Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 27.11.2018, Az.: 14 U 59/18
Haftungsverteilung bei Auffahren einer Straßenbahn auf einen auf die Schienen eingescherten Linksabbieger
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 27.11.2018
- Aktenzeichen
- 14 U 59/18
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2018, 62963
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Verden - 28.02.2018 - AZ: 5 O 218/16
Rechtsgrundlagen
- StVG § 7
- StVG § 17
- StVG § 18
- StVO § 2 Abs. 3
- StVO § 9 Abs. 1 S. 4
- StVO § 9 Abs. 3 S. 1
- StVO § 11
- HaftPflG § 13
Amtlicher Leitsatz
1. Der Abbieger muss den Abbiegevorgang so lange zurückstellen, bis er sicher sein kann, dass er keinen anderen Verkehrsteilnehmer auf dem neben ihm befindlichen Fahrstreifen - hier durch Ausschwenken des Anhängers bei der Bogenfahrt - gefährdet (§ 9 Abs. 1 S. 4 StVO).
2. Sorgfaltswidrig handelt der Linksabbieger, der unmittelbar vor dem Abbiegen sich nicht durch (zweite) Rückschau versichert, ob sich ein anderer Verkehrsteilnehmer nähert und es dadurch zu einer Gefährdung aufgrund des Ausschwenkens des Anhängers bei der Bogenfahrt kommt.
3. Ein Straßenbahnführer darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass andere Verkehrsteilnehmer §§ 2 Abs. 3, 9 Abs. 3 S. 1 StVO beachten und die Schienen nicht besetzen; insoweit besteht keine Wartepflicht gemäß § 11 Abs. 3 StVO.
4. Ein Straßenbahnführer braucht nicht damit zu rechnen, dass ein vor ihm fahrendes Fahrzeug bei Annäherung der Straßenbahn in den Gleisbereich einbiegt - auch dann nicht, wenn der andere Fahrer seine Abbiegeabsicht bereits angekündigt hat (Anschluss an OLG Hamm, Urt. v. 13.04.2018 - 7 U 36/17).
Tenor:
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das am 28. Februar 2018 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 5. Zivilkammer des Landgerichts Verden abgeändert und die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 47.093,20 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11. Dezember 2015 zu zahlen und die Klägerin von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten der Rechtsanwälte A. & V. in Höhe von 1.531,90 € freizustellen.
2. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Beklagten bleibt nachgelassen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis 50.000,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt weiteren Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall, der sich am 27. November 2014 gegen 11.20 Uhr auf der F. Landstraße in L. ereignete.
Am Unfalltag befuhr der Zeuge K. mit einem aus drei Waggons bestehenden, etwa 35,4 Meter langen Straßenbahnzug der Klägerin die F. Landstraße in Richtung F. Kreisel. In diesem Bereich verlaufen die Schienen nicht auf einem eigenen Gleiskörper, sondern auf der Fahrspur des Individualverkehrs. Links neben dem etwa mittig in der Geradeausspur verlaufenden Schienenstrang befindet sich eine Linksabbiegerspur, die auf den Parkplatz eines Einkaufsmarktes führt. Der Beklagte zu 2 stand dort an erster Stelle mit dem bei der Beklagten zu 1 haftpflichtversicherten Lkw-Gespann, bestehend aus Zugmaschine und Auflieger mit einer Gesamtlänge von etwa 16,5 Metern, um den Gegenverkehr passieren zu lassen und anschließend abzubiegen. Von hinten näherte sich die Straßenbahn. Als der Beklagte zu 2 links in Richtung Parkplatz abbog, schwenkte die hintere rechte Ecke des Aufliegers in den Gleisbereich hinein und kollidierte dort mit dem mittleren Waggon der Straßenbahn.
Der Klägerin entstanden Reparaturkosten in Höhe von 92.549,81 € sowie Kosten für die Erstellung eines Rechnungsprüfungsberichts in Höhe von 1.460,00 €, welche die Klägerin neben einer Kostenpauschale von 25,00 € und den Kosten für die Anforderung der Ermittlungsakte von 63,30 € ersetzt verlangt. Die Beklagte zu 1 regulierte hierauf außergerichtlich insgesamt 47.004,91 €.
