Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 07.10.2014, Az.: 22 W 1/14

Rechtmäßigkeit der polizeilichen Ingewahrsamnahme zur Durchsetzung eines Platzverweises und zur Verhinderung der unmittelbar bevorstehenden Begehung oder Fortsetzung einer Ordnungswidrigkeit

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
07.10.2014
Aktenzeichen
22 W 1/14
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2014, 36225
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2014:1007.22W1.14.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Lüneburg - 03.06.2014

Amtlicher Leitsatz

1. Eine auf § 18 Abs. 1 Nr. 3 NdsSOG zur Durchsetzung eines Platzverweises gestützte polizeiliche Ingewahrsamnahme ist mit Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit.b EMRK zu vereinbaren.

2. Eine auf § 18 Abs. 1 Nr. 2b NdsSOG gestützte polizeiliche Ingewahrsamnahme zur Verhinderung einer unmittelbar bevorstehenden Begehung oder Fortsetzung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Gefahr für die Allgemeinheit ist mit Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit.b EMRK zu vereinbaren, wenn die Begehung einer solchen Ordnungswidrigkeit nach Ort und Zeitpunkt hinreichend konkret zu erwarten ist und der Betroffene vor seiner Ingewahrsamnahme die Gelegenheit der Pflichterfüllung versäumt hat (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 24. Februar 2014 - 11 LC 228/12 -, juris).

Tenor:

Auf die weitere sofortige Beschwerde des Beteiligten wird der Beschluss des Landgerichts Lüneburg vom 3. Juni 2014 mit den Feststellungen aufgehoben.

Eine Entscheidung über die weitere sofortige Anschlussbeschwerde des Betroffenen war nicht veranlasst.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Landgericht Lüneburg zurückverwiesen.

Gründe

Die Beteiligten streiten - sowohl dem Grunde nach als auch hinsichtlich der Art des Vollzugs - um die Rechtmäßigkeit der polizeilichen Ingewahrsamnahme des Betroffenen anlässlich eines Castor-Transports am 27. November 2011.

1. Das Amtsgericht Dannenberg entschied durch Beschluss vom 25. März 2013, dass die Freiheitsentziehung des Betroffenen zunächst rechtmäßig, ab 10 Uhr aber rechtswidrig gewesen sei. Den Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der polizeilichen Gewahrsamsbedingungen wies das Amtsgericht zurück. Auf die gegen den Beschluss des Amtsgerichts eingelegten sofortigen Beschwerden des Betroffenen und des beteiligten Landes hat das Landgericht durch Beschluss vom 3. Juni 2014 festgestellt, dass die Freiheitsentziehung des Betroffenen insgesamt rechtswidrig war. Daneben hat das Landgericht kein isoliertes Feststellungsinteresse des Betroffenen an einer Feststellung der Rechtswidrigkeit der Gewahrsamsbedingungen erkannt.

2. Nach den Feststellungen des Landgerichts kam es am 26./27. November 2011 anlässlich eines Castortransports auf der Bahnstrecke von L. nach D. im Bereich H./Ha. zu einer Sitzblockade, an der sich auch der Betroffene beteiligte. Die Sitzblockade umfasste nach den polizeilichen Erkenntnissen am 26. November 2011 gegen 18:45 Uhr etwa 1.200 Demonstranten und wuchs bis in die frühen Morgenstunden auf rund 3.000 Teilnehmer an. Für den betroffenen Streckenabschnitt galt ein vollziehbares Versammlungsverbot auf und - in einem Abstand von 50 m - neben der Bahnstrecke. Während des gesamten Transports kam es auf der Bahnstrecke und im Straßenverkehr zu mehreren Blockladeaktionen durch Demonstranten.

Die Polizei löste die Sitzblockade am 27. November 2011 durch fünf Lautsprecherdurchsagen vor Ort zwischen 2:40 Uhr und 2:56 Uhr "im versammlungsrechtlichen Sinne" auf, worauf sich rund die Hälfte der Demonstranten entfernte.

