Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 03.12.2018, Az.: 8 U 165/18

Ansprüche aus einer Reiserücktrittsversicherung; Erstattung einer Geschäftsgebühr; Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit einer vorgerichtlichen Tätigkeit

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
03.12.2018
Aktenzeichen
8 U 165/18
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 66247
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Verden - 13.06.2018 - AZ: 8 O 199/17

Redaktioneller Leitsatz

1. Die Erstattung einer Geschäftsgebühr im Sinne von Nr. 2300 RVG-VV setzt eine Anspruchsgrundlage voraus, die sich außerhalb deliktischer Ansprüche regelmäßig aus Verzug gemäß §§ 280, 286 BGB ergibt.

2. Die Erstattungsfähigkeit der Anwaltsgebühren als materieller Schaden hat zur Voraussetzung, dass die Beauftragung des Rechtsanwalts mit der vorgerichtlichen Tätigkeit erforderlich und zweckmäßig war.

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 5. November 2018 durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht ..., die Richterin am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ... für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 13. Juni 2018 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Verden unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.115,24 € zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21. April 2017.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen tragen der Kläger 35 % und die Beklagte 65 %.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf bis zu 8.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die zulässige Berufung ist im tenorierten Umfang begründet. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch gemäß § 1 Satz 1 VVG in Verbindung mit § 1 Nr. 1 und § 2 Nr. 1 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB RR) zu.

1. Der Versicherungsfall ist eingetreten.

Gemäß § 2 Nr. 1a AVB RR liegt ein Versicherungsfall unter anderem vor, wenn die versicherte Person oder eine Risikoperson von einer unerwarteten schweren Erkrankung betroffen wird. Eine solche Erkrankung ist den Versicherungsbedingungen zufolge gegeben, wenn aus dem stabilen Zustand der Reisefähigkeit heraus konkrete Krankheitssymptome auftreten, die dem Reiseantritt entgegenstehen. Aus dieser Definition des Versicherungsfalls folgt, dass es auf eine konkrete ärztliche Diagnose der Erkrankung entgegen der vom Landgericht vertretenen Auffassung nicht ankommt. Entscheidend ist vielmehr das Vorliegen einer krankheitsbedingten Symptomatik, die den Antritt der Reise unzumutbar erscheinen lässt.

Eine solche Symptomatik lag bei der Zeugin S. vor. Die Zeugin hat vor dem Senat ausgesagt, vor dem geplanten Reiseantritt und auch noch in den nachfolgenden 1 ½ Wochen unter einer Durchfallerkrankung erheblicher Ausprägung gelitten zu haben. Diese Erkrankung habe ca. zwei Wochen vor der geplanten Reise begonnen. Die Symptomatik habe sich im weiteren Verlauf gesteigert und sei von Krämpfen begleitet gewesen. Die Einnahme von Medikamenten habe keine Wirkung gezeigt. Zuletzt habe sie vier- bis fünfmal am Tag in unregelmäßigen Abständen die Toilette aufsuchen müssen. Der Drang sei jeweils überfallartig und ohne Vorwarnung aufgetreten.

Die Zeugin hat auf den Senat einen glaubwürdigen Eindruck gemacht. Ihr war deutlich das Unbehagen anzumerken, über ein ihr unangenehmes Thema zu sprechen. Gleichwohl hat sich die Zeugin bemüht, dem Senat ihren Zustand und die Symptomatik ihrer Erkrankung zu verdeutlichen. Darüber hinaus sind bei der Vernehmung der Zeugin keine Anhaltspunkte zutage getreten, die auf einen anderen Grund für die Stornierung der Reise hätten hindeuten können. Im Gegenteil hat die Zeugin erklärt, dass sie und der Kläger sich auf ausdrücklichen Wunsch der Zeugin zu der Reise nach China entschlossen hätten, während ihr (mittlerweile) geschiedener Ehemann eigentlich in die Vereinigten Staaten habe reisen wollen. Die Aussage der Zeugin, dass sie und der Kläger sich lediglich unter dem Zwang der Erkrankung gegen den Antritt der Reise entschieden hätten, ist deshalb für den Senat nachvollziehbar und glaubhaft. Die teilweise feststellbaren Abweichungen in den verschiedenen Aussagen begründen in der Gesamtschau für den Senat keine durchgreifenden Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugin.

