berichten, worauf er entgegnet habe: "ich weiß nicht was du meinst, was ich erzählen soll." Sofern die Angaben des Vaters stimmten, dass J. dann den Lehrer zu Unrecht eines Fehlverhaltens bezichtigt habe, habe die Kindesmutter die Auswirkung ihres Verhaltens auf die emotionale Belastung des Jungen verkannt (GA Seite 70 f.). Aber selbst wenn unterstellt werde, dass die Mutter aus Sorge um das Kind gehandelt habe, habe sie im Sinne einer elterlichen Feinfühligkeit zunächst den Vater direkt ansprechen müssen, um die Situation einer Herausgabe unter Hinzuziehung der Polizei für J. zu vermeiden.
Diese Einschätzung teilt der Senat, zumal in dem Polizeibericht vermerkt ist, J. habe bei den Angaben verunsichert gewirkt sowie sehr leise und zum Teil undeutlich gesprochen, wobei die Mutter vermehrt auf ihn eingeredet habe. Tatsächlich haben sich die der Strafanzeige zugrunde gelegten Angaben von J. gegenüber der Kindesmutter und bei der Polizei nicht bestätigt, wonach es zu einer gewaltsamen Übergabe durch den Lehrer W. an den Kindesvater gekommen sein soll. Der Kindesvater hat einen entsprechenden Vorfall bestritten und darauf hingewiesen, dass eine direkte Übergabe durch diesen Lehrer an ihn bereits deshalb nicht in Betracht komme, weil J. nach dem Unterricht die Nachmittagsbetreuung besuche. Der Lehrer selbst hat auf die offen gehaltene Anfrage des Kindesvaters mitgeteilt, in der vorausgegangenen Woche habe es keine besonderen Vorfälle mit J. gegeben. Und J. hat bei seiner Anhörung vor dem Amtsgericht am 02.07.2021 in dem Verfahren zum Aktenzeichen 247 F 31/21 EAHK erklärt, Herr W. sei nett, mit ihm habe er keinen Stress gehabt. Anhaltspunkte dafür, dass der Lehrer auf die Strafanzeige der Kindesmutter hin strafrechtlich belangt wurde, fehlen.
Die Kindesmutter hat zudem noch weitere Äußerungen von J. vorgetragen, die er ihr gegenüber gemacht haben soll, die inhaltlich aber nicht der Wahrheit entsprechen, was sie verkannt haben will.
So hat sie im Verfahren zum Aktenzeichen 1 UFH 1/21 im Nachgang zu der Kindesanhörung vom 22.04.2021 mit den Schriftsätzen vom 26.04.2021, 30.04.2021 und 04.05.2021 mitgeteilt, dass der hierzu verfasste Anhörungsvermerk unvollständig und teilweise falsch sei, da J. ihr den Verlauf der Anhörung abweichend geschildert habe. Der tatsächliche Verlauf der Anhörung hat sich jedoch so vollzogen, wie er im Vermerk vom 22.04.2021 niedergelegt und im Beschluss vom 05.05.2021 (dort Seite 23-25) näher vereinzelt worden ist.
Weiter hat die Kindesmutter vorgetragen, J. habe anlässlich eines Besuchs der Mitarbeiterin des Jugendamts H., Frau B., am 29.04.2022 erklärt, es gehe ihm beim Vater schlecht, er wolle zu sofort zurück zu seiner Mama, sein Papa habe ihn geklaut; auf die Frage, bei wem er wohnen wolle, habe er sich für die Mutter ausgesprochen. Frau B. hat hierzu in der Verhandlung vom 09.05.2022 angegeben, bei dem Hausbesuch sei zu keinem Zeitpunkt die Frage des Lebensmittelpunkts erörtert worden. Sie habe J. lediglich kennenlernen wollen und ihn nicht danach gefragt, wo er wohnen wolle. Um die Mutter sei es lediglich gegangen, als sie J. nach seinen Plänen für das Wochenende gefragt habe und er ihr mitgeteilt habe, dass er zur Mutter fahren werde. Soweit die Kindesmutter meint, dass Frau B. insoweit lüge, fehlt es dafür an jeglicher erkennbaren Motivlage. Allein eine etwaige Verärgerung über eine mangelnde Mitwirkung bei der Beantragung von Jugendhilfemaßnahmen führt nicht dazu, dass eine Mitarbeiterin des Jugendamts einen geäußerten Wunsch eines Kindes nach einem Zusammenleben mit seiner Mutter verschweigt. Mühsame Elterngespräche gehören zum Berufsalltag der Arbeit des Jugendamts; zudem hat J. sich bereits häufiger dahingehend erklärt, dass er bei seiner Mutter leben wolle. In Bezug auf den Besuch von Frau B. hat J. in seiner Anhörung am 25.05.2022 jedoch lediglich angegeben, dass er sich an die Frau erinnere, jedoch nicht daran, worüber gesprochen worden sei. Falls er sich Frau B. gegenüber in der Weise wie von seiner Mutter vorgetragen geäußert hätte, hätte es jedoch nahegelegen, dass er dies bei der kurze Zeit später erfolgten gerichtlichen Anhörung wiederholt hätte.
Insgesamt zeigt sich damit eine bedenkliche Neigung der Kindesmutter, auch offensichtlich zweifelhafte Äußerungen von J. nicht zu hinterfragen und diesen eine Bedeutung beizumessen, die ihnen nicht zukommt. So wusste sie hinsichtlich des behaupteten Vorfalls in der Schule am 25.06.2021, dass der Sohn die Nachmittagsbetreuung besucht und eine Übergabe des Kindes von Lehrern an den Vater nicht erfolgt. Hinsichtlich der Kindesanhörung vom 22.04.2021 stand den von ihr vorgetragenen Angaben ihres Sohnes der Anhörungsvermerk des Vorsitzenden gegenüber; auf welcher Grundlage sie davon ausgehen konnte, dass J. eine präzisere Erinnerung an die Anhörung hat als drei Richter, erschließt sich nicht. Entsprechendes gilt für ihren Vortrag, wonach J. ihr das Gespräch mit der Verfahrensbeiständin am 15.01.2021 anders geschildert habe, als diese es in ihrem Bericht vom 22.01.2021zum Verfahren 1 UFH 3/20 dargestellt habe. Auch die weiter vorgetragenen pauschalen Angaben des Jungen, der Vater übe nie für die Schule mit ihm, das Baby schreie immer nur, die Lebensgefährtin des Kindesvaters halte sich den ganzen Tag mit dem Baby im verschlossenen Zimmer auf, wären bei einfühlsamer Betrachtung Anlass gewesen, die Wahrnehmung des Kindes zu hinterfragen.
In einer derart kritiklosen Übernahme auch unplausibler Aussagen eines Kindes ist eine Einschränkung der Feinfühligkeit zu sehen, die die Förderungskompetenz erheblich einschränkt. Denn dadurch erfolgen erzieherische Reaktionen auf einer falschen Tatsachengrundlage und werden die wahren Bedürfnis des Kindes nicht oder nur unzureichend wahrgenommen. So hätten Zweifel der Kindesmutter hinsichtlich des von J. geschilderten Vorfalls am 25.06.2021 verbunden mit einer Rückfrage beim Vater oder Lehrer beispielsweise zu einer Klärung geführt, die dem Jungen die ihm ausweislich des Berichts der Polizei offensichtlich unangenehme Aussagesituation erspart hätte. Dem folgend wäre das Kind nach dem Nachmittagsumgang dann wohl auch in den Haushalt des Vaters zurückgekehrt, womit das Herausgabeverfahren des Amtsgerichts zum Aktenzeichen 247 F 131/21 EHK mit der Vollstreckung durch die Gerichtsvollzieherin am 29.06.2021 sowie die Aussetzung des Umgangs durch den Beschluss des Senats vom 02.07.2021 zum Aktenzeichen 1 UFH 3/20 vermieden worden wären.
Zudem stellt die kritiklose Übernahme von Angaben des Kindes im höheren Alter, wenn es zunehmend eigene Interessen verfolgt, eine Einladung dar, die Eltern gegeneinander auszuspielen oder sich Unterstützung auch für zweifelhafte Anliegen zu verschaffen, etwa gegen berechtigte Tadel der Lehrer. Eine Einschränkung der Feinfühligkeit gerade in diesem Bereich ist aus der Sicht des Senats daher für die weitere Entwicklung des Kindes von besonderer Relevanz.
Eine Einschränkung der Feinfühligkeit zeigt sich im Übrigen in den Kontaktaufnahmen der Kindesmutter zu J. am Zaun der Schule im Herbst 2021 außerhalb der vereinbarten Umgänge. Auch wenn J. Freude über den Kontakt gezeigt haben mag, hat sie ihm dadurch vor Augen geführt, dass der ihn unstreitig belastende elterliche Konflikt um seinen Lebensmittelpunkt auch sein schulisches Umfeld betrifft. Der Kindesvater hat zudem mitgeteilt, dass der Beginn der in der Schule wahrgenommenen Verhaltensauffälligkeiten des Jungen zeitlich mit diesen Kontaktaufnahmen der Mutter zusammenfällt.
Letztlich lässt auch die Weitergabe von Informationen über die J. betreffenden Streitigkeiten seitens der Kindesmutter an die Presse und damit an eine breite Öffentlichkeit auf eine Einschränkung ihres Einfühlungsvermögens schließen. So ist bereits ihre Einschätzung unzutreffend, dass es ihr dabei stets gelungen sei, die Persönlichkeitsrechte von J. zu wahren. Denn mittlerweile ist jedenfalls an der Schule des Kindes in H. bekannt, dass zwischen seinen Eltern ein hochstreitiger Konflikt besteht. Hierzu hat die Strafanzeige der Kindesmutter gegen den Lehrer W. vom 25.06.2021 ebenso beigetragen wie die Vorfälle am Rande der Schulaufführung vom 15.10.2021, bei der es auch zu einer Auseinandersetzung zwischen den Kindeseltern gekommen ist. Zudem sind seit Herbst 2021 Verhaltensauffälligkeiten des Jungen mit zwischenzeitlichen Tätlichkeiten gegenüber Mitschülern bekannt geworden. Es ist naheliegend, dass jedenfalls die Lehrer der O.-P.-Schule und die Eltern der Mitschüler die Berichte und Leserbriefe in der H. Zeitung vom 14.01.2022 und 09.03.2022 wahrgenommen und in Verbindung zu J. gebracht haben.
ee) Die Förderkompetenz umfasst zudem die Fähigkeit zur zielführenden Zusammenarbeit mit Dritten und Institutionen im Interesse des Kindes. Insoweit liegen bei beiden Eltern Anhaltspunkte für Einschränkungen in unterschiedlicher Ausprägung vor; auf Seiten der Kindesmutter haben diese Einschränkungen bereits zu erheblichen Konflikten und damit einhergehenden Dienstaufsichtsbeschwerden und gerichtlichen Verfahren geführt.
Seitens des Kindesvaters ist die Zusammenarbeit mit Institutionen zum Wohle von J. grundsätzlich in sachlicher und zielführender Weise gewährleistet. Ausweislich der Ausführungen im Gutachten ist seine Kommunikationsfähigkeit und Kooperation mit Institutionen ausreichend vorhanden (GA Seite 56). Hierfür spricht auch die reibungslose Zusammenarbeit mit den Jugendämtern B. und H. sowie der freundlich und verbindlich gehaltene Ton des teilweise vorgelegten E-Mail-Austauschs mit der Schule. Andeutungen für Einschränkungen ergeben sich lediglich aus der E-Mail der Leiterin der O.-P.-Schule. vom 03.05.2022, wonach seine Kooperationsbereitschaft von den Mitarbeitern der Vormittags- und Nachmittagsbetreuung des Sohnes sehr unterschiedlich wahrgenommen werde. Soweit der Kindesvater in der mündlichen Verhandlung vom 23.05.2022 allerdings ausgeführt hat, dass er die Mail des Lehrers W. vom 23.11.2021 unbeachtet gelassen habe, in der dieser ausführlich das auffällige Verhalten von J. in der Schule geschildert hat, hat er es an einer zeitnahen Zusammenarbeit mit der Schule im Interesse des Kindes fehlen lassen. Soweit dem die Annahme zu Grunde lag, die Darstellung des beschriebenen Verhaltens sei übertrieben und der Verärgerung des Lehrers über die Strafanzeige der Kindesmutter gegen ihn geschuldet, vermag dies die unterbliebene sofortige Kontaktaufnahme seitens des Vaters nicht zu rechtfertigen. Eine generelle Neigung des Vaters, die von der Schule mitgeteilten Schwierigkeiten seines Sohnes zu beschönigen und nicht hinreichend ernst zu nehmen, kann der Senat jedoch entgegen dem Vorbringen der Kindesmutter nicht feststellen. Vielmehr ist er nach der Anregung einer Schulbegleitung unverzüglich tätig geworden und hat damit begonnen, deren Beantragung in die Wege zu leiten. Zudem bietet die bisherige Art und Weise der Kommunikation und Kooperation des Vaters mit der Schule und dem Jugendamt Grund für die Annahme, dass es ihm künftig gelingen wird, in einem zielführenden sachlichen Austausch mit der Schule die von Fachleuten für notwendig erachteten Maßnahmen zu ergreifen, um J. bei der Bewältigung des schulischen Alltags bestmöglich zu unterstützen und dabei auch den während der Klassenkonferenz am 07.03.2022 besprochenen Verhaltensauffälligkeiten wirksam zu begegnen.