Die Klägerin hat erstinstanzlich behauptet, der Beklagte zu 2 sei erst losgefahren, nachdem der Zeuge K. mit dem Führerhaus der Straßenbahn schon nahezu auf der Höhe des Führerhauses des Lkw-Gespannes gewesen sei. Der Zeuge K. habe zuvor nicht erkennen können, dass der Auflieger in den Gleisbereich einschwenken würde. Die Klägerin hat daher gemeint, dass der Beklagte zu 2, der die sich nähernde Straßenbahn zuvor wahrgenommen habe, den Unfall allein verursacht habe und die Betriebsgefahr der Straßenbahn hinter dem grob verkehrswidrigen Verstoß des Beklagten zu 2 gegen § 9 Abs. 1 S. 4 StVO zurücktrete.
Die Beklagten haben in erster Instanz behauptet, der Beklagte zu 2 habe bei der Rückschau die Straßenbahn in einiger Entfernung hinter sich gesehen und daher den Abbiegevorgang eingeleitet. Der Zeuge K. sei mit der Straßenbahn am Lkw-Gespann vorbeigefahren, nachdem diese für ihn erkennbar den Abbiegevorgang begonnen gehabt habe, weshalb die Beklagten meinen, dass der Zeuge K. gegen §§ 1 Abs. 2, 3 Abs. 1 S. 2 und 11 Abs. 3 StVO verstoßen habe. Die Kollision habe stattgefunden, als der Abbiegevorgang fast beendet gewesen sei. Die Beklagten sind daher der Ansicht, die Klägerin müsse sich einen Verursachungsbeitrag von 50 % anrechnen lassen, jedenfalls aber die Betriebsgefahr der Straßenbahn mit 30 %.
Das Landgericht hat die Ermittlungsakten zum Unfallereignis beigezogen und zum Unfallhergang den Beklagten zu 2 informatorisch angehört sowie Beweis erhoben durch Zeugenvernehmung und Einholung eines Sachverständigengutachtens des Dipl.-Ing. O. und sodann mit dem angefochtenen Urteil die Klage unter Zugrundelegung einer jeweils hälftigen Haftung abgewiesen. Nach den Angaben der Zeugin R., die seinerzeit hinter dem Beklagten-Lkw auf den EDEKA-Parkplatz abbiegen wollte, würde eine größere Wahrscheinlichkeit dafürsprechen, dass der Zeuge K. das Lkw-Gespann habe passieren wollen, obwohl zu erkennen gewesen sei, dass dieses nach links abbiege und es zu einem Ausschwenken des Auflegers kommen könne, auch der Zeuge K. habe also gegen ihm obliegende Pflichten im Straßenverkehr verstoßen. Zudem sei aufgrund der Feststellungen des Sachverständigen anzunehmen, dass sich die Straßenbahn vor Beginn des Abbiegevorgangs des Lkw-Gespanns noch weit hinter diesem befunden habe. Als der Aufleger dann im Rahmen des Linksabbiegevorgangs ausgeschert sei, habe sich die Front der Straßenbahn erst auf der Höhe der rechten hinteren Aufbauecke des Auflegers befunden. Die Kollision wäre für den Zeugen K. vermeidbar gewesen. Er habe zumindest gegen seine Verpflichtungen aus §§ 3 Abs. 1 S. 2, 11 Abs. 3 StVO verstoßen, indem er die Straßenbahn nicht angehalten und trotz besonderer Verkehrslage nicht auf sein Vorfahrtsrecht verzichtet habe. Der Beklagte zu 2 habe ebenfalls nicht die ihm obliegende Sorgfalt aufgebracht, indem er sich auf der Linksabbiegerspur zu weit rechts eingeordnet und damit ermöglicht habe, dass der Aufleger beim Abbiegen in die Geradeausfahrspur schwenke, zumal er die von hinten herannahende Straßenbahn zuvor durch den rechten Außenspiegel wahrgenommen habe.
Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vortrags, den in erster Instanz gestellten Anträgen sowie der Entscheidungsgründe im Übrigen wird auf das angefochtene Urteil des Landgerichts gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO verwiesen.
