Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 20.07.2022, Az.: 1 UF 180/20
Antrag auf Berichtigung der Niederschrift über eine nichtöffentliche Sitzung; Offenbare Unrichtigkeit einer Niederschrift; Nicht entscheidungserheblicher tatsächlicher Vortrag
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 20.07.2022
- Aktenzeichen
- 1 UF 180/20
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2022, 26658
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:2022:0720.1UF180.20.00
Verfahrensgang
Rechtsgrundlagen
- § 28 Abs. 4 FaF
- § 42 FaF
- § 68 Abs. 3 S. 1 FaF
Fundstelle
- MDR 2022, 1304-1305
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Die Berichtigung der Niederschrift der nicht öffentlichen Sitzung in Kindschaftssachen kann in entsprechender Anwendung von § 42 FamFG bei offenbarer Unrichtigkeit erfolgen.
- 2.
Ob und inwieweit nicht entscheidungserheblicher tatsächlicher Vortrag und im Termin geäußert Ansichten der Dokumentation bedürfen, ist vom Einzelfall abhängig und steht im Ermessen des Gerichts.
Tenor:
Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Berichtigung der Niederschrift über die nichtöffentliche Sitzung vom 31.05.2022 wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Beteiligten wurden vor dem Senat in mündlicher Verhandlung in den Sitzungen vom 09.05.2022, 23.05.2022 und 31.05.2022 angehört. Vermerke darüber wurden während der Termine diktiert und aufgenommen, die Abschriften den Beteiligten jeweils zeitnah übersandt.
Mit Schriftsätzen vom 15.06.2022 und 16.06.2022 beanstandet die Beschwerdeführerin eine unrichtige Protokollierung ihrer eigenen Äußerungen, der ihrer Verfahrensbevollmächtigten Rechtsanwältin K.-W. sowie eine fehlende Wiedergabe von Äußerungen des Kindesvaters, der Verfahrensbeiständin und ihres Verfahrensbevollmächtigten Rechtsanwalt L. in der Sitzung vom 31.05.2022, die sie für von wesentlicher Bedeutung hält. Wegen der konkret beanstandeten Formulierungen und Wiedergaben wird auf die dortigen Ausführungen verwiesen.
Die Beschwerdeführerin beantragt mit Schriftsatz vom 16.06.2022
Protokollberichtigung.
Der Beschwerdegegner beantragt,
den Antrag der Kindesmutter auf Berichtigung des Protokolls vom 16.06.2022 zurückzuweisen.
Er ist der Ansicht, dass das Protokoll zutreffend und vollständig sei, zumal die Wertung dessen, was wesentlich sei, allein dem Senat obliege. Wegen der Einzelheiten seines Vorbringens wird auf den Schriftsatz vom 14.07.2022 Bezug genommen.
Die weiteren Beteiligten haben zu den beanstandeten Protokollierungen keine Stellungnahmen abgegeben.
II.
Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Berichtigung der Niederschrift der Sitzung vom 31.05.2022 ist zurückzuweisen.
Das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) kennt keine Vorschrift, die die Berichtigung gerichtlicher Protokolle und Vermerke ausdrücklich regelt. Die Vorschriften der §§ 159 ff. ZPO finden im vorliegenden Verfahren keine Anwendung, da Verfahrensgegenstand die elterliche Sorge ist, so dass die nur für Familienstreitsachen geltende Verweisung in § 113 Abs. 1 FamFG nicht greift (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 13.08.2015, 1 WF 64/15 - juris Rn. 3). In entsprechender Anwendung von § 42 FamFG können daher lediglich Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten berichtigt werden (OLG Köln, Beschluss vom 30.12.2021, I-2 Wx 336/21 - juris Rn. 9; Keidel/Sternal, Kommentar zum FamFG, 20. Auflage 2020, § 28 Rn. 31; Bahrenfuss/Rüntz, Kommentar zum FamFG, 3. Auflage 2017, § 28 Rn. 46).