Seitens der Kindesmutter erscheint hingegen eine gelingende Zusammenarbeit mit Institutionen nur eingeschränkt möglich. So ist es in der Vergangenheit in den verschiedensten Angelegenheiten des Kindes zu vielfachen Auseinandersetzungen sowohl mit den Jugendämtern B. und H. als auch mit den von J. besuchten Schulen und der Polizei gekommen. Die Kindesmutter hat die Polizeidirektion H. vor dem dortigen Verwaltungsgericht zum Aktenzeichen 10 A 6058/20 wegen Verstoßes gegen das Datenschutzgesetz in Anspruch genommen. Der Leiterin der Grundschule S. wirft sie vor, in den Bericht vom 02.10.2020 unwahre Aussagen aufgenommen zu haben, um das Verhalten der Schule im Hinblick auf den Aufenthaltswechsel vom 01.10.2020 nachträglich zu rechtfertigen; nach dem unwidersprochenen Vortrag des Kindesvaters hat sie auch insoweit ein gerichtliches Verfahren angestrengt. Gegen den Lehrer W. der O.-P.-Schule. in H. hat sie Strafanzeige erstattet; die Vertreter beider Jugendämter haben in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt, dass die Kindesmutter Dienstaufsichtsbeschwerden gegen sie erhoben hat.
Ein Beispiel missglückter Zusammenarbeit ergibt sich aus dem Schriftverkehr über die vom Jugendamt H. angestrebte Einrichtung einer Schulbegleitung für J., zu der das gesonderte Verfahren zum Aktenzeichen 1 UFH 3/22 geführt wird. Nachdem der Vater die Mutter mit der E-Mail vom 07.03.2022 um ihre Zustimmung zur Beantragung der Schulbegleitung gebeten hatte, wandte diese sich mit dem Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten Rechtsanwältin K.-W. vom 09.03.2022 an das Jugendamt und beantragte, sie an dem Verfahren betreffend die Bewilligung der Schulbegleitung zu beteiligen. Das Jugendamt teilte mit Schreiben vom 10.03.2022 mit, eine Beteiligung der Kindesmutter sei beabsichtigt, zur Terminvereinbarung werde direkter telefonischer Kontakt aufgenommen. In einem Telefonat am Folgetag wurde der Kindesmutter ausweislich der Stellungnahme des Jugendamtes H. vom 08.04.2022 ein gemeinsames Gespräch am 16.03.2022 unter Beteiligung der Schulleiterin und des Therapeuten von J. angeboten, das sie als nicht angemessen abgelehnt habe. Auf ihren Wunsch sei dann für den nächsten Tag ein Gespräch mit Frau B. vereinbart worden, das sie wegen der Verhinderung ihrer Verfahrensbevollmächtigten nicht wahrgenommen habe. Die Kindesmutter hat es hingegen als unwahr bezeichnet, dass ihr die Teilnahme an einer Konferenz am 16.03.2022 angeboten worden sei; dieser Termin sei wegen einer Erkrankung der Mitarbeiterin abgesagt worden, zu dem Ersatztermin am 22.03.2022 sei sie nicht eingeladen worden. Soweit ihr ein Einzelgespräch am 17.03.2022 mit Frau B. angeboten worden sei, habe dies unter dem Vorbehalt gestanden, dass sie Ruhe gebe und den Antrag unterschreibe. Letztlich teilte die Verfahrensbevollmächtigte Rechtsanwältin K.-W. dem Jugendamt mit Schreiben vom 15.03.2022 mit, dass ihrer Mandantin eine Beteiligung am Verfahren verweigert worden sei und legte hiergegen Widerspruch ein. Der weitere Verfahrensbevollmächtigte Prof. Dr. L. signalisierte in den an das Jugendamt H. gerichteten E-Mails vom 18.03.2022 und 21.03.2022 hingegen grundsätzliche Bereitschaft zur Zustimmung bei entsprechender Information. Daneben hat die Kindesmutter Kontakt zu der Fachärztin Dr. A.-S. aufgenommen, die die ärztliche Stellungnahme vom 25.02.2022 für die Beantragung der Schulbegleitung verfasst hatte. Diese zog daraufhin am 01.04.2022 ihr Gutachten mit einer an das Jugendamt H. gerichteten E-Mail zurück und teilte mit weiteren E-Mails vom 14.06.2022 und 16.06.2022 gegenüber der Kindesmutter und dem Jugendamt mit, dass sie sich mangels Zustimmung und Schweigepflichtentbindung der Kindesmutter von dem Auftrag zur Erstellung des Gutachtens zurückziehen müsse und um Vernichtung der Entwürfe bitte.
Anhand der beschriebenen Kommunikation zeigt sich, dass die Haltung der Kindesmutter von Beginn an von einem erheblichen Misstrauen und Vorwürfen gegenüber dem Jugendamt wie auch der hinzugezogenen Ärztin geprägt war, wodurch letztlich ein sachlicher, zielführender Austausch zu der betroffenen Problematik verhindert und eine Klärung und Entscheidungsfindung im Sinne des Kindeswohls über einen Zeitraum von mehreren Monaten verzögert wurde. Die erste Kontaktaufnahme zum Jugendamt unter Hinzuziehung ihrer Rechtsanwältin verdeutlicht zudem die grundsätzliche Haltung der Mutter im Umgang mit Behörden und Institutionen. Wenngleich selbstredend das Recht besteht, sich auch im Kontakt mit Behörden rechtlichen Beistands zu bedienen, kann eine anwaltliche Tätigkeit ohne vorherige persönliche Kontaktaufnahme eine vertrauensvolle Zusammenarbeit erschweren. Dies gilt umso mehr, wenn mehrere Rechtsanwälte tätig werden, die sich wie hier teilweise nicht einheitlich zu positionieren scheinen.
Auch der weitere Vortrag der Kindesmutter aus dem Schriftsatz vom 04.07.2022 zu dem Verlauf der Gespräche führt nicht zu einer anderen Bewertung. Insoweit ist festzustellen, dass die Zusammenarbeit der Kindesmutter mit der Ärztin A.-S. misslungen ist, ohne dass ein Fehlverhalten der Ärztin zu erkennen ist. Denn aufgrund der geführten Gespräche und der Einreichung von Unterlagen lag zumindest zwischenzeitlich eine konkludente Einwilligung der Kindesmutter vor, die nach Vorliegen der Stellungnahme vom 30.05.2022 widerrufen wurde.
Im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit der Schule zeigt sich zudem eine erhebliche Einschränkung der Fähigkeit der Mutter zur zielführenden Kooperation darin, dass sie J. am 01.10.2020 ein eingeschaltetes MP4-Gerät in die Hosentasche gesteckt hat, um damit seine Gespräche mit der Förderlehrerin der Grundschule S., Frau R., aufzunehmen. Abgesehen von der Strafbarkeit dieses Verhaltens gemäß § 201 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB handelt es sich bei dem heimlichen Abhören um ein unfreundliches und ungehöriges Vorgehen, das einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Eltern und Lehrern entgegensteht. Denn Grundlage eines jeden aufrichtigen Gesprächs und eines unbefangenen Agierens im Alltag ist das Vertrauen darauf, dass Äußerungen nicht heimlich abgehört oder aufgezeichnet werden. Dies gilt insbesondere auch für das Verhältnis zwischen Schülern und Lehrern; insoweit stellt das Abhören einer Lehrkraft eine schwere Verletzung der Regeln eines aufrichtigen Miteinanders dar. Offenbar besteht bei der Kindesmutter jedoch eine Tendenz, sich über diese Regeln hinwegzusetzen, da sie auch ein innerhalb des Senats geführtes Gespräch in einer Pause der Sitzung vom 22.04.2021 in dem Verfahren zum Aktenzeichen 1 UFH 1/21 aufgenommen hat. Eine Teilabschrift dieser Aufnahme hat sie in der Sitzung des Amtsgerichts Braunschweig vom 05.07.2021 in dem Herausvergabeverfahren zum Aktenzeichen 247 F 131/21 EAHK vorgelegt. Soweit sie das Schriftstück dort als Gedächtnisprotokoll bezeichnet hat, ergibt sich bereits aus dem Inhalt, dass es sich nicht um ein Gespräch handelt, das in Anwesenheit der Beteiligten oder der Kindesmutter stattgefunden hat.
ff) Einschränkungen hinsichtlich der allgemeinen Erziehungsfähigkeit können beim Kindesvater ebenfalls nicht festgestellt werden, wohl aber bei der Kindesmutter.
Beim Kindesvater sind die erzieherischen Basiskompetenzen nach den Ausführungen der Sachverständigen uneingeschränkt vorhanden (GA Seite 56). Seinen Erziehungsstil hat sie in ihrem schriftlichen Gutachten vom 14.01.2022 als den Bedürfnissen des Kindes angepasst beschrieben. Während der Interaktionsbeobachtungen habe J. eine enge Anbindung an seinen Vater gezeigt und kontinuierlich dessen körperliche Nähe gesucht. Im Spiel habe er sich selbstbewusst und immer wieder latent provokant gegeben, um seine Grenzen auszutesten und einige Male auch, um Dominanz zu zeigen. Der Vater habe darauf situationsangemessen lenkend reagiert; durch die gleichbleibend ruhige und zugewandte Art und die alters- und situationsgerechten Erklärungen habe der Sohn sich dann jeweils wieder entspannen können. Zwischenzeitlich auftretende Anspannungsphasen habe der Vater mit dem Zulassen körperlicher Nähe des Kindes abmildern und durch altersgerechte Spielangebote auflösen können (GA Seite 53f.). Im Anhörungstermin vom 09.05.2022 hat die Sachverständige ergänzend ausgeführt, sie habe das Kind zu keiner Zeit als ängstlich wahrgenommen. Vielmehr habe sie einen natürlichen physischen Kontakt zwischen Vater und Kind erlebt, wobei diese Kontaktaufnahme weder so gewirkt habe, als ob das Kind sich an dem Vater festhalte oder als ob dieser das Kind festhalte. Sie habe auch keinerlei Anhaltspunkte dafür gefunden, dass J. seitens des Vaters Beschimpfungen ausgesetzt sei. In diesem Fall wären Mikroexpressionen zu erwarten, die darauf hindeuteten, dass er nicht mit seinem Vater in Kontakt sein wolle. Diese Ausführungen der Sachverständigen entsprechen den Schilderungen der Verfahrensbeiständin in den zum vorliegenden Verfahren und zu den Parallelverfahren erstatteten Berichten vom 02.10.2020, 22.01.2021, 30.03.2021 05.07.2021, 18.08.2021, 09.11.2021 und 06.04.2022 wie auch dem persönlichen Eindruck des Senats bei der Kindesanhörung am 15.02.2022. Beim Bringen und Abholen zum Termin wirkte der Junge im Zusammensein mit dem Vater entspannt und fröhlich, verhaltene oder vorsichtige Reaktionen waren nicht zu beobachten.
Soweit die Kindesmutter demgegenüber vorträgt, dass der Vater J. nach dessen Angaben immer wieder als "garstiges Kind" bezeichnet habe oder in seinem verdunkelten Zimmer einsperre, ist auf die Ausführungen zu Ziffer 2 a) cc) zu verweisen, wonach diese Angaben nicht plausibel sind.
Soweit die Kindesmutter vorgetragen hat, dass J. während des Zusammenlebens aggressiven Verhaltensweisen des Vaters ausgesetzt gewesen sei, ist dies bestritten worden und lässt sich nicht mehr aufklären. Die vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen von Bekannten der Mutter sind insoweit nicht ergiebig, da darin kein eigenes Miterleben, sondern allein Angaben der Kindesmutter bekundet werden, so dass Beweis durch Vernehmung von Zeugen nicht zu erheben ist. Entsprechendes gilt hinsichtlich des Vorfalls im Kindergarten S. am 02.10.2019, bei dem der Kindesvater die Kindesmutter mit J. auf dem Arm nach deren Angaben zu Boden gestoßen haben soll. Ausweislich des Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft B. zum Aktenzeichen 510 JS 58224/19 wurde auch dieser Vorfall nicht aufgeklärt. Aus dem Protokoll der Hauptverhandlung vor dem Landgericht B. vom 09.11.2020 und 04.02.2021 ergibt sich, dass die vernommenen Zeugen angegeben haben, den Vorfall nicht wahrgenommen zu haben. Eine weitergehende Aufklärung ist im Rahmen des familienrechtlichen Verfahrens nicht möglich, erscheint aber auch nicht erforderlich. Die Sachverständige hat insoweit überzeugend ausgeführt, dass Folgen eines etwaigen unangemessenen früheren Verhaltens im jetzigen innigen Miteinander von Vater und Sohn nicht erkennbar seien (GA Seite 66).