Gegen 3:00 Uhr räumte die Polizei den Betroffenen von den Schienen, nahm ihn aufgrund der Einschätzung, dass er ansonsten weiterhin oder erneut gegen das Versammlungsgesetz verstoßen werde, in Gewahrsam und verbrachte ihn zur Gefangenensammelstelle in dem Polizeikommissariat L., wo er gegen 4:45 Uhr ankam und um 5:45 Uhr registriert wurde.

Bis zu seiner Entlassung um 15:34 Uhr wurde der Betroffene nicht mehr von einem der eingesetzte Eildienstrichter angehört.

3. Das Landgericht erachtet die Ingewahrsamnahme dem Grunde nach für rechtswidrig. Die Freiheitsentziehung sei nicht gem. § 18 Abs.1 Nr. 2b NSOG gerechtfertigt. Anhaltspunkte dafür, dass von dem Betroffenen Straftaten ausgegangen oder zu erwarten waren, hätten nicht vorgelegen. Die im Raum stehende Ordnungswidrigkeit gem. § 21 Abs.1 Nr. 9a, Nr. 11 NVersG rechtfertige keinen Präventivgewahrsam, weil Art. 5 Abs. 1 c) EMRK als höherrangiges Gesetz eine Freiheitsentziehung nur zur Verhinderung bevorstehender Straftaten zulasse, nicht aber zur Verhinderung von Ordnungswidrigkeiten.

Die Ingewahrsamnahme sei auch nicht zur Durchsetzung eines Platzverweises gem. § 18 Abs.1 Nr. 3 NSOG gerechtfertigt. Zwar gestattete Art 5 Abs. 1 b) EMRK die Freiheitsentziehung zur Erzwingung der Durchsetzung einer gesetzlichen Verpflichtung. Es könne aber nicht festgestellt werden, dass sich die Einsatzleitung hier an die versammlungsrechtlich gebotene Abfolge von Versammlungsauflösung, Platzverweis und erst anschließende Ingewahrsamnahme gehalten habe. Insbesondere könne in der Versammlungsauflösung nicht konkludent ein Platzverweis erkannt werden.

4. Gegen die Entscheidung des Landgerichts wendet sich das beteiligte Land mit der vom Landgericht zugelassenen weiteren sofortigen Beschwerde. Die Ingewahrsamnahme sei hier gerechtfertigt gewesen, weil die Pflicht des Betroffenen, sich zu entfernen, bereits hinreichend konkretisiert gewesen sei. Ohnehin hätte hier auch die Begehung von Straftaten gem. § 316b StGB im Raum gestanden.

Mit seiner Anschlussrechtsbeschwerde rügt der Betroffene, dass auch bei Feststellung der Rechtswidrigkeit der Grundmaßnahme ein darüber hinaus gehendes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Gewahrsamsbedingungen bestehe.

II.

Die weitere sofortige Beschwerde des beteiligten Landes ist statthaft gem. § 19 Abs. 2 Satz 4 NSOG und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingereicht (§ 19 Abs. 4 NSOG i.V.m. Art. 7 Nds. FGG, §§ 22, 27, 29 Abs. 1 S. 3, Abs. 4 FGG a.F.).

Das Rechtsmittel hat auch vorläufig Erfolg und führt zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht. Damit war eine Entscheidung über die Anschlussrechtsbeschwerde des Betroffenen nicht veranlasst.

Die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts im angefochtenen Beschluss tragen die Entscheidung, die polizeiliche Ingewahrsamnahme des Betroffenen sei von Beginn an rechtswidrig gewesen, nicht.

Der Beurteilung des Senats als Gericht der weiteren Beschwerde unterliegt gem. Art. 7 Nds FGG i. V. m. § 27 Abs. 1 S. 2 FGG, § 559 ZPO nur der Sachverhalt, der sich aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung des Beschwerdegerichts ergibt (vgl. nur Briesemeister, in: Jansen, FGG, 3. Aufl., § 27 Rn. 90, 106). Dem Senat war es deswegen verwehrt, seiner Entscheidung den weitergehenden Akteninhalt oder die Feststellungen des Amtsgerichts ergänzend zu Grunde zu legen.