Derartige offenbare Unrichtigkeiten ergeben sich in Bezug auf die Sitzung vom 31.05.2022 weder aus der Stellungnahme des Beschwerdegegners noch aus der Erinnerung der Mitglieder des Senats. Danach wurde die Niederschrift vielmehr während der Verhandlung in Gegenwart der Beteiligten diktiert und diesen durchgehend Gelegenheit gegeben, das Diktat der eigenen Formulierungen wie das der übrigen Beteiligen zu beanstanden und richtigstellen zu lassen. Diese Gelegenheit wurde von der Kindesmutter und ihren Verfahrensbevollmächtigten auch vielfach genutzt, womit Missverständnisse fortlaufend aufgeklärt wurden und Richtigstellungen erfolgt sind.
Dies gilt insbesondere auch, soweit die Beschwerdeführerin nunmehr vorträgt,
- sie habe nicht gesagt, dass es ihr unverständlich sei, weshalb der Vater J. in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP) oder in einer anderen Institution unterbringen lassen wolle, sondern dass es ihr unverständlich sei, dass der Vater J. keiner umfangreichen qualifizierten Diagnostik unterziehen wolle und es Vorschläge seitens des Vaters gebe, J. in eine andere Institution - in einem Heim - unterbringen zu lassen;
- sie habe nicht gesagt, dass sie die Informationen zu J. schulischer und seelischer Situation nicht zeitnah von dem Vater erhalten habe, sondern dass der Vater sie hinsichtlich der schulischen Entwicklung, aber auch zum Gesundheitszustand des Kindes gar nicht informiert habe und Schulzeugnisse sowie Informationen über die Psychotherapie und die Schulassistenz selbst nach Aufforderung des Gerichts nicht vorgelegt habe; der Vater habe von J. großen Schwierigkeiten der Schule bereits seit September gewusst; dies sei ihr alles bewusst verheimlicht worden;
- sie habe nicht gesagt, dass die Tonaufnahme abbreche, sondern dass die Aufnahme unklar sei, was darauf zurückzuführen sei, dass Stimmen oder das Geschrei zu laut werde;
- sie habe nicht gesagt, dass es sich ihres Erachtens um ein System im väterlichen Haushalt handele, das J. keinen Kontakt in der Freizeit zu Freunden ermögliche, sondern dass der Kindesvater ein System ausbauen wolle, in dem J. keinerlei Kontakt zur Mutter haben solle und diese keinerlei Kontakt zu J. sozialem Umfeld;
- sie habe nicht gesagt, dass sie in der Vergangenheit keinen Umgang mit J. gehabt habe, sondern dass sie seit dem Umgangsausschluss im Juni 2021 mit J. kaum Umgang gehabt habe;
- sie habe nicht gesagt, dass J. mit ihr keine Ferienzeiten gemeinsam verbracht habe, sondern dass er mit ihr im letzten Jahr keine Ferienzeiten gemeinsam verbracht habe;
- sie habe nicht gesagt, dass sie sich hinsichtlich des Umgangs mit dem abgeben müsse, was der Vater ihr bewillige.