Soweit die Mutter vorträgt, J. habe anlässlich einer Übergabe an den Vater am 06.04.2021 gesagt, er habe Angst, sein Vater werde ihm die Beine brechen, so dass er nicht mehr zur Mutter laufen könne, gibt es keine Anzeichen für einen realen Bezug dieser Äußerung. Die Sachverständige hat in der mündlichen Verhandlung vom 23.05.2021 hierzu plausibel ausgeführt, es könne sich um eine Reaktion auf die stark belastete Situation des Kindes handeln. Zudem könne die Äußerung eventuell teilweise erlebnisbasiert sein, falls der Vater das Kind am 01.10.2020 beim Tragen zum Auto auf eine bestimmte Weise angefasst habe. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, lassen sich hieraus jedoch keine Schlussfolgerungen auf den Erziehungsstil des Vaters ziehen, da es sich am 01.10.2020 um eine besondere Ausnahmesituation gehandelt hat. Vor dem Hintergrund der hochkonflikthaften Situation der Eltern sowie in Anbetracht des Umstandes, dass J. seiner Mutter gegenüber bereits mehrfach unrichtige Angaben gemacht hat, liegt es auch in Bezug auf seine vorgetragene Äußerung am 06.04.2021 nahe, dass er sich hierzu aufgrund seines Loyalitätskonflikts veranlasst gesehen hat.
Ausweislich ihrer Erläuterungen zu der Funktionsweise des Gerätes in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 31.05.2022 wurden damit nicht nur zielgerichtet Gespräche mit bestimmten Personen aufgezeichnet, sondern das gesamte Verhalten ihres Sohnes in der Schule dokumentiert. Zudem hat sie J. eine Uhr mit GPS-Funktion, zur jederzeitigen Ortung seines Aufenthaltsortes tragen lassen. Eine derart umfassende Überwachung eines Grundschulkindes birgt die Gefahr, die Entwicklung einer altersentsprechenden Eigenständigkeit in dem den Eltern nur eingeschränkt zugänglichen Sozialraum Schule zu verzögern oder zu verhindern.
Hinzukommt, dass die Kindesmutter Schwierigkeiten hat, vertrauensvoll mit Dritten im Hinblick auf die Interessen ihres Kindes zusammenzuarbeiten; insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen zu Ziffer 2 a) ee) Bezug genommen. Die Anzahl der von ihr erhobenen Dienstaufsichtsbeschwerden, Klagen, Strafanzeigen und Befangenheitsanträge wie auch die Einbeziehung der Presse deuten darauf hin, dass sie gegenüber abweichenden Ansichten zur Durchsetzung ihrer Interessen eher den Konflikt als die zielführende Kommunikation sucht. Im Hinblick auf die Erziehung von J. zu einer sozial gut integrierten, gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit kommt dieser Haltung keine Vorbildfunktion zu. Hinsichtlich des Erziehungsstils lässt eine derartige Haltung zudem befürchten, dass die Kindesmutter die Entwicklung eines eigenständigen Willens bei ihrem Sohn nicht hinreichend unterstützen kann und dieser in ihrer Obhut dementsprechend auch insoweit keine altersgerechte Entwicklung durchläuft. In der Gesamtschau mit den ergriffenen Überwachungsmaßnahmen steht zu befürchten, dass sie einer Ablösung und Verselbständigung von J. massiv entgegentreten wird, insbesondere, wenn er Entscheidungen treffen oder Kontakte pflegen will, die sie nicht gutheißt. Insoweit ist zu beachten, dass J. der Kindesmutter gegenüber bereits in der Vergangenheit mehrfach unrichtige Angaben insbesondere im Hinblick auf seine Lebenssituation in H. gemacht hat, was darauf hindeutet, dass er sich bereits jetzt veranlasst sieht, seine Äußerungen ihren Interessen anzupassen.
gg) Eine Einschränkung der Förderkompetenz kann ferner vorliegen, wenn ein Elternteil manipulatives Verhalten einsetzt, um durch falsche Angaben oder das bewusste Verschweigen von Umständen Entscheidungen des Helfersystems oder der Gerichte im Hinblick auf die Anliegen des betroffenen Kindes zu beeinflussen. Hierauf hat die Sachverständige im Anhörungstermin vom 23.05.2022 auf Nachfrage hingewiesen. In Bezug auf das Verhalten des Kindesvaters vermag der Senat keine entsprechenden Feststellungen zu treffen; seitens der Kindesmutter ist es hingegen zu unrichtigem Vortrag gekommen.
Hinsichtlich des Kindesvaters liegen keine Anhaltspunkte für ein manipulatives Verhalten vor, das über eine beschönigende, subjektive oder verkürzte Darstellung hinausgeht.
Soweit die Kindesmutter meint, der Vater habe durch Verschweigen der seit Herbst 2021 in der Schule aufgetretenen Auffälligkeiten in J.s Verhalten auf ein für ihn günstiges Ergebnis der Begutachtung hingewirkt, steht dem die Dokumentation im Gutachten entgegen. Danach hat der Kindesvater der Sachverständigen im Explorationstermin vom 11.10.2021 mitgeteilt, nach dem Vorfall im Juni habe sich die schulische Situation von J. verschlechtert. Ihm sei zurückgemeldet worden, dass das Kind nur physisch im Klassenraum anwesend gewesen sei, sich aber nicht mehr beteiligt habe. Etwa vier Wochen nach Beginn des neuen Schuljahres habe er zudem eine E-Mail des Lehrers W. erhalten, wonach J. sich in der Schule zunehmend auffällig verhalte, den Unterricht störe und in Konflikte mit anderen Kindern gerate. Er habe zunächst angenommen, dass dieser Lehrer J. zu streng beurteile. Es seien jedoch nach und nach immer mehr Rückmeldungen, auch von anderen Lehrern, gekommen. Aktuell werde deutlich, dass J. insbesondere in den Fächern, in denen er auch inhaltliche Leistungen erbringen müsse, immer wieder anecke und den Unterricht störe. Zusätzlich habe sein Sohn sich mit einem Jungen angefreundet, der sich ebenfalls nicht regelkonform verhalte (GA S. 26 f.). Bei dem weiteren Explorationstermin am 01.12.2021 wurde die schulische Situation von J. nicht angesprochen. Der Umstand, dass der Kindesvater in diesem Rahmen nicht ungefragt von der in der E-Mail des Lehrers W. vom 23.11.2021 genannten weiteren Verschlechterung berichtet hat, kann daher nicht als Versuch der Beeinflussung der Begutachtung gewertet werden. Zudem ist nicht ersichtlich, weshalb er die Vorstellung hätte haben müssen, dass sich eine Information darüber ohne weitere Nachfrage der Sachverständigen auf das Ergebnis auswirken sollte.
Entsprechendes gilt, soweit die Kindesmutter der Ansicht ist, dass der Vater durch Verschweigen von Übergabeversuchen am Sonntag, dem 27.06.2021, in der von ihm am Dienstag, dem 29.06.2021, abgegebenen eidesstattlichen Versicherung falsche Angaben zur Erwirkung der Herausgabe im einstweiligen Anordnungsverfahren des Amtsgerichts Braunschweig zum Aktenzeichen 247 F 131/21 gemacht habe. Dabei verkennt sie, dass das Amtsgericht in den Gründen seiner Entscheidung vom 29.06.2021 eine zwischenzeitlich geplante, aber gescheiterte Übergabe am 27.06.2021 ausdrücklich benennt. Zudem kommt in den hier seitens der Kindesmutter erhobenen Vorwürfen lediglich die unterschiedliche Wertung der Eltern zum Ausdruck, inwieweit in der Ausgestaltung der Situationen beim Wechsel von J. aus dem Haushalt der Mutter in den des Vaters überhaupt der Versuch einer Übergabe zu sehen ist. Insoweit ist zwischen den Beteiligten seit langem streitig, ob in dem dabei gezeigten Verhalten der Mutter deren ernsthafter Versuch liegt, das Kind auf das Zusammensein mit dem Vater einzustimmen oder ob sie dabei nicht eher ihren Einfluss auf den Sohn nutzt, damit dieser den Kontakt zum Vater wahrnehmbar verweigert. Im Übrigen dürfte der verkürzten Darstellung der Rückgabebemühungen am Sonntag im Hinblick auf die hier vom Kindesvater erstrebte gerichtliche Entscheidung eine eher untergeordnete Bedeutung gegenüber dem Umstand zugekommen sein, dass J. auch am Montag, dem 28.06.2022, nicht zur Schule gebracht worden war. Ausweislich des Schreibens der Verfahrensbevollmächtigten des Kindesvaters vom 29.06.2021, dem dessen eidesstattliche Versicherung als Anlage beigefügt war, hatte die Mutter dem Jugendamt gegenüber angegeben, das J. erkrankt sei und deswegen nicht in die Schule könne.
Soweit die Mutter dem Vater darüber hinaus vorwirft, sich im Zusammenhang mit dem Antrag auf Schulbegleitung gegenüber Dr. A.-S. sowie auch gegenüber der Kinderärztin Dr. P. fälschlicherweise als allein sorgeberechtigt bezeichnet zu haben, kann darin ebenfalls kein bewusst wahrheitswidriges, manipulatives Verhalten erkannt werden. Aufgrund der wirksamen erstinstanzlichen Entscheidung des Amtsgerichts vom 11.11.2020 im vorliegenden Verfahren war der Vater tatsächlich in den Bereichen der Gesundheitssorge und der schulischen Angelegenheiten allein sorgeberechtigt. Daher war es naheliegend, den Ärztinnen seine Alleinsorge mitzuteilen, zumal er ihnen gegenüber der Sache nach lediglich die ihm übertragenen Sorgerechtsbereiche für relevant halten durfte.
Die Kindesmutter hat hingegen versucht, Entscheidungen über Belange ihres Sohnes durch unrichtigen Vortrag zu beeinflussen.
So hat sie in dem Verfahren des Amtsgerichts zum Aktenzeichen 247 F 131/21 EAHK erreichen wollen, dass die am 29.06.2021 erfolgte Herausgabe von J. an den Vater rückgängig gemacht wird, indem sie mit Schriftsatz vom 04.07.2021 hat vortragen lassen, dass die Richter des zuständigen Senats des Oberlandesgerichts der Überzeugung seien, dass der Junge bereits am 01.10.2021 durch eine entsprechende Erfahrung traumatisiert sei. Dazu hat sie in der mündlichen Verhandlung vom 05.07.2021 ein angebliches Gedächtnisprotokoll der Gerichtsverhandlung vor dem Senat vom 22.04.2021 zur Akte gereicht. Tatsächlich gibt dieses Schriftstück jedoch keine Ausführungen des Senats während der genannten Verhandlung wieder, sondern ist die auszugsweise Abschrift eines abgehörten Gesprächs, das die Senatsmitglieder während der Sitzungspause geführt haben. Insoweit wird auf die Ausführungen Ziffer 2 a) ee) verwiesen.
Im vorliegenden Verfahren hat die Kindesmutter dann versucht, die Sachverständige durch Unterbreiten falscher Information dahingehend zu beeinflussen, ihre Ausführungen im Hinblick auf eine etwaige Traumatisierung J.s in Frage zu stellen. So hat sie der Gutachterin in der mündlichen Verhandlung vom 09.05.2022 durch ihre Verfahrensbevollmächtigte vorhalten lassen, dass sich aus Abrechnungen der Kinderärztin Dr. P. die Diagnose einer PTBS ergebe. Dies hat die Sachverständige zu der Aussage veranlasst, dass diese Kenntnis ein Anknüpfungspunkt für eine anderweitige Herangehensweise bei der Begutachtung hätte sein können. Tatsächlich ergibt sich aus den zu Protokoll eingereichten Rechnungen der Kinderärztin vom 07.01.2021 und 19.03.2021 die behauptete Diagnose jedoch nicht - aufgeführt sind lediglich Dermatitis, Epistaxis (Nasenbluten) und Entwicklungsstörung der Fein- und Graphomotorik. Soweit die Kindesmutter daneben die Kopie einer Rechnung der Therapeutin U. vom 11.03.2021 zu Protokoll überreicht hat, ist dort die Diagnose F43 zu lesen, wobei die weiteren Kennziffern in Form eines Pfeiles übermalt sind, der auf den handschriftlichen Vermerk "PTBS-Reihe" zeigt. Eine weitere Kopie dieser Rechnung, die die Kindesmutter bereits in dem einstweiligen Anordnungsverfahren zum Aktenzeichen 1 UFH 1/21 eingereicht hatte und die keine handschriftliche Veränderung aufweist (BA 1 UFH 1/21 Blatt 217), zeigt als vollständige Diagnose hingegen die Kennziffern F43.2 V. Damit handelt es sich auch bei der von der Therapeutin U. abgerechneten Diagnose lediglich um die Verdachtsdiagnose einer Anpassungsstörung, nicht jedoch die einer posttraumatischen Belastungsstörung, die die Kennziffer F43.1 tragen würde.
hh) Zur Förderung des Kindes in seiner körperlichen und geistigen Entwicklung einschließlich der schulischen Belange sind beide Eltern grundsätzlich in der Lage.