Gegen das der Klägerin am 5. März 2018 zugestellte Urteil hat diese am 27. März 2018 Berufung eingelegt und diese am 23. April 2018 begründet. Mit dieser verfolgt sie ihr erstinstanzliches Begehren weiter. Sie macht - neben der Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens - insbesondere geltend, das Landgericht habe die Feststellungen und Aussagen des Gutachters falsch gewürdigt bzw. interpretiert. Das Gericht habe verkannt, dass der Beklagten-Lkw nach den Ausführungen des Sachverständigen zunächst in Geradeausfahrt über die Haltelinie fuhr und vor Beginn der Linksbogenfahrt noch einmal angehalten habe. Dies sei für den Zeugen K. kein Grund gewesen, die Straßenbahn anzuhalten. Erst 6,3 Sekunden nach dem Anfahrbeginn habe der Auflieger die erforderliche Schrägstellung von 15 Grad erreicht. Das Fahrmanöver des Beklagten zu 2 sei nach den Feststellungen des Sachverständigen für den Zeugen K. zudem erst erkennbar gewesen, als sich das Heck des Aufliegers etwa 3 Meter hinter der Front des Klägerfahrzeugs und somit außerhalb des für den Zeugen K. direkt einsehbaren Bereichs befunden habe. Dem Beklagten zu 2 sei ein Verstoß gegen § 9 Abs. 1 S. 4 StVO vorzuwerfen. Der Zeuge K. sei dagegen nicht verpflichtet gewesen, dem Beklagten zu 2 das Abbiegen zu ermöglichen.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des am 28. Februars 2018 verkündeten Urteils des Landgerichts Verden, Az.: 5 O 218/16, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 47.093,20 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11. Dezember 2015 zu zahlen sowie die Klägerin von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten der Rechtsanwälte A. & V. in Höhe von € 1.531,90 freizustellen.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagten verteidigen das erstinstanzliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung des erstinstanzlichen Vortrags.
Wegen des weiteren Berufungsvorbringens wird auf den zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung erhobenen Inhalt der Schriftsätze der Parteivertreter Bezug genommen.
Der Senat hat die Ermittlungsakten des Landkreises O. (Az. 36.028510071) beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht und ergänzend Beweis erhoben durch Anhörung des Sachverständigen Dipl.-Ing. O. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 6. November 2018 Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung ist begründet.
1. Die Klägerin hat gegen die Beklagten als Gesamtschuldner einen weiteren Schadensersatzanspruch in Höhe von 47.093,20 € gemäß §§ 7 Abs. 1, 17, 18 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 4 VVG, 823 Abs. 1, 249 ff. BGB.
Anders als das Landgericht meint, ist von einer Alleinhaftung der Beklagten aufgrund des Verkehrsunfalls vom 27. November 2014 auszugehen. Unabhängig von der Frage, ob der Verkehrsunfall für den Zeugen K. unabwendbar im Sinne von § 13 Abs. 2 HPflG war, tritt die mangels Verschuldens des Zeugen K. allein verbleibende Betriebsgefahr der Straßenbahn hinter dem Verkehrsverstoß des Beklagten zu 2 zurück.
Im Einzelnen:
a) Der Verkehrsunfall war für den Beklagten zu 2 nicht unabwendbar im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG.
Ein Verkehrsunfall ist unabwendbar, wenn dieser auch bei der äußersten möglichen Sorgfalt nicht abgewendet werden kann (BGHZ 117, 337). Gefordert wird nicht absolute Unvermeidbarkeit, sondern ein an durchschnittlichen Verhaltensanforderungen gemessenes ideales, also überdurchschnittliches Verhalten (BGH NJW 1986, 183 [BGH 28.05.1985 - VI ZR 258/83]; OLG Koblenz NZV 2006, 201 [OLG Koblenz 04.10.2005 - 12 U 1236/04]), welches sachgemäß, geistesgegenwärtig und über den gewöhnlichen und persönlichen Maßstab hinausgeht, wobei alle möglichen Gefahrenmomente zu berücksichtigen sind (BGH 113, 164).