Im Einzelnen:

1. Zutreffend hat das Landgericht erkannt, dass die Beschränkung der persönlichen Freiheit aufgrund landesrechtlicher Eingriffsnormen, namentlich § 18 Abs. 1 Nr. 2b, Nr. 3 NSOG, in Übereinstimmung mit höherrangigem Recht stehen muss, hier insbesondere mit Art. 5 EMRK, der durch das Zustimmungsgesetz gem. Art. 59 Abs. 2 GG als vorrangiges Bundesrecht unmittelbare Geltung erfährt.

2. Ebenfalls ohne Rechtsfehler geht das Landgericht davon aus, dass die Ingewahrsamnahme wegen der unmittelbar bevorstehenden Begehung oder Fortsetzung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Gefahr für die Allgemeinheit (§ 18 Abs. 1 Nr. 2b NSOG) vom Schrankenvorbehalt in Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit. c) EMRK nicht gedeckt ist.

Diese früher vertretene Rechtsauffassung (vgl. z.B. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. September 2004 - 1 S 2206/03 -, juris) ist jedenfalls seit den Entscheidungen des EGMR vom 24. März 2005 (77909/01, NVwZ 2006, 797 [EGMR 24.03.2005 - 77909/01]), vom 1. Dezember 2011 (8080/08 u. 8577/08, NVwZ 2012, 1089) und vom 7. März 2013 (15598/08, NVwZ 2014, 43) nicht mehr zu halten. Dies findet seine Ursache weniger in der fehlenden Vergleichbarkeit von Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Gefahr für die Allgemeinheit mit Straftaten, sondern in der vom EGMR wiederholt betonten Einschränkung, dass der Schrankenvorbehalt in Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit. c) EMRK generell nicht auf einen Präventivgewahrsam ausgelegt ist, sondern lediglich die Grundlage für Untersuchungshaft - auch in Form der Wiederholungsgefahr - darstellt mit dem Ziel, die festgehaltene Person einem gerichtlichen Verfahren zuzuführen (EGMR, Urteil v. 7. März 2013, aaO., juris Rn. 67; ausdrücklich auch OVG Lüneburg, Urteil vom 24. Februar 2014, NVwZ-RR 2014, 552, juris Rn. 42 ff m.w.N.).

Bezüglich des Betroffenen stand - unabhängig davon, ob er der Begehung bzw. Fortsetzung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Gefahr für die Allgemeinheit oder einer Straftat verdächtig war - zu keinem Zeitpunkt im Raum, dass die Freiheitsentziehung anderen Zwecken als der geordneten Durchführung des Castortransports dienen sollte. Es kommt deswegen nicht darauf an, dass die Ausführungen des beteiligten Landes in der Beschwerdebegründung zum Verdacht der künftigen Begehung einer Straftat gem. § 316b StGB neues, in einem allein auf eine Rechtskontrolle gerichteten Verfahren unbeachtliches Vorbringen ist.

3. Auf die Vereinbarkeit der Freiheitsentziehung mit Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit. c EMRK kommt es jedoch nicht an.

Denn nach dem der Entscheidung zu Grunde zu legenden Sachverhalt liegt eine Rechtfertigung der Ingewahrsamnahme gleichermaßen aufgrund der Eingriffsbefugnis aus § 18 Abs. 1 Nr. 2b NSOG als auch aus § 18 Abs. 1 Nr. 3 NSOG in Übereinstimmung mit Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit.b EMRK auf der Hand, kann jedoch vom Senat aufgrund der insoweit unzureichenden Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Beschluss nicht festgestellt werden.

a. Gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 3 NSOG kann eine Person in Gewahrsam genommen werden, wenn dies unerlässlich ist, um eine Platzverweisung nach § 17 NSOG durchzusetzen.

Das Landgericht hat unter Heranziehung der versammlungsrechtlichen Grundsätze, dass der Ausspruch eines Platzverweises einer zuvor verfügten Auflösung der Versammlung nachfolgen müsse (sog. "Polizeifestigkeit" des Versammlungsrechts, vgl. hierzu Wefelmeier/Miller, NVersG, § 8 Rn. 3 m.w.N.), einen ausdrücklichen und gesonderten Ausspruch eines Platzverweises nicht feststellen können.