Hinsichtlich des Kindesvaters hat die Sachverständige aufgrund ihrer Exploration und der Interaktionsbeobachtungen im schriftlichen Gutachten vom 14.01.2022 dargelegt, bei ihm bestehe die innere Bereitschaft, die Versorgung und Erziehung des Kindes zu gewährleisten und seine Entwicklung zu fördern (GA Seite 82). Von der Bereitstellung einer entwicklungsförderlichen häuslichen Umgebung habe sie sich bei den Besuchen im väterlichen Haushalt überzeugen können. J. fühle sich dort zuhause und agiere in diesem Lebensumfeld entsprechend vertraut. Eine entwicklungsförderliche Freizeitgestaltung sei ihr ebenfalls beschrieben worden (GA Seite 56, 63). Zudem habe J.s Entwicklung seit dem Wechsel zum Vater im Oktober 2020 einen weitestgehend unauffälligen Verlauf genommen. Die partiell beschriebenen schulischen Probleme sowohl in der Obhut der Mutter als auch in der Obhut des Vaters seien vor allem auf die erhebliche Belastung des Kindes durch den elterlichen Konflikt zurückzuführen (GA Seite 62).
Dem steht nicht entgegen, dass J. nach Versetzung in die zweite Klasse im Sommer 2021 am 15.03.2022 in die erste Klasse zurückversetzt worden ist. Denn die schlechten Schulleistungen, die im Abschlusszeugnis der ersten Klasse (Bd. 8 Blatt 1773) und im Halbjahreszeugnis der zweiten Klasse (Bd. 12 Blatt 2666) bescheinigt wurden, gehen mit Verhaltensauffälligkeiten einher, die nahelegen, dass sie nicht auf fehlender häuslicher Unterstützung, sondern auf psychischen Problemen beruhen. Zudem ergibt sich aus den Berichten der Rektorin der Grundschule S. vom 02.10.2020 und der Klassenlehrerin D. der O.-P.-Schule. in H. vom 06.03.2021 bereits, dass der Junge von Beginn an gewisse Defizite insbesondere im Bereich der Grob- und Graphomotorik aufgewiesen hat, etwa Schwierigkeiten hatte, einen Stift sicher zu halten und zu führen. Auch habe er in der Schule häufig einen abwesenden Eindruck gemacht, wobei die Klassenlehrerin D. angegeben hat, dass er meist trotzdem zuhöre. Diese Lehrerin hat J. fünf Monate nach dem Schulwechsel auch sehr gute Fortschritte bescheinigt und mitgeteilt, zu Hause würden Inhalte aufgearbeitet, ohne das Kind zu überfrachten. Dabei ist davon auszugehen, dass die Klassenlehrerin, die den Leistungsstand vieler Kinder beobachtet, ihre Einschätzung, dass eine häusliche Aufarbeitung des Stoffes erfolge, auf fachlicher Grundlage abgegeben hat. Soweit die Kindesmutter demgegenüber vorträgt, J. habe ihr berichtet, der Vater arbeite nie mit ihm für die Schule, widerspricht dies bereits den Angaben des Kindes in der Anhörung vom 22.04.2021 sowie ihrem eigenen Vorbringen, wonach J. geäußert habe, der Vater würde ihn bei den Hausaufgaben anschreien.
In Bezug auf die Kindesmutter fehlt es ebenfalls an Anhaltspunkten, die Zweifel an ihrer erzieherischen Basiskompetenz, ihrer Förderfähigkeit und -bereitschaft aufkommen lassen könnten. Bis September 2020 hat das Kind in ihrem Haushalt gelebt und sich in ihrer Obhut unstreitig positiv und - abgesehen von den geschilderten motorischen Defiziten - altersentsprechend entwickelt.
ii) Zur Ausübung der Gesundheitssorge im Hinblick auf die physischen Belange von J. sind beide Eltern ebenfalls bereit und grundsätzlich in der Lage. Einschränkungen des Kindesvaters im Hinblick auf die psychischen Belange sind ebenfalls nicht feststellbar; in Bezug auf die Kindesmutter bestehen insoweit jedoch Bedenken.
Hinsichtlich der körperlichen Entwicklung von J. ergibt sich aus allen vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen, dass der Junge gesund ist und sich sowohl in der Obhut der Mutter als auch ab Oktober 2020 im Haushalt des Vaters gut entwickelt hat; gravierende gesundheitliche Beeinträchtigungen sind nicht bekannt. Für die Förderung der motorischen Entwicklung erhält J. auf Veranlassung des Vaters entsprechend der Empfehlung der Schule Ergotherapie. Soweit die Kindesmutter zwischenzeitlich einen unbehandelten Hautausschlag und einen eingewachsenen Zehennagel bei J. beanstandet hat, ist nicht erkennbar, inwieweit dies eine ärztliche Konsultation erfordert hat.
Im Übrigen lässt der hierneben in dem Verfahren zum Aktenzeichen 1 UFH 7/22 geführte Streit um die Aushändigung der Krankenkassenkarte von J. und das Einreichen von Arztrechnungen keine Rückschlüsse auf eine fehlende Bereitschaft der Kindesmutter zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung von J. zu. Diesem Streit liegen offenbar allein die unterschiedlichen Vorstellungen der Eltern hinsichtlich der therapeutischen Behandlung des Sohnes und des Umgangs mit den insoweit getroffenen Feststellungen zugrunde. Auf die Ausführungen unter Ziffer 1 wird verwiesen.
Hinsichtlich der seelischen Gesundheit von J. liegen hingegen Anhaltspunkte für eine Behandlungsbedürftigkeit vor; ein im vergangenen Schuljahr zunehmend auffällig gewordenes Lern- und Sozialverhalten ist unstreitig und in den vorliegende E-Mails der Schule dokumentiert.
So hat die Sachverständige M. in ihrem schriftlichen Gutachten vom 14.01.2022 ausgeführt, dass J. sich aufgrund der beständig wachsenden Konflikte zwischen seinen Eltern in einem Loyalitätskonflikt befinde, den er auf verschiedene Weise zu regulieren versuche, um sein eigenes Stresslevel zu senken. Hierauf könne ein verunsichertes bis niedergeschlagenes Verhalten oder auch ein unterschwellig aggressives, sich entziehendes Abwehrverhalten zurückzuführen sein, ebenso wie die beobachteten Nähewünsche gegenüber dem Vater aufgrund einer durch das konflikthafte Trennungsgeschehen erhöhten emotionalen Bedürftigkeit. Seine Rückzugsstrategie sei aus Gründen der Loyalität gegenüber beiden Eltern im Sinne eines Kompromisses situationsangemessen, um nicht zwischen die Stühle zu geraten. Seine wechselhaften Äußerungen seien aufgrund der konflikthaften Trennung nicht verwunderlich (GA S. 54f., 85f., 90f., 99f.). Bei der Erläuterung des Gutachtens in den Sitzungsterminen am 09.05.2022 und 23.05.2022 hat die Sachverständige auf Nachfragen einen Loyalitätskonflikt als wahrscheinlichste Ursache für ein belastetes Verhalten des Kindes dargestellt. Auch die Auffälligkeiten in der Schule, die ihr bei der Erstellung des Gutachtens nicht in dem gesamten Ausmaß bekannt gewesen seien, könnten hierauf zurückzuführen sein, wobei sie insoweit nur Hypothesen aufstellen könne, da ihr aufgrund der eingeschränkten Untersuchungsmöglichkeiten wegen der fehlenden Schweigepflichtentbindung der Mutter keine ausreichende Datenmenge zur Verfügung stehe, um eine abschließende Stellungnahme zu den Ursachen zu treffen. So sei es einerseits möglich, dass J. die Hochkonflikthaftigkeit der elterlichen Beziehung durch den Aufenthaltswechsel zum Vater und durch den Umgang mit der Mutter in besonderem Maße vor Augen geführt werde. Andererseits sei denkbar, dass der Junge sich aufgrund der in der Schule gestellten Leistungsanforderungen Belastungen ausgesetzt sehe und dies mittlerweile auch deutlich zeigen könne, da er im Haushalt des Vaters angekommen sei.
Hinweise auf eine Traumatisierung hat die Sachverständige in dem Verhalten von J. und dessen Interaktion mit dem Vater hingegen nicht gefunden. Sie hat dazu ausgeführt, obwohl sie nicht über eine traumatologische Fachausbildung verfüge, sei sie in der Lage, entsprechende Anzeichen zu erkennen. Sie habe bei der Vielzahl der durchgeführten Begutachtungen immer wieder auch traumatisierte Kinder erlebt, jedoch nie eines, bei dem sich nicht wenigstens kleinste Anzeichen, sogenannte Mikroexpressionen, gezeigt hätten. Bei J. seien jedoch auch keine Mikroexpressionen feststellbar gewesen. Ebenso hätten sich aus der Akte trotz Berücksichtigung des dortigen Vorbringens der Kindesmutter keine Anhaltspunkte für eine posttraumatische Belastungsstörung ergeben; dies gelte insbesondere unter Berücksichtigung der Äußerungen des Kindes bei seinen Anhörungen in den verschiedenen Verfahren. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass eine posttraumatische Belastungsstörung und ein Loyalitätskonflikt zu denselben Symptomen führen könnten, was eine Abgrenzung erschwere. In der mündlichen Anhörung am 23.05.2022 hat sie in Bezug auf die ihr nach Erstellung des schriftlichen Gutachtens bekannt gewordene Steigerung der Auffälligkeiten von J. in der Schule lediglich erklärt, dass die von der Kindesmutter vertretene These, dass dieses Verhalten eine Reinszenierung der Ereignisse vom 01.10.2020 darstelle, untersuchungswürdig erscheine.
Diese seitens der Kindesmutter aufgestellte These beruht allerdings auf den nur theoretischen Erörterungen in den von ihr eingeholten Stellungnahmen von Prof. Dr. H. K., Dr. K. S. und M. B.-W.. Dabei ist zu beachten, dass diesen Stellungnahmen keine persönlichen Begegnungen mit J. zugrunde liegen und darin durchgehend allein vom Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung ausgegangen wird, ohne die Möglichkeit eines Loyalitätskonfliktes in Betracht zu ziehen. Insoweit verwundert insbesondere die Stellungnahme von Dr. Schmidt vom 27.05.2022, in der sie die Annahme der PTBS auf von verschiedenen Behandlern und Untersuchern erstellte Diagnosen einer Anpassungsstörung, einer emotionalen Störung, einer Depression oder einer ADS-Erkrankung stützt. Derartige Diagnosen finden sich in Bezug auf J. in dieser Eindeutigkeit jedoch nicht in den Akten. Nach dem Vorbringen des Kindesvaters hat lediglich der behandelnde Therapeut M. ausweislich einer auszugsweise vorgelegten Rechnungen für den Zeitraum 11.01.2022 bis 11.02.2022 die Diagnosen F43.2 (Anpassungsstörung), F32.0 (leichte depressive Episode) und F 93.9 (emotionale Störung des Kindesalters, nicht näher bezeichnet) gestellt, jedoch mitgeteilt, dass er bei J. keine Anzeichen für eine PTBS gefunden habe und diese mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen könne. Das gegenteilige Vorbringen der Kindesmutter unter Bezugnahme auf vorgelegte Abrechnungen der Kinderärztin und der Therapeutin U. hat sich als unrichtig herausgestellt. Insoweit wird auf die Ausführungen unter Ziffer 2 a) gg) verwiesen.
Soweit eine PTBS von den Teilnehmern der Besprechung am 07.03.2022, der Rektorin V. und der Hortbetreuerin entsprechend dem Vorbringen der Kindesmutter für wahrscheinlich gehalten wird, handelt es sich lediglich um Einschätzungen medizinischer Laien.