Soweit die Beschwerdeführerin insoweit nunmehr rügt, dass ihre Aussagen teilweise offenbar missverstanden, verdreht und inhaltsverkürzt festgehalten worden seien und ihr zudem Aussagen in den Mund gelegt worden seien, kann dem nicht gefolgt werden. Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Vorbringen des Beschwerdegegners, wonach Divergenzen zwischen dem Gesagten und dem Protokollierten nicht festgestellt worden seien, obwohl der Vortrag der Kindesmutter, ihrer Verfahrensbevollmächtigten sowie dessen Protokollierung im Termin aufmerksam verfolgt worden sei.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass das FamFG ausdrückliche Vorgaben über die Form und den Inhalt der zu fertigenden Niederschrift oder für die Abgabe von Erklärungen zur Niederschrift des Gerichts nicht enthält (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25.08.2020, 5 UF 113/20 - juris Rn. 21; KG Berlin, Beschluss vom 20.12.2016, 25 UF 23/16 - juris Rn.1). Zwar hat das Beschwerdegericht gemäß § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG i.V.m. § 28 Abs. 4 FamFG über Termine und persönliche Anhörungen einen Vermerk zu fertigen, dieser unterliegt regelmäßig jedoch nicht den Förmlichkeiten eines Protokolls nach § 160 ZPO. Anderes gilt gemäß § 36 Abs. 2 FamFG lediglich bei der Protokollierung eines Vergleichs (KG Berlin, Beschluss vom 20.12.2016, 25 UF 23/16 - juris Rn.1) oder in Bezug auf Anträge, um der Form des § 25 Abs. 1 FamFG Genüge zu tun (Bahrenfuss/Rüntz, a.a.O., § 28 Rn. 43). In den Vermerk sind gemäß § 28 Abs. 4 Satz 2 FamFG lediglich die wesentlichen Vorgänge des Termins und der persönlichen Anhörung aufzunehmen. Als wesentliche Vorgänge sind neben anwesenden Personen, Ort und Zeit des Termins in erster Linie solche Umstände anzusehen, die unmittelbare Entscheidungserheblichkeit besitzen. Außerdem sind in dem Vermerk die in einem Termin gegebenen Hinweise des Gerichts zu dokumentieren, um die in § 28 Abs. 3 FamFG begründete Pflicht, diese aktenkundig zu machen, zu erfüllen (BT-Drucks. 16/6308 Seite 187). Des Weiteren sollten Anträge und sonstige Verfahrenserklärungen der Beteiligten, mündlich verkündete Beschlüsse sowie Anordnungen des Gerichts aufgenommen werden. Ob und inwieweit nicht entscheidungserheblicher tatsächlicher Vortrag und im Termin geäußerte Rechtsansichten der Beteiligten der Dokumentation bedürfen, ist im Einzelfall zu entscheiden (vgl. Bahrenfuss/Rüntz, a.a.O., § 28 Rn. 36). Der Gesetzgeber hat insoweit bewusst davon abgesehen, Mindestvoraussetzungen über Form und Inhalt dieses Vermerks aufzustellen und die Dokumentation in das Ermessen des Gerichts gestellt, damit es den Vermerk flexibel nach den Anforderungen des Einzelfalls ausgestalten kann (vgl. BT-Drucks. 16/6308 S. 187). Eine umfassende Protokollierung des Inhalts des Termins ist grundsätzlich nicht erforderlich (KG Berlin, Beschluss vom 20.12.2016, 25 UF 23/16 - juris Rn. 1-5; Bahrenfuss/Rüntz, a.a.O., § 28 Rn. 39).
Diesen Anforderungen genügt der Vermerk über den Termin vom 31.05.2022. Der Senat erachtet das entscheidungserhebliche Vorbringen der Beteiligten als hinreichend und zutreffend erfasst. Einer weiteren vereinzelten Dokumentation bedarf es nicht.
Dies gilt insbesondere hinsichtlich des Vorbringens der Beschwerdeführerin,
- dass sie auf wissenschaftliche Studien zur Auswirkung der Störung des Bindungssystems auf das Lernen hingewiesen habe;
- dass sie ausgeführt habe, dass der Schriftsatz des Kindesvaters vom 20.05.2022 belege, dass er es gut finde, wenn J. zwischen den Welten hin und her switche und nach seiner Ansicht allein die Zwischenwelten ein Problem darstellten;