Unter Zugrundelegung der von der Zeugin geschilderten Symptomatik war der Reiseantritt für sie aber unzumutbar. Soweit das Landgericht auf die trotz der Erkrankung mögliche Durchführung der Reise unter Inanspruchnahme der während des Fluges und am Urlaubsort vorhandenen Sanitäranlagen verwiesen hat, steht das der Unzumutbarkeit des Reiseantritts nicht entgegen. Insoweit darf die Zumutbarkeit des Reiseantritts nicht mit dessen technischer Durchführbarkeit verwechselt werden. Würde man beispielsweise allein auf die Behandelbarkeit einer Erkrankung im Ausland abstellen, würde der Eintritt einer solchen Erkrankung praktisch nie dem Reiseantritt entgegenstehen. Letztlich kommt es hierauf aber nicht entscheidend an. Das Landgericht hat vielmehr übersehen, schon bei der Anfahrt zum Flughafen und während des Eincheckens sowie bis zum Erreichen der Flughöhe nicht jederzeit eine Toilette zugänglich ist. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass in einem Flugzeug nur eine begrenzte Anzahl von Bordtoiletten zur Verfügung steht und dass deren Inanspruchnahme abhängig von den Bedürfnissen der anderen Flugpassagiere mitunter erst nach einer nicht unerheblichen Wartezeit möglich ist. Jedenfalls bei einer Durchfallerkrankung mit der im vorliegenden Fall von der Zeugin geschilderten Symptomatik und einem überfallartig entstehenden Bedürfnis muss aber die jederzeit mögliche Inanspruchnahme einer Toilette gewährleistet sein. Ist das insbesondere auf einem längeren Flug - wie regelmäßig - nicht der Fall, ist der Reiseantritt insgesamt unzumutbar.

2. Die Beklagte ist nicht wegen eines Verstoßes gegen die vertraglich vereinbarte Obliegenheit zur Schadensminimierung gemäß § 6 Nr. 1, § 7 Nr. 1 AVB RR ganz oder teilweise leistungsfrei. Es bestehen keine Anhaltspunkte, dass der Kläger bereits bei Beginn der Erkrankung zwei Wochen vor Reiseantritt von einer über den 28. September 2016 hinaus andauernden Erkrankung hätte ausgehen müssen. Auch im Übrigen hat die Beklagte nicht nachvollziehbar aufgezeigt, ab welchem Zeitpunkt der Kläger von einer voraussichtlich über den vorgesehenen Abreisetag andauernden Erkrankung der Zeugin und einer hiermit verbundenen Unzumutbarkeit des Reiseantritts hätte ausgehen müssen. Unabhängig hiervon hat der Kläger aber auch bestritten, dass er vor dem Tag der letztlich erfolgten Stornierung von einer fortbestehenden Krankheitssymptomatik habe ausgehen müssen. Dementsprechend kann der erst mit der Berufungserwiderung verbundene Tatsachenvortrag der Beklagten im Berufungsverfahren nicht mehr berücksichtigt werden, § 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO. Dass einer der Ausnahmefälle gemäß § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO vorliegt, hat die Beklagte nicht aufgezeigt und ist auch im Übrigen nicht ersichtlich.

3. Der Anspruch des Klägers ist auch fällig. Mit ihrer abweichenden Auffassung verkennt die Beklagte, dass ein etwaig bestehender Anspruch unabhängig von den Voraussetzungen des § 14 VVG mit der endgültigen Erfüllungsablehnung des Versicherers stets fällig wird (vgl. Armbrüster in: Prölss/Martin, VVG, 30. Aufl., § 14, Rn. 3). Zu einer solchen Erfüllungsablehnung ist es aber spätestens mit der Klageerwiderung gekommen.

4. Im Hinblick auf die Höhe des Anspruchs ist im Ausgangspunkt unstreitig, dass sich die Kosten der Reise insgesamt auf 12.239,20 € beliefen und dass dem Kläger hiervon lediglich 4.369,60 € rückerstattet wurden.

Die verbleibende Differenz in Höhe von 7.869,60 € ist allerdings gemäß § 75 VVG zu kürzen. Die Versicherungssumme ist erheblich niedriger als der Versicherungswert zur Zeit des Eintrittes des Versicherungsfalles, denn versichert war lediglich eine Reise mit einem Wert von bis zu 8.000,00 € (Bl. 32 d. A.). Unzutreffend ist die vom Kläger vertretene Auffassung, dass sich die streitgegenständliche Versicherung nur auf die gebuchte Rundreise bezogen habe, nicht aber auf die Flüge. Die vom Kläger in diesem Zusammenhang als Anlage K 6 vorgelegte und einem Versicherungsschein gleichgestellte Rechnung lässt erkennen, dass der Versicherungsvertrag nicht auf eine bestimmte Reise beschränkt ist. Der Versicherungsvertrag wurde vielmehr für fünf Jahre abgeschlossen und erstreckte sich auf alle innerhalb dieses Zeitraums angetretenen Reisen und zwar unabhängig davon, bei welchem Reiseveranstalter diese gebucht wurden. Das ergibt sich im Übrigen auch aus § 2 Nr. 3 der Allgemeinen Bestimmungen für E. Jahres-Reiseschutz (Bl. 8 d. A.). Danach gelten als "eine Reise" alle Reisebausteine und Einzelleistungen, die zeitlich und örtlich aufeinander abgestimmt genutzt werden.