Einer Traumafolgestörung aufgrund des Aufenthaltswechsels am 01.10.2020 als maßgebliche Ursache für J.s Verhaltensauffälligkeiten steht zudem entgegen, dass der Junge bereits zuvor Verhaltensweisen gezeigt hat, die eindeutig auf einen Loyalitätskonflikt hindeuten. Dies gilt beispielsweise für sein abwehrendes und verängstigtes Verhalten bei dem Versuch der gerichtlichen Anhörung am 01.10.2020 und insbesondere für seine Äußerung gegenüber der ihm zuvor nicht bekannten Sachverständigen B., sie sei böse, weil sie seinen Vater kenne.
Zudem belegt auch die mit Schriftsatz vom 24.05.2022 übersandte Tonaufnahme keine Situation, die die Traumatisierung eines Kindes oder das Entstehen einer posttraumatischen Belastungsstörung als überwiegend wahrscheinlich erscheinen lässt. Dabei geht der Senat davon aus, dass die Aufnahme tatsächlich am 01.10.2020 auf dem Gelände der Grundschule S. entstanden ist, als der Vater J. auf dem Arm aus dem Schulgebäude zum Auto getragen hat. Denn vor dem aufgezeichneten Geschrei eines Kindes sind die wohl von weiblichen Stimmen gesprochenen Äußerungen "J., bleibst du noch einen Augenblick hier" und "(die Schulleiterin) Frau M. ist da" zu hören. Das dann laut wahrnehmbare Schreien ist dergestalt, dass daraus eindeutig zu entnehmen ist, dass das Kind mit dem Geschehen nicht einverstanden war, nicht mitwollte und wohl auch Angst hatte. Zudem ist daneben mehrfach der von einer männlichen Stimme gesprochene Satz "alles wird gut" zu vernehmen. Ob dieses Kindergeschrei von Dritten eher als panisch oder eher als bockig gewertet wurde, dürfte auch vom Standpunkt der jeweiligen Person und dessen Erfahrung im Umgang mit Kindern abhängen. Im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit einer Traumatisierung ist vorliegend jedoch festzuhalten, dass die zur Akte übersandte Sequenz lediglich eine Dauer von etwa fünf Minuten hat und insbesondere nicht das Schlagen von Autotüren oder Fahrgeräusche wiedergibt, obwohl J. unmittelbar nach dem Verlassen des Schulgeländes im Auto des Vaters nach H. gefahren wurde. Der Senat geht daher davon aus, dass J. sich bereits nach relativ kurzer Zeit beruhigt hat, zumal auch die Kindesmutter nicht vorgetragen hat, dass das aufgezeichnete Schreien sich über die Dauer der übersandten Sequenz hinaus fortgesetzt hat und zudem davon abgesehen hat, einen längeren Abschnitt der Tonaufnahme zu übersenden. Zudem hat der Kindesvater sowohl schriftlich als auch mündlich in der Sitzung am 31.05.2022 erläutert, dass J. sich bereits nach relativ kurzer Zeit fröhlich gezeigt habe. Dies ergibt sich auch aus den Angaben der Verfahrensbeiständin über ein mit dem Vater noch während der Fahrt von S. nach H. geführtes Telefongespräch.
Die Mitnahme durch den Vater am 01.10.2020 war darüber hinaus nicht die einzige belastende Situation für J. im Rahmen der bisherigen elterlichen Auseinandersetzungen. Diese dauern bereits seit der Trennung der Eltern vor fast vier Jahren an und waren zunächst immer wieder auch von gescheiterten Übergaben des Jungen an den Vater und neuerlichen Kontaktaufnahmen begleitet. Nach dem Wechsel in den väterlichen Haushalt ist es dann wiederholt zu offen ausgetragenen Streitereien anlässlich der Rückkehr von J. aus den Umgangskontakten mit der Mutter gekommen. So hat diese berichtet, am 14.05.2021 mit dem Vater vor dessen Haus mehr als eine Stunde lang darüber gestritten zu haben, ob J. allein zur Wohnungstür gehen oder vom Vater abgeholt werde. Dokumentiert ist daneben die Situation auf der Polizeistation H. am 25.06.2021, bei der J. im Rahmen der Strafanzeige der Mutter gegen den Lehrer W. nicht nur wahrheitswidrig ausgesagt hat, sondern zudem sein weiterer Verbleib unter Hinzuziehung von Mitarbeitern des Jugendamts H. diskutiert wurde. Auch die Vollstreckung des Herausgabebeschlusses des Amtsgerichts am 29.06.2021 durch die Gerichtsvollzieherin ist in Anwesenheit des Kindes erfolgt, das nach dem Bericht des Jugendamts im Auto des Großvaters eingeschlossen war. Der Senat hält es daher für ausgeschlossen, dass die Mitnahme aus der Schule am 01.10.2020 als Einzelursache für die unstreitige psychische Belastung des Kindes angesehen werden kann. Es ist mit den nachvollziehbaren Ausführungen der Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vielmehr davon auszugehen, dass dem Stress, dem J. ausgesetzt ist, eine multifaktorielle Ursächlichkeit zu Grunde liegt, bei dem ein von ihm in Bezug auf seine Eltern empfundener Loyalitätskonflikt die wesentliche Rolle spielt.
Die von der Kindesmutter aufgestellte These, dass das von J. ab Herbst 2021 in der Schule gezeigte auffällige Sozialverhalten die Reinszenierung eines am 01.10.2020 erlebten Traumas darstellen könnte, erachtet der Senat daher als eine fernliegende, lediglich nicht gänzlich auszuschließende Möglichkeit, für die keine ernsthaften Anhaltspunkte vorliegen. Eine Erklärung, welchen Ängsten und Situationen J. in der Schule ausgesetzt sein könnte, die als Trigger in Bezug auf die Mitnahme durch den Vater wirken könnten, findet sich weder in dem Vorbringen der Mutter noch in den Stellungnahmen der von ihr konsultierten Fachleute. Eine vergleichbare Situation wird dort nicht benannt. Eine solche kann auch nicht aus den der Strafanzeige der Kindesmutter gegen den Lehrer W. zugrunde gelegten Angaben J.s hergeleitet werden, da diese, wie bereits unter Ziffer 2 a) dd) dargelegt, nicht der Wahrheit entsprechen.
Der Kindesvater hat J. im Hinblick auf etwaige belastende Folgen des Aufenthaltswechsels bereits im Februar 2021 zur kinderpsychologischen Diagnostik bei der Therapeutin U. vorgestellt, die über eine Zusatzausbildung in Traumatologie verfügt. Diese hat ausweislich ihrer Bescheinigung vom 30.08.2021 und der Mail vom 06.05.2022 nach fünf Diagnostiksitzungen keinen Therapiebedarf gesehen. Seit dem 08.07.2021 ist J. nunmehr bei dem Therapeuten M. in Behandlung, den Kindesvater aufgrund seiner Sorge hinsichtlich der unwahren Äußerungen des Kindes über den Lehrer W. gegenüber der Kindesmutter und nachfolgend auch gegenüber der Polizei im Juni 2021 auf Empfehlung der Therapeutin U. konsultiert hat.
Dieses Verhalten des Kindesvaters legt nahe, dass er J. auf fachkundige Empfehlung hin auch weiterhin jede erforderliche Behandlung zukommen lassen wird, die Möglichkeit einer posttraumatischen Belastungsstörung im Auge behält und der von der Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung ausgesprochenen Empfehlung, zu prüfen, ob eine kinderpsychiatrische Abklärung erfolgen sollte, nachkommen wird.
Soweit die Kindesmutter vorträgt, dass eine posttraumatische Belastungsstörung allein durch Rückführung in ihren Haushalt zu heilen sei, fehlt es dafür an substantiierten Anhaltspunkten. Die Sachverständige hat dazu ausgeführt, dass sie über den genauen Verlauf einer Traumabehandlung mangels eigener Fachausbildung nichts Konkretes sagen könne. Ihr sei lediglich bekannt, dass im Fall von Misshandlung oder Missbrauch der Kontakt zu dem Misshandler unterbunden werden müsse. Eine derartige Fallkonstellation liegt hier jedoch nicht vor.
Damit fehlt es auch an Anhaltspunkten für Einschränkungen auf Seiten des Kindesvaters hinsichtlich der Wahrnehmung der Gesundheitssorge hinsichtlich der psychischen Belange von J..
Bei der Kindesmutter bestehen demgegenüber aufgrund ihrer Fokussierung auf eine bei J. vorliegende Traumatisierung Bedenken, ob sie ihm eine geeignete Behandlung der gutachterlich festgestellten seelischen Belastung aufgrund eines Loyalitätskonfliktes zukommen lassen würde. Dies gilt umso mehr, als sie in der mündlichen Verhandlung am 31.05.2022 die Erwartung geäußert hat, dass eine Therapie nach einem Wechsel in ihren Haushalt möglicherweise nicht mehr erforderlich sei.
jj) Im Hinblick auf die Beantragung von Jugendhilfemaßnahmen hat sich der Kindesvater bisher ebenfalls besser zur Wahrnehmung der kindeswohlrelevanten Belange geeignet gezeigt als die Kindesmutter.
Hinsichtlich der Einrichtung der seitens der Schule empfohlenen Schulbegleitung von J. ist nicht nur die Zusammenarbeit der Kindesmutter mit dem Jugendamt H. problematisch; insoweit wird auf die Ausführungen unter Ziffer 2 a) ee) verwiesen. Auch die von ihr vorgebrachten Gründe für die Verweigerung ihrer Zustimmung sind nicht stichhaltig. So trifft es zwar zu, dass die Schulbegleitung im Hinblick auf eine Korrektur des auffälligen Verhaltens von J. lediglich bei den Symptomen und nicht bei der Ursache des Problems ansetzt. Eine Schulbegleitung wäre aber immerhin geeignet zu verhindern, dass J. weiterhin den Anschluss an die Leistungen der Klasse verliert und sich durch übergriffiges und auffallendes Verhalten außerhalb der Klassengemeinschaft stellt. So hat auch die Ärztin A.-S. in ihrer Stellungnahme vom 25.02.2022 ebenso wie in der Neufassung vom 30.05.2022 eine Schulassistenz als sinnvolle Unterstützung für J. empfohlen. In Zudem wird der diesen Verhaltensweisen zugrundeliegenden Problematik bereits gesondert im Rahmen der laufenden Therapie nachgegangen. Dabei ist in J.s Verhalten und seinen Äußerungen im Anhörungstermin vom 20.05.2020 deutlich geworden, dass sich die Therapie entgegen seiner Erläuterung nicht darin erschöpft, dass er mit dem Therapeuten M. Uno spielt. Denn im Vergleich zu den vorangegangenen Anhörungen durch den Senat am 22.04.2021 und 15.02.2022 war J. nunmehr in der Lage, über seine Aggressionen zu sprechen und hat keine Angst mehr vor "schwierigen Fragen" gezeigt.
kk) Hinsichtlich der Bindungstoleranz der Kindeseltern sind erhebliche Unterschiede festzustellen. Während die Bereitschaft des Kindesvaters, den Kontakt von J. zur Mutter zu unterstützen, allenfalls leicht eingeschränkt erscheint, ist bei der Kindesmutter von Bindungsintoleranz auszugehen.
Die Sachverständige hat ausgeführt, dass die Bindungstoleranz bzw. Bindungsfürsorge des Vaters nicht eingeschränkt sei, da er den Umgang von J. mit der Mutter unterstütze. Dagegen spreche auch nicht, dass er aufgrund des Verhaltens des Kindes nach längeren Besuchen Bedenken hinsichtlich des Umfangs der Kontakte geäußert habe. Insoweit sei zu bedenken, dass die grundsätzlichen Konflikte der Eltern noch nicht gelöst seien und sich dies erfahrungsgemäß in den vom Vater benannten Belastungssymptomen des Jungen zeige (GA Seite 65). Hingegen könnten die im Bericht des Jugendamts vom 07.12.2020 wiedergegebenen Angaben der Mutter vom 27.11.2020, wonach der Vater ihr keine Informationen über den Schulbesuch weitergebe und nicht für die Fortführung der bisherigen sozialen Kontakte des Jungen in B. sorge, für eine schwankende Bindungsfürsorge und -toleranz sprechen (GA Seite 58).