Diese hierzu getroffenen tatsächlichen Feststellungen sind jedoch lückenhaft und tragen die Schlussfolgerung, ein Platzverweis sei nicht ausgesprochen worden, nicht. Die Tatsachenfeststellungen beschränken sich auf die bloße Wiedergabe, die Versammlung sei durch fünf Lautsprecherdurchsagen "im versammlungsrechtlichen Sinne" aufgelöst worden, ohne den zur rechtlichen Bewertung dieser Verfügung unverzichtbaren Inhalt der Durchsagen mitzuteilen.

Zwar dürfte ein Sachverhalt, bei dem sich eine solche Durchsage allein auf die Auflösung der Versammlung auf den Gleisen beschränkte, ohne sogleich die Aufforderung auszusprechen, sich von den Gleisen zu entfernen, kaum erfindlich sein. Es ist dem Senat jedoch verwehrt, diese Feststellungen im Verfahren über die weitere Beschwerde selbst zu treffen.

Die Schlussfolgerungen des Landgerichts aus den Umständen der weiteren Abwicklung der Ingewahrsamnahme (ausdrücklicher Ausspruch von Platzverweisen bei Entlassung aus dem Gewahrsam; Erteilung von Rechtsbehelfsbelehrungen ohne Erläuterung, die Ingewahrsamnahme hätte der Durchsetzung eines Platzverweises gedient) auf den Inhalt der Auflösungsverfügung sind keineswegs zwingend und vermögen ausdrückliche Feststellungen hierzu nicht zu ersetzen.

Jede polizeiliche Anordnung des Inhalts, sich von den Gleisen zu entfernen, wäre im Anschluss an eine ausdrückliche "Auflösung" der Versammlung aus Sicht der Teilnehmer unzweifelhaft als Platzverweis i. S. d. § 17 NSOG zu verstehen gewesen.

In der gegebenen Situation, in der der Betroffene sich nach fünf Durchsagen nicht freiwillig von den Gleisen entfernte, wäre dann die Einschätzung der Beamten, der Betroffene werde auch weiterhin der Anordnung keine Folge leisten, frei von Beurteilungsmängeln und würde die Durchsetzung des Platzverweises mit dem Mittel der Ingewahrsamnahme rechtfertigen.

Hinzu kommt, dass das Landgericht zu Unrecht eine ausdrückliche Auflösung der Versammlung als Voraussetzung zur Begründung der Pflicht des Betroffenen, sich von den Gleisen zu entfernen, verlangt hat. Denn nach den Feststellungen im Übrigen bestand in dem Bereich, in dem sich der Betroffene mit rund 3.000 Demonstranten befand, bereits ein vollziehbares Versammlungsverbot. Danach war der Betroffene nicht nur gem. § 8 Abs. 2 S. 3 NVersG verpflichtet, sich nach einer Auflösung unmittelbar zu entfernen. Vielmehr stellte bereits die Teilnahme an der verbotenen Versammlung gem. § 21 Abs. 1 Nr. 9a NVersG eine Ordnungswidrigkeit dar.

b. Wie das Landgericht daneben zutreffend erkannt hat, bestand als weiterer landesrechtlicher Rechtsgrund für eine Ingewahrsamnahme auch § 18 Abs. 1 Nr. 2b NSOG. Danach kann eine Person in Gewahrsam genommen werden, wenn dies unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Gefahr für die Allgemeinheit zu verhindern. Eine solche Ordnungswidrigkeit kann auch der Verstoß gegen § 29 Abs. 1 Nr. 9a, Nr. 11 NVersG im Rahmen der Durchführung eines Castortransports sein (Senat, Beschluss vom 23. Juni 2005 - 22 W 32/05 -, juris; OVG Lüneburg, Beschluss vom 26. September 2006 - 11 LA 196/05 -, juris).

Entgegen der Ansicht des Landgerichts ist aber auch eine auf § 18 Abs. 1 Nr. 2b NSOG gestützte Freiheitsentziehung von Art. 5 Abs. 1 S. 2 lit.b EMRK gedeckt.