Der Beklagte zu 2 hätte die Kollision vermeiden können, wenn er die von ihm genutzte Linksabbiegerspur mittig befahren hätte. Nach den - insoweit nicht angegriffenen - Angaben des Sachverständigen Dipl.-Ing. O. ist der Beklagte zu 2 jedoch mit seinem Lkw-Anhänger-Gespann so weit rechts gefahren, dass er mit der rechten Außenseite sich auf der Trennlinie zwischen der Linksabbieger- und der Geradeausspur, in der die Straßenbahnschienen verlaufen, befand (Seite 35 des Gutachtens des Dipl.-Ing. O. vom 28. November 2017). Wäre er vor dem Abbiegevorgang nach links mittig gefahren, wäre es trotz des Ausschwenkens des Anhängers nach rechts nicht zur Kollision mit der Straßenbahn gekommen (Seite 37 des Gutachtens des Dipl.-Ing. O. vom 28. November 2017).
Der Beklagte zu 2 hätte die Kollision auch dadurch vermeiden können, wenn er seinen Abbiegevorgang bis zum vollständigen Passieren der Straßenbahn zurückgestellt hätte, nachdem er diese als sich von hinten nähernd wahrgenommenen hatte, da ihm bewusst war, jedenfalls als Berufskraftfahrer hätte bewusst sein müssen, dass der Auflieger beim Abbiegen ausschwenkt und er die Straßenbahn damit gefährdet.
b) Ob der Verkehrsunfall auch für den Zeugen K. unabwendbar im Sinne von § 13 Abs. 3 HPflG war, kann dahinstehen, da ihm kein schuldhafter Verkehrsverstoß nachzuweisen ist und die damit allein verbleibende Betriebsgefahr der Straßenbahn hinter dem Verkehrsverstoß des Beklagten zu 2 zurücktritt (dazu nachfolgend c.).
c) Im Rahmen der nach § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG bzw. § 13 HPflG vorzunehmenden Haftungsabwägung hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Zunächst ist das Gewicht des jeweiligen Verursachungsbeitrages der Kfz-Halter zu bestimmen, wobei zum Nachteil der einen oder anderen Seite nur feststehende, d. h. unstreitige oder bewiesene Umstände berücksichtigt werden dürfen, die sich auch nachweislich auf den Unfall ausgewirkt haben (Heß in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 25. Auflage 2018, § 17 StVG Rn. 12). In einem zweiten Schritt sind die beiden Verursachungsanteile gegeneinander abzuwägen.
(1) Zu Lasten der Beklagten ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte zu 2 gegen § 9 Abs. 1 S. 4 StVO verstoßen hat. In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist einhellig anerkannt, dass sich der Führer eines abbiegenden und dabei ausschwenkenden Fahrzeugs gegenüber den Verkehrsteilnehmern auf dem daneben befindlichen Fahrstreifen, in den das Fahrzeug ausschwenkt, äußerst sorgfältig verhalten muss und sicherzustellen hat, dass eine Gefährdung des nachfolgenden Geradeausverkehrs ausgeschlossen ist (vgl. u. a. KG, Urteil vom 19. April 2004 - 12 U 325/02 - Rn. 6 mit Verweis auf OLG Stuttgart, DAR 1974, 163 [OLG Stuttgart 18.02.1974 - 3 Ss 696/73], juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 7. Juni 2004 - I-1 U 191/03 - Rn. 30, juris; OLG München, Urteil vom 7. Juli 2006 - 10 U 2270/06 - Rn. 21 f., juris; KG, Beschluss vom 20. Juli 2009 - 12 U 192/08 - Rn. 17 und 25, juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 4. Juni 2014 - 3 U 15/14 - Rn. 7, juris). Je länger das abbiegende Fahrzeug ist, umso größere Sorgfalt und Rücksicht auf den Verkehr ist notwendig (OLG München, a.a.O.). Der Abbiegende hat sein Vorhaben so lange zurückzustellen, bis er sicher sein kann, dass er keinen Verkehrsteilnehmer auf dem neben ihm befindlichen Fahrstreifen gefährdet (KG, Beschluss vom 20. Juli 2009 - 12 U 192/08 - Rn. 25, juris, OLG Stuttgart, a.a.O.). Er hat den Abbiegevorgang sofort abzubrechen bzw. zu unterbrechen, wenn es durch das ausschwenkende Heck zur Gefährdung eines Verkehrsteilnehmers auf der daneben liegenden Fahrspur kommen kann (OLG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 32 mit Verweis auf OLG Hamm, NZV 1994, 399 [OLG München 09.07.1993 - 10 U 6681/92]). Mit äußerster Sorgfalt handelt nicht, wer mit einem Sattelauflieger so in eine Kreuzung einfährt, dass er seiner zweiten Rückschaupflicht unmittelbar vor dem Abbiegen aufgrund der Schrägstellung nicht mehr nachkommen kann, wobei die zweite Rückschaupflicht in diesen Fällen auch nicht gemäß § 9 Abs. 1 S. 4 Hs. 2 StVO entfällt (OLG München, a.a.O., in diesem Sinne auch OLG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 34).