Aus der Sicht des Senats können jedoch die insoweit angenommenen Einschränkungen bei näherer Betrachtung allenfalls als geringfügig gewertet werden. Zwar sind die Zeugnisse des Sohnes offenbar nicht zeitnah übersandt worden und wurde die Mutter verspätet über die Verhaltensauffälligkeiten des Kindes unterrichtet. Dazu hat der Kindesvater jedoch vorgetragen, dass er in Sorge darüber gewesen sei, dass die Kindesmutter in großem Umfang Informationen über die Gerichtsverfahren und die J. betreffenden Belange an die Presse weitergegeben habe. Soweit die Kindesmutter dies als Vorwand insbesondere im Hinblick auf die E-Mail des Lehrers W. vom 23.11.2021 bezeichnet, weil zu dieser Zeit noch kein Artikel in der Presse erschienen sei, ist dies unzutreffend. Ihr Kontakt zu den Medien war dem Kindesvater spätestens aufgrund der E-Mail der Reporterin C. vom MDR vom 21.07.2021 bekannt, die als Anlage zum Schriftsatz der Rechtsanwältin der Kindesmutter vom 23.07.2021 vorgelegt wurde. Soweit die Kindesmutter beanstandet, dass der Vater J. am 21.07.2021 die Teilnahme an der Geburtstagsfeier seines Freundes H. in B. nicht ermöglicht hat, ist zu beachten, dass H. in der Nähe ihres Haushalts in S. lebt. Der Umgang von J. mit der Mutter war aber erst kurz zuvor aufgrund der Ende Juni 2021 verweigerten Herausgabe des Kindes an den Vater mit dem Beschluss des Senats vom 02.07.2021 zum Aktenzeichen 1 UFH 3/20 ausgesetzt worden; über die am 15.07.2021 erhobene Gegenvorstellung der Mutter hat der Senat erst mit Beschluss vom 11.08.2021 entschieden. Angesichts dieser Sachlage erscheint es nachvollziehbar, dass der Vater den Besuch nicht zugelassen hat.
Im Übrigen ist der Vortrag der Kindesmutter, der Vater wolle sie mit allen Mitteln aus dem Leben des Sohnes verbannen, erkennbar unrichtig, was sich bereits aus dem aktenkundigen Verlauf ihres Umgangs mit J. ergibt. Zwar ist es nach dem Aufenthaltswechsel im Oktober 2020 und der Aussetzung der Kontakte durch Beschluss des Senats vom 02.07.2021 zu zwischenzeitlichen Unterbrechungen gekommen. Die Beteiligten haben aber jeweils eigenständig unter Einbeziehung von Herrn P. vom Kinderschutzbund H. nach kurzer Zeit wieder regelmäßigen Umgang vereinbart, der jeweils zunächst in begleiteter Form und nach wenigen Kontakten unbegleitet durchgeführt wurde und weiterhin stattfindet. Die Bereitschaft des Vaters, sich während der laufenden gerichtlichen Auseinandersetzungen und entgegen der zwischenzeitlich getroffenen Anordnungen durch die Beschlüsse des Amtsgerichts Braunschweig und des Senats vom 11.11.2020 und 02.07.2021 zu den Aktenzeichen 247 F 23/20 UG und 1 UFH 3/20 insoweit wiederholt auf Absprachen mit der Mutter einzulassen, spricht für eine ausgeprägte Fähigkeit, die Interessen von J. insoweit wahrzunehmen und zu unterstützen.
Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Vorbringen der Kindesmutter zu dem Verhalten des Vaters im Zusammenhang mit mehreren in der jüngeren Vergangenheit nicht stattgefundenen Umgangsterminen sowie von ihr erbetenen zusätzlichen Kontakten. Soweit die Mutter vorbringt, der Vater reglementiere sie willkürlich und streiche Kontakte aus nichtigen Gründen, kann dies den von ihr vorlegten E-Mails nicht entnommen werden. Wenn der Vater die Mutter auffordert, außerhalb der vereinbarten Umgänge keinen Kontakt zu J. aufzunehmen, so mag dies im Einzelfall zwar etwas harsch klingen, muss aber entgegen der Wahrnehmung der Mutter nicht als Drohgebärde verstanden werden. Soweit er in seinen Nachrichten teils auf sehr detaillierten Absprachen für Übergaben bestanden hat, erscheint dies in Anbetracht der langjährigen Erfahrungen der Eltern mit konflikthaften Übergaben verständlich. Im Übrigen zeigt die von der Mutter vorgetragene Korrespondenz lediglich, dass die Eltern hinsichtlich der zusätzlichen nachmittäglichen Kontakte an einem Mittwoch oder Freitag außerhalb der vierzehntätigen Wochenendumgänge noch keine einvernehmliche Regelung finden konnten. Über die Umgangsregelung im Einzelnen ist an dieser Stelle nicht zu befinden; der Senat wird sich damit in dem anhängigen Umgangsverfahren zum Aktenzeichen 1 UF 190/20 noch näher zu befassen haben.
Es gibt darüber hinaus keine Anzeichen dafür, dass der Kindesvater versucht, J. gegen die Mutter zu beeinflussen; aus dem Verhalten und den Äußerungen des Kindes spricht vielmehr eine ungetrübte Zuneigung zur Mutter. Hinweise darauf, die deren Vortrag stützen könnten, wonach der Vater J. regelrecht darin unterrichtet habe, sie zu beleidigen und ihm durch kindgerechte Sprache seine Verachtung ihr gegenüber zu verdeutlichen, fehlen.
Einschränkungen der Bindungstoleranz des Kindesvaters ergeben sich auch nicht aus seinen Äußerungen gegenüber Dritten. Seine im Gutachten dokumentierten Angaben gegenüber der Sachverständigen enthalten keine negativen Werturteile über die Kindesmutter, sondern sind überwiegend von Wohlwollen und Verständnis getragen. Soweit er erklärt hat, die Kindesmutter sei schnell gekränkt gewesen und habe dazu geneigt, Kleinigkeiten aufzubauschen, handelt es sich nicht um herabwürdigende Wertungen. Die Äußerung des Kindesvaters gegenüber Herrn K. vom Jugendamt H. anlässlich der Begleitung des Rückgabeversuchs am 27.06.2021, die Kindesmutter manipuliere J. und sei nicht zur Rückgabe des Kindes bereit, ist im Rahmen der konflikthaften Übergabesituation nicht als Zeichen für eine fehlende Bindungstoleranz zu werten. Entsprechendes gilt, soweit der Kindesvater gegenüber dem Umgangsbegleiter Herrn K. auf eine mögliche Entführungsgefahr hingewiesen hat, da diese Äußerung offensichtlich nicht die Herabsetzung der Kindesmutter zum Ziel hatte, sondern Ausdruck einer tatsächlich gehegten Befürchtung war.
In Bezug auf die Kindesmutter bestehen hinsichtlich der Bindungstoleranz hingegen ernsthafte Zweifel. Dies folgt bereits aus ihrem schriftsätzlichen und privatschriftlichen Vortrag, der ein ausschließlich negatives Bild vom Kindesvater zeichnet, und ihren damit übereinstimmenden abwertenden Äußerungen in den Sitzungen vor dem Senat am 09.05.2022, 23.05.2022 und 31.05.2022. So führt sie beispielsweise aus, sie sei schon seit langem seiner zügellosen Verachtung ausgesetzt, seine Bindungsintoleranz sei überbordend, er nutze das Kind als Instrument eines "Psychodramas" gegen sie, er zeige ein massives Vorgehen, um das Kind von ihr zu entfremden und versuche, sie mit allen Mitteln aus dem Leben des Kindes zu verdrängen. Dabei unterstellt sie dem Kindesvater böswillige Motive für seine Handlungen. So hat sie ihm vorgeworfen, dass er J. den Besuch der Geburtstagsfeier seines Freundes H. am 21.07.2021 nicht ermöglicht habe, um ihm zu suggerieren, dass er vom Umfeld seiner Mutter vergessen worden sei. Soweit sie vorträgt, dass diese Einschätzungen auf nachgewiesenen Tatsachen beruhen, ergibt sich Gegenteiliges bereits aus den vorstehenden Ausführungen zur Bindungstoleranz des Vaters.
Anhaltspunkte für eine eingeschränkte Bindungstoleranz der Kindesmutter ergeben sich auch aus ihrem Vorwurf, die Verfahrensbeiständin habe J. am 16.01.2021 erklärt, der Vater sei nicht böse, womit sie den Jungen eingeschüchtert und in den Elternkonflikt einbezogen habe. Entsprechendes gilt hinsichtlich ihres an das Gericht adressierten Vorhalts, dieses habe sich offenbar zur Aufgabe gemacht, das Kind mit allen prozessualen Mitteln so lange zu brechen, bis es seinen Vater liebe. Diese Äußerungen legen nahe, dass die Kindesmutter nicht möchte, dass J. seinen Vater liebt.
Im Hinblick auf die Bereitschaft der Kindesmutter, den Kontakt ihres Sohnes zum Vater zu unterstützen, ist weiter zu beachten, dass vor dem Wechsel von J. in den väterlichen Haushalt für die Dauer von mehr als einem Jahr kein Umgang zwischen beiden stattgefunden hat. Selbst wenn - entgegen dem Bestreiten des Kindesvaters - als wahr unterstellt wird, dass die Mutter dem Sohn bei Übergabeversuchen im August und September 2019 verbal die Erlaubnis erteilt hat, mit dem Vater mitzugehen, hat dies das Kind offenbar nicht überzeugt. Eine Aufklärung des streitigen Verlaufs der Übergabeversuche ist daher nicht erforderlich.
Die Sachverständige hat insoweit erläuternd dargelegt, dass Kinder insbesondere in einem hochstreitigen Trennungskonflikt auch unausgesprochene Botschaften der Eltern aufnehmen.
Dies entspricht den Erfahrungen des Senats aus anderweitigen Kindschaftssachen. Wie im Beschluss vom 02.07.2021 zum Aktenzeichen 1 UFH 3/20 dargelegt, muss daher aufgrund der extrem negativen Einstellung der Mutter dem Kindesvater gegenüber davon ausgegangen werden, dass sie den Umgang entgegen ihrer verbalisierten Zustimmung innerlich abgelehnt und der Sohn dieses wahrgenommen hat. So hat J. in der Anhörung beim Amtsgericht vom 20.02.2020 zum Aktenzeichen 247 F 23/20 auch angegeben, seine Mutter sei immer traurig, wenn er beim Vater sei. Überdies hat das Amtsgericht hat bereits in dem Beschluss vom 28.05.2019 zum Aktenzeichen 247 F 232/18 UG vermerkt, die Mutter habe den Eindruck vermittelt, dass sie den Umgang des Kindes mit dem Vater "nicht toll finde".
b) Nach dem Kontinuitätsgrundsatz wird davon ausgegangen, dass Kindern mit einer möglichst einheitlichen, gleichmäßigen und stabilen Erziehung (persönliche Kontinuität) und ebensolchen äußeren Umständen (soziale Kontinuität) am besten gedient ist. Der Verlust des bisherigen Umfeldes wird von ihnen grundsätzlich als so einschneidend erlebt, dass der Kontinuität, jedenfalls bis zur einsetzenden Eigenständigkeit des Kindes mit einhergehender Ablösung von den elterlichen Bezugspersonen und dem näheren sozialen Umfeld, sogar entscheidende Bedeutung zukommen kann (Grüneberg/Götz, a.a.O., Rn. 38).
Die Sachverständige hat dazu ausgeführt, bei der Beurteilung der Kontinuität im Gesamtkontext gehe es vor allem darum, zu bestimmen, inwieweit sich die Rahmenbedingungen eher entwicklungsfördernd oder -hemmend auswirkten. Dabei seien die Förderung und der Erhalt von Bindungen und engsten Beziehungen des Kindes für eine angemessene Trennungsbewältigung von hoher Bedeutung. Eine Sorgeregelung sei grundsätzlich als gelungen anzusehen, wenn sie dem Kind Bindungen und tragfähige Beziehungen zu den engsten Bezugspersonen, in der Regel den Eltern, erhalte oder schaffe. Der Verlust einer Bezugsperson oder gar Bindungsperson bedeute eine psychische Belastung. Ferner sei die Kontinuität des sozialen Umfelds von Bedeutung (GA Seite 75f.).
Im Hinblick auf J. hat sie dargelegt, dass er nach dem Akteninhalt in den ersten vier Lebensjahren bei beiden Eltern in tragfähigen Beziehungen aufgewachsen sei. Die Mutter habe sich dabei zeitintensiver um ihn kümmern können, wobei die Angaben zu den Betreuungsanteilen widersprüchlich seien. Das Kind habe eine hinreichende Kontinuität des sozialen Umfelds erlebt. Nach der Trennung mit der Erschwernis eines Wohnort- und Kindergartenwechsels habe die erzieherische Kontinuität zunächst bei der Mutter gelegen, zudem habe es sehr eingeschränkte Möglichkeiten gegeben, die Beziehung zum Vater zu pflegen. Eine Rückkehr zu einer auf Gleichmäßigkeit und Stabilität ausgelegten Erziehungs- und Betreuungssituation im Zusammenwirken beider Elternhäuser sei trotz umfassender Hilfsangebote nicht gelungen (GA Seite 78f., 83 ff.). Der Wechsel zum Vater am 01.10.2020 habe dann zu einem partiellen Verlust des sozialen Umfelds geführt; nach der Aktenlage und den Äußerungen des Kindes ergebe sich jedoch, dass bei den Umgängen auch der Kontakt zur Verwandtschaft mütterlicherseits und dem früheren Umfeld in S. gepflegt werde. Die Lebensverhältnisse beim Vater hätten sich zwischenzeitlich durch dessen Partnerschaft und die Geburt eines Kindes verändert. Dennoch sei J. ohne Zweifel in seinem jetzigen Zuhause angekommen und bestehe bei ihm im Alltag weitestgehend Zufriedenheit mit seinen Lebensumständen, auch wenn das Vermissen seiner Mutter anhalte. Unter dem Aspekt der personellen, sozialen und umgebungsbezogenen Kontinuität sei daher die Beibehaltung des aktuellen Lebensmittelpunkts beim Vater zu empfehlen, zumal J. zwei Wechsel in relativ kurzen Zeitabständen erlebt habe (GA Seite 78 f).