Nach dieser Vorschrift darf die Freiheit "zur Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung" entzogen werden. Zwar genügt es nicht, hierauf eine Freiheitsentziehung zu stützen, mit der eine Person gezwungen werden soll, ihre allgemeine Verpflichtung zur Befolgung der Gesetze zu erfüllen. Gesetzlich zulässig ist es aber, dem Betroffenen die Freiheit zu entziehen, um ihn dazu zu zwingen, eine ihm obliegende spezifische und konkrete Verpflichtung zu erfüllen, der er bis dahin nicht nachgekommen ist (EGMR, Urt. v. 7.3.2013 - 15598/08 -, aaO., juris, Rn. 69 und 90; OVG Lüneburg, Urt. v. 24.2.2014, aaO., juris Rn. 45). Eine solche Verpflichtung kann auch darin bestehen, die Begehung einer nach Ort, Zeitpunkt und Opfer hinreichend konkretisierten Ordnungswidrigkeit zu unterlassen. Um den Einzelnen vor einer willkürlichen Freiheitsentziehung zu schützen, bedarf es in der Regel eines Hinweises auf die konkret zu unterlassende Handlung und der Weigerung des Betroffenen, diese zu unterlassen (EGMR, Urt. v. 7.3.2013 - 15598/08 -, aaO.) Ein solcher Warnhinweis kann allerdings ausnahmsweise entbehrlich sein, wenn der Betroffene eindeutige und aktive Schritte unternommen hat, die darauf hindeuten, dass er seiner Verpflichtung zur Nichtbegehung der Ordnungswidrigkeit nicht nachkommen wird (EGMR aaO., juris Rn. 94).

Hier spricht - wie oben ausgeführt - vieles dafür, dass sich der Betroffene auch ohne ausdrücklichen Warnhinweis darüber im Klaren war, dass ein weiterer Verbleib auf den Bahngleisen nach der Auflösungsverfügung die Fortsetzung einer Ordnungswidrigkeit darstellen würde. Es verbleibt jedoch - wie bereits ausgeführt - eine Lücke in den Feststellungen des Landgerichts zum Inhalt der Auflösungsverfügung, insbesondere zur Aufforderung, die Gleise zu verlassen. Sollte die Kammer weiterhin nicht feststellen können, dass eine rechtmäßige Auflösungsverfügung und ein nachfolgender Platzverweis ausgesprochen wurde, wäre die Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme nach § 18 Abs. 1 Nr. 2b NSOG insbesondere daran zu orientieren, in welcher Form das vollziehbare Versammlungsverbot bekannt gemacht wurde, denn unabhängig von der Pflicht, sich von der aufgelösten Versammlung zu entfernen, kam eine fortdauernde Ordnungswidrigkeit nach § 29 Abs. 1 Nr. 9a NVersG wegen der Teilnahme an einer verbotenen Versammlung in Betracht.

4. Ungeachtet dessen, dass danach die Feststellung, die Ingewahrsamnahme sei jedenfalls zunächst dem Grunde nach rechtmäßig gewesen, ernsthaft in Betracht kommt, war eine Aufhebung und Zurückverweisung der Sache hier deswegen geboten, weil das Landgericht - von seinem Rechtsstandpunkt konsequent - keine Tatsachenfeststellungen getroffen hat, die eine Entscheidung über die Beschwerde des beteiligten Landes gegen den Beschluss des Amtsgerichts Dannenberg vom 25. März 2013 zur Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung nach 10 Uhr am 27. November 2011 ermöglichen.

5. Lediglich ergänzend weist der Senat im Hinblick auf die weitere sofortige Anschlussrechtsbeschwerde des Betroffenen darauf hin, dass das Landgericht zutreffend unter Bezugnahme auf die Senatsrechtsprechung (Beschl. v. 13. November 2006, 22 W 49/06) entschieden hat, dass für eine isolierte Feststellung der Rechtswidrigkeit der Bedingungen des Vollzugs der Freiheitsentziehung kein Rechtsschutzbedürfnis besteht, wenn die Freiheitsentziehung bereits dem Grunde nach rechtswidrig war.

Da über die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung dem Grunde nach neu zu entscheiden ist, konnte der Senat über die Anschlussrechtsbeschwerde des Betroffenen nicht befinden. Auch zu den Bedingungen der Freiheitsentziehung wird die Kammer Feststellungen treffen müssen, wenn sie nicht - erneut - die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung insgesamt feststellen sollte.