Die Versicherungssumme beläuft sich auf 65 % des Reisepreises. Demzufolge reduziert sich der Anspruch des Klägers von 7.869,60 € auf 5.115,24 € (7.869,60 € x 0,65). Ein weitergehender Abzug gemäß § 5 AVB RR kommt nicht in Betracht, weil die Beklagte in der als Anlage K 6 vorgelegten Rechnung ausdrücklich auf einen Selbstbehalt verzichtete.

Der Anspruch ist gemäß § 280 Abs. 1 und 2, § 286 Abs. 1 Satz 1, § 288 Abs. 1 BGB ab dem 21. April 2017 zu verzinsen. Mit Schreiben vom 6. April 2017 forderten die Klägervertreter die Beklagte zur Zahlung bis zum 20. April 2017 auf, womit sich die Beklagte ab dem 21. April mit der geschuldeten Leistung in Verzug befand.

Ein Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Anwaltskosten steht dem Kläger hingegen nicht zu. Der Anspruch auf Erstattung einer Geschäftsgebühr im Sinne von Nr. 2300 VV RVG setzt eine Anspruchsgrundlage voraus, die sich außerhalb deliktischer Ansprüche in der Regel aus Verzug gemäß §§ 280, 286 BGB ergibt. Darüber hinaus setzt die Erstattungsfähigkeit der Anwaltsgebühren als materieller Schaden voraus, dass die Beauftragung des Rechtsanwalts mit der vorgerichtlichen Tätigkeit erforderlich und zweckmäßig war (vgl. BGH NJW 2012, 919 [BGH 13.12.2011 - VI ZR 274/10]).

Im vorliegenden Fall bestehen keine Anhaltspunkte, dass sich die Beklagte bei erstmaliger Mandatierung der Klägervertreter mit der geschuldeten Leistung bereits in Verzug befand und dass es sich bei den vorgerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten deshalb um einen kausal auf diesem Verzug beruhenden Schaden handelt.

Um einen Schuldner mit der von ihm geschuldeten Leistung in Verzug zu setzen, bedarf es außerhalb der Fälle des § 286 Abs. 2 BGB einer Mahnung. Dass der Kläger die Beklagte aber nach Fälligkeit des streitgegenständlichen Anspruchs und noch vor Mandatierung der Klägervertreter zur Zahlung aufforderte, kann weder dem Parteivortrag noch den eingereichten vorgerichtlichen Schreiben entnommen werden.

Eine Mahnung war auch nicht ausnahmsweise gemäß § 286 Abs. 2 BGB entbehrlich. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte, dass die Beklagte die von ihr geschuldete Leistung noch vor Beauftragung der Klägervertreter gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB ernsthaft und endgültig verweigert hatte. An das Vorliegen einer endgültigen Erfüllungsverweigerung sind im Hinblick auf den Zweck der Fristsetzung strenge Anforderungen zu stellen (vgl. BGH NJW-RR 1993, 139 [BGH 21.10.1992 - XII ZR 173/90]; BGH NJW 1986, 661). Der Schuldner muss die Erfüllung des Vertrages gegenüber dem Gläubiger unmissverständlich, endgültig und ernstlich ablehnen, sodass für den Gläubiger nicht mehr zweifelhaft sein darf, dass er unter keinen Umständen mehr mit einer freiwilligen Leistung rechnen kann. Der Schuldner muss eindeutig und gewissermaßen als "sein letztes Wort" den Willen zum Ausdruck gebracht haben, dass er seine Vertragspflichten nicht erfüllen werde (vgl. BGH NJW 2013, 1431 [BGH 07.03.2013 - VII ZR 162/12]).

Auf dieser Grundlage kann das als Anlage K 3 vorgelegte Schreiben der Beklagten vom 9. Februar 2017 (Bl. 16 d. A.) nicht als endgültige Erfüllungsverweigerung verstanden werden. In dem Schreiben wies die Beklagte vielmehr darauf hin, dass der Kläger der Beklagten keine weiteren Auskünfte habe erteilen wollen und dass deshalb die angefallenen Kosten nicht übernommen werden könnten. Dieses Schreiben durfte ein objektiver Empfänger dahingehend verstehen, dass die Beklagte bei Erteilung weiterer Auskünfte durchaus zu einer abermaligen Prüfung des geltend gemachten Anspruchs bereit wäre. Damit liegen die Voraussetzungen einer endgültigen Erfüllungsablehnung nicht vor.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Von der Zulassung der Revision gemäß § 543 ZPO hat der Senat abgesehen. Der Rechtsstreit ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung. Auch die Fortbildung des Rechts erfordert keine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 713 ZPO.