Dieser Einschätzung schließt sich der Senat an. Dabei ist zu ergänzen, dass es für den Zeitraum bis zur Trennung der Eltern im September 2018 unerheblich erscheint, wie die Betreuungsanteile im Einzelnen verteilt waren, und ob sich die Kindesmutter mit J. zwischenzeitlich mehrere Monate bei ihren Eltern in Laatzen aufgehalten hat. Insoweit sprechen sowohl die von ihr vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen ihrer Freundinnen B., H. und B.-M., der Babysitterin H. als auch die Angaben des Kindesvaters in dem Bericht der Verfahrensbeiständin vom 27.11.2018 in dem Umgangsverfahren des Amtsgerichts zum Aktenzeichen 247 F 232/18 UG für eine klassische Rollenverteilung der Kindeseltern, bei der der Vater zeitweise viel gearbeitet und die Mutter sich vorwiegend um J. gekümmert hat. Für die vorliegende Entscheidung ist angesichts des Getrenntlebens der Eltern seit nunmehr seit fast vier Jahren indes vorrangig auf diesen Zeitraum abzustellen, in dem das Kind bisher etwa 24 Monate im Haushalt der Mutter und 22 Monate im Haushalt des Vaters gelebt hat. Damit ist die persönliche und erzieherische Kontinuität für J. in Bezug auf den Zeitraum seit der elterlichen Trennung mittlerweile in vergleichbarer Weise gegeben. Soweit seitens der Kindesmutter demgegenüber die Auffassung vertreten wird, dass bei der erstmaligen Hauptsacheentscheidung über das Sorgerecht triftige Gründe für den Aufenthaltswechsel zum Vater festgestellt werden müssen, ist darauf zu verweisen, dass auch die insoweit in Bezug genommene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 05.09.2007 (1 BvR 1426/07, FamRZ 2007, 1797) gerade die Bedeutung des Kontinuitätsgrundsatz hervorhebt. Daraus kann dementsprechend nicht gefolgert werden, dass nur die tatsächlichen Ereignisse bis zur Einleitung des Verfahrens oder bis zur erstinstanzlichen Entscheidung zu berücksichtigen sind und die nachfolgende Entwicklung unberücksichtigt zu bleiben hat.
Im Hinblick auf den Schulbesuch ist anzumerken, dass einer Kontinuität insoweit aufgrund des Wechsels der Schule im Oktober 2020 von S. nach H. und der dortigen Zurückstufung von der zweiten in die erste Klasse im März 2022 nur eine nachgeordnete Bedeutung zukommen kann. J.s Angaben in den Anhörungen vor dem Amtsgericht Braunschweig am 02.07.2021 in dem Verfahren zum Aktenzeichen 247 F 131/21 und vor dem Senat am 22.04.2021, wo er mehrere Freunde in seiner Klasse benannt und sich positiv über seine Mitschüler und Lehrer in H. geäußert hat, sind dementsprechend nicht mehr aktuell. Die Beziehungen zu seinen bisherigen Klassenkameraden lassen sich offenbar auch nicht im Hort aufrechterhalten, da die Nachmittagsbetreuung der Klassenstufen in unterschiedlichen Räumen stattfindet. Zu seinen neuen Mitschülern in der ersten Klasse hat er bei seiner Anhörung vor dem Senat am 25.05.2022 noch keine Angaben gemacht.
c) Für das Kindeswohl von wesentlicher Bedeutung sind ferner die emotionalen und sozialen Bindungen an die Eltern, über die J. sowohl in Bezug auf den Vater als auch die Mutter verfügt.
Die Sachverständige hat hierzu im schriftlichen Gutachten festgehalten, J. zeige eine enge Anbindung an seinen Vater und suche kontinuierlich dessen körperliche Nähe. Im Spiel habe er sich immer wieder latent provokant gezeigt, um seine Grenzen auszutesten und Selbstbewusstsein, einige Male auch Dominanz, zu zeigen. Durch die gleichbleibend ruhige und zugewandte Art des Vaters, dessen alters- und situationsgerechte Erklärungen und das Zulassen körperlicher Nähewünsche habe der Junge sich jeweils wieder entspannen können (GA Seite 53). Aus dem nähesuchenden Verhalten des Kindes und dem darauf antwortenden Fürsorgeverhalten des Vaters als einer von zwei primären elterlichen Bezugspersonen habe sich eine andauernde emotionale Beziehung etabliert, die dem Kind Schutz, Sicherheit, Unterstützung und Geborgenheit vermittele.Insgesamt zeige sich eine positive und emotional vertrauensvolle Kind-Vater-Beziehung. Aus der Interaktion könne mit ausreichender Sicherheit auf eine sichere Bindungsentwicklung geschlossen werden (GA Seite 55 f.).
In der mündlichen Verhandlung hat die Sachverständige ergänzend ausgeführt, sie habe J. in der Gegenwart des Vaters zu keiner Zeit ängstlich erlebt. Auch habe sie keine Verhaltensweisen des Kindes wahrgenommen, die für eine desorganisierte oder unsicher-ambivalente Bindung sprechen würden. Soweit J. ein leicht provokantes Verhalten gezeigt habe, deute sie dies als altersentsprechende Entwicklung eines Kindes, das sich von der Bindungsperson fortentwickelt und seine Grenzen austestet. Dabei sei zu beachten, dass ein Kind gegenüber einer Person, zu der eine ambivalente oder desorganisierte Bindung besteht, kein provokantes Verhalten dieser Art zeigen würde. Auch ein bizarres, ambivalentes oder aggressives Verhalten des Kindes habe sie nicht beobachten können. In der Gesamtbeurteilung habe sie vielmehr den Eindruck gewonnen, dass das Verhältnis von J. zu seinem Vater voller Vertrauen sei.
Hinsichtlich der Möglichkeit einer Angstbindung von J. zum Vater, die er aufgrund von Resignation nicht zum Ausdruck bringe, hat die Sachverständige erläutert, dass Kinder, die einen Elternteil als übermächtig erlebt hätten und einer jahrelangen schwere Misshandlung ausgesetzt seien, mit Hoffnungslosigkeit und Resignation reagierten. Allerdings versuchten auch diese Kinder trotz Gegenwart dieses Elternteils durch kleinste Anzeichen um Hilfe zu bitten. Solche Anzeichen, sogenannte Mikroexpressionen, habe sie bei J. nicht festgestellt.
Diese Ausführungen der Sachverständigen sind in sich schlüssig und durch die beschriebenen Interaktionsbeobachtungen überzeugend belegt. Alle Zusatzfragen hierzu hat sie in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar beantworten können. Zweifel an ihren Feststellungen ergeben sich auch nicht aus den von der Kindesmutter eingeholten Stellungnahmen.
Soweit in der Stellungnahme von Prof. Dr. H. K. ausgeführt ist, die Darstellung der Bindungstheorien im Gutachten sei veraltet und entspreche nicht dem gegenwärtigen Diskussionsstand, fehlt es an Hinweisen auf einen anderweitigen aktuellen Stand der Bindungsforschung. Soweit beanstandet wird, es sei nicht berücksichtigt worden, dass Bindung auf Interaktionen von Anfang an beruhe und nicht erst ab einem gewissen Zeitpunkt im Vorschulalter zu berücksichtigen sei, ist ein anderweitiger Ansatz der Sachverständigen nicht ersichtlich. Diese hat ihre Ausführungen zu den Bindungen auf ihre Wahrnehmungen zur Zeit der Begutachtung gestützt und lediglich davon abgesehen, zum Entstehen der Bindungen auszuführen. Warum hierzu ausdrückliche Ausführungen erforderlich gewesen wären, ergibt sich weder aus der Stellungnahme noch ist es insoweit zu Nachfragen in der mündlichen Verhandlung gekommen.
Entsprechendes gilt hinsichtlich der Stellungnahmen von Dr. K. S.. Soweit sie ausgeführt hat, dass die dokumentierte Interaktionsbeobachtung zeige, dass das Kind hoch belastet gewesen sei, was eine unsichere bis desorganisierte Bindung und ambivalente Beziehung zum Vater erkennen lasse, ist diese Schlussfolgerung weder näher erklärt noch in sich nachvollziehbar. Zum einen hat die Sachverständige M. ausdrücklich dargelegt, dass sich eine Belastung des Kindes in einem Argwohn gezeigt habe, der sich gegen ihre Person gerichtet habe, insbesondere als sie zunächst versucht habe, die Interaktionsbeobachtung durch eine Aufnahme zu dokumentieren. Zum anderen hat sie beschrieben, dass es dem Kindesvater gelungen sei, so auf J. einzugehen, dass dieser sich wieder habe entspannen können. Dies spricht dafür, dass die gezeigte Belastung des Kindes nicht aus einer unsicheren oder desorganisierten Bindung zum Vater herrührt, sondern aus der Situation der Begutachtung, die mit dem aus dem Elternkonflikt hervorgegangenen vorliegenden gerichtlichen Verfahren im direkten Zusammenhang steht. Soweit Dr. Schmidt es als unglaubwürdig bezeichnet hat, dass J. sich während der Interaktionsbeobachtung auch wieder habe entspannen können, kann ein nicht näher begründetes Bezweifeln der Wahrnehmungen eines Kollegen nicht als ernsthafte Gutachtenkritik gewertet werden.
Im Hinblick auf die Kindesmutter geht der Senat von einer guten Beziehung J.s zu ihr und vorhandenen Bindungen aus. Dafür sprechen seine Äußerungen gegenüber der Verfahrensbeiständin wie auch bei den richterlichen Anhörungen. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus dem Vorbringen des Kindesvaters oder des Jugendamts.
d) Schließlich fließt auch der geäußerte Kindeswille in die Gesamtabwägung mit ein.
J. hat sich im Laufe des vorliegenden Verfahrens unterschiedlich geäußert. So hat er am 01.10.2020 in der Grundschule in S. sowie auf der Polizeidienststelle H. durch sein Verhalten zu erkennen gegeben, dass er bei der Mutter bleiben wollte. Bei der erstinstanzlichen richterlichen Anhörung am 04.11.2020 hat er erklärt, am liebsten würde er ein Jahr beim Papa wohnen und ein Jahr bei der Mama. Bei der Anhörung durch den Senat am 22.04.2021 hat er geäußert, er wolle sofort zu seiner Mutter und bei der weiteren Anhörung am 15.02.2022 erklärt, beim Vater gehe es ihm eigentlich auch gut, er wolle aber lieber bei Mama wohnen und Papa auch sehen. Bei der nochmaligen Anhörung durch den Senat am 25.05.2021 hat der Junge erklärt, er habe es eigentlich ein bisschen besser gefunden, wie es früher gewesen sei, als er bei Mama gewohnt habe und von Papa abgeholt worden sei. Aufgrund dieser Äußerungen geht der Senat davon aus, dass J. sich zwar auch vorstellen kann, beim Vater zu leben, dass er insgesamt aber lieber bei der Mutter wohnen will. Dabei hat er seinen Wunsch mit deutlich abnehmender Dringlichkeit gegenüber dem Senat geäußert, wobei er gleichzeitig bei jeder Anhörung einen entspannteren Eindruck gemacht hat als in der vorhergehenden. Insbesondere in der letzten Anhörung wirkte er durchgehend offen und spontan. An keiner Stelle ist der Eindruck entstanden, dass er seine Äußerungen vorsichtig abwägt und teilweise zurückhält. Der Senat geht daher davon aus, dass seine Angaben in der Anhörung am 25.05.2022 seinen zu diesem Zeitpunkt aktuellen Willen wiedergegeben haben.