Dieser erhöhten Sorgfaltspflicht ist der Beklagte zu 2 nicht nachgekommen. Nach seinen eigenen Angaben hatte er - entweder bevor oder während er den Gegenverkehr passieren ließ - im Rahmen einer Rückschau die herannahende Straßenbahn wahrgenommen. Daher konnte und musste er bei dem anschließenden erneuten Anfahren zum eigentlichen Abbiegen, d.h. der Linksbogenfahrt, erkennen, dass sich die Straßenbahn weiterhin näherte und es bei Fortsetzung des Abbiegemanövers zu einer Gefährdung bzw. Kollision des Aufliegers mit der Straßenbahn kommen könnte. Denn es ist davon auszugehen, dass der Beklagte zu 2 wusste, dass der Auflieger bei Abbiegen nach rechts ausschwenken werde; jedenfalls hätte dies dem Beklagten zu 2 als Berufskraftfahrer bewusst sein müssen. Weiterhin ist als gefahrerhöhend zu berücksichtigen, dass sich der Beklagte zu 2 soweit rechts eingeordnet hatte, dass die rechte Außenseite des Lkw-Anhänger-Gespanns über der Trennlinie zwischen Linksabbieger- und Geradeausspur sich befand und daraus folgend das Ausschwenken zwingend in den rechts daneben befindlichen Fahrstreifen und damit bis in den Bereich der Straßenbahn - der als Schienenfahrzeug ein Ausweichen nicht möglich ist - erfolgte, während es bei mittigem Befahren des Fahrstreifens nicht zur Kollision gekommen wäre (Seite 35, 37 des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. O. vom 28. November 2017).
Ausgehend von den vorstehenden Grundsätzen, hätte der Beklagte zu 2 daher zuwarten müssen, bis die Straßenbahn der Klägerin rechts an ihm vorbeigefahren war, bevor er den Abbiegevorgang durchführte, da er nur hierdurch sicherstellen konnte, dass die Straßenbahn nicht gefährdet würde.
(2) Demgegenüber ist dem Zeugen K. entgegen der Ansicht des Landgerichts kein Verkehrsverstoß nachzuweisen.
aa) Zunächst war der Zeuge K. nicht verpflichtet anzuhalten, um dem Beklagten zu 2 das Abbiegen zu ermöglichen. Grundsätzlich gilt dies bereits deshalb nicht, weil, wie ausgeführt, der Abbiegende verpflichtet ist, den Verkehrsteilnehmer auf der benachbarten Fahrspur nicht zu gefährden und gegebenenfalls mit dem Abbiegen zuwarten muss, um sicherzustellen, dass keine Gefährdung (mehr) besteht. Im Übrigen hatte die neben der Fahrbahn des Beklagten-Lkw in - zunächst - gleicher Richtung fahrende Straßenbahn Vorrang vor dem abbiegenden Lkw, so § 9 Abs. 3 S. 1 StVO und § 2 Abs. 3 StVO.
(1) Ein Straßenbahnführer darf darauf vertrauen, dass andere Verkehrsteilnehmer §§ 2 Abs. 3, 9 Abs. 3 Satz 1 StVO beachten und die Schienen nicht besetzen (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 05.03.1991 - 9 U 106/90, NZV 1991, 313; OLG Hamm, Urt. v. 22.11.2004 - 13 U 131/04, NZV 2005, 414). Er braucht nicht damit zu rechnen, dass ein vor ihm fahrendes Fahrzeug in einer Entfernung, die die Gefahr eines Zusammenstoßes in sich schließt, in den Gleisbereich einbiegt. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der andere Fahrer seine Abbiegeabsicht bereits angezeigt hat (OLG Hamm, Urt. v. 13.04.2018 - 7 U 36/17, juris-Rdnr. 63 m.w.N.). Von einem Straßenbahnführer ist wegen der gebotenen Rücksicht auf die von ihm in der Straßenbahn beförderten Fahrgäste nicht zu verlangen, ohne weiteres vorsorglich eine Vollbremsung durchzuführen, sobald ein PKW in einiger Entfernung auf die Schienen fährt (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 13.04.2018 - 7 U 36/17, juris-Rdnr. 63; OLG Hamm, Urt. v. 05.03.1991 - 9 U 106/90, NZV 1991, 313 [OLG Hamm 29.08.1990 - 20 W 9/90]). Erst in dem Moment, in dem sich die Gefahr einer Kollision aufdrängt und eine rechtzeitige Räumung des Gleisbereichs unwahrscheinlich ist oder sich die Straßenbahn sonst einer unklaren Verkehrssituation nähert, entfällt die Berechtigung des Straßenbahnführers, auf seinen Vorrang zu vertrauen, mit der Folge, dass er gegebenenfalls zur Einleitung einer Schnellbremsung verpflichtet ist (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 22.11.2004 - 13 U 131/04, NZV 2005, 414; OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.12.2006 - 1 U 121/06, juris; OLG Hamm, Urt. v. 13.04.2018 - 7 U 36/17, juris-Rdnr. 63).
Schließlich spricht auch gegen eine auffahrende Straßenbahn nicht der Beweis des ersten Anscheins, den Unfall verursacht und verschuldet zu haben (OLG Düsseldorf, Urt. v. 05.12.2017 - 1 U 33/17, VersR 2018, 1276, juris-Rdnr. 30; OLG Dresden, Urt. v. 16.10.1995 - 2 U 268/95, VersR 1997, 332). Um einen Anscheinsbeweis gegen den Straßenbahnfahrer bzw. die Straßenbahn zu begründen, müsste feststehen, dass der Abstand zwischen Straßenbahn und Pkw zum Zeitpunkt der gebotenen Reaktionseinleitung so groß war, dass unter normalen Umständen eine räumliche Vermeidung des Unfalls durch Abbremsen der Straßenbahn möglich war (OLG Düsseldorf, Urt. v. 05.12.2017 - 1 U 33/17, VersR 2018, 1276 [OLG Düsseldorf 05.12.2017 - I-1 U 33/17], juris-Rdnr. 30).
(2) Der Zeuge K. hat sich in diesem Rahmen straßenverkehrsordnungskonform verhalten. Nach den Angaben des Sachverständigen Dipl.-Ing. O. fuhr der Zeuge K. in Annährung an den Unfallort bzw. bei Passieren des Beklagten-Lkw bis zur Bremsung aufgrund der Kollision ca. 23 km/h. Zwar ist der Beklagte zu 2 etwa 6 Sekunden vor der späteren Kollision zur Fortsetzung seines Abbiegevorgangs wieder angefahren, dies jedoch zunächst in Geradeausfahrt, wobei sodann zunächst die Zugmaschine des Lkw-Anhänger-Gespanns nach links verschwenkte, ohne dass dies schon zu einem Ausschwenken des Aufliegers - und damit zu einer Reaktionsaufforderung für den Zeugen K. - führte. Erst nachdem der Zeuge K. mit dem Kopf der Straßenbahn, wo er saß, das Heck des Lkw-Anhänger-Gespanns passiert hatte, begann die Ausschwenkbewegung des Aufliegers des Beklagten-Lkws nach rechts - etwa 2 Sekunden vor der Kollision. Der Zeuge K. konnte dies - da er das Heck des ausschwenkenden Anhängers bereits passiert hatte - dann jedoch nicht mehr wahrnehmen, da die Bewegung außerhalb seines Sichtfeldes hinter ihm stattfand. Zu diesem Zeitpunkt konnte der Zeuge K. die Kollision (rund 14 m später) unter Berücksichtigung des Anhalteweges der Straßenbahn auch nicht mehr vermeiden. Denn für das Anhalten der Straßenbahn benötigte der Zeuge K. nach einer ihm zuzubilligenden Reaktionszeit von ca. 0,8 Sekunden noch ca. 2,8 Sekunden, während die Kollision des Aufliegers mit der Straßenbahn etwa 3,5 Sekunden nach dem Beginn des Ausschwenkens des Aufliegers nach rechts stattgefunden hat.
Die Angaben der Zeugin R. stehen den Angaben des Sachverständigen nicht entgegen, bestätigen vielmehr dessen Angaben. Denn nach den Angaben der Zeugin sei zunächst der Lkw angefahren und danach habe sie die Straßenbahn sich von hinten nähernd wahrgenommen. Nachdem die Straßenbahn ihr Fahrzeug, welches sich unmittelbar hinter dem Beklagten-Lkw befunden habe, passiert hatte, habe sie gesehen, dass das Heck des Aufliegers nach rechts ausschwenkt. Anders als das Landgericht meint, lässt sich aus dem von der Zeugin R. geschilderten Geschehensablauf jedoch nicht schließen, dass für den Zeugen K. ein Ausschwenken des Anhängers erkennbar war. Denn dieser hatte das Heck des Aufliegers - wie ausgeführt - bereits passiert, als dieser seitlich ausschwenkte.
Für den Zeugen K. war eine Kollision mit dem Beklagten-Lkw auch nicht bereits bei Annäherung an den Beklagten-Lkw vorhersehbar. Denn der seitliche Abstand zwischen Straßenbahn und Beklagten-Lkw betrug bei Beginn der Linksbogenfahrt des Lkw rund 50 Zentimeter (S. 34 des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. O. vom 28. November 2017), während das Heck des Aufliegers insgesamt im vorliegenden Fall um 65 cm in den Gleisbereich hineinschwenkte. Der Umfang des Ausschwenkens eines Aufliegers ist aber - so der Sachverständige nachvollziehbar - davon abhängig, in welchem Radius die Bogenfahrt des Lkw-Anhänger-Gespanns vorgenommen wird. Bei einem sehr kleinen Bogen schwenkt der Anhänger weiter, bei einem großen Bogen weniger aus. Insofern war für den Zeugen K. nicht vorhersehbar, in welchem Umfang es zu einem Ausschwenken des Aufliegers und damit der Gefahr der Überschreitung des erforderlichen Seitenabstandes, mithin zur Kollision kommen werde.
bb) Entgegen der Ansicht der Beklagten war der Zeuge K. auch nicht verpflichtet, die Warnglocke der Straßenbahn zu betätigen. Der Zeuge K. führte die Straßenbahn bei Annäherung an den Beklagten-Lkw mit moderater Geschwindigkeit. Im Übrigen war der Beklagte zu 2 gemäß § 9 Abs. 1 S. 4 StVO verpflichtet, erhöhte Sorgfalt walten zu lassen, um die Straßenbahn und deren beförderten Personen nicht zu gefährden.
cc) Aus vorstehenden Erwägungen folgt, dass der Zeuge K. auch nicht im Hinblick auf § 11 Abs. 3 StVO verpflichtet war anzuhalten und dem Beklagten zu 2 die Durchführung des Abbiegevorgangs zu ermöglichen.
(3) Die nach §§ 17 StVG, 13 HPflG vorzunehmenden Abwägung des Maßes der beiderseitigen Unfallverursachung ergibt, dass der Verursachungsbeitrag des Beklagten zu 2 gegenüber der allein verbleibenden Betriebsgefahr der Straßenbahn derart überwiegt, dass die Betriebsgefahr zurücktritt (vgl. ebenso OLG Hamm, Urt. v. 13.04.2018 - 7 U 36/17, juris-Rdnr. 75 ff.). Zwar ist die Betriebsgefahr einer Straßenbahn wegen ihrer Schienengebundenheit, des längeren Bremswegs und der größeren Aufprallwucht gegenüber der allgemeinen Betriebsgefahr eines Kfz grundsätzlich deutlich erhöht (vgl. OLG Brandenburg, Urt. v. 26.02.2009 - 12 U 145/08, Schaden-Praxis 2009, 209 f.; KG, Urt. v. 26.01.2004 - 12 U 182/02, juris). Dies hat zur Folge, dass sich eine alleinige Haftung des Fahrers eines PKW nach Abwägung der allgemeinen Betriebsgefahr der Straßenbahn einerseits und schuldhafter Verursachungsbeiträge des Pkw-Fahrers andererseits nur dann ergibt, wenn dem Pkw-Fahrer ein erhebliches Verschulden zur Last fällt (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 13.04.2018 - 7 U 36/17, juris-Rdnr. 77).
Ein solch erhebliches, ganz überwiegendes Verschulden, das ein Zurücktreten der Betriebsgefahr der Straßenbahn rechtfertigt, ist dem Beklagten zu 2 aber anzulasten. Denn er hat durch seine mangelnde Vorsicht bei dem von ihm vorgenommenen, bereits aus sich heraus gefährlichen Fahrmanöver, welches eine besondere Sorgfalt gemäß § 9 Abs. 1 S. 4 StVO erforderte, die entscheidende Ursache für den Unfall gesetzt. Dem Beklagten zu 2 ist - wie ausgeführt - vorzuwerfen, dass er mit dem Lkw-Anhänger-Gespann bereits auf der Trennlinie zwischen Linksabbieger- und Geradeausspur gefahren ist und sodann den Abbiegevorgang trotz Erkennens der sich von hinten nähernden Straßenbahn fortgesetzt hat. Damit hat der Beklagte zu 2 sowohl gegen die besonderen Sorgfaltspflichten des § 9 Abs. 1 S. 4 StVO verstoßen als auch den Vorrang der Straßenbahn gemäß § 9 Abs. 3 S. 1 StVO missachtet. In dieser Situation kam der Betriebsgefahr der Straßenbahn der Klägerin kein erhebliches Gewicht zu, weil - wie ausgeführt - im Moment der entscheidenden Reaktionsaufforderung das Unfallgeschehen allein vom Zeugen K. nicht mehr verhindert werden konnte. Die Betriebsgefahr der Straßenbahn hat daher bei der Abwägung außer Betracht zu bleiben und tritt hinter dem groben Sorgfaltsverstoß auf Seiten der Beklagten ganz zurück.
d) Unter Zugrundelegung einer Alleinhaftung der Beklagten steht der Klägerin ein Anspruch auf vollständigen Ersatz ihres Schadens, hier Reparaturkosten in Höhe von 92.549,81 €, Kosten für Erstellung eines Rechnungsprüfungsberichtes in Höhe von 1.460,00 €, Kosten für die Anforderung der Ermittlungsakte in Höhe von 63,30 € sowie die allgemeine Kostenpauschale in Höhe von 25,00 €, mithin in Höhe von 94.098,11 € zu, so dass nach Abzug vorgerichtlich von der Beklagten zu 1 bereits gezahlter 46.274,91 € und 730 € ein Anspruch in Höhe von 47.093,20 € verbleibt.
2. Der Klägerin steht gegen die Beklagten ebenfalls ein Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten gem. §§ 7, 17, 18 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 4 VVG, 823 Abs. 1, 249 ff., 257 BGB nach einem Gegenstandswert von bis zu 50.000,00 €, mithin in Höhe von 1.531,90 € netto zu.
3. Der Anspruch auf die geltend gemachten Zinsen folgt aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 Abs. 1, 288 Abs. 1, 187 BGB.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und der Senat nicht von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes oder eines anderen Oberlandesgerichts abweicht, so dass auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern, § 543 ZPO.