- dass sie angegeben habe, dass J. erstmals vor Ostern zehn Tage am Stück und über Himmelfahrt fünf Tage bei ihr gewesen sei, dafür viele andere Umgangstage durch den Vater hintertrieben worden seien, indem diese einfach gestrichen, ausgefallen lassen und eingeschränkt worden seien; der Vater den Mittwochsumgang auf Freitag verlegen wolle, obwohl sie an den umgangsfreien Freitagen einen seit einem Semester im Voraus fixierten Blockunterricht mit 200 Studierenden habe und in den Monaten Juli und August nicht tauschen könne;
- dass sie die Hoffnung habe, dass nach einer Rückplatzierung zu ihr und einer umfassenden Diagnostik mit Differenzial-Diagnostik J. seelische Situation und entsprechende Schädigung heilen könne;
- dass sie es als erschreckend empfinde, dass der Vater gegenüber Frau Dr. P. und Frau Dr. A.-S. eine alleinige Sorge angegeben habe und er nach ihrer Ansicht damit Institutionen und Behörden, Ärzte, Psychologen und sogar Krankenhäuser absichtlich in die Irre geführt und Falschangaben zulasten seines Sohnes gemacht habe;
- dass sie darauf hingewiesen habe, dass mit der Rückstufung in die erste Klasse erneut ein Wechsel im sozialen Umfeld stattgefunden habe und J. überhaupt noch nicht angekommen sei;
- dass sie darauf hingewiesen habe, dass J. häufig Kontakt zu ihren Eltern und ihrer Schwester gehabt habe, die er sehr liebe; sie diesen Kontakt weiter fördere; ihre Schwester Grundschullehrerin ohne eigene Kinder und J. das einzige Enkelkind der Großeltern sei;
- dass sie gebeten habe zu beachten, dass J. durch die Großmutter bereits recht gut koreanisch gelernt habe, was drohe verloren zu gehen und auch dieses ein Teil seiner Identität sei;
- dass sie die Verfahrensbeiständin gefragt habe, ob es J. Wille sei, im väterlichen Haushalt zu leben und diese ihr darauf nicht geantwortet habe.
Nahezu alle genannten Punkte finden sich in der Niederschrift vom 31.05.2022.
Teilweise wurden die von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Ergänzungen nach der Erinnerung der Mitglieder des Senats in der Verhandlung jedoch tatsächlich nicht geäußert, was beispielsweise hinsichtlich der Unterrichtsverpflichtungen an Freitagen gilt. Zudem wurde den Beteiligten im Termin auch Gelegenheit gegeben, das für sie Wesentliche protokollieren zu lassen, was seitens der Beschwerdeführerin beispielsweise im Hinblick auf die Äußerungen zu wissenschaftlichen Studien zum Lernen nicht erfolgt ist.
Entsprechendes gilt, soweit die Beschwerdeführerin das Fehlen von Äußerungen des Kindesvaters und der Verfahrensbeiständin zu der Tonaufnahme in der Niederschrift beanstandet. Sie führt aus, dass sie deren Bestreiten, dass darauf ihre Stimmen zu hören zu seien, als Angaben von hinreichender Bedeutung und für den wesentlichen Inhalt der ausgiebig protokollierten Anhörung halte. Denn darin liege eine falsche Angabe vor Gericht wider besseren Wissens durch den Vater als auch seitens der Verfahrensbeiständin. Insoweit ergibt sich jedoch bereits aus der Niederschrift - dort Seite 9 -, dass die als Anlage zum Schriftsatz von Rechtsanwalt L. vom 24.05.2022 den übrigen Beteiligten nach deren ausdrücklichem und übereinstimmenden Bekunden vor dem Termin am 31.05.2022 noch nicht zugegangen war und - dort Seite 12 -, dass der Senat dessen ungeachtet zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Tonaufnahme dem Ereignis am 01.10.2020 zuzuordnen ist.
Im Übrigen hat der Beschwerdegegner erklärt, dass er nicht bestätigen könne, dass wesentliche Aussagen von ihm nicht vollständig oder falsch im Protokoll wiedergegeben worden seien. Vielmehr gebe es seinen Sachvortrag zutreffend und vollständig wieder; anderweitigen Formulierungen würde widersprochen. Dies gelte insbesondere, soweit ihm Sachvortrag unterstellt werde, den er in dieser Gestalt nicht getätigt habe, zumal es auch insoweit allen Beteiligten im Termin jederzeit möglich gewesen sei, anzumerken was unterblieben sei.
Damit fehlt es trotz vereinzelter und wiederholter Darlegung der vorgebrachten Beanstandungen an Ansatzpunkten, die eine Berichtigung der Niederschrift über die Sitzung vom 31.05.2022 rechtfertigen könnten.