Der geäußerte Kindeswille kann in der Gesamtwürdigung regelmäßig als gewichtiger Ausdruck der verfassungsrechtlich zu achtenden Selbstbestimmung des unmittelbar Betroffenen zu berücksichtigen sein. Allerdings hat der unter diesem Aspekt gesehene Kindeswille bei einem Kleinkind noch eher geringes Gewicht, ihm kommt mit zunehmendem Alter des Kindes vermehrt Bedeutung zu und darf insbesondere ab dem 14. Lebensjahr eines Jugendlichen nicht mehr grundlos unbeachtet bleiben. Bei einem jüngeren Kind kann einem klar und konstant geäußerten Willen im Hinblick auf seinen Lebensmittelpunkt ebenfalls entscheidende Bedeutung zukommen, wenn deutlich wird, dass bei ihm bereits das Bewusstsein vorhanden ist, in welcher Weise seine Lebensverhältnisse dadurch beeinflusst werden (OLG Frankfurt, Beschluss vom 18.06.2013, Az. 7 UF 67/12, - juris Rn. 17). Auch ein manipulierter Kindeswille kann beachtlich sein, wenn er die wirklichen Bindungsverhältnisse zutreffend wiedergibt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 02.04.2011 - 1 BvR 212/98 - FamRZ 2001, 1057). Zudem setzt die Beachtung des geäußerten Willens eines Kindes im Verfahren zur elterlichen Sorge voraus, dass dieser mit dem Kindeswohl in Einklang steht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.03.2005 - 1 BvR 1986/04 - FamRZ 2005, 1057).
Dies entspricht auch der UN-Kinderrechtskonvention. Nach Art. 12 UN-KRK wird einem Kind, das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, das Recht zugesichert, diese Meinung frei zu äußern und in den seine Person betreffenden Verfahren unmittelbar oder durch einen Vertreter oder eine geeignete Stelle gehört zu werden. Zudem ist die Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife zu berücksichtigen. Eine angemessene Berücksichtigung findet der Kindeswille indes auch dann, wenn er gegen andere Kindeswohlkriterien abgewogen und ihm im Ergebnis nicht gefolgt wird. Eine Verpflichtung, den Kindeswillen umzusetzen, auch wenn er dem Kindeswohl nicht entspricht, ergibt sich hieraus nicht.
Die Sachverständige hat in Bezug auf J. ausgeführt, eine Einordnung des kindlichen Willens nach Zielorientierung, Intensität, Stabilität und Autonomie könne sie mangels eigener Erhebungen nicht vornehmen. Zwar könnten die Willensäußerungen des Kindes in Anwesenheit der Verfahrensbeiständin und anderer Fachleute Aufschluss auf den zu dem jeweiligen Zeitpunkt aktuellen Willen des Kindes geben, jedoch nicht gutachterlich ausgewertet werden. Allerdings sei davon auszugehen, dass die freie und autonome Äußerung seines Willens eingeschränkt und durch die jeweilige Haltung der Eltern mit beeinflusst sei, da J. schon lange in einem durch die Hochkonfliktfhaftigkeit der Beziehung seiner Eltern verursachten Loyalitätskonflikt lebe und in regelrecht bedrohliche Szenarien verwickelt worden sei. Zudem sei zu berücksichtigen, dass der Junge auch altersbedingt die Folgen seiner Äußerungen noch nicht in hinreichendem Maße hinsichtlich möglicher Risiken und Gefährdungen für seine künftige Entwicklung abschätzen könne. Dies gelte insbesondere hinsichtlich der Abwägung, ob ihm bei einer Entscheidung für oder gegen den einen oder anderen Lebensmittelpunkt künftig der Kontakt zum jeweils anderen Elternteil erhalten bleibe.
Dieser Einschätzung folgt der Senat; sie entspricht seinen langjährigen Erfahrungen in vergleichbaren Verfahren, die Grundschulkinder im gleichen Alter betreffen.
Damit bestätigen J.s stabile und zielorientierte Willensäußerungen seine vorhandenen Bindungen zu beiden Elternteilen mit einer Tendenz zu Gunsten eines Zusammenlebens mit seiner Mutter. Aufgrund des von ihm erlebten erheblichen Loyalitätskonflikts können seinen Äußerungen allerdings nur in eingeschränkter Weise als Ausdruck seiner autonomen, selbst initiierten Bestrebungen gewertet werden.
e) In der Gesamtschau der Kindeswohlkriterien zeigen sich in entscheidenden Punkten bessere Erziehungskompetenzen des Kindesvaters, die in größerem Maße erwarten lassen, dass J. in seiner Obhut eine dem Kindeswohl entsprechende Entwicklung und Heranreifung zu einer gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit durchlaufen wird als in der Obhut der Kindesmutter.
Der Gesichtspunkt, dass die Kindesmutter mehr Zeit für die persönliche Betreuung des Sohnes und für eine gemeinsame Freizeitgestaltung hat, muss demgegenüber zurücktreten. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass der Alltag des Kindes durch Verpflichtungen wie den Schulbesuch, Hausaufgaben und Therapien geprägt ist. Zudem hat J. im Rahmen des Umgangs im selben Umfang Gelegenheiten zu schönen Erlebnissen mit der Mutter wie mit dem Vater. Von diesen Möglichkeiten kann J. während des Umgangs profitieren.
Der Lebensmittelpunkt im Haushalt des Vaters gewährleistet insbesondere, dass J. die seinen Bindungen entsprechenden guten Beziehungen zu beiden Eltern, deren Familien und Freunden in B. wie auch H. pflegen kann. Dies ist seit dem Wechsel in den väterlichen Haushalt trotz vorübergehender Umgangspausen gelungen. Angesichts der erkennbar gewordenen Bereitschaft des Kindesvaters, J. bei der Aufrechterhaltung regelmäßiger Kontakte zur Mutter zu unterstützen, hat der Senat keine Zweifel, dass er auch eine noch zu treffende Umgangsregelung in dem gesondert anhängigen Verfahren zum Aktenzeichen 1 UF 190/20 einhalten wird. Der Lebensmittelpunkt des Kindes im Haushalt der Mutter würde dies im Hinblick auf den Kontakt zum Vater aufgrund ihrer Bindungsintoleranz nicht in vergleichbarer Weise gewährleisten. Soweit damit möglicherweise ein Nachlassen des von J. empfundenen Loyalitätskonfliktes einhergehen könnte, weil vom Kindesvater im Gegensatz zur Kindesmutter die Akzeptanz der Beschwerdeentscheidung auch dann erwartet werden kann, wenn seinen Anträgen nicht stattgegeben wird, ist demgegenüber nicht als übergeordnetes Kindeswohlkriterium einzuordnen. Selbst wenn daraufhin seine Belastung und die damit in Zusammenhang zu bringenden Verhaltensauffälligkeiten nachlassen würden, lässt die allgemeine Erziehungshaltung der Kindesmutter erwarten, dass J. langfristig in ihrem Haushalt im Hinblick auf eine freie Entfaltung und Entwicklung einer eigenständigen Persönlichkeit nicht hinreichend gefördert werden kann.
Auch die Kriterien der Kontinuität und des Kindeswillens stehen einem Lebensmittelpunkt beim Kindesvater nicht entgegen. Dabei ist hinsichtlich des geäußerten Kindeswillens insbesondere zu beachten, dass J. bei der Mehrzahl der richterlichen Anhörungen nicht den unbedingten Willen geäußert hat, bei der Mutter und keinesfalls beim Vater wohnen zu wollen. Bei der letzten Anhörung vor wenigen Woche hat sich vielmehr lediglich nur ein leichtes Übergewicht zugunsten eines Lebensmittelpunktes bei der Mutter erkennen lassen. In Anbetracht des von J. erlebten Loyalitätskonflikts kann seinem geäußerten Willen auch keine alleinentscheidende Bedeutung zukommen, da er altersbedingt die Folgen der Entscheidung für oder gegen einen bestimmten Lebensmittelpunkt noch nicht gänzlich zu überblicken und die Bedeutung der insoweit relevanten Kindeswohlkriterien nicht einzuschätzen vermag. Soweit J. zu erkennen gegeben hat, dass ihm die Nähe zu seiner Mutter wichtig ist, werden seine Bindungen zu ihr durch die vorliegende Entscheidung auch nicht unterbrochen, sondern vielmehr gewährleistet werden, dass ihm ein guter Kontakt zu beiden Elternteilen langfristig erhalten bleibt.
Damit entspricht die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge für J. und die Übertragung der Ausübung auf den Kindesvater dem Kindeswohl im Ergebnis am besten.
Demzufolge ist die Beschwerde der Kindesmutter gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Braunschweig vom 11.11.2022 zurückzuweisen und auf die Anschlussbeschwerde des Kindesvaters die gemeinsame elterliche Sorge insgesamt aufzuheben und auf den Kindesvater zur alleinigen Ausübung zu übertragen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 84, 81 FamFG. Nach § 84 FamFG soll das Gericht die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels dem Beteiligten auferlegen, der das Rechtsmittel eingelegt hat. Hier entspricht es darüber hinaus billigem Ermessen, die Kosten des Beschwerdeverfahrens auch insoweit der Kindesmutter aufzuerlegen, als die Übertragung der gesamten elterlichen Sorge auf den Kindesvater auf seiner Anschlussbeschwerde beruht; denn die Frage der Aufhebung und Übertragung der elterlichen Sorge ist insgesamt bereits aufgrund der Beschwerde der Kindesmutter im Beschwerdeverfahren angefallen.
Die Kosten des schriftlichen Gutachtens vom 14.01.2022, die in Höhe von insgesamt 14.476,26 € angewiesen worden sind, werden in Höhe von 80 % und somit in Höhe eines Betrages von 11.581,01 € dem vorliegenden Sorgerechtsverfahren zugeordnet und in Höhe von 20 % dem Beschwerdeverfahren zum Umgang unter dem Aktenzeichen 1 UF 190/20. Mit den Kosten für die mündliche Erläuterung des Gutachtens in den Anhörungsterminen vom 09.05.2022 und 23.05.2022 fallen im vorliegenden Verfahren somit Sachverständigenkosten in Höhe von 15.850,15 € an.
Im Übrigen kommt eine Niederschlagung der Gutachtenkosten unter dem Gesichtspunkt des § 20 FamGKG nicht in Betracht, da das Gutachten der Sachverständigen M. verwertbar ist.
Ebenso besteht kein Anlass, von der Auferlegung der Gerichtskosten gemäß § 81 Abs. 1 Satz 2 FamFG teilweise abzusehen. Nach § 81 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 FamFG räumt das Gesetz dem Gericht einen weiten Gestaltungsspielraum dahingehend ein, welchem Beteiligten welche Kosten des Verfahrens auferlegt werden, und erlaubt es dabei auch, von der Erhebung der Kosten abzusehen oder nur bestimmte Kosten einem Beteiligten aufzuerlegen. Im Rahmen der Ermessensentscheidung des § 81 Abs. 1 FamFG kommt das Absehen von der Kostenerhebung in Betracht, wenn es nach dem Verlauf oder dem Ausgang des Verfahrens unbillig erscheint, die Beteiligten mit den Gerichtskosten des Verfahrens zu belasten. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die entstandenen Kosten außergewöhnlich und überraschend hoch sind (Keidel/Weber, FamFG, 20. Auflage, § 81 Rn. 14). Die Gutachtenkosten dieses Verfahrens in Höhe von insgesamt 15.850,15 € halten sich jedoch im erwartbaren Rahmen, was insbesondere unter Berücksichtigung der aufwändigen Erörterungstermine gilt. Denn Sachverständigengutachten in Sorgerechtsverfahren verursachen häufig Kosten in der Größenordnung von 10.000,00 € und können bei hoch streitigen Verhältnissen zwischen den Kindeseltern auch deutlich höher sein, so dass Kosten bis zu 20.000,00 € noch nicht als außergewöhnlich und überraschend zu bezeichnen sind.
Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren ist nach §§ 40, 45 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 FamGKG a.F. auf das Doppelte des Regelwertes festzusetzen. Der Vortrag der Beteiligten umfasst mittlerweile vierzehn Aktenbände, womit der mit der Bearbeitung des Verfahrens verbundene Aufwand denjenigen in vergleichbaren Kindschaftssachen deutlich überschreitet.
Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 70 FamFG sind nicht erkennbar, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht erfordern. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache dann, wenn sie eine entscheidungserhebliche und klärungsbedürftige Rechtsfrage aufwirft, die über den konkreten Einzelfall hinaus in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen auftreten kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt oder wenn die Auswirkungen der Rechtssache auf die Allgemeinheit deren Interessen in besonderem Maße berühren, insbesondere aufgrund ihres Gewichts für die beteiligten Verkehrskreise (vgl. Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 20. Aufl., § 70 Rn. 21 m.w.N.). Die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts, wenn die Entscheidung auf einer noch nicht höchstrichterlich entschiedenen Rechtsfrage beruht oder das Beschwerdegericht von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs oder anderer Oberlandesgerichte abweichen will.
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Vielmehr handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung, die auf den besonderen Umständen des konkreten Falles beruht. Die zu Grunde liegenden Rechtsfragen sind höchstrichterlich geklärt. Die persönliche Bedeutung für die Beteiligten oder das Interesse der Allgemeinheit aufgrund einer Berichterstattung über den Fall rechtfertigen die Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht.